Erster Teil eines Sachstandsberichts des RKI

Klimawandel – zu welchen Infektionserkrankungen werden Apotheker künftig häufiger beraten?

Stuttgart - 05.06.2023, 13:45 Uhr

Effekte des Klimawandels auf Infektionskrankheiten: Viele Pathogene vermehren sich bei hohen Temperaturen besser, anderseits könnte das Waldsterben auch die Zeckenpopulation beeinflussen. (Foto: Tobias Arhelger / AdobeStock).   

Effekte des Klimawandels auf Infektionskrankheiten: Viele Pathogene vermehren sich bei hohen Temperaturen besser, anderseits könnte das Waldsterben auch die Zeckenpopulation beeinflussen. (Foto: Tobias Arhelger / AdobeStock).  
 


Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Infektionskrankheiten in Deutschland? Dieser Frage widmet sich der erste Teil des neuen Sachstandsberichtes Klimawandel und Gesundheit. Darin beleuchtet werden die vier Gebiete Vektor-, Wasser-, Nahrungsmittel-übertragene Erkrankungen und antimikrobielle Resistenzen. Entscheidend für deren zukünftige Prävalenz ist nicht nur der Anstieg der Temperaturen, sondern auch das damit verbundene Freizeitverhalten der Deutschen. Zu welchen Erkrankungen werden Apotheker:innen also künftig vermutlich häufiger beraten?

Hitze, UV-Strahlung, Allergien – dass der Klimawandel Auswirkungen auf die Gesundheit hat, haben viele Menschen in den letzten Jahren bereits im unfreiwilligen Selbstexperiment erfahren. 

Unter Federführung des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat sich ein Team von mehr als 90 Autor:innen der komplexen Fragestellung gewidmet, welche gesundheitlichen Risiken und Belastungen der Klimawandel konkret für Deutschland mit sich bringt. Am 1. Juni veröffentlichten sie den ersten von drei Teilen des Sachstandsberichtes Klimawandel und Gesundheit im „Journal of Health Monitoring“. Diese Literaturübersichtsarbeit widmet sich konkret dem Einfluss des Klimawandels auf Antibiotika-Resistenzen und Infektionskrankheiten, insbesondere solcher, die über Vektoren (z.B. Mücken oder Zecken), Lebensmittel oder Wasser übertragen werden.

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Der Klimawandel bedeutet insbesondere steigende Durchschnittstemperaturen sowie eine Erhöhung des Risikos für Extremwettereignisse. Dass heiße Tage oder Stürme sich unmittelbar und akut auf die Gesundheit auswirken können, ist einleuchtend. Aber auch auf die Verbreitung und Häufigkeit von pathogenen Mikroorganismen haben diese einen entscheidenden Einfluss.

Manche Krankheitserreger mögen es heiß

Für eine große Zahl pathogener Krankheitserreger stellen Temperaturen oberhalb von 20 oder sogar 30 °C optimale Bedingungen für die Vermehrung dar. Ein Anstieg der durchschnittlichen Luft- und Wassertemperatur ist für sie also vorteilhaft. Entsprechend gehen die Autor:innen des Sachstandsberichtes davon aus, dass die Zahl der Infektionen mit Nicht-Cholera-Vibrionen nach Bädern in der Ostsee oder nach dem Verzehr von kontaminiertem Meeresfrüchten in den kommenden Jahren steigen wird. In einigen Gewässern werden sich auch die toxinbildenden Cyanobakterien (oft fälschlich als „Blaualgen“ bezeichnet) stärker vermehren. Die Gifte können durch Schlucken von Wasser oder aber durch den Verzehr von Fischen, in welchen diese akkumulieren können, ein Risiko für den Menschen darstellen.

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Aber nicht nur im und am Wasser nimmt die Gefahr von Infektionskrankheiten zu: Auch für Infektionen mit Salmonellen oder Campylobacter zeigte die ausgewertete Literatur eine Korrelation mit der Höchsttemperatur. So stellen nicht durchgegartes Grillfleisch und mangelhaft gekühlte Picknick-Mahlzeiten ein wachsendes Infektionsrisiko dar. Aber auch Infektionen mit Parasiten könnten häufiger werden: Für einige von ihnen, wie etwa Kryptosporidien und Giardien, begünstigen steigende Temperaturen die Fitness und möglicherweise auch die Virulenz.

Mücken und Zecken: Gemischte Effekte

Im Falle von durch Vektoren, wie Mücken oder Zecken, übertragene Erkrankungen ist nebst dem unmittelbaren Einfluss der klimatischen Veränderungen auf den Erreger auch der Einfluss auf den Überträger zu bedenken. Einschleppungen nicht-heimischer Mücken- und Zeckenarten sowie der von ihnen transportierten Keime geschehen durch Tourismus und Warenverkehr regelmäßig. Der Klimawandel kann jedoch die Etablierung dieser Arten in Deutschland begünstigen. So gibt es hier mittlerweile eine Population der asiatischen Tigermücke Aedes albopictus und seit 2018 werden Fälle autochthoner (also in Deutschland geschehener) Übertragung des West-Nil-Fiebers vermeldet. Gleichzeitig ist beispielsweise die Population des Gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus) eng an den Zustand des Waldes gekoppelt. Trockenschäden in großem Ausmaß, haben also auch das Potenzial, die Population von I. ricinus zu beeinflussen.

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Ein weiterer relevanter Faktor ist die Veränderung des Freizeitverhaltens der Menschen bei hohen Temperaturen: Häufigere Aufenthalte im Wald, im Wasser und auf Grillpartys führen dazu, dass die Menschen den hier lauernden Erregern auch immer öfter ausgesetzt sind.

Extremwetter-Ereignisse gefährden Wasserqualität

Neben der Temperatur wird auch durch häufiger auftretende Extremwetter-Ereignisse ein Einfluss auf das Infektionsgeschehen erwartet. Bei Stürmen und Überschwemmungen besteht ein Risiko dafür, dass Pathogene in das Frischwasser eingetragen werden, beispielsweise durch Ausschwemmung von erdbewohnenden Erregern oder durch Kontaminationen des Frisch- mit Abwasser. In der Konsequenz sind die Menschen solchen Keimen vermehrt ausgesetzt.

Noch mehr Probleme mit Antibiotikaresistenzen

Auch die ohnehin schon drängende Antibiotikaresistenzproblematik könnte der Klimawandel noch verschärfen. Wie Studien nahelegen, findet der Austausch von Erbgut zwischen Bakterien bevorzugt bei höheren Temperaturen statt. Infolgedessen steigt die Resistenzrate. Weiterhin beobachten die Autor:innen einen Zusammenhang zwischen der Temperatur und dem Risiko einer Infektion mit einem resistenten Erreger: Solche Infektionen finden nicht nur in den wärmeren südeuropäischen Ländern häufiger statt als in den kühleren nordeuropäischen, sondern auch in den wärmeren Sommermonaten häufiger als im Winter.

Insgesamt wird bei bestimmten Erregern und in bestimmten Situationen zukünftig das Infektionsrisiko steigen – zum einen durch bereits bekannte Erreger, die vermehrt auftreten (etwa Salmonellen) oder neue Erreger, die sich zunehmend etablieren (etwa das West-Nil-Virus). Umso wichtiger wird in einigen Bereichen auch die Beratung durch die Apotheke: etwa zum Schutz vor Mücken und Zecken oder auch die Gesundheitsberatung vor einer Urlaubsreise. Für Vorerkrankte und Ältere können auch Hinweise über durch Wasser oder Lebensmittel übertragbare Erkrankungen hilfreich sein.


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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