Interpharm 2011

Chinesische Weisheiten zur Belebung der Phytotherapie

Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) ist in unserem Gesundheitsmarkt kein Exot mehr. Zwar ist sie nicht amtlich als "besondere Therapierichtung" anerkannt, sie hat sich aber faktisch diesen Status erworben. Laut Dr. Fritz Friedl, Arzt im oberbayerischen Riedering, haben sich in Deutschland etwa tausend niedergelassene Ärzte auf die TCM spezialisiert, und ebenso viele Apotheken geben schwerpunktmäßig TCM-Präparate ab.
Foto: DAZ/Reimo Schaaf
Dr. Fritz Friedl

Friedl betonte die Gemeinsamkeiten der TCM mit der traditionellen Phytotherapie Europas, die seiner Meinung einen Niedergang erlebt hat. Sie sei in dem Bestreben, als rationale Therapie anerkannt zu werden, ihrer Tradition untreu geworden; bewährte Komposita wurden als "mite-Präparate" entwertet und vom Markt genommen oder zu Monopräparaten umformuliert, was Friedl als "Schwachsinn" kommentierte. Während die europäische Liste von Phytopharmaka des "well-established use" nur noch 48 Arzneipflanzen zählt, kennt die TCM 11.146 Arten, die teils gesammelt, teil auf 400.000 ha angebaut werden – das entspricht etwa einem Viertel der Fläche Schleswig-Holsteins. Die meisten TCM-Präparate bestehen aus zwei bis fünf Arzneidrogen und entfalten durch diese Kombination ihre spezifischen Wirkungen.

Während "Gurus" der TCM oft ihr 2000-jähriges Alter betonen, hob Friedl ihre Fähigkeit zur Weiterentwicklung und Anpassung hervor. Zu ihrer Heimischwerdung in Deutschland gehört auch, dass hier chinesische Arzneipflanzen kommerziell kultiviert werden. Derzeit überwiegen freilich noch die Importe, die bezüglich ihrer Reinheit und mikrobiologischen Qualität zertifiziert sein müssen. Die Identitätsprüfung obliegt hingegen dem abgebenden Apotheker. Die deutschen Apotheken verarbeiten jährlich etwa hundert Tonnen TCM-Drogen für Individualrezepturen.

Yin und Yang

Ein Grundprinzip der chinesischen Philosophie ist das Yin-Yang. Die gängige Übersetzung des komplementären Begriffspaares "Yang = aktiv" und "Yin = passiv" ist falsch; vielmehr drücken diese Begriffe aus, ob eine Aktion vom Subjekt ausgeht oder auf dieses einwirkt, wie Friedl am Beispiel "sprechen" (Yang) und "hören" (Yin) verdeutlichte.

Im Organismus gehört das Qi zum Yang: Qi – oft mit "Energie" übersetzt – bedeutet Dynamik, An- und Entspannung; es ist schnell veränderlich und schnell beeinflussbar.

Das zum Qi komplementäre Yin-Prinzip ist das Xue: Es bedeutet Stabilität und steuert langsame, langwierige Prozesse wie die Stauung und Entstauung von Körperflüssigkeiten in einzelnen Organen.

Bezüglich der wichtigsten Körperfunktionen ergänzen Qi und Xue sich folgendermaßen: Das Qi reguliert die Darmmotorik, die Körpertemperatur, das Immunsystem und den Bewegungsapparat. Das Xue steuert den Zustand der Darmschleimhaut, den Stoffwechsel, den Hormonhaushalt und die psychische Verfassung – jeweils neben vielen anderen Funktionen.

Förderung der Selbstheilungskräfte

Das Ziel der TCM ist die Salutogenese, die Gesundung von Leib und Seele durch die Beeinflussung physiologischer Prozesse, die aus Sicht der oben skizzierten Philosophie interpretiert werden. Dabei gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Therapie und Prophylaxe. Der TCM-Arzt kann Störungen von Qi und Xue schon diagnostizieren, bevor sie sich in einer Krankheit manifestieren, und dem Patienten etwas verordnen, obwohl dieser sich noch nicht krank fühlt.

Bei der Diagnose verzichtet der Arzt weitgehend auf die analytischen Parameter der westlichen Medizin. Er nimmt sich viel Zeit, um die sichtbaren oder mit anderen Sinnen wahrnehmbaren Symptome zu erfassen. Sehr aussagekräftig ist beispielsweise der Zustand der Zunge.

Für die Arzneitherapie ist die Compliance wichtig, denn der Patient muss die Präparate mehrmals täglich einnehmen. Dennoch betragen die täglichen Therapiekosten in den meisten Fällen nur etwa drei Euro, berichtete Friedl. Abschließend nannte er die Qualitäten einiger TCM-Drogen, die bei gastrointestinalen Störungen häufig angewandt werden:

  • Ingwer gegen "Kälte" im Oberbauch (Magen, Dünndarm).

  • Weißdorn gegen Stauungen im Oberbauch, die zu Sodbrennen oder zum Roemheld-Syndrom führen.

  • Atractylodes macrocephala (eine mit der Silberdistel verwandte Komposite) gegen Heißhunger und "Überfressen".

  • Pinellia ternata (Araceae) gegen "Feuchtigkeit".

  • Rhabarber gegen "feuchte Hitze".

  • Ophiopogon japonicus ("Schlangenbart") gegen "Säftemangel" der Magen-Darm-Schleimhäute.


cae



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DAZ 2011, Nr. 14, S. 93

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