Anastrozol-Produktion für Tamoxifen verschoben

Der Fall Tamoxifen aus Sicht einer Patientin und Journalistin

Stuttgart - 12.04.2022, 07:00 Uhr

Eine Autorin der „Zeit“ war zu Besuch bei der Tamoxifen-Sonderproduktion in Barleben bei Magdeburg. (s / Foto: IMAGO / Schöning)

Eine Autorin der „Zeit“ war zu Besuch bei der Tamoxifen-Sonderproduktion in Barleben bei Magdeburg. (s / Foto: IMAGO / Schöning)


Vergangene Woche meldete Hexal, dass mittlerweile erste Tamoxifen-Chargen einer Sonderproduktion über den Großhandel verfügbar sind. So könne angesichts des bestehenden Lieferengpasses die Tamoxifen-Versorgung derzeit gesichert werden. Doch der Fall Tamoxifen steht sinnbildlich für Probleme im Pharma-Bereich, die damit nicht behoben sind. Das schildert die Journalistin Tanja Stelzer, die selbst Tamoxifen-Patientin ist, anschaulich auf „Zeit online“.

„Warum sind meine Tabletten knapp?“ – dieser Frage ist Tanja Stelzer, die Mitglied der Chefredaktion der „Zeit“ ist, als Autorin und vor allem als selbst betroffene Patientin nachgegangen. Erschienen ist ihre Recherche vergangenen Samstag auf „Zeit online“

Ihre unscheinbaren Tamoxifen-Tabletten scheinen „zur Hamsterware geworden zu sein, die unterm Ladentisch weggeht“ schreibt sie, deshalb begann sie zu recherchieren. Viele Ergebnisse ihrer Recherche dürften Apotheker:innen gut bekannt sein. So erklärt sie zwar: „Zu Beginn der Corona-Krise, als man sich sorgte, ob die Intensivstationen genug Medikamentennachschub aus dem Ausland bekommen, geriet das Thema Lieferengpässe in die Nachrichten. Seitdem ist es in Vergessenheit geraten.“ Wirklich vergessen können Apotheker:innen Lieferengpässe aber natürlich nicht, sind sie doch Teil ihrer täglichen Arbeit. Allerdings stellt Stelzer den Fall Tamoxifen umfassend dar, und die verschiedenen Interessen im Arzneimittelmarkt gegenüber. Sie ist sogar extra nach Texas, zum „Vater des Tamoxifen“ gereist.

Wie die DAZ bereits vergangene Woche berichtete, sind laut Hexal dank einer Sonderproduktion jetzt wieder erste Chargen „Tamoxifen 20 mg Hexal® Filmtabletten“ für Großhandel-Bestellungen lieferbar. „Zusammen mit den importierten Produkten ist somit die Versorgung von Patient*innen in Deutschland derzeit gesichert“, erklärte Peter Stenico, Leiter von Sandoz Deutschland und CEO Hexal, in einer Mitteilung. Allerdings hieß es auch, dass die Auslieferung in den nächsten Wochen weiterhin kontingentiert erfolge, die Sonderproduktion aber weitergehen solle. Voraussichtlich ab Mai soll dann die Lieferfähigkeit von Tamoxifen wieder uneingeschränkt bestehen. Doch die gesamte Lieferengpass-Problematik – über Tamoxifen hinaus – wird auch damit nicht gelöst sein.

Hersteller und Krankenkassen – zwei gegensätzliche Sichtweisen

Die „Zeit“ hat länger mit Stenico gesprochen, der nicht nur die Meinung von Hexal, sondern auch von Pro Generika vertritt. Er ist Vorstandsvorsitzender des Verbands. Laut ihm sollen „Ausschreibungen von Kassen bei lebenswichtigen Medikamenten wie Tamoxifen und bei Arzneimitteln, für die es nur wenige Hersteller gibt, verboten werden“. So seien die Firmen nicht mehr gezwungen, nur bei dem einen billigsten Hersteller einzukaufen. Bei der Politik jedoch, „gingen solche Forderungen ins eine Ohr rein, aus dem anderen wieder raus“, erklärte Stenico der „Zeit“.

Durch die Journalistin Stelzer mit solchen Schilderungen konfrontiert, regen sich die Gesprächspartner bei den Krankenkassen allerdings sehr auf: „Die Hersteller nutzten die Lebenssituation der Patientinnen schamlos aus und wollten in Wahrheit ihre Renditen erhöhen. Zu behaupten, für 8,80 Euro könne man keine Dreimonatspackung Tabletten produzieren, sei doch Quatsch – das müsse man ja in Relation zu den Kosten sehen. Die Hersteller hätten einfach zu spät reagiert.“ Bei der Barmer habe man mitgeteilt, dass es nicht sinnvoll sei, bei versorgungsrelevanten Medikamenten auf das erfolgreiche Rabattsystem zu verzichten. Vielmehr garantierten die Rabattverträge die Versorgungssicherheit. Die Techniker Krankenkasse erklärte: „Es gingen weiter Gebote ein. Also lohne sich das Geschäft doch.“ Bei der AOK habe man für Tamoxifen aktuell jedoch gar keine Rabattverträge.

Zu Besuch in der Sonderproduktion von Hexal

Die Lieferengpassproblematik ist also bekanntermaßen kompliziert. Der Journalistin Stelzer kommt es dabei auch normal vor, „dass die Hersteller und die Kassen sich streiten, sie haben ja gegensätzliche Interessen“. Sie sieht die Politik in der Pflicht, zu vermitteln, doch beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) wollte über den Tamoxifen-Engpass niemand persönlich mit ihr sprechen.

Stelzer war aber zu Besuch bei der Hexal-Sonderproduktion in Barleben bei Magdeburg. Dort hat sie durch eine Scheibe auf Männer geblickt, die blaue Astronautenanzüge und Gummistiefel tragen. „Über gelbe geringelte Schläuche, die zur Decke führen, sind sie an ein Druckluftsystem angeschlossen.“ Zwei Monate lang würden die blauen Männer Tamoxifen produzieren statt der Tabletten, die eigentlich im Plan standen, schreibt sie – 20 Millionen Tabletten. Und dann sagt ihr Grit Müller, die Chefin von 1.150 Mitarbeitern in Barleben, „es bereite ihr Sorgen, dass sie jetzt das andere Medikament nicht produzieren können“: Anastrozol.

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Egal welcher Aromatasehemmer

Anastrozol zählt zu den Aromatase-Hemmern. Sie sind eine Alternative zu Tamoxifen für Brustkrebspatientinnen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen. In der Prämenopause muss dann jedoch die Ovarfunktion ausgeschaltet werden. Außerdem bringen sie Nebenwirkungen mit sich:

„Die Kombination aus ovarieller Suppression und Aromatase-Hemmern (Exemestan, Anastrozol sowie Letrozol) führt nachweislich zur stärksten Reduktion der Knochendichte und kann bei prämenopausalen Frauen bis zu 11% pro Jahr betragen [5]. Aber auch Tamoxifen allein, der Goldstandard der Therapie bei prämenopausalen Brustkrebs-Patientinnen, erhöhte die Inzidenz von Osteoporose und Frakturen, verglichen mit einem gesunden Kontrollkollektiv [1, 2, 5]. […] Aus vielen Untersuchungen ist bekannt, dass bei postmenopausalen Patientinnen unter Aromatase-Hemmer-Therapie eine erhöhte Frakturinzidenz resultiert, verglichen mit einer Tamoxifen-Behandlung [1].“

DAZ 32/2021, Dr. Verena Stahl 

Es zeigt sich also – auch wenn man bisweilen meist verhindern kann, dass aus einem Lieferengpass ein Versorgungsmangel wird –, dass entsprechende Gegenmaßnahmen nicht einfach sind, und kostensparend wohl ebenfalls nicht. Ein Referent des BMG teilte der „Zeit“ jedoch schriftlich mit, „die Regelungen, die es gebe, um Lieferengpässe bei Arzneimitteln abzuwenden oder abzumildern, hätten sich in der Praxis ‚grundsätzlich bewährt‘. Und er verweist auf den Koalitionsvertrag. Darin ist die Rede davon, die Herstellung der Wirk- und Hilfsstoffe nach Deutschland oder in die EU zurückzuverlagern.“ Die „Zeit“-Autorin fragt sich im Laufe ihrer Recherche allerdings auch: „Was kostet das Sparen eigentlich?“ Wenn der Tamoxifen-Mangel dazu führe, dass mehr Frauen Rückfälle erlitten, dann werde das für die Krankenkassen und für den Staat unvergleichlich viel teurer, denkt sie, „als wenn man statt jährlich 9 Millionen Euro, sagen wir, 12 Millionen für Tamoxifen ausgeben würde“.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Kranke Kassen...

von Rolf Lachenmaier am 12.04.2022 um 10:42 Uhr

... die lügen, wie gedruckt! Liebe Frau Stelzer, KEINE Kranke Kasse in Deutschland (GKV) zahlt 8.80 für diese Packung. Das ist schlichtweg gelogen. Aber solange bei den Rabattverträgen keine Transparenz herrscht, lässt sich von Seiten der Kassen viel behaupten! Gehen Sie einmal mindestens von 90% Abzug via Rabattvertrag aus. Es ist eher mehr. Und dann verstehen Sie auch die Hersteller. Dann rentiert sich die Herstellung oft nicht mehr. Warum die Politik hier nicht endlich für Transparenz sorgt? Die einflussreiche Kassenlobby kümmert sich rührend.
Seltsamerweise gilt das Spardiktat in der Medikamentenversorgung immer für alle - seit Jahren. Nur nicht für die Kranken Kassen. Deren Verwaltungskosten sind immer gestiegen und betragen aktuell fast 12 Mrd. Euro pro Jahr... woran das wohl liegt? Und Nein, der Service ist nicht besser geworden.

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