Biozide – geprüfte Insektenabwehr

Wie viel Evidenz steckt in Repellents?

Stuttgart - 27.06.2022, 17:50 Uhr

Wie sieht die praktische Wirksamkeitsprüfung für Repellents aus? (s / Foto: encierro / AdobeStock)

Wie sieht die praktische Wirksamkeitsprüfung für Repellents aus? (s / Foto: encierro / AdobeStock)


Zu den jährlich wiederkehrenden Themen in der Apotheke gehören Insektenstiche und deren Prävention. Doch woher weiß man eigentlich, wie zuverlässig und gut Repellents vor Stichen schützen? Denn zu den Arzneimitteln zählen die auf dem Markt angebotenen Produkte nicht. Es hilft ein Blick in die Biozid-Verordnung, von der Apotheker vermutlich zuletzt im Zusammenhang mit der Desinfektionsmittel-Herstellung gelesen haben. 

Das Umweltbundesamt bezeichnet Repellents als „Substanzen, die der Abwehr von Schädlingen oder Lästlingen dienen.“ In der Regel sind damit Insekten oder Zecken gemeint. Mittel zur Abschreckung höherer Wirbeltiere, etwa Marder, gehören aber ebenso in diese Kategorie.1  Die Produkte sind „Biozide“ und fallen dementsprechend unter die sogenannte Biozidverordnung – die Verordnung (EU) 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates. Diese löste im Juli 2012 die Biozidprodukte-Richtlinie (RL 98/8/EG) ab und reguliert nun europaweit das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten.2.a

Nach erfolgter Risikobewertung des Wirkstoffs, in einem EU-weiten Verfahren, wird dieser in die Unionsliste genehmigter Wirkstoffe (Positivliste) aufgenommen. Anschließend kann die Zulassung für das Biozidprodukt beantragt werden. Im Rahmen des Verfahrens wird neben der toxikologischen Unbedenklichkeit und Umweltverträglichkeit auch die Wirksamkeit der Produkte beurteilt.

Auf nationaler Ebene koordiniert die Bundesstelle für Chemikalien (BfC) das Verfahren in Deutschland. Die Behörde prüft die Zulassungsvoraussetzungen gemeinsam mit dem Umweltbundesamt, dem Bundesinstitut für Risikobewertung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der auch das BfC angehört. Das Umweltbundesamt ist im Verfahren zuständig für die Wirksamkeitsprüfung von Repellents.2.b Doch wie wird die Wirksamkeit von Repellents in der Praxis überprüft?

Der „Arm-in-Käfig“-Test 

Eine Stichprophylaxe beugt gleichzeitig der Übertragung von Krankheitserregern vor, insbesondere in tropischen Ländern. Im Praxistests prüfen daher spezialisierte Labore die Wirksamkeit der Insektenabwehrstoffe. Die Testmodelle basieren auf internationalen sowie europäischen Standards und Richtlinien. Maßgebend sind etwa die European Chemicals Agency (ECHA), die Environmental Protection Agency der USA (EPA) oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO).3.a

Ein häufiges Testmodell im Labor beruht auf Richtlinien der EPA und trägt die Bezeichnung „OPPTS 810.3700: Insect Repellents to be Applied to Human Skin (2010)“– eine Version des sogenannten „Arm-in-Käfig“-Tests. 

Als Goldstandard für die Wirksamkeit gilt die Substanz Diethyltoluamid, kurz DEET. Im Versuch dient sie in 20%iger ethanolischer Lösung als Positiv-Kontrolle. Das Testprodukt wird in der für die Anwendung empfohlenen Menge auf die Haut (in der Regel Unterarm) aufgetragen. Das Hautareal wird bis auf eine Fläche definierter Größe abgedeckt und schließlich den Mücken präsentiert, die in einem durchsichtigen Kasten warten. Die Anzahl der Mücken sowie die Größe des Testkastens sind entsprechend der angewandten Richtlinie festgelegt. Individuelle Anpassungen gemäß Empfehlung sind möglich. Nun wird die Zeit bis zum Ende der Wirksamkeit gemessen. Diese gilt als beendet, wenn die Insekten auf dem behandelten Areal landen, wobei ebenfalls genau definiert wird, wann ein „bestätigtes Landen“ vorliegt. Die jeweilige Versuchsdauer entspricht folglich der Wirksamkeitsdauer des Repellents und sollte der vom Hersteller angegebenen Schutzzeit mindestens entsprechen.4 Zur praktischen Umsetzung schreibt etwa das Forschungslabor „Insect Services“ auf Nachfrage der DAZ: „...es kann z. B. halbstündlich oder stündlich getestet werden. Dann ist der Arm immer jeweils für eine vorab festgelegte Testdauer (z. B. 5 min) im Käfig und man kann sehen, ab welchem Zeitpunkt die Wirkung nachlässt.“

Repellents gegen Zecken

Im Gegensatz zu Tests mit Stechmücken gilt bei Tests mit Zecken als Zielorganismus die Produktwirkung mit dem „bestätigten Überqueren“ der behandelten Haut als beendet. Bei Labortests mit Wirt starten die Zecken von einer unbehandelten Unterlage, etwa einer Kupferplatte. Erst wenn die repellierende Wirkung des Testprodukts nachlässt, betritt sie die zuvor behandelte Haut.4

Zuchtzecken – frei von Borrelien und FSME-Viren 

Meist werden Labortests gegenüber Freiland-Tests bevorzugt, aus praktischen und ethischen Gründen. So besteht ein potenzielles Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern bei Testung mit beispielsweise frei lebenden Insekten oder Spinnentieren, insbesondere bei Zecken. Labore setzen daher eigens dafür gezüchtete Exemplare ein. Zum Beispiel merkt das Labor „Insect Services“ auf seiner Homepage an, man verwende eigene Zuchtzecken, die frei von Borrelien und FSME-Viren sind.3.c

Zu Tests im Freien sagt das Labor: „In Freilandstudien prüfen wir die Wirksamkeit von Abwehrmitteln gegen Wespen (Vespula vulgaris, Vespula germanica, Dolichovespula saxonica) während des saisonalen Vorkommens der Wespen von Sommer bis Herbst. Je nach Art der geforderten Datenaufnahme kann dies durch direkte Beobachtung oder Videoauswertung erfolgen.“3.b Bei Tests im Freien werden im Allgemeinen Hautbereiche definierter Größe an den Unterschenkeln exponiert, zwischen Knie und Fußgelenk.4

Alternative Testmodelle ohne Wirt

Die Wirksamkeit von Repellents auf Zecken wird häufig mittels alternativer Methoden ohne Wirt bestimmt. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Moving Object Bioassay (MOB, Dr. Hans Dautel, IS Insect Services GmbH): Der von Insect Services entwickelte Test ist laut Firma in der aktuellen ECHA-Richtlinie „Guidance on the Biocidal Products Regulation (BPR)“ als Labortest gelistet und komme einer Prüfung am Menschen sehr nahe (Dautel et al. 2013). Bei dem Test wird die Zecke auf einem Glasstab platziert und in die Nähe einer erwärmten, rotierenden Trommel gebracht. Auf der Trommel ist das zu testende Repellent aufgebracht. Fehlt eine Abschreckwirkung mittels Repellent, springt die Zecke auf die Trommel.3.c (mit Video)
  • Tick-Feeding-Assay: Hierbei wird das Repellent auf eine Fütterungsmembran aufgebracht. Solange es wirkt, meidet die Zecke die Membran. Hört die Wirkung auf, beginnt die Zecke an der Membran zu saugen.4
  • Olfactometer-Assay: Das Repellent wird bei diesem Testmodell einem Luftstrom zugegeben. Die Zecke entfernt sich aktiv vom Luftstrom, solange das Produkt wirkt.4

Die Wirkdauer, ihre Einflussfaktoren und die verschiedenen Wirkstoffe 

Die Wirksamkeit eines Repellents wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, etwa der Konzentration des Wirkstoffs, Umweltbedingungen (Wind, Temperatur etc.) oder der Insektenzahl (Insektendichte).4 Damit ein Repellent praktisch von Nutzen ist, muss neben der Wirksamkeit an sich, auch eine gewisse Langlebigkeit der Wirkung vorhanden sein. Anwendern ist oft nicht bewusst, dass die Wirkdauer eine abhängige Größe ist und etwa bei starkem Schwitzen die Wirkung viel früher nachlassen kann, beziehungsweise nachbehandelt werden muss. Zudem ist ein von den Testspezies abweichendes Verhalten bei anderen Arten denkbar. Erkenntnisse über die Effekte auf diverse Insektenarten oder -gattungen bleiben daher lückenhaft.

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In einem Review aus dem Jahr 2010 bewerteten Autoren um Larry I. Goodyer die Evidenz gesammelter Studiendaten zur Wirksamkeit topisch angewendeter Abwehrstoffe zur Vermeidung von Arthropoden-Bissen (Arthropoden = Gliederfüßer, zu denen Insekten, Tausendfüßer, Krebstiere und Spinnentiere zählen). Aufgrund der Datenlage und der Qualität der Studien gibt es laut den Autoren gute Beweise zur Unterstützung der Verwendung gegen Mücken für die Wirkstoffe 

  • DEET, 
  • Icaridin und 
  • PMD (Zitronen-Eukalypts-Extract). 

PMD könne als alternatives Repellent zu DEET, in Konzentrationen von >20 Prozent, als Repellent für den Einsatz in Gebieten mit Endemien sehr empfohlen werden. 

Eine moderate Evidenz zur Unterstützung der Verwendung gegen Zecken hätten die Daten zu 

  • DEET und 
  • Icaridin ergeben. 

Die Evidenz der Belege zu IR3535 wurden als moderat eingestuft (Mücken und Sandmücken). 

Im Fall von ätherischen Ölen und Neem, einem Pflanzenöl aus den Früchten und Samen von Neem (Azadirachta indica), sprechen die Autoren von einer moderaten Evidenz für eine Empfehlung gegen die Anwendung. Weitere Studien werden für Neem empfohlen. Unter den ätherischen Ölen gehörten etwa Thymianöl, Geraniol, Pfefferminzöl, Zedernöl, Patschuli und Nelke zu den wirksameren. Die Schutzwirkung ist laut den Autoren jedoch stark abhängig von der Formulierung der jeweiligen Produkte. 7

Produktbeispiele

WirksubstanzProduktbeispielWirkdauer lt.HerstellerBemerkungen

DEET

N,N-Diethyl-3-methylbenzamid

Anti Brumm®forte (30%)etwa 6h vor Mücken, 5h vor ZeckenGilt als das wirksamste Breitspektrum-Abwehrmittel gegen beißende Anthropoden7, heimische und tropische Stechmücken. Bei Konz. über 50% ist keine weitere Wirkungsverlängerung/-verstärkung zu erwarten, lediglich die Toxizität steigt. Reizt Haut/ Schleimhaut. Greift Kunststoffe und Leder an.5
Nobite®Hautspray (50%)

bis zu 8h gegen Mücken, bis zu 7h gegen Zecken

 

Icaridin

Picaridin,

1-(1-Methylpropyl Carbonyl)- 2-(2-hydroxyethyl)piperidine

Autan®Protection plus Pumpspray (20%)bis 7h gegen Mücken, bis 4h gegen ZeckenWird kaum resorbiert. Wirksam gegen heimische und tropische Mücken, bei geringerer Toxizität als DEET.5
mosquito®protect Mückenschutzspray (20%)bis 8h gegen Mücken, bis 4h gegen Zecken

PMD

Para-Menthan-3,8-diol, Citriodiol®

 

Zedan®Outdoor (20%)bis 6h gegen Mücken, bis 4h gegen ZeckenBestandteil von Zitronen-Eukalyptus-Extrakt oder synthetisch hergestellt. Allergiepotential. Belege für Wirksamkeit vergleichbar DEET und Icaridin.5
Care Plus®Antiinsect Natural (30%)4-6h gegen Mücken, 6h gegen Zecken

IR3535®

Ethylbutylacetylamino propionat, EBAAP

Jungle Formula by Azaron®Kids (20%)bis zu 6h gegen Mücken (bis 3h in bewaldeten und seenreichen Gebieten)Geringere Toxizität als DEET und gute Verträglichkeit. Wirkt kürzer als DEET und Icaridin, jedoch auch gegen Wespen, Bienen und Sandmücken.6

Ätherische Öle

(von Herstellern häufig in Kombination mit Zitronen-Eukalypus eingesetzt)

Zedan®Insektenschutz Sprühlotion (Geraniol und Wirkstoff aus Zitronen-Eukalyptus/Para-Menthan-3,8-diol)k.A.Ätherische Öle sind sehr flüchtig, daher  Schutzdauer stark abhängig von der Formulierung. Hautreizungen7, Allergiepotenzial.

Tatjana Ortinau, Apothekerin
redaktion@daz.online


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