Arzneimittel und Therapie

Alemtuzumab bei multipler Sklerose

Monoklonaler CD52-Antikörper zugelassen

Nach dem positiven Votum des Arzneimittelausschusses (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) wurde nun die Zulassung des Wirkstoffs Alemtuzumab (Lemtrada®) zur Behandlung der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose erteilt. Damit wird eine Therapieoption verfügbar, bei der die Patienten lediglich zwei Behandlungszyklen mit fünf respektive drei Infusionen im Abstand von einem Jahr erhalten.

Bei Alemtuzumab handelt es sich um einen humanisierten monoklonalen Antikörper, der selektiv gegen CD52 gerichtet ist, ein Oberflächenprotein, das in großen Mengen auf T- und B-Lymphozyten exprimiert wird. Durch die Bindung an CD52 vermittelt Alemtuzumab eine rasche Depletion der im Blutkreislauf zirkulierenden T- und B-Zellen, welche für den schädigenden Entzündungsprozess bei der multiplen Sklerose verantwortlich gemacht werden. Das angeborene Immunsystem bleibt dabei weitestgehend unbeeinflusst.

Reprogrammierung des Immunsystems

Nach der selektiven Depletion der T- und B-Zellen setzt innerhalb weniger Wochen eine Repopulation der Immunzellen ein, wie Prof. Dr. Tjalf Ziemssen, Dresden, auf der von Genzyme unterstützten Pressekonferenz „Neue Perspektiven eröffnen: Teriflunomid und Alemtuzumab in der MS-Therapie“ am 28. August 2013 in Frankfurt ausführte. Es wird angenommen, dass dies „zu einem besser ausbilanzierten Immunsystem führt“. Alemtuzumab vermittelt somit quasi eine „Reprogrammierung des Immunsystems“. Alemtuzumab ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose mit aktiver Erkrankung, definiert durch klinischen Befund oder Bildgebung. Die klinische Wirksamkeit des CD52-Antikörpers, der unter dem Markennamen Lemtrada® in den Handel kommt, basiert auf zwei Zulassungsstudien, den Studien CARE-MS-I und CARE-MS-II (Comparison of Alemtuzumab and Rebif Efficacy in Multiple Sclerosis I und II). Es handelt sich um multinationale randomisierte Phase-III-Studien, in denen Patienten mit schubförmig remittierender multipler Sklerose randomisiert entweder mit Alemtuzumab oder Interferon beta-1a (44 µg s.c. dreimal pro Woche) behandelt wurden. Alemtuzumab wurde in beiden Studien in zwei Behandlungsphasen verabreicht, wobei die erste Phase aus fünf Infusionen an aufeinander folgenden Tagen bestand und in der zweiten Behandlungsphase ein Jahr später an drei aufeinander folgenden Tagen erneut jeweils eine Infusion verabreicht wurde.

Hinweise auf Besserung des Behinderungsgrades

In den Studien wurden therapienaive Patienten (CARE-MS-I) sowie bereits vortherapierte Patienten (CARE-MS-II) behandelt. Es wurde eine Reduktion der jährlichen Schubrate gegenüber der Interferon-Behandlung um 55% in CARE-MS-I und um 47% in CARE-MS-II gesehen. „Der Unterschied zwischen den beiden Regimen stellte sich rasch ein und blieb über die gesamte Studiendauer erhalten“, berichtete Ziemssen bei der Vorstellung der neuen Therapieoption.

Eindrucksvoller noch sind nach seiner Darstellung Befunde aus der Studie CARE-MS-II, in der es sogar Hinweise auf eine Besserung des Behinderungsstatus gab: So ging der mittlere EDSS-Wert (Expanded Disablity Status Scale) unter Alemtuzumab um 0,17 Punkte zurück, während der Wert unter der Interferon-Behandlung signifikant um 0,24 Punkte anstieg.

Langfristiges Überwachungsprogramm

Alemtuzumab hat in den vorliegenden Studien ein konsistentes Sicherheitsprofil gezeigt, wobei neben infusionsbedingten Reaktionen, Kopfschmerzen, Hautausschlag und Fieber im verlängerten Follow-up sekundäre Autoimmunerkrankungen häufiger als in der Kontrollgruppe auftraten. Es handelt sich vor allem um Schilddrüsenerkrankungen, eine idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) und eine Glomerulonephritis. Daher ist ein langfristiges Risikomanagement indiziert, um eventuell auftretende unerwünschte Ereignisse und schwerwiegende Autoimmunstörungen frühzeitig zu erfassen und behandeln zu können.

Empfohlen wird vor Behandlungsbeginn und anschließend im monatlichen Rhythmus ein vollständiges Blutbild mit Differenzialblutbild, um die potenzielle Entwicklung einer idiopathischen thrombozytopenischen Purpura früh zu erkennen. Monatlich sollte außerdem das Serumkreatinin bestimmt werden, und es sollte eine Urinanalyse mit Zellzählung durchgeführt werden. Alle drei Monate ist ein Schilddrüsenfunktionstest wie beispielsweise eine Bestimmung der TSH-Spiegel zu veranlassen (siehe Tabelle).

Alemtuzumab bei chronisch lymphatischer Leukämie

Ganz so neu ist Alemtuzumab jedoch nicht: Unter dem Namen MabCampath® war Alemtuzumab seit 2001 zur Behandlung von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie vom B-Zell-Typ (B-CLL) zugelassen, für die eine Fludarabin-Kombinationschemotherapie unangemessen ist. Daher liegen bereits Erfahrungen mit Alemtuzumab vor, allerdings unterscheiden sich laut Herstellerangaben das Dosierschema wie auch das Sicherheitsprofil des Wirkstoffs bei der multiplen Sklerose und der chronisch lymphatischen Leukämie. Im Mai 2012 hatte Genzyme (ein Unternehmen der Sanofi-Gruppe) die Zulassung bei der CLL zurückgegeben und die Vermarktung von MabCampath® beendet, um „den Einsatz des hochwirksamen MS-Medikaments vor der Zulassung ausschließlich innerhalb kontrollierter klinischer Studien sicherzustellen“. Die Versorgung von Krebspatienten, die Alemtuzumab benötigen, wird seither über ein spezifisches Zugangsprogramm geregelt, bei dem das Medikament kostenfrei zur Verfügung gestellt wird, bis eine alternative Behandlung verfügbar ist. Das gilt „für alle Patienten, die auf die Therapie angewiesen sind und keine therapeutische Alternative haben“, betonte Genzyme in einer Stellungnahme. Es gäbe keine Bedenken bezüglich der Sicherheit, Wirksamkeit oder Lieferbarkeit des Arzneimittels, so Genzyme, man hatte sich zu diesem Handeln entschlossen, „weil sich das Unternehmen auf die Entwicklung von Alemtuzumab in der Behandlung der multiplen Sklerose fokussieren wird“. 

Fortschritte in der MS-Therapie

Die multiple Sklerose ist eine immunvermittelte chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die zu Demyelinisierung und axonalem Schaden führt. Sie kann schubförmig oder progredient verlaufen und zu bleibender Behinderung führen. Mit über 120.000 Erkrankten in Deutschland gilt sie als die häufigste chronische ZNS-Erkrankung junger Menschen. In den letzten Jahren hat sich die Therapie weiter entwickelt. Zu den injizierbaren Wirkstoffen sind oral applizierbare hinzugekommen: Fingolimod (Gilenya®) wurde 2011 in Europa zur Zweit-Linien-Behandlung der hochaktiven, schubförmig-remittierenden MS eingeführt. Teriflunomid (Aubagio®) wurde im September 2013 zur Behandlung Erwachsener mit schubförmig-remittierender MS zugelassen.

Teriflunomid – neue Option bei MS: Basistherapie mit einer Tablette täglich.

DAZ 2013, Nr. 39, S. 26-27.

Quelle

Fachinformation Lemtrada®, Stand September 2013.

Cohen JA et al. Alemtuzumab versus interferon beta 1a as first-line treatment for patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: a randomised controlled phase 3 trial. Lancet 2012; 380: 1819–1828.

Coles AJ et al. Alemtuzumab for patients with relapsing multiple sclerosis after disease-modifying therapy: a randomised controlled phase 3 trial. Lancet 2012; 380: 1829–1839.

Marktrücknahme von MabCampath®. Informationsschreiben der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH von 10. August 2012.

 

Medizinjournalistin Christine Vetter

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