Barmer Arzneimittelreport 2023

Medikamentöse Schmerztherapie – vermeidbare Risiken identifizieren

Stuttgart - 19.10.2023, 09:15 Uhr

Mit 14,2 % der Verordnungen war im Barmer Arzneimittelreport 2023 Metamizol nach Ibuprofen der am zweithäufigsten verschriebene Wirkstoff. Welche Gefahren bringt das mit sich? (Foto: Tobias Arhelger / AdobeStock)

Mit 14,2 % der Verordnungen war im Barmer Arzneimittelreport 2023 Metamizol nach Ibuprofen der am zweithäufigsten verschriebene Wirkstoff. Welche Gefahren bringt das mit sich? (Foto: Tobias Arhelger / AdobeStock)


Für ihren diesjährigen Arzneimittelreport ließ die Barmer Krankenkasse unter anderem Daten zur ambulanten medikamentösen Schmerztherapie von erwachsenen, nicht-onkologischen Patient:innen auswerten – und stellte fest, dass es hier einige Baustellen gibt. Dazu zählen etwa die Anwendung von ungeeigneten Schmerzmitteln, problematische Wirkstoffkombinationen oder aber fehlende, sinnvolle Begleitmedikationen. Um Risikokonstellationen künftig zu reduzieren, schlagen die Autor:innen des Berichtes die Stärkung digitaler AMTS-Helfer vor.

Mit 34,4% hat mehr als jede:r dritte erwachsene Versicherte der Barmer Krankenkasse im Jahr 2021 Schmerzmittel ärztlich verordnet bekommen. Und auch wenn Versicherte mit Tumorerkrankungen ausgenommen werden, bleibt die Rate der Schmerzmittelverordnungen mit 32,7% hoch. 6% der Versicherten erhielten sogar eine Langzeitbehandlung, bei der Schmerzmittel über einen Zeitraum von mehr als 90 Tage verordnet wurden.

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Die hohe Zahl von Betroffenen hat die Barmer Krankenkasse zum Anlass genommen, die medikamentöse Schmerztherapie ihrer Versicherten im Detail auszuwerten. Dabei schlüsselte sie die Verordnungszahlen nicht nur nach Alter, Geschlecht oder Wirkstoff auf, sondern warf einen Blick darauf, wo Optimierungspotenzial in Sachen Arzneimitteltherapiesicherheit besteht.

NSAR: Vorsicht bei Herz- und Niereninsuffizienz

So etwa bei der Auswahl des geeigneten Schmerzmittels für Menschen mit Grunderkrankungen. NSAR sind beispielsweise für Patient:innen mit einer Nieren- oder Herzinsuffizienz problematisch, da sie die Nierenfunktion verschlechtern und die Symptomatik einer Herzinsuffizienz aggravieren können. Zwar werden NSAR bei Patient:innen mit einer dieser beiden Diagnosen seltener eingesetzt als bei Patient:innen ohne, dennoch liegt der Anteil der Über-80-jährigen Patient:innen mit Herzinsuffizienz, die ein NSAR verordnet bekamen, bei 20,8%. Von den Patient:innen der gleichen Altersgruppe mit diagnostizierter Niereninsuffizienz erhielten 10,8% NSAR als Langzeittherapie.

Triple Whammy – leider an der Tagesordnung

Kritisch für die Niere ist auch die als Triple Whammy bezeichnete Kombination von ACE-Hemmern, Diuretika und NSAR, die mit einem besonders hohen Risiko für ein akutes Nierenversagen einhergeht. Dennoch bekommt jede:r dritte Über-80-Jährige mit NSAR in der Medikation eben diese Kombination verordnet. Insgesamt haben 2021 so 195.817 Barmer-Versicherte einen Triple Whammy erhalten, was laut den Schätzungen der Krankenkasse zu 1255 Fällen von akutem Nierenversagen geführt haben könnte.

Zu oft ohne Magenschutz

Werden NSAR mit Antikoagulantien, Thrombozytenaggregationshemmern oder Glucocorticoiden kombiniert, erhöht dies das Risiko für gastrointestinale Blutungen bzw. Ulcera, sodass eine Kombination mit einem PPI empfohlen wird. In der Praxis erhielten jedoch je knapp 40% der Betroffenen den Magenschutz nicht dazu verschrieben.

Besser Metamizol?

Mit 14,2% der Verordnungen war Metamizol nach Ibuprofen der am zweithäufigsten verschriebene Wirkstoff. Zwar wirkt sich ersterer nicht auf die Nierenfunktion aus, jedoch birgt er das Risiko einer Agranulozytose. Eine stationäre Aufnahme aufgrund einer solchen erlitten 2021 vier von 100.000 Metamizol-Patient:innen.

Bei Neuverordnung von Metamizol sollten Patient:innen auf die Symptome einer Agranulozytose hingewiesen werden. Dazu zählen Infektionszeichen, Halsschmerzen, Muskelschmerzen und Schleimhautulzera.

Eine gemeinsame Anwendung von Metamizol und Methotrexat erhöht das Agranulozytoserisiko noch weiter, weshalb die beiden Wirkstoffe insbesondere bei den stark gefährdeten Über-80-Jährigen nicht kombiniert werden sollten. Dennoch erhielten 2021 1,1% der Versicherten, die mit Metamizol behandelt wurden, zeitgleich Methotrexat. In der Konsequenz war fast ein Viertel der Versicherten, die wegen einer Agranulozytose stationär behandelt worden waren, zuvor mit diesen beiden Wirkstoffen therapiert worden (23,7%).

Komedikation bei Opioiden unter der Lupe

Auch bei Opioiden sollte ein Auge darauf behalten werden, mit welchen anderen Wirkstoffen diese kombiniert werden. Tranquilizer, Gabapentin und Pregabalin sollten in der Komedikation vermieden werden, da diese Kombinationen mit einer erhöhten Mortalität einhergehen. Eine Kombination mit Laxanzien ist hingegen gewünscht, um Obstipation und Darmverschluss vorzubeugen.

In der Datenauswertung der Barmer erhielten jedoch 10,0% der mit Opioiden Behandelten parallel Pregabalin, 4,1% Gabapentin. Zu dem mutmaßlichen Behandlungszweck heißt es, dass vermutlich nur ein geringer Teil der Behandelten die Antiepileptika gegen Anfallsleiden und ein großer Teil diese als Co-Analgetika erhalten haben dürfte. Letzter Behandlungszweck wird kritisch eingeschätzt: „Dass diese riskante Kombination so häufig einsetzt wird, ist bedenklich. Insbesondere, da eine aktuelle Metaanalyse von 16 Studien zeigt, dass Opioide keine für eine Zulassung durch die Europäische Zulassungsbehörde ausreichende Reduktion neuropathischen Schmerzes bewirken.“ 

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Auch die ebenfalls problematische Kombination von Opioiden mit Tranquilizern kam häufig vor, nämlich bei einem von zehn Opioid-Patient:innen. Laxanzien, die eine Opioidtherapie sinnvoll ergänzen, erhielten jedoch 30% der Opioid-Behandelten nicht. Zwischen dem 3. und dem 30. Behandlungstag mit einem Darmverschluss in der Klinik behandelt werden mussten 49 von 100.000 Patient:innen, die zu ihrem Opioid kein Laxanz verordnet bekamen und 41 von 100.000 Patient:innen, die ein Laxanz verordnet bekamen. Nebst der Verordnung seien daher auch adhärenzunterstützende Maßnahmen, etwa durch die Beratung in der Apotheke, essenziell.

Digitale Hilfe für mehr AMTS

„Schmerztherapie ist eine durch komplexe Therapieentscheidungen und relevante Risiken aller Schmerzmittel geprägte Behandlung. Eine risikofreie medikamentöse Schmerztherapie gibt es nicht“, ist in der Zusammenfassung des Berichtes zu lesen. Aber es gibt Handlungsempfehlungen, wie die Therapie künftig sicherer werden könnte. Zum Schluss von Kenntnislücken zur Gesamtmedikation oder Risikofaktoren der Patient:innen werden ein elektronischer Medikationsplan und eine elektronische Patientenakte empfohlen. Aber auch für die Verordnungsentscheidung und die AMTS-Prüfung schlägt der Bericht digitale Helfer vor. Der Wissenszuwachs sei mittlerweile so rapide, dass es „ohne Unterstützung  […] für den einzelnen Arzt beziehungsweise die einzelne Ärztin unmöglich [ist], hier auf dem aktuellen Stand des Wissens zu bleiben“.

Als vermeidbare Risikokonstellationen beschreibt der Report

  • die Verordnung von NSAR trotz Herzinsuffizienz
  • die Verordnung von NSAR trotz Niereninsuffizienz
  • die Verordnung von NSAR in Kombination mit ACE-Hemmern und Diuretika
  • das Blutungsrisiko durch Kombinationsverordnung von NSAR ohne Magenschutz (zum Beispiel PPI)
  • die gleichzeitige Behandlung mit Metamizol und Methotrexat
  • die Verordnung von Opioiden ohne Laxanzien
  • die Verordnung von Opioiden in Kombination mit Tranquilizern

Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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