Verzicht auf Zinbryta-Zulassung

Daclizumab: Das sind die Alternativen bei MS

Stuttgart - 29.03.2018, 15:30 Uhr

Symbolbild: Die multiple Sklerose ist geprägt durch entzündliche und neurodegenerative Veränderungen, die bereits im Frühstadium der Erkrankung eine axonale Schädigung zur Folge haben können. (Foto: ralwel / stock.adobe.com)   

Symbolbild: Die multiple Sklerose ist geprägt durch entzündliche und neurodegenerative Veränderungen, die bereits im Frühstadium der Erkrankung eine axonale Schädigung zur Folge haben können. (Foto: ralwel / stock.adobe.com)   


Zinbryta® ist nicht mehr verkehrsfähig. Das MS-Arzneimittel mit dem Wirkstoff Daclizumab darf nicht mehr angewendet werden. Bestehende Behandlungen müssen abgebrochen werden, so die Empfehlung der EMA vom 7. März 2018. Nur, was sind die Daclizumab-Alternativen bei Multipler Sklerose?

Zinbryta® wurde 2016 zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (RMS) zugelassen. 2017 wurde die Indikation auf Patienten eingeschränkt, die auf mindestens zwei krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) nicht ausreichend angesprochen haben und bei denen eine Behandlung mit jeder anderen DMT kontraindiziert oder aus anderen Gründen ungeeignet ist. Der Grund waren potentiell tödliche immun-vermittelte Leberschäden. 

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Bis März 2018 wurden weltweit über 8000 Patienten mit Daclizumab behandelt. Die Mehrheit der europäischen Patienten kommt aus Deutschland. Am 2. März 2018 verzichtete der Hersteller Biogen eigenverantwortlich auf die Zulassung. Grund für den Verzicht waren dieses Mal Meldungen über acht Multiple-Sklerose-Patienten, bei denen nach Gabe von Zinbryta® eine immunvermittelte Enzephalitis/Enzephalopathie beobachtet wurde. 

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Biogen verzichtet auf Zinbryta-Zulassung

Am 7. März, nach weltweit zwölf Fällen von schweren entzündlichen Hirnerkrankungen, drei davon tödlich, hat dann auch die EMA das Ruhen der Zulassung und den sofortigen Rückruf empfohlen. 

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EMA empfiehlt sofortigen Rückruf von MS-Mittel Zinbryta

Ärzte sollen die Behandlung stoppen und Alternativen finden 

Patienten empfiehlt die EMA seit 7. März keine weitere Daclizumab-Injektion mehr zu applizieren und sich weitere sechs Monate (mindestens monatlich) nach Absetzen vom Arzt überwachen zu lassen. In dieser Zeit müssen Symptome wie anhaltendes Fieber, schwere Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gelbsucht, Übelkeit und Erbrechen besonders ernst genommen werden, weil sie auf Leberschäden hindeuten.

Eine Stellungnahme des Kompetenznetzes Multiple Sklerose und der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft soll jetzt bei der Umstellung von MS-Patienten, von dem vom Markt genommenen Daclizumab, auf ein anderes MS-Therapeutikum helfen. Dazu müssten Ärzte bei betroffenen Patienten zwischen dem Risiko neu auftretender MS-Aktivität und unerwünschten Arzneimittelwirkungen, infolge additiver Effekte verschiedener Therapien, abwägen. 

Alemtuzumab, Cladribin, Fingolimod, Natalizumab oder Ocrelizumab

In der Stellungnahme wird davon ausgegangen, dass vor allem Patienten mit einer (hoch)aktiven schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose mit Daclizumab behandelt wurden. Entsprechend der Zulassungsindikationen kommen als Alternativen somit (in alphabetischer Reihenfolge) Alemtuzumab (IgG1-Kappa-Antikörper), Cladribin (Antimetabolit), Fingolimod (Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulator), Natalizumab (Immunglobulin G₄-Antikörper) oder Ocrelizumab (selektiv gegen CD20-exprimierende B-Zellen gerichteter Antikörper ) in Frage. 

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Die Experten empfehlen für die Umstellung grundsätzlich:

  • Einen Sicherheitsabstand von mindestens sechs bis acht Wochen einzuhalten.
  • Die GOT-, GPT- und Bilirubin-Werte monatlich, bis sechs Monate nach der letzten Daclizumab-Gabe, zu überprüfen – auch bei bisher normalen Leberwerten.
  • Eine klinische Untersuchung auf Infektionen, dermatologische Nebenwirkungen oder Leberschädigung; und eine sorgfältige Laboruntersuchung sowie ein cMRT (kraniale Magnetresonanztomographie), um Nebenwirkungen der Daclizumab-Therapie auszuschließen. Leukozyten und Lymphozyten sollten im Normbereich liegen.

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Für eine Übersicht über notwendige Kontrolluntersuchungen, vor Beginn einer  Folge-Behandlung, empfehlen die Experten einen Blick in das KKNMS-Qualitätshandbuch.  

Umstellung auf Alemtuzumab, Cladribin, Fingolimod oder Natalizumab

Für konkretere als die oben genannten Empfehlungen, raten die Experten zum Blick in die Handbücher; dort finden sich Kapitel mit dem Namen „Abstand und Maßnahmen, abhängig von Vortherapien“. Das Kapitel „Cladribin“ ist im März 2018 neu erschienen.

Bezüglich der Umstellung auf Natalizumab wird zur Bestimmung des JCV-Antikörperstatus sowie des JCV–Index geraten (alle sechs Monate). Das Vorhandensein von Antikörpern gegen das JC-Virus sei mit einem erhöhten Risiko zur Entwicklung einer PML (Progressive multifokale Leukenzephalopathie) assoziiert. 

Zur Umstellung von Daclizumab auf Ocrelizumab soll in den nächsten Wochen ein neues Handbuch erscheinen.

Krankheitsaktivität in der Umstellungsphase

Die biologische Wirksamkeit von Daclizumab endet circa drei Monate nach Absetzen (oder später). Aus der SELECT-Studie sei bekannt, dass es – bei Absetzen und Wiederansetzen von Daclizumab – zu einem Wiederanstieg der Krankheitsaktivität kommt. Dann solle den Maßgaben zur Behandlung von MS-Schüben gefolgt werden (Therapie mit Glucocorticoiden). Für die prophylaktische Gabe von Glucocorticoiden oder anderer Überbrückungsregimes in der Übergangsphase gebe es jedoch keine Daten.

Fälle eines echten „Rebound“ – also eine verstärkte Krankheitsaktivität – wie in manchen Fällen nach Absetzen von Fingolimod oder Natalizumab, seien für Daclizumab nicht beschrieben. 

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MS-Leitlinie auf europäischer Ebene

Im Januar 2018 wurde eine MS-Leitlinie auf europäischer Ebene veröffentlicht. 27 Autoren aus 13 Nationen haben sich darin mit zehn Leitfragen zur MS-Therapie auseinandergesetzt, und daraus 20 Empfehlungen abgeleitet.

Die deutsche MS-Leitlinie befindet sich derzeit in Überarbeitung. Zuletzt wurde sie 2014 ergänzt. Eine neue deutsche Leitlinie soll Ende dieses Jahres erscheinen. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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