Deutsche Gesellschaft für Neurologie kommentiert Studie

Opioide gegen Rücken- und Nackenschmerzen „kaum zielführend“

11.09.2023, 07:00 Uhr

In Bewegung zu kommen, ist bei unspezifischen Rückenschmerzen wichtig. Das betont die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in ihrer Stellungnahme. (Foto: Beaunitta Van Wyk/peopleimages.com/AdobeStock)

In Bewegung zu kommen, ist bei unspezifischen Rückenschmerzen wichtig. Das betont die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in ihrer Stellungnahme. (Foto: Beaunitta Van Wyk/peopleimages.com/AdobeStock)


Auch wenn Opioide zur Behandlung akuter Rücken- und Nacken­schmerzen nicht Mittel der ersten Wahl sind, werden sie in Australien bei zwei von drei Fällen zur Erst­behandlung eingesetzt. In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie kamen Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Kombination Oxycodon/Naloxon hierbei keinen Nutzen gegenüber Placebo hat. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat die Studie kommentiert und betont, wie wichtig richtige Bewegungsmuster sind.

Rückenschmerzen, vor allem im unteren Rückenbereich, und Nackenschmerzen gehören zu den Faktoren, die weltweit am stärksten zum Verlust gesunder Lebensjahre führen. In Australien wird zwei Dritteln aller Patienten, die sich mit akuten Kreuz- oder Nackenschmerzen vor­stellen, ein Opioid verordnet [1]. Laut australischen und internationalen Leitlinien sollten Opioide allerdings nur dann bei akuten Rückenschmerzen eingesetzt werden, wenn Nicht-Opioid-Analgetika kontraindiziert sind oder nicht angeschlagen haben [2]. 

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Dies deckt sich auch mit einer offenen Empfehlung in der (deutschen) Nationalen Ver­sorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ (s. Kasten „Opioid-­Therapie in der deutschen Leitlinie“) [3]. Der therapeutische Nutzen von Opioiden bei Schmerzen im unteren Rücken und Nacken ist nicht belegt. Zudem stehen demgegenüber Risiken wie Abhängigkeit, Missbrauch und Überdosierungen. Um mehr Klarheit hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit einer Kurzzeitbehandlung von akuten Nacken- und Rückenschmerzen mit Opioiden zu gewinnen, führten australische Forscher die OPAL-Studie (Opioid analgesia for acute low back pain and neck pain) durch.

Opioid-Therapie in der deutschen Leitlinie

Nach der Nationalen Versorgungsleit­linie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ kommen Opioide bei akuten nicht-spezifischen Kreuzschmerzen als eine Therapieoption infrage, wenn eine Therapie mit Nicht-Opioid-Analgetika nicht anschlägt oder kontraindiziert ist. Sind die Schmerzen chronisch, kann eine Therapie mit Opioiden für vier bis zwölf Wochen erfolgen. Die Behandlung von akuten Schmerzen soll spätestens nach vier Wochen und die von chronischen Schmerzen spätestens nach drei Monaten neu bewertet werden. Eine Langzeitbehandlung mit Opioiden kann bei chronischen Kreuzschmerzen erwogen werden, wenn unter der vier- bis zwölfwöchigen Therapie Schmerzen bzw. körperliche Beeinträchtigungen klinisch relevant reduziert wurden und keine oder nur geringe Nebenwirkungen aufgetreten sind. Gegen eine transdermale Opioid-Therapie bei (sub)akuten nicht-spezifischen Kreuzschmerzen sprechen sich die Leitlinienautoren explizit aus [3].

Oxycodon / Naloxon versus Placebo

Die randomisierte, dreifach verblindete, placebokontrollierte Studie fand zwischen Februar 2016 und März 2022 statt. Eingeschlossen wurden darin Personen ab 18 Jahren, die seit maximal zwölf Wochen an andauernden Kreuz- oder Nackenschmerzen oder beidem litten und sich deshalb in einer von mehr als 150 Primärversorgungseinrichtungen oder Notaufnahmen in Sydney vorstellten. Ein Einschlusskriterium war zudem, dass die Schmerzen moderat oder stärker ausgeprägt sein mussten. 

Die Teilnehmer wurden im Verhältnis 1 : 1 auf zwei Studienarme verteilt. Sie erhielten oral entweder eine retardierte Kombination aus Oxycodon und Naloxon (n = 174), die bis zu einer Tagesmaximaldosis von 20 mg auftitriert wurde, oder ein Placebo (n = 172) für jeweils bis zu sechs Wochen. Alle Probanden be­kamen zusätzlich leitliniengerechte Empfehlungen, unter anderem körperlich aktiv zu bleiben und bei Bedarf Nicht-Opioid-Analgetika einnehmen zu können. Primärer Endpunkt der Studie war die Schmerzintensität in Woche 6, ermittelt mit dem Schmerzfragebogen Brief Pain Inventory mit einer Skala von 0 bis 10.

Keine Überlegenheit gegenüber Placebo

19 % der Patienten in der Verumgruppe und 15 % in der Placebogruppe nahmen bis Studienende nicht mehr an der Untersuchung teil, sodass nur die Daten von 151 Teilnehmern der Opioid-Gruppe und von 159 Probanden des Placeboarms ausgewertet werden konnten. 

Zwischen den beiden Gruppen wurde in Woche 6 kein signifikanter Unterschied bezüglich der Schmerzintensität gefunden. Mit einem mittleren Schmerz-Score von 2,78 in der Opioid-Gruppe versus 2,25 in der Placebogruppe (bereinigte mittlere Differenz = 0,53; 95%-Konfidenzintervall = 0,00 bis 1,07; p = 0,051) konnte kein Vorteil einer Opioid-Gabe gegenüber Placebo gefunden werden. 

Auch klagten mehr Probanden in der Verumgruppe (7,5 %) im Vergleich zu den Probanden der Placebogruppe (3,5 %) über Opioid-typische Nebenwirkungen wie Verstopfung. Insgesamt traten unerwünschte Wirkungen aber in beiden Gruppen ähnlich häufig auf: mindestens eine Nebenwirkung erlitten 35 % der Teilnehmer in der Opioid-Gruppe und 30 % unter Placebo.

Leitlinien sollten angepasst werden

Die Studienautoren schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass Opioide bei akuten Kreuz- und Nackenschmerzen nicht empfohlen werden sollten, denn die Patienten profitierten bezüglich der Schmerzintensität nicht von der Therapie. Zudem spricht das Missbrauchs- und Nebenwirkungspoten­zial gegen den Einsatz der Substanzklasse in diesen Indikationen. 

Die Studienautoren begrüßen, dass sich Leitlinienempfehlungen bereits verstärkt auf nichtmedikamentöse statt medikamentöse Maßnahmen fokussieren, als Beispiele hierfür nennen sie Physio- und Psychotherapien. In der deutschen Leitlinie [3] wird neben Beratung, Bewegung und medikamentöser Therapie ebenfalls zu nichtmedikamentösen Therapien, insbesondere kognitiver Verhaltenstherapie geraten.

DGN bezieht Stellung

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat diese und eine weitere Studie zum Anlass genommen, eine Stellungnahme zu Opioiden bei Rückenschmerzen zu veröffentlichen [4, 5]. In der zweiten Studie wurden starke positive Effekte einer kogni­tiven Verhaltenstherapie bei chronischen Schmerzen im unteren Rücken verzeichnet. 

Die DGN nennt als therapeutische Optionen unspezifischer Rückenschmerzen Wärme, Schmerzmittel und Physiotherapie. Dabei sei die vorübergehende Gabe von Analgetika „oft sehr hilfreich“. „Klassische Präparate wie Ibuprofen oder Diclo­fenac“ reichen hier meist aus. Zu den bei sehr starken Schmerzen „nicht selten“ eingesetzten Opioid­-Analgetika gab es bei dieser Indikation bislang wenige Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit, so die Gesellschaft. In Deutschland würden Opioide aber auch „zumeist vorsichtiger“ verschrieben als in Australien und den USA.

Im Hinblick auf beide Studien erläuterte der Neurologe Prof. Dr. Hans-Christoph Diener in der Stellung­nahme der Gesellschaft, „dass starke Schmerzmittel bei Rückenschmerzen als Standardbehandlung kaum zielführend sind“. In vielen Fällen sei auch eine Operation „keine dauerhafte Lösung“. Der DGN-Experte resümierte: „Die Bedeutung der funktionellen Aspekte der Rückengesundheit, das heißt richtige Bewegungen bzw. veränderte Bewegungsmuster anstatt Vermeidungsverhalten und sportliche Aktivitäten im Rahmen von Therapie und Prävention, kann daher gar nicht oft genug betont werden.“

Literatur

[1] Jones CMP et al. Opioid analgesia for acute low back pain and neck pain (the OPAL trial): a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2023;402(10398):304-312, doi: 10.1016/S0140-6736(23)00404-X

[2] Management of acute non-specific low back pain. Informationen des National Prescribing Service (NPS) MedicineWise, Stand 2016, www.health.vic.gov.au/sites/default/files/migrated/files/collections/policies-and-guidelines/safe-opiod-use/management-of-acute-non-specific-low-back-pain---for-health-professionals.pdf

[3] Nicht-spezifischer Kreuzschmerz. Nationale Versorgungsleitlinie der Bundesärztekammer, Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (Hrsg.) unter Beteiligung weiter Fachgesellschaften, AWMF-Register-Nr.: nvl-007, Stand: 2017

[4] Individualisierte, kognitive Verhaltenstherapie statt Opioide bei Rückenschmerzen. Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 10. August 2023

[5] Kent P et al. Cognitive functional therapy with or without movement sensor biofeedback versus usual care for chronic, disabling low back pain (RESTORE): a randomised, controlled, three-arm, parallel group, phase 3, clinical trial. Lancet 2023;401(10391):1866-1877, doi: 10.1016/S0140-6736(23)00441-5


Sophie Schrade, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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