Französisches Modellprojekt

QR-Code statt Packungsbeilage?

Stuttgart - 31.01.2024, 09:15 Uhr

Viele Patienten lesen die Packungsbeilage – vielleicht wird sie bald nur noch digital verfügbar sein. (VRD/AdobeStock) 

Viele Patienten lesen die Packungsbeilage – vielleicht wird sie bald nur noch digital verfügbar sein. (VRD/AdobeStock) 


Zum Schutz der Umwelt soll in Frankreich die Packungsbeilage verschwinden, es soll QR-Codes geben. Die französische Apothekerschaft sieht das aus verschiedenen Gründen kritisch. Und: Bei Personen mit geringen digitalen Kompetenzen käme noch mehr Verantwortung auf sie zu.

Frankreich plant, die Packungsbeilage von Medikamenten durch QR-Codes zu ersetzen. In den ersten Monaten diesen Jahres wird das Verfahren zunächst in einem Modellprojekt bei einigen Medikamenten getestet. Dazu gehören beliebte frei verkäufliche Arzneimittel wie Ibuprofen und Paracetamol, aber auch verschreibungspflichtige Präparate wie Antibiotika oder Krebsmittel.

Bei Medikamenten, die in Krankenhäusern verwendet werden, soll die Packungsbeilage aus Papier sofort vollständig entfallen. Informationen zu den Arzneimitteln sind dann nur noch zugänglich, wenn ein QR-Code auf der Packung eingescannt wird. 

Bei Arzneimitteln, die in der Apotheke verkauft werden, wird der QR-Code auf die Packungen gedruckt. Zusätzlich soll aber zunächst noch die Packungsbeilage aus Papier beigelegt werden. Nach einer Evaluationsphase könnte dann auch in der Apotheke die Packungsbeilage abgeschafft werden, das hatten die zuständigen Ministerien im Dezember gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP mitgeteilt.

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Weniger wäre mehr

Die „Dematerialisierung” der Packungsbeilage sei eine Umweltschutzmaßnahme, so die offizielle Begründung. Außerdem könne dies „den Zugang zu Informationen verbessern”, da mithilfe des QR-Codes auch Videos und interaktive Medien zur Information bereitgestellt werden könnten. 

Tatsächlich wird längst auch auf EU-Ebene die Entwicklung digitaler Packungsbeilagen vorangetrieben. In einer Veröffentlichung der EU-Kommission werden digitale Packungsbeilagen als Möglichkeit diskutiert, bei Medikamentenmangel den Austausch zwischen EU-Ländern zu erleichtern. Für die Hersteller wäre das Modell durch die Erleichterung der länderübergreifenden Vermarktung ebenfalls attraktiv, ebenso wegen der steigenden Rohstoffpreise.

Pierre-Olivier Variot, Präsident der Vereinigung der französischen Apothekergewerkschaften (USPO), sieht genau darin ein Risiko. Falls sich die Sprache der Packungsbeilage „mit zwei Klicks ändern lasse“, könne sich das vielmehr negativ auf die Verteilung von Arzneimitteln auswirken, glaubt er: „Wenn ich ein Industrieller bin und ich produziere 10.000 Schachteln für Frankreich und 10.000 für Deutschland und merke, dass ich sie in Deutschland teurer verkaufen kann, dann entscheide ich mich, sie alle dem deutschen Markt zur Verfügung zu stellen”, warnte Variot gegenüber der Internetplattform „Actu.fr”.

QR-Code nicht für alle Patienten geeignet

Dass sich der Zugang zu Informationen verbessert, wenn die gedruckte Packungsbeilage entfällt, bezweifelte Variot. Das Gegenteil sei der Fall: „Der Ersatz der Packungsbeilage aus Papier durch einen QR-Code ist keine gute Idee, weil es Patienten gibt, die dann Schwierigkeiten hätten, an die Informationen zu gelangen. Ich denke dabei an ältere Menschen, aber auch an jüngere, die die Beilage gerne immer bei sich hätten, aber über keinen Drucker verfügen”, so der Gewerkschafter.

Wie aus ihrer Ankündigung hervorging, sieht die französische Regierung hier eine Verantwortung der Apotheken. So könne man den Apotheken gedruckte Packungsbeilagen zugänglich machen, für Personen, die keinen Zugang zu digitalen Informationen hätten. 

Auch in der Veröffentlichung der EU ist für die Apotheken eine Mittlerrolle vorgesehen. So sollten Apotheker beim Verkauf womöglich fremdsprachiger Packungen zunächst die wichtigsten Informationen zur Dosierung übersetzen, damit „sichergestellt werde, dass die Einnahme korrekt erfolgt.” Die restlichen Informationen sollten dann in der passenden Sprache digital abgerufen werden. Für diejenigen, die keinen Zugang zu den Online-Beipackzetteln haben, könnten die Apotheken die benötigten Informationen ausdrucken, heißt es in dem EU-Papier.

Was sagen die EU-Bürger zur digitalen Packungsbeilage?

Aber wie denken eigentlich diejenigen über digitale Packungsbeilagen, für die sie gedacht sind – die Patienten in europäischen Ländern? Laut einer Umfrage im Auftrag des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) von 2021 informierte sich mehr als die Hälfte von 1.000 befragten Deutschen durch den Beipackzettel über Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen ihrer Arzneimittel.

Häufiger wurde mit 56 Prozent nur der Arzt als Informationsquelle genannt, die Apotheke nannten 41 Prozent. Auf den Internetseiten der Hersteller oder aus anderen Internetquellen informierten sich hingegen nur etwa 25 Prozent. Weniger als ein Fünftel (19 Prozent) der Befragten gab an, eine digitale Packungsbeilage zu bevorzugen. 36 Prozent sagten, sie würden digitale Informationen lieber nicht als Ersatz, sondern zusätzlich zu den gedruckten nutzen. Und 41 Prozent würden die reine Papierform bevorzugen.

Ein ähnliches Ergebnis lieferte eine Umfrage der belgischen Verbraucherschutzorganisation „Testachats”. Von 1.400 Befragten waren 80 Prozent dagegen, die Beilage aus Papier durch einen QR-Code zu ersetzen, da dadurch ältere Personen und Personen mit einem schlechteren Zugang zu Technik benachteiligt würden. Die leichter zugängliche Papierversion müsse es auch weiterhin geben, selbst wenn QR-Codes eingeführt würden, fanden die Befragten.

Auch „Testachats” kritisierte die Pläne der EU: „Wer keine digitalen Kompetenzen hat, wird außen vor sein und keinen Zugang mehr zu lebenswichtigen Informationen haben”, so ein Sprecher der Organisation.

Packungsbeilage bei Patienten beliebt

Laut einer Erhebung des LEEM, dem französischen Verband der Pharmaindustrie, ist die klassische Packungsbeilage auch bei den Franzosen beliebt. 76 Prozent von ihnen lesen sie demnach systematisch, wenn sie zum ersten Mal ein Medikament kaufen. 54 Prozent lesen die Packungsbeilage auch dann noch, wenn sie das Medikament in der Vergangenheit schon einmal eingenommen haben.

Die Inhaberin der „Pharmacie Druel”, einer Apotheke in Frankreichs zweitgrößter Stadt Marseille, wurde über das Modellprojekt ihrer Regierung noch nicht informiert. Das Vorhaben, den gedruckten Beipackzettel zu ersetzen, findet sie aber nicht gut. Ältere Menschen ohne Computerkenntnisse hätten dann „keinen Zugang mehr zu diesen wichtigen Informationen”, befürchtet auch sie. Gegen ökologische Maßnahmen habe sie ja nichts, so die Apothekerin: „Es gibt aber sicherlich viele andere gute Dinge, die man für die Umwelt tun kann.”


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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