22 Jahre klinische Pharmazie als Prüfungsfach

Immer noch Unis ohne Professur für Klinische Pharmazie

Stuttgart - 02.10.2023, 07:00 Uhr

Laut Approbationsordnung soll die Klinische Pharmazie sowohl in theoretischem als auch praktischem Unterricht gelehrt werden. (Foto: kasto / AdobeStock)

Laut Approbationsordnung soll die Klinische Pharmazie sowohl in theoretischem als auch praktischem Unterricht gelehrt werden. (Foto: kasto / AdobeStock)


Am 1. Oktober 2001 wurde das Prüfungsfach „klinische Pharmazie“ in die Approbationsordnung für Apotheker aufgenommen. 22 Jahre später gibt es immer noch Standorte ohne eine ordentliche Professur für dieses interdisziplinäre Fach. Die DAZ hat an den Universitäten nachgefragt.

Die Fachgruppe Klinische Pharmazie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft fordert in den 2020 veröffentlichten „Standards zur universitären Ausbildung im Fach Klinische Pharmazie“ unter anderem, dass die Klinische Pharmazie durch eine eigenständige Vollprofessur vertreten werden soll und am Standort patientenorientierte Forschung stattfindet. Außerdem soll an echten praktischen Fällen gearbeitet und auch Mediziner mit in die Lehre einbezogen werden. Werden diese Forderungen an den Pharmaziestandorten erfüllt?

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An den Universitäten in München und Freiburg gibt es keinen Lehrstuhl für Klinische Pharmazie. Stattdessen wird das Fach von externen und internen Referenten gelehrt, häufig von Pharmakologen und Klinikapothekern. 

Im Pharmaziestudiengang in Frankfurt am Main unterrichtet Prof. Dr. Dr. Gerd Geißlinger, Professur für Pharmakologie und Klinische Pharmazie, in Freiburg der Leiter der Klinikapotheke, Prof. Dr. Martin Hug. An den pharmazeutischen Instituten in Mainz und Münster obliegt die Klinische Pharmazie einer außerplanmäßigen Professur, also einem Habilitierten ohne ordentliche Professorenstelle. An der Universität in Mainz unterrichtet die Apothekerin Prof. Dr. Irene Krämer, in Münster Apotheker Prof. Dr. Georg Hempel. 

An der Universität Heidelberg wird das Fach vom interprofesionellen „Kooperationsnetzwerk Klinische Pharmazie“ betreut. Die Abteilungen Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg sowie die Klinikapotheke und das Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie betreiben dieses Kooperationsnetzwerk, das sowohl Pharmaziestudierende als auch Medizinstudierende unterrichtet.

An den übrigen 16 Instituten für Pharmazie an deutschen Universitäten ist ein Lehrstuhl „Klinische Pharmazie“ eingerichtet, der mit einer ordentlichen Professur ausgestattet ist.

An der Universität in Halle wird die Klinische Pharmazie nicht durch eine Apothekerin bzw. einen Apotheker gelehrt, sondern von einem Mediziner und Molekularbiologen (Prof. Dr. Ralf Benndorf in Halle). Prof. Dr. Stephanie Läer in Düsseldorf ist Ärztin und Apothekerin.

Was ist Klinische Pharmazie?

Die klinische Pharmazie beschäftigt sich mit patientenorientierter Arzneimitteltherapie, die sich situationsgerecht und individuell am Erkrankten orientieren soll. Laut Approbationsordnung gehört zum Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ unter anderem die Arzneimitteltherapie vulnerabler Gruppen wie Schwangere, Stillende, Betagte oder Patienten mit Multimorbidität. 

In der Approbationsordnung von 2001 soll das Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ in einem Umfang von 210 Stunden unterrichtet werden (6,6% des Gesamtstudiums). Der neue Vorschlag zur Approbationsordnung der Bundesapothekerkammer vom 10. Mai 2022 sieht 574 Stunden oder 14,7% des Gesamtstudiums vor. Insgesamt soll die theoretische und praktische Lehre des interprofesionellen Bereichs „Klinischen Pharmazie“ durch die neue Approbationsordnung gestärkt werden.

Universitäten mit Universitätskrankenhaus bieten im Rahmen der Veranstaltungen zur klinischen Pharmazie im zweiten Ausbildungsabschnitt eine Hospitation der Studierenden an. Die Pharmaziestudierenden begleiten Klinikapotheker sowie Ärzte und besprechen aktuelle Patientenfälle aus dem Krankenhaus. An Universitäten ohne Lehrkrankenhaus werden im praktischen Teil zumeist Patientenfälle in einem Seminar in Kleingruppen besprochen.

Forschungsfeld Klinische Pharmazie

Forschung im Bereich patientenorientierte Arzneimitteltherapiesicherheit betreiben die Arbeitsgruppen der Klinischen Pharmazie an den Universitäten in Bonn, Braunschweig, Heidelberg, Düsseldorf, Leipzig, Kiel, Würzburg, Jena und Münster. An den anderen Standorten werden In-vitro-Forschung und/oder Tierversuche betrieben sowie mathematische Modelle zu Krankheitsentstehung und -verlauf erstellt.

„Klinische Pharmazie weiter ausbauen!“

Isabel Waltering von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie findet deutliche Worte: „Die klinische Pharmazie hat an deutschen Universitäten noch immer nicht den Stellenwert, den sie in anderen Ländern hat. Der Umfang an klinischer Pharmazie im Studium ist für eine moderne Pharmazie nicht mehr angemessen. Um eine ausreichende und umfassende Ausbildung für die heilberuflichen Aspekte und eine patientenorientierte Pharmazie zu gewährleisten, muss der klinischen Pharmazie ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt werden. Dazu ist es auch notwendig, dass sie an allen Universitäten einheitlich etabliert und personell ausreichend ausgestattet ist. Und dies nicht zulasten des Fachbereichs der Pharmakologie. Während des Studiums sind praktische Übungen in allen Bereichen notwendig, eine interprofessionelle Zusammenarbeit mit Medizinstudierenden muss für beide Seiten verpflichtend festgeschrieben werden.“ Für ein zukunftsorientiertes Studium würden die Forderungen der neuen Approbationsordnung nicht weit genug gehen. 

Kampagne des BPhD

Der Bundesverband der Pharmaziestudierenden (BPhD) hat anlässlich des Jahrestages der Einführung des Prüfungsfaches eine Kampagne gestartet, die noch bis 5. Oktober auf Instagram (unter @bphd_ev) läuft: Der BPhD legt darin seine Positionen dar „rund um die aktuell notwendige Novellierung der Approbationsordnung für Apotheker“, wie der Verband in einer Pressemitteilung schreibt. Die Studierenden fordern darin unter anderem den „Ausbau der Klinischen Pharmazie und der Pharmakologie zur Stärkung der praxisorientierten Lehre“. 

Die Präsidentin des BPhD, Johanna Kintrup, meint: „Die Novellierung der Approbationsordnung bietet das Potenzial für ein stärker praxisorientiertes Studium. Da dazu die Klinische Pharmazie eine entscheidende Rolle spielt, ist die Idee der Kampagne „22 Jahre Klinische Pharmazie“ entstanden. Wir werfen den Blick in Richtung eines zukunftsfähigen Studiums und setzen uns für die Realisierung ein“.

Wenn am 5.Oktober die Kampagne auf Social Media endet, wird es bis zur 135. Bundesverbandstagung des BPhD in Brandenburg gemeinsame Posts mit der „Fachschaft Pharmazie Cottbus“ geben, einer Gruppe aus ehemaligen BPhDlern, die sich wegen des Fachkräftemangels für einen Pharmaziestandort in Brandenburg einsetzen.

 

Text überarbeitet am 2.10.2023

Literatur

Approbationsordnung für Apotheker vom 19. Juli 1989 (BGBl. I S. 1489), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 7. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 148) geändert worden ist. Bundesministerium für Justiz, www.gesetze-im-internet.de/aappo/BJNR014890989.html

Positionspapier Runder Tisch „Novellierung der Approbationsordnung für Apotheker. Bundesapothekerkammer, 10. Mai 2022, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Ausbildung_Studium_Beruf/AAppO_Runder_Tisch_22_06_29.pdf

Standards zur universitären Ausbildung im Fach Klinische Pharmazie. Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft, 2020, https://bphd.de/wp-content/uploads/2020/01/StandardsKlinPharmazie_.pdf


Juliane Russ, Volontärin DAZ
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Fehlerhafte Angabe

von Demartin am 02.10.2023 um 8:32 Uhr

Frau Prof Laer aus Düsseldorf ist auch Apothekerin und Ärztin

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Fehlerhafte Angabe

von jr am 02.10.2023 um 9:47 Uhr

Vielen Dank für die Anmerkung. Es ist korrigiert.

Falsche Schwerpunkte

von Prof. Dr. med. Schmidt Harald H.H.W. am 02.10.2023 um 8:18 Uhr

Leider wird Pharmazie noch immer von Chemikern und Biologen dominiert, Fächer, die beruflich nahezu ohne jede Relevanz sind. Für Industrie-Apotheker mag ja noch Technologie und Qualitätskontrolle wichtig sein, aber für die allermeisten wären Pharmakologie, Physiologie, Klinische Pharmazie und BWL wichtig. Stattdessen werden Stellen und Pfründe verteidigt. Wahrscheinlich wird nur die Radikalkur à la Niederlande helfen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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