US-Zulassung für Lodoco

Wie Colchicin die KHK-Therapie künftig verbessern könnte

Stuttgart - 19.07.2023, 13:00 Uhr

Colchicin in Lodoco kommt zwar in den USA neu auf den Markt, ist aber offenbar „Made in Germany“. (Quelle: AGEPHA PHARMA | Voy_ager / AdobeStock | Montage: DAZ)

Colchicin in Lodoco kommt zwar in den USA neu auf den Markt, ist aber offenbar „Made in Germany“. (Quelle: AGEPHA PHARMA | Voy_ager / AdobeStock | Montage: DAZ)


Entzündungen spielen im Pathomechanismus atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine größere Rolle als sich bislang in den etablierten Behandlungsoptionen widerspiegelt. Doch das könnte sich bald ändern. Denn in den USA wurde mit Colchicin unter dem Handelsnamen Lodoco erstmals ein Wirkstoff bei koronarer Herzkrankheit zugelassen, der sich speziell gegen Entzündungen richtet und bisherige Therapieoptionen somit mechanistisch ergänzen kann.

Wer Colchicin hört, denkt vermutlich zunächst an das Gift der Herbstzeitlosen, das bereits in kleinen Mengen tödlich wirkt. Regelmäßig wird im Frühling vor der Pflanze gewarnt, weil die Blätter der Herbstzeitlosen mit Bärlauch verwechselt werden können [1]. Apotheker:innen denken vermutlich zudem an die Therapie des akuten Gichtanfalls: „Primäre pharmakologische Therapieoptionen des akuten Gichtanfalls sind: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Colchicin und Glukokortikoide“, heißt es in der seit 2021 abgelaufenen S2e-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Gicht“ [2]. Colchicin wird dann ein- bis dreimal täglich in einer Einzeldosis von 0,5 mg eingenommen. Außerdem wird Colchicin in niedriger Dosierung (0,5-1 mg täglich) zur Gicht-Anfallsprophylaxe über drei bis sechs Monate empfohlen. Zudem ist Colchicin zur Behandlung des familiären Mittelmeerfiebers indiziert [3].

Gift hier, Arzneimittel dort – das ist kein Widerspruch, denn bekanntlich macht die Dosis das Gift. Allerdings muss bei der Anwendung von Colchicin unbedingt die enge therapeutische Breite beachtet werden. Und das wird wohl bald noch wichtiger, denn das Einsatzgebiet von Colchicin hat sich – zumindest in den USA – mittlerweile auf die Behandlung atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen erweitert [4].

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Bereits 2019 berichtete die DAZ über die randomisierte Doppelblindstudie COLCOT (Colchicin Cardiovascular Outcomes Trial) in der die Verwendung von Colchicin in der Sekundärprävention nach einem Herzinfarkt untersucht wurde [5]. Und schon 2013 war in der LoDoCo(Low-Dose Colchicine)-Studie gezeigt worden, dass bei koronarer Herzkrankheit-(KHK)-Patient:innen, „die mit einer niedrigen Colchicin-Dosis (0,5 mg/d) zusätzlich zu Acetylsalicylsäure/Clopidogrel und Statinen behandelt wurden, das Risiko für neue kardiovaskuläre Ereignisse signifikant niedriger lag als unter der Standardtherapie“, hieß es in der DAZ 39/2020. Die 2020 veröffentlichte LoDoCo2-Studie zeigte schließlich laut den Studien-Autor:innen konsistent positive Ergebnisse mit den beiden vorausgegangenen Studien [6]. 

Erstes entzündungshemmendes Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zugelassen

Es ist deshalb nun nicht verwunderlich, dass die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA kürzlich Colchicin als 0,5mg-Tabletten unter dem Handelsnamen Lodoco® zugelassen hat. Das geht aus einer Pressemitteilung des Zulassungsinhabers Agepha Pharma vom 20. Juni hervor [4]: „FDA genehmigt erstes entzündungshemmendes Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen“. Lodoco® ziele auf Entzündungen bei atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD) ab und könne allein oder in Kombination mit Cholesterin-senkenden Arzneimitteln oder anderen Standardtherapien eingesetzt werden.

Wirkmechanismus von Colchicin bei KHK noch unbekannt

In der US-amerikanischen Fachinformation heißt es zum Wirkmechanismus von Lodoco®, dass dieser bei der Prävention schwerer kardiovaskulärer Ereignisse noch nicht geklärt ist. Es sei jedoch bekannt, dass Colchicin die Degranulation und Migration von Neutrophilen verhindert. Das wird durch die Hemmung der Funktionen des Zytoskeletts erreicht. 

Grundsätzlich geht man von einer entzündungshemmenden Wirkung aus, denn klinische Daten zeigen, dass Colchicin das hochempfindliche C-reaktive Protein (hs-CRP) reduziert. Hs-CRP ist ein Biomarker für systemische Entzündungsprozesse [7]. 

Laut der US-Fachinformation stützt sich die Zulassung von Lodoco® vor allem auf die LoDoCo2-Studie. Dabei handelt es sich um eine randomisierte, placebokontrollierte, doppel-blinde klinische Studie, in der die Wirksamkeit von 0,5 mg Colchicin in einer Dosierung von einer Tablette täglich untersucht wurde – an Patient:innen mit stabiler koronarer Herzkrankheit zwischen 35 und 85 Jahren (15,3 % Frauen). Von insgesamt 5522 Patient:innen erhielten 2762 Colchicin und 2760 ein Placebo. Von den Patient:innen nahmen 

  • 99,7 % zudem einen Thrombozytenaggregationshemmer oder ein Antikoagulans ein,
  • 96,9 % Prozent einen Lipidsenker (davon 97,3 % Statine),
  • 62,1 % einen Betablocker und
  • 71,7 % einen RAS-Hemmer (Renin-Angiotensin-System-Inhibitoren).

Es zeigte sich schließlich für die Colchicin-Gruppe gegenüber Placebo ein um 31 % niedrigeres relatives Risiko für kardiovaskulären Tod, spontanen Myokardinfarkt, ischämischen Schlaganfall oder Ischämie-bedingte koronare Revaskularisierung. Die Number needed to treat (NNT) wird mit 36 angegeben. Im Median wurde die Studienmedikation über 28,6 Monate eingenommen [7].

Colchicin schneidet in der Sekundärprävention nach Myokardinfarkt gut ab

Gichtmittel als Herzschutz

Erfolgreiche Sekundärprävention mit Colchicin

Herbstliche Hoffnung für KHK-Patienten

Agepha Pharma ging im Juni davon aus, dass Lodoco® ab der zweiten Jahreshälfte 2023 in den USA verordnet werden kann [4]. Ob eine Zulassung auch für andere Länder geplant ist, geht aus der Agepha-Mitteilung nicht hervor. Doch wieviel Potenzial hat Colchicin, in weiteren Ländern die Therapie-Möglichkeiten bei KHK zur erweitern?

Keine Konkurrenz für Colchicin in der Pipeline?

Zur Einordnung des Stellenwerts von Colchicin bei koronarer Herzerkrankung bezieht sich Agepha unter anderem auf eine Metaanalyse, die im März 2021 im „European Heart Journal“ erschienen ist. Auch dort kommen die Studienautor:innen zu dem Schluss, dass niedrig dosiertes Colchicin das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse reduziert. Allerdings konnte bei der Gesamtmortalität kein Unterschied gezeigt werden, weil es mehr nicht kardiovaskuläre Todesfälle in der Colchicin-Gruppe gab [8]. Aus einer weiteren Meta-Analyse vom Januar 2023 im Journal „Cardiology and Therapy“ geht hervor, dass die Wissenschaft derzeit noch auf das Ergebnis der Clear-Synergy-Studie wartet [9]. Darin wird neben Colchicin auch Spironolacton gegen Placebo untersucht. Das Ende der Studie wird auf Mai 2025 prognostiziert [10].

Laut „Ärzteblatt“ ist die Inflammation „bei der Suche nach alternativen Pathomechanismen“ der Artherosklerose spätestens in den 1990er-Jahren zunehmend in den Fokus gerückt – als sich zeigte, dass Cholesterin- und Blutdrucksenkung allein nicht zur Elimination kardiovaskulärer Erkrankungen führen. Dabei wurden neben Colchicin auch andere Wirkstoffe auf Erfolg geprüft, zeigten sich jedoch weniger vielversprechend [11]. 

Um zu unterstreichen, welche wichtige Rolle Entzündungsprozesse bei Herzerkrankungen spielen, verweist Agepha Pharma aktuell auf eine Studie aus dem Journal „Lancet“ [12]. Dort schlussfolgerten die Studienautor:innen im März 2023, dass bei Patient:innen, welche aktuelle Statin-Therapien erhalten, die Messung von hsCRP (hochempfindliches C-reaktives Protein) ein stärkerer Prädiktor für das Risiko künftiger kardiovaskulärer Ereignisse ist als LDLC (low-density lipoprotein cholesterol). „Diese Daten haben Auswirkungen auf die Auswahl zusätzlicher Behandlungen neben der Statintherapie und deuten darauf hin, dass ein kombinierter Einsatz von aggressiven lipidsenkenden und entzündungshemmenden Therapien erforderlich sein könnte, um das atherosklerotische Risiko weiter zu senken“, heißt es als Fazit.

Nebenwirkungen und Sicherheitshinweise zu Colchicin

Sollten die Indikationen von Colchicin bald auch in anderen Ländern erweitert werden und die Therapie Eingang in die Leitlinien finden, müssen Patient:innen gut über eventuelle Nebenwirkungen und Sicherheitshinweise aufgeklärt werden. Laut US-Fachinformation können beispielsweise Wechselwirkungen mit CYP3A4 unter Colchicin-Therapie lebensbedrohlich werden. Darauf muss bei der Verordnung weiterer Arzneimittel wie Antibiotika, aber auch Statine geachtet werden. 

Als mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen werden Muskelprobleme, Blut-Probleme und als häufige Nebenwirkungen Diarrhö, Erbrechen und Bauchkrämpfe angegeben. Diese drei letzteren können auch ein Zeichen einer Überdosierung sein. Außerdem könnte Lodoco® zu Fertilitätsproblemen bei Männern führen. Schwere Nieren-, Leber- und auch Blut-Probleme gelten als Kontraindikationen [7].

Literatur

[1] Grillenberger K. Von Giftpflanzen und Pflanzengiften. DAZ 2019;34:50
www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-34-2019/von-giftpflanzen-und-pflanzengiften 

[2] S2e-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Gicht. Stand 30.04.2016, gültig bis 
29.04.2021 (in Überarbeitung). register.awmf.org/de/leitlinien/detail/060-005 

[3] COLCHICIN Ysat 0,5 mg Tabletten und COLCHICIN Tiofarma 0,5 mg Tabletten. ABDA-Datenbank, Bearbeitungsstand 08.08.2019 

[4] Pressemitteilung von AGEPHA Pharma vom 20.06.2023: U.S. FDA Approves First Anti-Inflammatory Drug for Cardiovascular Disease
us.agephapharma.com/blog/2023/06/20/us-fda-approves-first-anti-inflammatory-drug-for-cardiovascular-disease/ 

[5] Leopoldt D. Gichtmittel als Herzschutz. DAZ 2019;51:30 
www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-51-2019/gichtmittel-als-herzschutz 

[6] Bruhn C. Herbstliche Hoffnung für KHK-Patienten. DAZ 2020;39:34 
www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-39-2020/herbstliche-hoffnung-fuer-khk-patienten 

[7] Lodoco®Prescribing Information. Informationen der FDA, Stand Juni 2023
www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/215727s000lbl.pdf 

[8] Fiolet A, Opstal T, Mosterd A et al. Efficacy and safety of low-dose colchicine in patients with coronary disease: a systematic review and meta-analysis of randomized trials. Eur. Heart J. 2021;42:2765–2775, doi.org/10.1093/eurheartj/ehab115 

[9] Nogic J, Mehta O, Tong D et al. Colchicine in the Management of Acute Coronary Syndrome: A Meta-analysis. Cardiology and Therapy 2023;12:171–181, doi.org/10.1007/s40119-022-00298-y 

[10] Colchicine and Spironolactone in Patients With MI / SYNERGY Stent Registry (CLEAR SYNERGY). Informationen von ClinicalTrials.gov, Stand 05.06.2023 classic.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03048825 

[11] Nettersheim F, Baldus S. Kardiovaskuläre Inflammation: Stand von Klinik und Forschung. Dtsch Arztebl 2019;116(40):28, 
DOI: 10.3238/PersKardio.2019.10.04.06 

[12] Ridker P, Bhatt D, Pradhan A et al. Inflammation and cholesterol as predictors of cardiovascular events among patients receiving statin therapy: a collaborative analysis of three randomised trials. The Lancet 2023;401:1293-1301
doi.org/10.1016/S0140-6736(23)00215-5


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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