Komplementärmedizin

Kampo – moderne traditionelle Medizin in Japan

Im 6. Jahrhundert brachten buddhistische Mönche die chinesische Kultur mit ihrer Schrift, Philosophie, Religion, Handwerkskunst und auch Medizin nach Japan. Sie legten das Fundament für eine medizinische Lehre, die über ein Jahrtausend später den Namen Kampo ("chinesische Methode") erhielt, obwohl sie sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat und dabei "japanisiert" wurde. Heute wird Kampo in Japan nur von schulmedizinisch ausgebildeten Ärzten praktiziert, die eine entsprechende Zusatzausbildung absolviert haben. Die Arzneitherapie erfolgt insbesondere mit Zubereitungen aus pflanzlichen Drogen, aber auch aus anderen Naturstoffen.

Persönliche Diagnose und Therapie

Der Kampo-Arzt geht persönlich auf den Patienten ein, er berücksichtigt bei der Diagnose nicht nur dessen Symptome und Anamnese, sondern auch dessen Charakter und Lebensumstände. Nach der Diagnose verordnet er dem Patienten Arzneien, die nicht nur gezielt auf die erkrankten Bereiche des Körpers wirken, sondern auch auf dynamische Weise das Gleichgewicht von Körpersubstanzen wie Lipiden oder Hormonen regulieren sollen.

Dieses Vorgehen mag mysteriös und wunderlich klingen, doch mehrere Forschungsgruppen arbeiten daran, die therapeutischen Wirkungen von Kampo durch wissenschaftliche Daten zu belegen. Das ist allerdings kein einfaches Unterfangen, da die Wirkungen und Wirkungsmechanismen von Kampo-Arzneien aufgrund ihrer vielen Inhaltsstoffe mit pharmakologischen Methoden kaum nachzuvollziehen sind.

Es begann vor 1500 Jahren

Die Wurzeln von Kampo liegen in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Ab dem 5./6. Jahrhundert kamen koreanische Ärzte und chinesische Mönche nach Japan, es reisten aber auch Gesandte des japanischen Kaiserhofs nach Korea und China und brachten von dort die medizinischen Klassiker mit. Die TCM breitete sich in Japan aus, wobei professionelle Ärzte nur die Adeligen behandelten, während Heilkundige in den buddhistischen Klöstern sich um die einfache Bevölkerung kümmerten.

Im Laufe der Zeit nahm die Anzahl der Rezepturen derart zu, dass in Japan das Bestreben nach einer Vereinfachung aufkam. In diesem Sinne verfasste Yasuyori Tamba 984 das Isshimpo ("Essenz des Heilens"), Japans ältestes medizinisches Werk, das eine eigene Entwicklung der TCM in Japan einleitete. Das Isshimpo bezieht sich großenteils auf das von Chang Zhong-jing (142 – 220) verfasste Werk Shang Han Lun ("Abhandlung über fiebrige Erkrankungen").

Zur Verselbständigung der TCM in Japan trug auch bei, dass viele Arzneidrogen dort weder heimisch waren noch angebaut wurden; um sie nicht aus China oder anderen ost- und südostasiatischen Staaten kostspielig importieren zu müssen, ersetzte man sie in vielen Fällen durch einheimische Drogen, auf welche die chinesischen Bezeichnungen einfach übertragen wurden.

Westliche Einflüsse und eigenständige Pionierleistungen

Im Jahr 1543 kamen die ersten portugiesischen Seefahrer nach Japan, und bereits 1549 errichteten Jesuiten ein Spital in Funai (Kyushu, Südwest-Japan). Ihnen folgten die Holländer, die auf der kleinen, künstlich errichteten Insel Dejima im Hafen von Nagasaki einen Handelsposten unterhielten und von dort aus zur Verbreitung westlicher Medizin beitrugen, obwohl die Regierung der Tokugawa-Shogune allem Fremdem misstraute und Japan weitgehend von der Außenwelt abriegelte. Damals wurde die in Japan praktizierte TCM "Kampo" getauft, zur Unterscheidung von der holländischen Medizin "Rampo" ("ran" = "oranda" = Holland).

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Koho-ha ("Alte Schule") gegründet, auf die sich das heute praktizierte Kampo beruft. Einer ihrer einflussreichsten Vertreter, Yoshimasu Todo (1702 –1732), bearbeitete aufs Neue die Rezepturen des Shang Han Lun und verwies auf die Wichtigkeit der abdominalen Palpation, die in der TCM mittlerweile an Bedeutung verloren hatte, für die Krankheitserkennung. Ebenfalls zur Koho-Schule gehörig, sezierte Toyo Yamawaki im Jahr 1754 erstmals in Japan einen menschlichen Leichnam – und brach damit ein Tabu.

Seine Erkenntnisse veröffentlichte er in dem anatomischen Werk Zoshi ("Über die inneren Organe"), in dem er Teile der chinesischen Medizintheorie widerlegte. Ein weiterer Höhepunkt der japanischen Medizingeschichte folgte 1805, als Seishu Hanaoka die weltweit erste Brustkrebsoperation an einer Patientin durchführte, die er mit einem Extrakt aus Datura metel (Indischer Stechapfel) und Aconitum japonicum und anderen Pflanzendrogen unter Vollnarkose gesetzt hatte.

Nach über zwei Jahrhunderte langer Isolation nahm Japan 1854 wieder Kontakte mit dem Ausland auf. Die medizinische Ausbildung wurde nach deutschem Vorbild reformiert, weil die deutsche Medizin den Japanern als am fortschrittlichsten erschien. Kampo geriet fast in Vergessenheit, wurde aber von einigen engagierten Ärzten am Leben gehalten. Erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Wiedergeburt, als die Bevölkerung – ebenso wie in den westlichen Industrieländern – vermehrt nach Naturheilmitteln verlangte.

Arzneien aus Toyama

Zum Arzneimittelhersteller hat sich seit Ende des 17. Jahrhunderts die Provinz Toyama am Japanischen Meer entwickelt, deren Kampo-Arzneien auch heute einen ausgezeichneten Ruf genießen. Von hier aus wanderten Händler – geschultert mit einer großen Kiste, in der sich die Arzneien befanden – über das Land und versorgten so die Bevölkerung (Abb. 2). Besuchten sie ein Haus das erste Mal, übergaben sie eine Schachtel mit Heilmitteln, ohne dafür etwas zu verlangen. Erst beim nächsten Besuch wurden sie für die Mittel, die in der Zwischenzeit verwendet worden waren, bezahlt und füllten im Gegenzug den Vorrat wieder auf. Dieses System hat sich bis auf den heutigen Tag in Japan erhalten, doch sind die Händler heute selbstverständlich motorisiert.

Gesundheit und Krankheit

Das grundlegende Konzept, das Kampo von Gesundheit und Krankheit hat, entstammt der Chinesischen Medizin. Bei einem gesunden Menschen sind die verschiedenen auf den Körper einwirkenden Kräfte ausgeglichen; sie befinden sich in einer harmonischen Mitte. Dagegen ist Krankheit die Folge eines unausgeglichenen Zustandes (sho), in dem sich die Kräfte außerhalb der harmonischen Mitte befinden (Abb. 3).

Ein sho entsteht durch

  • äußere Ursachen (die sechs Exzesse Kälte, Hitze, Feuchte, Trockenheit, Feuer und schließlich Wind, aber auch infektiöse Krankheitserreger) oder
  • innere Ursachen (die sieben Emotionen Zorn, Freude, Leidenschaft, Trauer, Angst, Schreck und Nachdenken).

Gesundheit und die verschiedenen krankhaften Zustände werden hauptsächlich durch folgende Parameter definiert:

  • Intensität von ki; dies ist eine ubiquitäre, alles durchdringende Vitalkraft, die im menschlichen Organismus zirkuliert – wie das Blut und die nicht-rote Gewebeflüssigkeit. Krankhafte ki-Zustände beruhen auf einem Überschuss oder einem Mangel und äußern sich als Erregtheit und Ruhelosigkeit bzw. als Müdigkeit und Lethargie.
  • Verhältnis von yin zu yang. Dabei handelt es sich um zwei gegensätzliche, aber zugleich komplementäre Prinzipien: Ein Übermaß des einen bedingt einen Mangel des anderen. Eigenschaften von yin sind z. B. Weiblichkeit, Passivität, Kälte; von yang entsprechend Männlichkeit, Aktivität, Hitze. In dieses Schema passt auch die grundsätzliche Unterscheidung der Arzneidrogen in solche mit wärmendem, kühlendem und neutralem Charakter.
  • Verhältnis der fünf Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser zu einander. Mit den fünf Elementen, aus denen alles Sein zusammengesetzt ist und die über vielfältige Beziehungen untereinander wechselwirken, korrespondieren u. a. die fünf großen Organe (Leber, Herz, Milz, Lunge, Nieren), die Emotionen und die Sinnesorgane; an ihnen zeigt sich dem gemäß das jeweilige Ungleichgewicht im Verhältnis der fünf Elemente. Beispielsweise werden dem Element Feuer die Organe Herz, Dünndarm und Zunge zugeordnet, das dazu gehörende dominante Gefühl ist Freude, die Aktivität Lachen.

Medizinische Untersuchung

Gewöhnlich untersucht der in traditioneller Medizin ausgebildete Arzt einen Patienten zuerst nach den Kriterien der westlichen Medizin. Es werden Laborwerte von Blut und Urin ermittelt, bildgebende Verfahren sowie andere Standards der westlichen Medizin eingesetzt. Ist die Diagnose erstellt, folgt die weitere Untersuchung nach Kampo-Kriterien, wobei generell vier Bereiche unterschieden werden:

  • Gespräch,
  • audio-olfaktorische Untersuchung,
  • Inspektion (im wesentlichen von Zunge und Haut) sowie
  • Palpation an Unterarm und Unterleib.

Die Kampo-Untersuchung dauert gewöhnlich nicht länger als 20 Minuten. Der Arzt kommt dabei ohne irgendwelche Geräte aus, er benutzt lediglich seine Sinne: Er tastet mit drei Fingern einer Hand den Puls am Unterarm ab, überprüft dessen Stärke und Richtung (nach innen bzw. außen) und die Reaktion auf Druck (Abb. 4). Auch betrachtet er die Haut sowie Größe, Form, Farbe, Feuchte und Belag der Zunge, die als Spiegel des Organismus gilt, sowie sonstige unnormale Phänomene des Körpers, etwaige Atemprobleme (Stimmlage!), auffällige Gerüche usw. Eine besondere Bedeutung kommt in Kampo (anders als in der TCM!) der Palpation des Unterleibs zu. Der Arzt drückt und klopft ihn mit den Händen bzw. Fingern, um die Bauchdeckenspannung, den Zustand und die Lage der inneren Organe zu erkennen sowie auf Wasseransammlungen und besondere Palpitationen der Bauchaorta zu prüfen (Abb. 5).

Anschließend wird eine mit dem Krankheitsbild (sho) korrespondierende Therapie (ho) verschrieben. Bei der Auswahl der Arznei konzentriert sich der Arzt auf ein Leitsymptom. Bleibt der gewünschte Effekt aus oder kommt es zu unerwünschten Effekten (z. B. allergischen Reaktionen), ändert der Arzt die Rezeptur der Arznei oder wählt ein ganz anderes Medikament. Kampo ist allerdings mehr als die Therapie mit bestimmten Arzneimitteln. Sie schließt auch verschiedene Aspekte einer gesunden Lebensführung ein.

Der Drogenschatz

Für die 210 offiziellen Kampo-Arzneien werden rund 350 verschiedene Drogen verwendet, wobei eine Arznei zwei bis 15 (selten bis über 20) Komponenten hat. Es handelt sich meist um pflanzliche Drogen, jedoch werden auch Pilze (z. B. Eichhase, Polyporus umbellatus; Kokospilz, Poria cocos) sowie mineralische (Gips, CaSO4) und tierische Drogen (z. B. Magensteine vom Rind, Bezoar Bovis; Krötengift, Venenum Bufonis) verwendet. Der Großteil der Rohstoffe (rund 80%) wird noch immer aus China und anderen ost- und südostasiatischen Staaten importiert.

In Kampo-Apotheken findet man bisweilen auch so exotische Spezialitäten wie in Alkohol eingelegte Vipern, geschmorten Affenkopf oder diverse getrocknete Insekten. Deren Anwendung hat aber nichts mit Kampo zu tun, sondern stammt aus der asiatischen Volksmedizin.

Eine gegen Erkältung und grippale Infekte verschriebene und daher besonders populäre Arznei mit dem Namen kakkon-to (kakkon = Radix Puerariae, to = Zubereitung) ist in Tabelle 1 beispielhaft beschrieben. Während die Hauptwirkung von kakkon-to auf der namengebenden Radix Puerariae (Wurzel der Kopoubohne, Abb. 6) beruht, haben die anderen Bestandteile die Aufgaben, die Wirkung zu verstärken oder zu harmonisieren, beispielsweise Begleitsymptome zu lindern; das Letztere gilt insbesondere für die sehr häufig verwendete Radix Liquiritiae (Süßholz). Aufgrund der zahlreichen Zutaten und Inhaltsstoffe wird Kampo-Arzneien eine auf den ganzen Körper und auch Geist abzielende Wirkung zugeschrieben. Kampo-Ärzte sprechen oft von einem modulierenden Effekt auf den Kranken.

Verarbeitung und Zubereitung der Drogen

Stark giftige Drogen müssen speziell aufbereitet werden – z. B. werden die alkaloidhaltigen Wurzelknollen der Eisenhutarten Aconitum carmichaeli und A. japonicum vor ihrer Verwendung stundenlang gedämpft. Seit alters werden die Arzneidrogen pulverisiert. Traditionell benutzte der Arzt oder Apotheker dazu den gusseisernen Radmörser (yagen, Abb. 7). Das Arzneipulver (sanzai) wurde auch individuell zu Pillen weiterverarbeitet, indem es in erhitzten Honig eingerührt, anschließend geknetet und mithilfe hölzerner Pillenmaschinen (Abb. 8) portioniert und zu kleinen Kügelchen geformt wurde, die man zur Kenntlichmachung noch mit einem charakteristisch gefärbten Pulver dispergierte. Diese Pillen waren im feucht-warmen japanischen Klima recht gut haltbar.

Heutzutage werden Kampo-Arzneien in Form von industriell hergestellten Granulaten vertrieben. In Krankenhäusern bevorzugen Ärzte allerdings die Tee-Zubereitung (toeki) der ungepulverten Drogenmischung, da so auf einfache Weise die Zusammensetzung weiter optimiert und an den Heilungsprozess angepasst werden kann. Die Kochzeit beträgt rund 40 Minuten, da es sich bei den Arzneidrogen großenteils um Wurzeln, Rinde oder Holz handelt.

Medizinische Praxis

In Japan ist es ausschließlich Ärzten gestattet, Kampo zu praktizieren. Seit 1963 gibt es an der Medizinisch-Pharmazeutischen Universität Toyama ein Institut für Sino-Japanische Medizin, an dem Studenten und Ärzten ermöglicht wird, sich zusätzlich zur westlichen Medizin auch in Kampo aus- bzw. weiterbilden zu lassen. Einer Befragung aus dem Jahr 2001 zufolge verschreiben rund 70% der Ärzte ihren Patienten Kampo-Arzneien.

Einige Patienten konsultieren grundsätzlich einen Kampo-Arzt, andere halten Kampo in bestimmten Fällen für eine wertvolle und wirksame Ergänzung zur schulmedizinischen Therapie; dazu gehören insbesondere chronische Erkrankungen mit multifaktorieller Ätiologie wie Diabetes, Arteriosklerose, Neurodermitis, rheumatoide Arthritis, Alzheimer und chronische Hepatitis, die auf konventionelle Weise nur unzureichend behandelt werden können. Kampo zielt vor allem auf die Modulation des Immunsystems. Auch Erscheinungen wie Anämie, anhaltende Müdigkeit oder Appetitverlust sowie klimakterische Beschwerden versucht man mit Kampo-Medizin zu kurieren oder zu lindern. Ferner behaupten Kampo-Ärzte, Erkrankungen bereits in ihrem noch nicht manifesten Anfangsstadium (jap. mibyo) diagnostizieren und präventiv kurieren zu können (s. Zitat).

Die Nahrung als Teil der Therapie

Kranke werden von Ärzten auch darin instruiert, was und wie sie essen sollen. Da Nahrungsmittel grundsätzlich nach ihrem yin-yang-Charakter beurteilt werden, ist es für Patienten mit sog. yang-Überschuss-Krankheiten ratsam, yin-reiche Nahrung wie kalte und rohe Gerichte, Blattgemüse oder bisweilen sogar Zucker zu sich zu nehmen aufgrund deren reduzierender und kühlender Wirkung. Gerichte mit yang-Charakter andererseits sind solche, die erwärmt und gekocht sind, Trockenfisch, Salz, Fleisch und Wurzelgemüse. Heißer Sake ist ein Beispiel für ein yang-Getränk. Es wird Wert darauf gelegt, die Nahrungsmittel der jeweiligen Saison zu essen, wofür die Japaner einen eigenen Ausdruck haben: shin do fu ji, was wörtlich bedeutet: Körper-Erde-nicht-zwei.

Eine besonders angenehme Art, Kampo kennen zu lernen, bieten Heilkräuter-Restaurants oder Teehäuser, die oft Tochterunternehmen von Apotheken sind (Abb. 9, 10). Dort erhält man u. a. Kräutertees und "heilsame Gerichte" (jap. yakuzen), die mit Kampo-Drogen zubereitet wurden und spezielle Wirkungen entfalten sollen, und man kann sich sogar den Blutdruck messen lassen.

Kampo heute

Kampo-Arzneien sind nicht verschreibungspflichtig und werden daher auch für die Selbstmedikation angeboten. Oft werden sie gemeinsam mit konventionellen Arzneimitteln eingenommen, wodurch es zu Wechselwirkungen (Abschwächung oder sogar Toxizität von Kampo-Arzneien) kommen kann. Eine stetig wachsende Zahl pharmakodynamischer Untersuchungen beschäftigt sich mit der Enthüllung dieser Interaktionen.

1976 wurde Kampo in den National Health Insurance Plan der japanischen Regierung aufgenommen, und derzeit sind rund 130 Verschreibungen offiziell anerkannt. Das ist für den Patienten insofern von Vorteil, als die Verschreibungen von den Versicherungen teilweise bezahlt werden und die Qualitätskriterien für die zu verwendenden Drogen in der Japanischen Pharmakopöe sowie im Herbal Medicine Codex definiert sind. Der Produktionswert der Kampo-Präparate hat heute etwa 800 Mio. Euro oder 1,7% Anteil an der gesamten Arzneimittelproduktion in Japan.

Mittlerweile werden aber nicht nur in Toyama, sondern auch an zahlreichen weiteren japanischen und ausländischen Universitäten die Inhaltsstoffe und Wirkungen von Kampo-Präparaten erforscht und damit dem steigenden Interesse an Naturmedizin Rechnung getragen. Aber eine rein naturwissenschaftliche Herangehensweise hält Prof. Tani vom Institut für Sino-Japanische Medizin für nicht sinnvoll. "Eine nachweisbare, logische und systematische Erforschung von Kampo ist nur unter Einbeziehung der Geisteswissenschaften möglich. Denn neben objektivem Wissen ist in der Medizin Erfahrung und ein sogenanntes stilles Wissen ebenso wichtig."

Harmonie von Tradition und Fortschritt

Japaner können mit scheinbaren Gegensätzen recht gut umgehen. Das Land der Kirschblüten, der Teezeremonie, der Sumo-Ringer und des Kimono, der bei festlichen Anlässen noch immer erste Kleiderwahl ist, ist andererseits völlig von Hightech durchdrungen und hat auch eine außergewöhnlich lebendige, international bekannte Popkultur in Musik, Mode und Kunst. Obwohl Japan im letzten Jahrhundert zu einer der führenden Industrienationen aufgestiegen ist und sich in vielerlei Hinsicht nach westlichen Vorbildern orientiert, hat es seine Traditionen nicht vergessen. Mit Kampo sind traditionelles asiatisches Heilwissen und moderne westliche Medizin eine harmonische und damit typisch japanische Verbindung eingegangen.

Danksagung:

Ich danke den Professoren Tadato Tani und Naotoshi Shibahara, Medizinisch-Pharmazeutische Universität Toyama, für die Beantwortung vieler Fragen bzw. für das Bereitstellen von Fotografien einer Kampo-Untersuchung; Frau Prof. Christa Kletter, Institut für Pharmakognosie der Universität Wien, und Dr. Wolfgang Caesar, Stuttgart, für die Durchsicht des Manuskripts; meiner Ehefrau Miki für das Übersetzen vieler Texte aus dem Japanischen.

Unter Kampo versteht man in Japan Inhalte der traditionellen chinesischen Medizin, die im Laufe von 1500 Jahren in Japan rezipiert und aufgrund eigener Erfahrungen modifiziert wurden und im 20. Jahrhundert auch durch Elemente der westlichen Medizin ergänzt wurden. Das komplementäre Heilverfahren wird in Japan nur von schulmedizinisch ausgebildeten Ärzten praktiziert, die eine entsprechende Zusatzausbildung absolviert haben. Die Diagnostik ist sehr zeitaufwändig und individuell. Arzneitherapie erfolgt insbesondere mit Zubereitungen aus pflanzlichen Drogen, aber auch aus anderen Naturstoffen. Im weiteren Sinne umfasst Kampo auch eine gesundheitsbewusste Lebensweise und Ernährung.

Kampo ist ein Teil der Chinesischen Medizin, der auf die japanischen Verhältnisse abgestimmt worden ist und in den zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch die westliche Medizin integriert wurde. Prof. Tadato Tani, Toyama

Kampo umfasst auch die korrekte Nahrungsaufnahme, angemessene Lebensumstände und eine ausgeglichene emotionale Verfassung. Im gegenwärtigen Alltag der Japaner, der von Überstundenarbeit, Hast und Stress geprägt ist, müssen diese Faktoren bei der Behandlung unbedingt berücksichtigt werden. Nur dann kann Kampo auch wirken. Prof. Naotoshi Shibahara, Toyama

Mit den analytischen Mitteln der Gerätemedizin sind mibyo objektiv nicht messbar. Dem Patienten wird, obwohl er sich krank fühlt, gesagt, dass er gesund ist. Durch das Kurieren dieser oft als Befindlichkeitsstörungen bezeichneten Erscheinungen lässt sich aber der Ausbruch ernsterer Erkrankungen verhindern. Prof. Naotoshi Shibahara, Toyama

Wir müssen zwischen westlicher und orientalischer Medizin wählen. Für bestimmte Krankheiten ist es notwendig, die westlichen Methoden anzuwenden, für andere ist Kampo die beste Wahl, und manchmal ist eine Mischung beider das Beste für den Patienten. Prof. Naotoshi Shibahara, Toyama

Autor Florian Rauchensteiner (Jg. 1974) studierte Botanik und wurde 2002 am Institut für Pharmakognosie der Universität Wien zum Dr. rer. nat. promoviert. Anschließend erhielt er ein Postdoc-Stipendium der japanischen Regierung für einen Forschungsaufenthalt an der Medizinisch-Pharmazeutischen Universität Toyama und beschäftigte sich bis zum Sommer 2004 mit der pharmakognostischen Analyse der chinesischen Materia medica. E-Mail: florian_rauchensteiner@yahoo.de

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