BPhD-Kolumne

Endometriose – ein schlichtes „Frauenproblem“?

05.10.2023, 09:15 Uhr

Anika Balkheimer, BPhD-Beauftragte für Public Health. (Foto: BPhD)

Anika Balkheimer, BPhD-Beauftragte für Public Health. (Foto: BPhD)


Endometriose ‒ eine Erkrankung, die noch immer ein Schattendasein führt, obwohl sie die Lebensqualität von Millionen von Frauen beeinträchtigt. Doch wie kommt es, dass es zum Ursprung der Erkrankung nur Hypothesen gibt, dass es oft Jahre bis zu einer Diagnose dauert, und dass es nur eine symptomatische Behandlung gibt? Anika Balkheimer, BPhD-Beauftragte für Public Health, beleuchtet nicht nur diese Fragen, sondern wirft auch einen kritischen Blick auf die anhaltende Stigmatisierung von Menstruationsbeschwerden.

Wer im Internet nach Informationen zur Ursache von Endometriose sucht, stolpert hauptsächlich über Worte wie „Vermutung“ und „Annahme“ sowie zahlreiche Fragezeichen. Trotz der Tatsache, dass diese Erkrankung bereits vor über 300 Jahren erstmals dokumentiert wurde, bleiben die genauen Ursachen nach wie vor ein Rätsel und geben Anlass für zahlreiche offene Fragen. 

In den nachfolgenden Abschnitten beziehen sich alle Erwähnungen von Frauen auf mit Gebärmutter geborene Menschen.

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Man könnte denken, dass es sich um eine Erkrankung geringerer Relevanz handelt, aber das ist keineswegs der Fall. Unter anderem haben betroffene Frauen starke Unterleibsschmerzen während der Menstruation oder beim Geschlechtsverkehr. Die Erkrankung unterliegt dem Hormonzyklus der Menstruierenden und verläuft somit meist zyklisch oder ‒ besonders in fortgeschrittenen Stadien – auch azyklisch. Dabei bildet sich außerhalb der Gebärmutter Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt. Eine häufige Komplikation, die sich daraus ergibt, ist Unfruchtbarkeit bei betroffenen Frauen.

Hohe Fallzahl, geringes Forschungsbudget

Und auch die Zahl an Erkrankten ist eindrücklich. Tatsächlich leidet etwa eine von zehn Frauen an Endometriose. Weltweit sind das 190 Millionen Menschen und allein in Deutschland sind es insgesamt etwa zwei Millionen Betroffene. Zum Vergleich: Die Anzahl der Frauen, die an Endometriose erkrankt sind, ist doppelt so hoch wie die Anzahl derjenigen Frauen, die an Diabetes Mellitus Typ II erkrankt sind [1].

Vor diesem Hintergrund könnte davon ausgegangen werden, dass die finanzielle Förderung entsprechend hoch ausfällt. Allerdings wurde Endometriose in Deutschland jahrzehntelang vernachlässigt. So wurden in den letzten Jahren insgesamt gerade einmal 500.000 Euro vom Bund in die Endometriose-Forschung gesteckt, während in die Diabetes-Forschung jährlich etwa 26 Millionen Euro fließen [2].

In anderen Ländern hingegen scheint die Bedeutung dieser Krankheit bereits erkannt worden zu sein. So hat zum Beispiel Frankreich im Jahr 2022 eine nationale Strategie zur Bewältigung von Endometriose eingeführt und sich das Ziel gesetzt, Diagnose, Behandlung und Forschung in diesem Bereich zu verbessern. Zur besseren Erforschung wurden im selben Jahr 25 ‒ 30 Millionen Euro bereitgestellt [3].

Doch auch in Deutschland scheint sich langsam der Wind zu drehen. Immerhin wurden für das Jahr 2023 fünf Millionen Euro für die Durchführung einer Endometriose-betreffenden Förderlinie eingeplant [4].

Endometriose – nicht nur eine Frauenangelegenheit

Wiederholte krankheitsbedingte Abwesenheit am Arbeitsplatz zählt oft zu den Folgen von Endometriose-bedingten Schmerzen. Die Krankheit beeinflusst somit nicht nur die Lebensqualität der einzelnen Betroffenen, sondern ebenfalls die Erwerbstätigkeit und stellt damit auch ein gesellschaftliches Anliegen dar. So bezeichnete der französische Präsident Macron die Krankheit nicht als „nur ein Frauenproblem“, sondern als ein Problem, dem sich die ganze Gesellschaft annehmen muss [3,5]. 

Der Weg zur Diagnose ist oft lang und steinig

Symptome einer Endometriose können sehr vielfältig sein und variieren von Person zu Person, was die Diagnose oft erschwert. Endometriose wird oft mit einem Chamäleon verglichen, da sie sich in vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen zeigen kann. So kann es beispielsweise zusätzlich zu Durchfall, Schmerzen beim Wasserlassen oder einem Blähbauch ‒ dem sogenannten „Endo-Belly“ ‒ kommen [6].

Bis eine Diagnose erfolgt, dauert es durchschnittlich siebeneinhalb Jahre und oft erfolgt sie nur durch Zufall, unter anderem, wenn ein jahrelanger Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Ein Teil dieses Problems ist auf mangelnde Aufklärung und Unwissenheit sowohl bei medizinischem Fachpersonal als auch bei den Betroffenen selbst zurückzuführen. Insbesondere wird die Diagnose erschwert, da auch starke Menstruationsschmerzen in unserer Gesellschaft oft als normal betrachtet werden und viele menstruierende Personen sich nicht trauen, sich frühzeitig an eine*n Arzt*Ärztin zu wenden. Doch selbst wenn sie den Mut dazu finden, werden ihre Symptome häufig angezweifelt [2].

Schmerzen während der Periode gelten als normal

Es kommt häufig vor, dass Frauen Schmerzen teilweise abgesprochen und in manchen Fällen sogar als psychosomatisch abgetan werden.  [7,8,2].

Endometriose ist weit mehr als nur ein medizinisches Problem. Die Erkrankung ist ein anschauliches Beispiel für die Vernachlässigung von Frauengesundheit in unserer Gesellschaft. Frauen ‒ und somit auch Erkrankungen, die hauptsächlich Frauen betreffen ‒ sind in der medizinischen Forschung und Versorgung unterrepräsentiert. Die Auswirkungen dieser Ungleichheit sind weitreichend. Frauen mit Endometriose kämpfen nicht nur gegen die physischen Schmerzen an, sondern müssen zusätzlich oft lange Wege gehen, um eine adäquate medizinische Versorgung zu erhalten und das nicht selten in einer Umgebung, die ihre Symptome anzweifelt [7].

Keine gleichwertige Behandlung

Diese Ungleichheit spiegelt sich auch in anderen medizinischen Bereichen wider. So ist der Gesundheitssektor kein Bereich, in dem eine Gleichbehandlung einer Gleichwertigkeit entspricht. Krankheitssymptome können sich bei Frauen in anderer Form äußern und es kann zu einer abweichenden Wirkung eines Arzneimittels kommen. Dennoch wird auch heute noch in Medizin und Forschung von einem (männlichen) „Durchschnittsmenschen“ ausgegangen, der so jedoch gar nicht existiert [9].

Erfreulich ist, dass auch in Apotheken ein Beitrag dazu geleistet werden kann, über die Krankheit aufzuklären und zu einer schnelleren Diagnose beizutragen. Es ist entscheidend, bei bestimmten Anzeichen der Erkrankung aufmerksam zu werden und gezielte Rückfragen zu stellen [6].

Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft und in der Medizin aufhören, die Gesundheit von Frauen zu vernachlässigen.

Anmerkung:

Der BPhD erkennt an, dass es auch andere Geschlechtsidentitäten über das Binär von Mann und Frau hinaus gibt. Da sich die meisten Daten an diesem binären System orientieren, wurde sich im Text darauf bezogen.

Literatur

[1] Homepage der Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. www.endometriose-vereinigung.de/

[2] Wir müssen über Endometriose sprechen. Video von Quarks vom 10. Dezember 2022. www.youtube.com/watch?v=Cc9S_siMB1Y

[3] Zur weiteren Erforschung der Endometriose-Erkrankung. Strategien in Australien und Frankreich. Sachstand. Dokument des Deutschen Bundestages vom 3. Juni 2022 www.bundestag.de/resource/blob/902628/4c5f8ae58a1bc0ca64bfe69220162dd2/WD-9-036-22-pdf-data.pdf

[4] Etat 2023: Konfliktforschung soll gestärkt werden. Informationen des Deutschen Bundestages. 22. Oktober 2022 www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-917376

[5] Pieper M. Wenn eine Frauenkrankheit politisch wird. Beitrag des hr-inforadios vom 27. Januar 2022 www.hr-inforadio.de/programm/themen/endometriose-wenn-eine-frauenkrankheit-politisch-wird,endometriose-was-macht-die-deutsche-politik-100.html

[6] Lang C. Die Leiden der jungen Frau. 12 Dezember 2021 www.pharmazeutische-zeitung.de/die-leiden-der-jungen-frau-129994/

[7] Brück K. Gender Pain Gap. Informationen der Apotheken Umschau vom 22. Juni 2023 www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/schmerzempfinden-bei-maennern-und-frauen-die-gender-pain-gap-972855.html

[8] Schäfer G. et al. Health care providers' judgments in chronic pain: the influence of gender and trustworthiness. Pain 2016; 157(8)1618-1625. DOI: 10.1097/j.pain.0000000000000536 https://journals.lww.com/pain/abstract/2016/08000/health_care_providers__judgments_in_chronic_pain_.10.aspx

[9] Gendermedizin: Ungleichbehandlung ist gut für uns alle. Informationen der Barmer. www.barmer.de/gesundheit-verstehen/mensch/ungleichbehandlung/warum-wir-ungleichbehandlung-brauchen-1004582#Krankheiten_Frauen_und_Mu00E4nner_erleben_Symptome_unterschiedlich-1004582


Anika Balkheimer, BPhD Beauftragte für Public Health


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