Lifestyle-Arzneimittel

Fette Gewinne mit Abnehmspritzen

Stuttgart - 09.01.2024, 17:50 Uhr

Immer mehr Menschen setzen auf den schnellen Abnehmerfolg mit Hilfe von Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy. Foto: Adobe Stock / Wild Awake 

Immer mehr Menschen setzen auf den schnellen Abnehmerfolg mit Hilfe von Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy. Foto: Adobe Stock / Wild Awake 


Viagra hat es Ende der 1990er-Jahre vorgemacht, Abnehmittel wie Ozempic und Wegovy leiten nun ein neues Kapitel ein: Lifestyle-Arzneimittel eröffnen einen riesigen Markt, wecken die Begierde der Pharmaindustrie und treffen das Bedürfnis von Millionen Menschen. Die Produkte zielen auf das Lebensgefühl der Anwender, sind vielfach aber auch ein Booster für die Bilanzen der Entwickler und Hersteller. Über einen Pharma-Trend, der aktuell wieder kräftig Fahrt aufnimmt.

Tesla-Chef Elon Musk hat es getan und 13 Kilo Gewicht verloren. Hollywood-Medien mutmaßen, dass auch die US-Sängerin Jessica Simpson, die Medienpersönlichkeit Kim Kardashian, Fernseh-Talkerin Oprah Winfrey, Popstar Lady Gaga  und die britische Musikmanagerin Sharon Osbourne zu den Mitteln gegriffen haben. Immerhin zeigten sie sich in der Öffentlichkeit zuletzt teilweise deutlich schlanker als zuvor. Manche sollen auch den Namen der Produkte in den Mund genommen haben, die ihnen zu mehr Leichtigkeit verholfen haben: Ozempic beziehungsweise Wegovy, beides Entwicklungen aus dem Hause des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk

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Ein Jahr im Zeichen von Ozempic und Co.

Die Abnehmspritzen sorgen seit Monaten für Schlagzeilen, sie gelten als wissenschaftliche und wirtschaftliche Sensationen des Jahres 2023 und sollen möglich machen, was bisher nicht möglich war: Gewicht abnehmen, ohne dafür seine Essgewohnheiten umstellen oder den Körper durch regelmäßigen Sport malträtieren zu müssen. Regelmäßig eine Spritze in den Bauch oder Oberschenkel, und das Fett verschwindet – zumindest teilweise. Erfahrungsvideos im Internet werden massenhaft geklickt. Und während sich die Öffentlichkeit in einem partiellen Hype befindet, setzt die Pharmabranche auf diesen neuen lukrativen Trend.

10 bis 15 Prozent des Körpergewichts abnehmen

Dabei ist Ozempic eigentlich ein Medikament für Menschen mit Diabetes Typ 2. Einmal wöchentlich wird es als Spritze in Form eines Pens verabreicht. Der in den USA und seit 2018 in Europa zugelassene Wirkstoff Semaglutid senkt den Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig hemmt er den Appetit und sorgt dafür, dass sich der Magen langsamer entleert.

Wissenschaftler, die Pharmaindustrie und schließlich auch die Internetöffentlichkeit entdeckten, dass das Mittel Diabetikern beim Abnehmen zugutekommt. Warum sollte es dann nicht auch allen anderen Menschen mit zu viel Pfunden auf der Hüfte helfen? Studien von Novo Nordisk haben gezeigt, dass die Probanden im Schnitt 10 bis 15 Prozent ihres Körpergewichtes verlieren.

Pharmaindustrie springt auf den Trend auf

Dieser Effekt hat die Pharmaindustrie elektrisiert. Im Juli 2023 erhielt Novo Nordisk in Deutschland zusätzlich die Zulassung für Wegovy. Dabei handelt es sich um einen Pen mit demselben Wirkstoff, der mit seiner höheren Dosierung jedoch speziell für schwer adipöse Menschen gedacht ist. Allerdings ist das Produkt auch etwa doppelt so teuer wie Ozempic.

Neben Novo Nordisk schielen weitere Pharmaunternehmen auf dieses Segment. So arbeiten das dänische Biotechunternehmen Zealand Pharma und sein deutscher Partner Boehringer Ingelheim an einem Abnehmmedikament namens Survodutide. In einer klinischen Phase-2-Studie führte die Behandlung mit dem Mittel zu einem Gewichtsverlust von bis zu 14,9 Prozent, wie die Unternehmen im Mai 2023 mitteilten.

Eli Lilly investiert in Alzey

Im November 2023 verkündete dann der US-Pharmakonzern Eli Lilly, 2,5 Milliarden US-Dollar in eine Fabrik im Rheinland-Pfälzischen Alzey investieren zu wollen. Dort will das Unternehmen künftig unter anderem das Medikament Mounjaro produzieren, welches in den USA und in Europa als Diabetesmittel zugelassen ist, künftig aber auch gegen Fettleibigkeit eingesetzt werden soll. So hat Eli Lilly im November 2023 in den USA eine Zulassung des Präparats durch die US-Arzneimittelbehörde als Abnehmspritze bekommen. Diese wird unter dem Namen Zepbound vertrieben und ist ein Konkurrenzprodukt zu Wegovy. In der EU wurde die erweiterte Nutzung von Lillys Mounjaro gegen krankhaftes Übergewicht für die Zulassung durch die EU-Kommission empfohlen, das Okay der Behörde steht aber noch aus.

Derweil scheint sich Novo Nordisk zum Ziel gesetzt zu haben, das Maximum aus dem aktuellen Abnehm-Trend herauszuholen. So vertreibt der Konzern auch das Arzneimittel Saxenda, das den mit Semaglutid verwandten Wirkstoff Liraglutid enthält und ebenfalls eine Gewichtsreduzierung bewirken soll.

Lifestyle-Arzneimittel für das Lebensgefühl

Abnehmprodukte wie Ozempic und Wegovy zählen zu den sogenannten Lifestyle-Medikamenten. Sie heißen so, weil sie zur Behandlung von Erkrankungen oder Zuständen mit einem geringen oder keinem Krankheitswert eingesetzt werden. Eine Definition, die bei echter Adipositas sicher nicht zutrifft. Oft werden sie eben aber für eine Verbesserung des Aussehens und für die Körperoptimierung verwendet und damit auch von Gesunden angewendet. Das Deutsche Apothekenportal definiert „Lifestyle-Medikamente" als Arzneimittel, bei denen in erster Linie „eine Erhöhung der Lebensqualität, eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit oder eine kosmetische Komponente im Vordergrund steht.“ Kurz: Diese Produkte sollen schöner, schlanker und gesünder machen.

Allerdings ist dieser Trend nicht neu. Bereits 1998 war im Zusammenhang mit der Einführung von Viagra der Begriff „Lifestyle-Arzneimittel" aufgekommen. Im selben Jahr berichtete das Ärzteblatt, dass mit Xenical, Propecia und Viagra eine neue Pillengeneration auf den Markt dränge. Die „neuen kleinen Helfer“ kurierten nicht nur Kranke, sie würden auch den in ihrem Wohlbefinden Gestörten zu neuer Lebensqualität verhelfen: Frauen, die sich in einer seelischen Krise befinden, weil sie Kleidergröße 40 tragen, ebenso wie dem an sich gesunden 40-Jährigen, dem Viagra zu neuer Manneskraft verhelfe.

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Viagra ohne Rezept

Auch die DAZ berichtete bereits vor mehr als 20 Jahren über Lifestyle-Arzneimittel gegen Adipositas, erektile Dysfunktion und die androgenetische Alopezie, die männliche Glatzenbildung. Manche Männer versuchten den Verfall der Kopfhaut-Pracht mit einer Finasterid-Therapie aufzuhalten. 2012 wies die DAZ zudem darauf hin, dass der missbräuchliche Einsatz von Anabolika für den Muskelaufbau bereits zu Todesfällen geführt hatte. Und Botox, ein vielfältiges Arzneimittel mit Anwendung in der Kosmetik, werde im Off-Label-Gebrauch bekanntermaßen nicht nur zum Kaschieren unliebsamer Fältchen im Gesichtsbereich, sondern auch gegen Dystonien, Hyperhidrosis und zur Migräneprophylaxe eingesetzt.

Fettbrenner, Potenzpillen und Nikotinbremser

Laut dem Deutschen Apothekenportal zählen zu den Lifestyle-Arzneimitteln neben den genannten Abnehmprodukten unter anderem die bekannten Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion wie Sildenafil (Viagra), Vardenafil (Levitra) oder Tadalafil (Cialis), aber eben auch Produkte zur Verbesserung des Haarwuchses wie Minoxidil (Regaine) oder Finasterid (Propecia). Dazu kommen Arzneimittel zur Raucherentwöhnung, so die Nikotinpflaster Nicotinell oder Niquitin als auch Nikotinkaugummis wie Nicorette.

Darüber hinaus lassen sich Mittel zur Steigerung der sexuellen Lust in die Lifestyle-Kategorie einordnen, darunter Bremelanotid und Flibanserin für die Behandlung sexueller Unlust bei Frauen. Mit Botox (Botulinumtoxin) können Gesichtsfalten wegretouchiert werden, während Desoxycholsäure das Doppelkinn verschwinden lassen soll.

Verordnungsausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

Wer zu solchen Mitteln greift, muss diese meist aus eigener Tasche zahlen. So hat der Gemeinsame Bundesausschuss festgestellt: „Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht – sogenannte Lifestyle Arzneimittel –, dürfen nicht als GKV-Leistung verordnet werden.“ Diese Produkte dienten nicht oder nicht ausschließlich der Behandlung von Krankheiten, zielten vor allem auf die individuelle Bedürfnisbefriedigung oder die Aufwertung des Selbstwertgefühls, würden zur Behandlung von Befunden eingesetzt, die lediglich die Folge natürlicher Alterungsprozesse seien und deren Behandlung medizinisch nicht notwendig sei, oder sie würden bei kosmetischen Befunden angewandt, deren Behandlung medizinisch nicht notwendig sei. Ob diese Einstufung bei Adipositas haltbar ist, wird sich zeigen. Aber bereits Ende der 1990er-Jahre argumentierte der Bundesausschuss im Fall von Viagra, dass Solidarität da aufhöre, wo der private Lebensbereich prägend in den Vordergrund trete. Sprich: Keine Erstattungsfähigkeit für Potenzpillen.

Risiko Lieferengpässe

Der Hype um Ozempic und Wegovy hat auch eine Kehrseite: Er sorgt immer wieder für Lieferengpässe. Diabetes-Patienten droht dadurch, sich nicht mehr mit dem Medikament versorgen zu können – obwohl sie auf Ozempic angewiesen sind. Außerdem warnen Mediziner vor Fälschungen. So seien im Internet ungeprüfte und unsichere Ozempic-Nachahmerprodukte verkauft worden. Das Regierungspräsidium Freiburg wies vor einiger Zeit auf Fälschungen des Medikaments hin, die möglicherweise bundesweit im Umlauf gewesen seien. Bei einer Anwendung drohten „erhebliche Gefahren“.

Milliardengeschäft für Pharmaindustrie

Ganz gleich, wer letztlich bezahlt – der Pharmaindustrie winken mit den neuen Abnehmspritzen Milliarden-Geschäfte. Eine Monatsdosis Ozempic kostet in den USA ohne Versicherung rund tausend Dollar. Praktisch für die Hersteller: Das Mittel muss dauerhaft eingenommen werden. Nach Einschätzung von Experten könnten Unternehmen bis zu zehn konkurrierende Produkte mit einem Jahresumsatz von bis zu 100 Milliarden Dollar innerhalb eines Jahrzehnts hervorbringen, vor allem in den USA. Bei Novo Nordisk dürfte seit Monaten jedenfalls beste Stimmung herrschen. Der Hype um die Abnehmpillen hat den dänischen Konzern zum wertvollsten Unternehmen Europas gemacht. Der Aktienkurs hat sich seit 2021 verdreifacht, der Börsenwert liegt derzeit bei rund 418 Milliarden Euro. Besser kann es nicht laufen.


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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