Gendermedizin

Der kleine Unterschied

Warum Schmerzmittel bei Frauen anders wirken als bei Männern

Von Oliver Werz | Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von Arzneimitteln verschiedener Klassen sind in der Medizin zwar weithin bekannt, allerdings ist das Bestreben, zugrundeliegende Mechanismen aufzuklären moderat. Noch geringer ist das Interesse, Konsequenzen für die Praxis zu ziehen und diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Pharmakotherapie zu berücksichtigen. Unterschiede in der Wirkung von Arzneistoffen findet man insbesondere bei Schmerzmitteln und Entzündungshemmern, was nicht überraschend ist, da sich sowohl die Häufigkeit entzündlicher Erkrankungen (insbesondere Autoimmunerkrankungen) als auch die Pathophysiologie der Entzündung bei Mann und Frau deutlich unterscheiden.

Unterschiede zwischen den Geschlechtern spielen in der Pharmakotherapie eine bislang stark unterschätzte Rolle. Männer und Frauen unterscheiden sich auf genetischer Ebene (X- und Y-Chromosom), Frauen leben im Durchschnitt fünf bis sechs Jahre länger und Frauen ticken anders als Männer. Zahlreiche populäre Bücher bringen diese geschlechtsspezifischen Besonderheiten auf humorvolle Weise an die Öffentlichkeit. Doch auch bei zahlreichen Krankheiten und der zugehörigen Pharmakotherapie gibt es gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern, nicht nur Diskrepanzen beim Einparken und Schuhekaufen.

Die „Gendermedizin“ (oder geschlechtsspezifische Medizin) wurde erst kürzlich im Jahre 2004 ins Leben gerufen und ist damit eine noch junge biomedizinische Wissenschaft, der eine große Bedeutung und Popularität vorausgesagt wird. Per Definition untersucht die Gendermedizin die biologischen und soziokulturellen Unterschiede der Geschlechter und wie dies wiederum Erkrankungen und deren pharmakologische Therapie beeinflusst. Allgemein ist bekannt, dass Frauen häufiger und intensiver an Osteoporose, Asthma, Diabetes, Migräne, Morbus Alzheimer, Reizdarmsyndrom, Rheumatoide Arthritis (RA) und vielen anderen Autoimmunerkrankungen leiden. Dagegen sind Männer häufiger von verschiedenen Krebsarten (Hepatozelluläres Karzinom), kardiovaskulären Erkrankungen, Schizophrenie, Morbus Reiter und Gicht betroffen. Im Allgemeinen konzentriert sich die biomedizinische Forschung grundsätzlich auf den männlichen Organismus. So werden, ungeachtet der geschlechtsspezifischen Inzidenz der jeweiligen Erkrankung, in pharmakologischen Studien meist männliche Versuchstiere verwendet und an klinischen Studien nehmen mehr Männer teil. Frauen partizipieren erst seit 1993 als Probanden/Patienten an klinischen Studien (siehe „Mann ist nicht gleich Frau: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie“).

Zahlreiche Studien belegen geschlechtsspezifische Unterschiede bei Arzneistoffwirkungen, die teilweise pharmakodynamischer, meist jedoch pharmakokinetischer Natur sind. Frauen sind leichter als Männer, so dass eine bestimmte Dosis bei Frauen zu höheren Konzentrationen führt. Der Körperfett-Anteil ist bei Frauen größer, der Körperwasser-Anteil geringer als bei Männern, woraus sich Konsequenzen für die Konzentration und Verteilung von Arzneistoffen ergeben: lipophile Wirkstoffe haben in Frauen ein größeres, hydrophile ein kleineres Verteilungsvolumen. In Frauen führt dieselbe Dosis pro Kilogramm Körpergewicht bei lipophilen Arzneistoffen zu niedrigen, bei hydrophilen zu höheren Plasmakonzentrationen als bei Männern. Zudem finden sich massive Unterschiede beim Metabolismus von Arzneistoffen (CYP Enzyme, Glucuronidierung, siehe Artikel „Mann ist nicht gleich Frau: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie“) zwischen Mann und Frau. Überraschend ist jedoch, dass bezüglich der pharmakologischen Therapie für Männer und Frauen in der Praxis ein einheitlicher Ansatz angewandt wird und geschlechtsbedingte Unterschiede nicht berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund soll erwähnt werden, dass Frauen etwa doppelt so oft Arzneimittelnebenwirkungen erleiden als Männer (zum Beispiel Arzneistoff-induzierte QT-Zeit-Verlängerung). Von zehn Arzneimitteln, die in den USA vom Markt genommen wurden, erfolgte die Rücknahme bei acht dieser Pharmaka aufgrund unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei Frauen. Eine Erklärung für die höhere Inzidenz von Nebenwirkungen könnte sein, dass Frauen mit Arzneistoffdosen behandelt werden, die aus Ergebnissen von Studien an Männern abgeleitet sind.

Frauen haben das aktivere Immunsystem

Entzündung ist eine immunologische Antwort auf einen Gewebeschaden oder Präsenz von Pathogenen/Antigenen mit dem Ziel, den Körper zu schützen und den Heilungsprozess zu initiieren. Diese fein regulierte Immunantwort kann außer Kontrolle geraten und der Entzündungsprozess einen chronischen Verlauf einnehmen, so dass entzündliche Erkrankungen entstehen. Dazu gehören insbesondere Autoimmunerkrankungen, wie multiple Sklerose, systemischer Lupus erythematodes oder rheumatoide Arthritis, aber auch Morbus Alzheimer, die allesamt bei Frauen klar dominieren [1, 2] (Tabelle 1).

Diese Unterschiede haben weitreichende Konsequenzen und machen sich in vielen Bereichen bemerkbar, nicht nur in der Pharmakotherapie. Beispielsweise bestand in einer skandinavischen Studie bei Frauen unter 45 Jahren ein vierfach höheres Risiko für Arbeitsausfall aufgrund Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises als bei Männern [3].

Wissenschaftliche Untersuchungen zu den zugrundeliegenden Mechanismen zeigten, dass immunreaktive Lymphozyten und Monozyten von Frauen höhere Immunreaktivität und damit Entzündungsaktivität aufweisen [4, 5]. So sind die Plasmaspiegel und Aktivität immun- beziehungsweise entzündungsrelevanter Mediatoren, Zytokine und Signalmoleküle bei Frauen höher als bei Männern (Tab. 2).

Dies betrifft zum Beispiel die Freisetzung des immunstimulierenden Interferon-γ und des IL-17 aus T-Lymphozyten. In Ratten sind die Plasmaspiegel der pro-inflammatorischen Zytokine Tumornekrosefaktor-α und IL-6 bei weiblichen Tieren deutlich höher als bei männlichen. Auch der nuclear factor ‚kappa-light-chain-enhancer‘ of activated B-cells (NF-κB), ein prominenter Transkriptionsfaktor, der zahlreiche entzündungsrelevante Gene aktiviert und wesentliches Target von Glucocorticoiden ist, war in T-Lymphozyten von Frauen aktiver als in jenen von Männern. Schließlich zeigten eigene Studien, signifikant höhere Bildung von Leukotrienen in Granulozyten und Monozyten von Frauen, und bei entzündlichen Reaktionen in Ratten waren die Leukotrienspiegel bei weiblichen Tieren dreimal höher als bei männlichen Tieren [6].

Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schmerz

Zahlreiche groß angelegte, epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass Frauen häufiger über Schmerzen berichten als Männer [7]. Frauen leiden häufiger unter Fibromyalgie, Migräne und Spannungskopfschmerz, Reizdarmsyndrom und temporomandibulärer Dysfunktion. Die Annahme, dass Frauen grundsätzlich empfindlicher auf Schmerzreize reagieren, stimmt nur teilweise, da dies unter anderem auch von der Art des Schmerzes abhängt. So liegt insbesondere die Schmerzschwelle für Druckschmerz und thermischen Schmerz bei Frauen niedriger als bei Männern. Frauen leiden in der Regel öfter unter chronischen Schmerzen, und Schmerzen kehren bei Frauen öfters wieder und dauern länger an als bei Männern. Es sind auch durchschnittlich mehr Körperregionen betroffen und der Leidensdruck ist größer. Möglicherweise liegt die Ursache für diesen Geschlechts-spezifischen Unterschied in der Verarbeitung des Schmerzes: Scheinbar verarbeiten Frauen Schmerz vornehmlich über limbische Areale des Gehirns, wo auch Gefühle und Emotionen verarbeitet werden, während Männer Schmerz eher über analytische und kognitive Areale verarbeiten.

Rolle der Sexualhormone

In Übereinstimmung mit der höheren Entzündungsaktivität weiblicher Leukozyten, stimuliert Estradiol Entzündungsprozesse während Testosteron eher entzündungshemmend wirkt [8, 9]. In Experimenten mit sterilisierten Ratten senkt Estradiol die Schmerzreizschwelle, wohingegen diese durch Testosteron erhöht wird [10]. Testosteron wird allgemein als eher antinozizeptiv eingestuft, während Estradiol und Progesteron sowohl pro- als auch antinozizeptiv wirken können. Interessant ist, dass hohe Estradiol-Spiegel Entzündungsreaktionen bei Patientinnen mit rheumatoider Arthritis hemmen, während niedrige Konzentrationen stimulieren [11]. So erhöht Estradiol die Immunglobulin-Bildung, die INFγ-Freisetzung aus Leukozyten, und die NFκB-Aktivität in T-Lymphozyten [12].

Testosteron kann die erhöhte Leukotrien-Biosynthese in Granulozyten und Monozyten senken und hohe Testosteron-Plasmaspiegel korrelieren bei jungen Frauen entsprechend mit niedriger Leukotrien-Bildung. Neben dem Einfluss auf die Pathophysiologie der Entzündung wirken sich Sexualhormone auch auf die Pharmakodynamik und Pharmakokinetik von Arzneistoffen aus. Beispielsweise verlangsamt Estradiol die Magenentleerung, erhöht den Körperfett-Anteil und vermindert die Menge an α1-Glykoprotein.

Neben den Sexualhormonen dürften viele Unterschiede aber auch mit der Diversität der Geschlechtschromosomen (Frau: XX, Mann: XY) zusammenhängen und damit genetischer Natur sein. Daneben werden weiterhin soziokulturelle Aspekte, wie Lebensstil, Ernährung etc. diskutiert.

Frauen nehmen öfter Schmerzmittel

Gemäß der Tatsache, dass entzündliche Erkrankungen bei Frauen dominieren greifen Frauen wesentlich häufiger zu Entzündungshemmern und Schmerzmitteln. Betrachtet man zunächst das Einnahmeverhalten von Arzneimitteln bei Frauen und Männern in Deutschland allgemein, so ist der Arzneimittelverbrauch bei Frauen durchschnittlich um etwa ein Viertel höher als bei Männern (siehe Artikel „Mann ist nicht gleich Frau: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie“). Im Rahmen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2007 wurden 450 Männer und 793 Frauen nach dem täglichen Gebrauch von Schmerzmitteln während der letzten sieben Tage befragt. Bei allen Altersgruppen (15 bis 75+ Jahre) lag der Prozentsatz bei Frauen deutlich höher, und war bei der Altersgruppe über 75 am deutlichsten: 7,2 Prozent für Männer und 16,9 Prozent für Frauen. Insbesondere nehmen zahlreichen großen Studien zufolge Frauen mehr/öfter nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) ein als Männer [13]. Statistische Erhebungen zeigen, dass 85 Prozent der Anwender von Cyclooxygenase-2-selektiven Coxiben Frauen sind [14, 15]. Paradoxerweise sind Frauen in klinischen Coxib-Studien jedoch unterrepräsentiert, und nur etwa 20 Prozent der bislang durchgeführten 28 Rofecoxib-Studien gehen überhaupt auf das Geschlecht ein [16, 17] (siehe Artikel „Mann ist nicht gleich Frau: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie“).

Männer und Frauen – Entzündungshemmer und Schmerzmittel wirken anders

Die am häufigsten angewandten Entzündungshemmer sind NSAR, welche durch unspezifische Blockade der Cyclooxygenasen (COX)-1 und -2 die Bildung pro-inflammatorischer Prostaglandine hemmen. Weibliche Mäuse, denen entweder die COX-1 oder die COX-2 durch genetischen Knockout fehlen, zeigten im Freund-Adjuvans-induzierten Arthritismodell deutlich geringere entzündliche Ödembildung und Gelenkdestruktion, während bei männlichen Mäusen kein signifikanter Effekt nach Entfernung der COX-Enzyme zu erkennen war [18]. Somit ist zu erwarten, dass COX-Hemmer bei Frauen eigentlich stärkere Effekte hervorrufen sollten, was wiederum die häufigere Einnahme von NSAR bei Frauen erklären könnte. Mit Ausnahme von Acetylsalicylsäure und Ibuprofen (siehe unten) sind Geschlechts-spezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von NSAR allerdings nur selten registriert worden. Überraschenderweise beobachtet man jedoch Magenblutung und Nierentoxizität als Nebenwirkung vieler NSAR bei Männern häufiger als bei Frauen. Einige Studien wiederum belegen jedoch häufiger Nebenwirkungen bei Frauen. Männer profitieren jedenfalls mehr vom präventiven Effekt der NSAR bei Lungenkrebs als Frauen.

ASS. Es ist gesichert, dass ASS (100 mg Dosis) Männer zwar vor Myokardinfarkt, nicht aber vor Schlaganfall schützt, Frauen dagegen vor Schlaganfall, nicht jedoch vor Myokardinfarkt [19]. Warum das so ist, ist unbekannt. Die Bioverfügbarkeit von ASS ist bei Frauen besser als bei Männern. So werden die maximalen Plasmaspiegel bei Frauen zwar langsamer erreicht als bei Männern (54 versus 32 min), allerdings liegen diese bei Frauen etwa 50% höher (bei gleicher Dosis bezogen auf Kilogramm Körpergewicht). Dies dürfte mit der geringeren Clearance-Rate und der langsameren Hydrolyse im Plasma (ca. 40%) bei Frauen zusammenhängen. Zudem finden sich Unterschiede im Metabolitenspektrum zwischen den Geschlechtern. Die Aspirin-induzierte Bildung des entzündungshemmenden 15-epi-Lipoxin A4 war bei Frauen ausgeprägter [20]. Nichtsdestotrotz ist, wie bei anderen NSAR, die gastrointestinale Nebenwirkungsrate (Blutungen, Ulzera) und der Tumor-präventive Effekt der ASS präventive Effekt bei Männern ausgeprägter. Dies weist auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakodynamik der ASS hin. Dies wurde jedoch bislang nicht weiter erforscht.

Paracetamol. Die analgetische Wirksamkeit des Paracetamols ist bei Männern und Frauen kaum unterschiedlich. Bei pharmakokinetischen Untersuchungen wurde jedoch festgestellt, dass die Paracetamol-Clearance-Rate bei Männern um 30 Prozent höher liegt als bei Frauen, scheinbar aufgrund der intensiveren Glukuronidierung bei Männern [21]. Klinisch relevant ist dieser Befund vor allem hinsichtlich der Toxizität des Paracetamols. So kann eine unzureichende Glukuronidierung bei Überdosierung (zum Beispiel mit suizidaler Absicht) die Bildung des toxischen Metaboliten N-Acetyl-p-benzochinonimin begünstigen, welches mit Proteinen der Leberzellen reagiert und zu Leberversagen/Tod führen kann.

Ibuprofen. Unter den NSAR hat Ibuprofen hohen therapeutischen Stellenwert und wird insbesondere bei leichten bis mittelstarken Schmerzen (neben Paracetamol auch bei Kindern) sehr häufig angewandt. Dabei überwiegt angeblich der analgetische Effekt bei Männern. Ergebnisse von zwei unabhängigen Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass Männer, mit ohnehin höherer Reizschwelle und größerer Toleranz für elektrisch-induzierten Schmerz, auf Ibuprofen signifikant ansprechen, Frauen dagegen nicht [22, 23]. Allerdings war kein geschlechtsspezifischer Unterschied in der Ibuprofenwirkung bei Zahnschmerz nach Zahnextraktion zu beobachten [24]. Wenngleich viele geschlechtsspezifische Unterschiede von Arzneistoffwirkungen allgemein auf pharmakokinetische Diskrepanzen zurückführbar sind, war dies bei Ibuprofen nicht der Fall und es bleibt unklar, wie die bessere analgetische Wirkung bei Männern zustande kommt.

Anti-TNF-α-Antikörper. Hochmolekulare TNF-α-Inhibitoren (wie Infliximab, Adalimumab, Golimumab, Certolizumab Pegol, Ethanercept) werden zur Therapie von Morbus Bechterew, rheumatoider Arthritis, juveniler idiopathische Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Plaque-Psoriasis und Psoriasis-Arthritis eingesetzt. Da TNF-α-Blocker das Immunsystem der Patienten supprimieren, besteht die Gefahr für schwerwiegende Infektionen durch Bakterien, Pilze oder Viren. Tendenziell sprechen Männer auf TNF-α-Blocker z.B. bei M. Bechterew besser an als Frauen [12]. Man geht davon aus, dass (anti-inflammatorische) Androgene im Synovialgewebe die Wirkung der TNF-α-Blocker verbessern. Männer zeigen allerdings häufiger Infektionen als Nebenwirkung [25]. Nichtsdestotrotz brechen männliche Bechterew-Patienten die Behandlung weniger schnell ab als Frauen. Bei Frauen beobachtet man als Nebenwirkung der Therapie häufiger Lebertoxizität und Lupus-artige Symptome. Hinsichtlich der Pharmakokinetik findet man bei Frauen kürzere Halbwertszeiten für Anti-TNF-α-Antikörper.

Morphin. Zahlreiche Studien zeigen zweifellos, dass Morphin bei Frauen stärker analgetisch wirksam ist als bei Männern [21, 26]. So benötigen Männer etwa 40 Prozent mehr Morphin als Frauen, um einen analgetischen Effekt zu erzielen. Trotz großer individueller Divergenzen konnte bislang kein geschlechtsspezifischer Unterschied in der Pharmakokinetik des Morphins festgestellt werden. Interessanterweise lag in experimentellen Untersuchungen die effektive Konzentration für eine 50-prozentige Schmerztoleranz (EC50) für Frauen bei 33 nM, für Männer bei 76 nM Morphin [21]. Dies ist in Einklang mit dem Befund, dass das Bindungspotenzial an den µ-OP3-Rezeptor für Morphin, Fentanyl, Alfentanil, und Remifentanil bei Frauen signifikant höher ist als bei Männern. Ähnlich führen κ-OP2-Agonisten wie Pentazocin und Nalbuphin bei Frauen zu stärkerer Analgesie als bei Männern. Dieser geschlechtsspezifische Unterschied in der Pharmakodynamik des Morphins und anderer Opioidanalgetika ist eines der Paradebeispiele in der Gendermedizin. Aus diesen Daten wird ersichtlich, dass eine geschlechtsspezifische Dosisanpassung des Morphins (40-prozentige Reduktion bei Frauen) ein erster Schritt in die Gender-Pharmakotherapie sein könnte. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frauen bei gleicher Morphindosis ein 60 Prozent höheres Risiko für Nebenwirkungen wie Atemdepression, Übelkeit und Erbrechen haben als Männer.

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Autor

Prof. Dr. Oliver Werz (Jg. 1966) lehrt und forscht seit 2010 an der Univ. Jena, wo er den Lehrstuhl für Pharmazeutische/Medizinische Chemie leitet. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören insbesondere die Gendermedizin und die Erforschung von Targets und neuer Wirkstoffe für die Entzündungstherapie.

Institut für pharmazeutische/medizinische Chemie; Friedrich-Schiller-Universität Jena; Philosophenweg 14; 07743 Jena
oliver.werz@uni-jena.de

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