Neue Netzwerke entstehen

Wie verändert Psilocybin das Gehirn bei Depression?

Stuttgart - 20.04.2022, 17:50 Uhr

Wie wirkt der Wirkstoff aus Zauberpilzen antidepressiv? Was macht das Psychedelikum mit den Netzwerken im Gehirn? (x / Foto: zef art / AdobeStock)

Wie wirkt der Wirkstoff aus Zauberpilzen antidepressiv? Was macht das Psychedelikum mit den Netzwerken im Gehirn? (x / Foto: zef art / AdobeStock)


Psilocybin wirkt bei schweren Depressionen rasch und anhaltend antidepressiv. Nur: Wie verändert der Wirkstoff aus „magic Mushrooms“ das Gehirn eigentlich? Einer „Nature Medicine“-Studie zufolge knüpft das Psychedelikum neue Netzwerke und löst alte auf – und könnte so die Informationsverarbeitung und -bewertung bei Depressiven verändern.

„Selbst die leistungsfähigsten Antidepressiva zeigen nur eine bescheidene Wirksamkeit, nicht zu vernachlässigende Nebenwirkungen, Absetzprobleme und hohe Rückfallquoten, was den Bedarf an neuen, verbesserten Behandlungen verdeutlicht“, schreiben Wissenschaftler:innen aktuell im Fachjournal „Nature Medicine“. 

Hoffnung setzt die Forschung in psychedelische (halluzinogen und psychotrop wirksam) Wirkstoffe, wie Psilocybin aus „magic Mushrooms“ – zurecht: Untersuchungen deuten auf eine gute Wirksamkeit von Psilocybin bei Depressionen, Zwangsstörungen und Suchterkrankungen hin. Das zeigt ein Review, veröffentlicht im Jahr 2020 im Fachjournal „Acta Psychiatrica Scandinavica“ („Therapeutic effects of classic serotonergic psychedelics: A systematic review of modern-era clinical studies“). Und erst im April 2021 veranschaulichte eine Studie – die Psilocybin sogar mit einem Antidepressivum aus der Gruppe der SSRI (Selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer) verglich –, dass der Pilzinhaltsstoff vergleichbar gut antidepressiv wirkt wie Escitalopram (nachzulesen im „The New England Journal of Medicine“: „Trial of Psilocybin versus Escitalopram for Depression“).

Was macht Psilocybin im Gehirn?

Nur: Wie macht Psilocybin das eigentlich, die antidepressive Wirkung? Richard Daws vom Imperial College London hat mit seinem Team Erstaunliches zum möglichen Wirkmechanismus von Psilocybin herausgefunden: Die Wissenschaftler:innen hatten dafür in zwei unabhängigen klinischen Studien MRT-Bilder (Magnetresonanztomografie) des Gehirns von mit Psilocybin behandelten Patient:innen analysiert und teilweise mit denen von Escitalopram-Patient:innen verglichen. Veröffentlicht wurde die Studie Mitte April 2022 in „Nature Medicine“ („Increased global integration in the brain after psilocybin therapy for depression“).

Erhöhte funktionelle Konnektivität und Besserung der Depression

In der ersten Studie zur Wirksamkeit von Psilocybin (einarmig, offen) wurden schwer depressive Teilnehmer:innen (ausgewertet wurden n=13, davon vier Frauen, Durchschnittsalter 42,75 Jahre) zu Beginn im MRT untersucht und mittels Fragebogen die Schwere ihrer Depression erfasst (Baseline). Sie erhielten sodann 10 mg Psilocybin, eine Woche darauf 25 mg Psilocybin und am darauffolgenden Tag sowie sechs Monate später je einen erneuten MRT-Scan. 

Die Wissenschaftler:innen stellten eine „schnelle, anhaltende und signifikante“ Besserung der Depression fest. Im MRT zeigte sich, dass sich auch im Gehirn der Patient:innen etwas veränderte: Die Modularität nahm ab, die funktionelle Konnektivtiät – wie verschiedene Bereiche des Gehirns zusammenarbeiten und das Gehirn Informationen verarbeitet – nahm zu. Einfach ausgedrückt: Es kam zu einer Auflösung der üblichen Netzwerke und neue Netzwerke wurden geknüpft. Interessanterweise korrelierte die Zunahme der funktionellen Konnektivität mit der klinischen Depressionslösung durch Psilocybin.

Psilocybin wirkt besser antidepressiv als Escitalopram

Die zweite Studie (doppelblind, randomisiert, kontrolliert) bestätigte diese Ergebnisse: Diese Teilnehmer:innen (ausgewertet wurden n=22, darunter acht Frauen, Durchschnittsalter 44,5 Jahre) erhielten entweder zweimal 25 mg Psilocybin im Abstand von drei Wochen und dazwischen Placebokapseln (Psilocybin-Arm) oder zweimal 1 mg Psilocybin im Abstand von drei Wochen und dann jedoch täglich 10 mg beziehungsweise 20 mg Escitalopram (Escitalopram-Arm). Alle Teilnehmer:innen wurden jedoch informiert, dass sie Psilocybin einnahmen. Vor der ersten und drei Wochen nach der zweiten Psilocybin-Gabe fanden die MRT-Untersuchungen statt. 

Das Ergebnis: Auch bei diesen Patient:innen bewirkten die zwei Dosen 25 mg Psilocybin eine rasche Depressionsverbesserung, die signifikant stärker war als unter Escitalopram, „was auf eine bessere Wirksamkeit der Psilocybin-Therapie im Vergleich zu Escitalopram hinweist“, erklären die Wissenschaftler:innen.

Dynamische Flexibilität des Gehirns nimmt zu – was bedeutet das?

Auch hier beobachteten die Wissenschaftler:innen die bereits in der ersten Studie beschriebenen Effekte auf die Gehirn-Modularität: Diese nahm ab und stand auch in Verbindung mit der veränderten Schwere der Depression – jedoch nur in der Psilocybin-Gruppe und nicht bei Patient:innen, die Escitalopram erhalten hatten. 

Zudem stand die Reaktion der Patient:innen auf Psilocybin in Verbindung mit der Flexibilität der neuronalen Netzwerke. Diese dynamischen Veränderungen konnten die Wissenschaftler durch ein „besonders schnelles“ MRT (viele Bilder in Abfolge) zeigen. Sie erklären das Prinzip: „Die 'dynamische Flexibilität' beschreibt, wie oft Hirnregionen im Laufe der MRT-Untersuchung ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ändern“. 

Das ist insofern interessant, als eine verminderte funktionelle Dynamik des Gehirns erst 2021 durch eine in „Cerebral Cortex“ veröffentlichte Studie („Whole-Brain Functional Dynamics Track Depressive Symptom Severity“) mit Depressionssymptomen in Verbindung gebracht wurde. In der aktuellen Untersuchung nun korrelierte eine erhöhte dynamische Flexibilität durch Psilocybin mit einer stärkeren Depressionsverbesserung – unter Escitalopram ließ sich hingegen kein signifikanter Zusammenhang zwischen einer erhöhten dynamischen Flexibilität und einer Depressionsverbesserung feststellen.

Neue Netzwerke geknüpft, andere aufgelöst

Möglich ist also, dass Psilocybin zu neuen Verknüpfungen von Nervenzellen im Gehirn führt und Verbindungen zu anderen Regionen geschwächt werden, was den Patient:innen vielleicht ermöglicht, bestimmte Probleme anders zu bewerten und ihre Sichtweise zu ändern.

Erhöhte funktionelle Flexibilität und bessere emotionale Flexibilität?

Professor Matthias Liechti, Stellvertretender Chefarzt, Universitätsspital Basel (Schweiz), ordnet die Studienergebnisse für das Science-Media-Center (SCM) ein: „Die erhöhte funktionelle Verbindung könnte einer beschriebenen subjektiven erhöhten Flexibilität und emotionaler Entspannung entsprechen“. Allerdings korreliere auch „die akute subjektive angenehme Wirkung von Psilocybin sehr gut mit dem therapeutischen Effekt“, und man „könnte also genauso gut die Patienten mittels Fragebogen befragen, wie das Erlebnis war, und das als Marker für die Therapieantwort verwenden“. 

Dennoch zeige das MRT Mechanismen auf, welche für Psilocybin typisch sein könnten: Die Erhöhung funktioneller Verbindungen sei nur nach Behandlung mit Psilocybin und nicht nach einer Behandlung mit dem klassischen Antidepressivum Escitalopram gefunden worden. Jedoch sei nicht klar, „was die erhöhte funktionelle Verbindung nach der Einnahme von Psilocybin genau bedeutet oder reflektiert“. Wichtig sei die Erkenntnis, dass „Psilocybin möglicherwiese spezielle Aspekte einer Depression – zum Beispiel kognitive Probleme – besser behandelt als ein Antidepressivum“. Und weiter: „Psilocybin wirkt also anders als ein klassisches Antidepressivum. Zudem wirkte es auch stärker antidepressiv als Escitalopram.“

Biomarker für Wirkung von Psilocybin wünschenswert

Privatdozentin Dr. Katrin Preller (Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional Processing, Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universität Zürich, Schweiz) findet, die Erkenntnisse zeigen, dass „die Behandlung mit Psilocybin Veränderungen in der Informationsverarbeitung im Gehirn – gemessen als funktionale Konnektivität – herbeiführt, die mit einer Reduktion der Symptome einhergehen“. Sie wünscht sich für die Zukunft weitere Forschung und einen Biomarker, der schon „vor der Behandlung vorhersagen lässt, ob ein Patient von der Therapie profitieren kann.“

Phase-3-Studie untersucht Psilocybin an der Berliner Charité

Derzeit läuft eine klinische Studie zur Wirksamkeit von Psilocybin („Efficacy and Safety of Psilocybin in Treatment-Resistant Major Depression: EPIsoDE“) sogar in Deutschland: Die Berliner Charité untersucht gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, wie sicher und wirksam Psilocybin bei Menschen mit therapieresistenten Depressionen ist. Das heißt: Bei diesen Patient:innen haben alle bisherigen Therapien und Arzneimittel versagt. 144 Patient:innen erhalten entweder eine hohe therapeutische Dosis Psilocybin oder eine niedrige oder Placebo, und die Wissenschaftler vergleichen sodann die antidepressiven Effekte. Sie untersuchen auch, ob eine mehrmalige Psilocybin-Gabe bei Depressionen besser wirkt als eine Einmalgabe.

Depressionen – ein weltweites Problem

Der Weltgesundheitsorganisation („Depression and Other Common Mental Disorders: Global Health Estimates“, 2017) zufolge lebten 2015 geschätzt 4,4 Prozent der Weltbevölkerung mit Depressionen – häufiger Frauen (5,5 Prozent) als Männer (3,6 Prozent). Mittlerweile dürften es deutlich mehr sein. Allein von 2005 bis 2015 erhöhte sich die Zahl der Depressiven um 18,4 Prozent, was sich der WHO zufolge auf das allgemeine Bevölkerungswachstum sowie den Anstieg der älteren Bevölkerungsgruppen (Depressionen treten am häufigsten bei älteren Erwachsenen auf) erklären lässt. Zudem trägt die Corona-Pandemie ihren Teil bei, denn Wissenschaftlern im Fachjournal „Psychology & Health“ („COVID-19 related depression and anxiety among quarantined respondents“) zufolge förderte eine Corona-bedingte Quarantäne Depressionen und Angstzustände bei den Betroffenen signifikant. Das mache sich nicht zuletzt an häufigeren Antidepressiva-Verordnungen bemerkbar, wie Rezeptzahlen und Antidepressiva-Kosten aus Großbritannien zeigen: Von Januar bis Dezember 2020 verordneten britische Ärzte vier Millionen Mal häufiger ein Antidepressivum als im Vorjahreszeitraum (2020: 78 Millionen; 2019: 74 Millionen). Der NHS (National Health Service) gab dadurch 139 Britische Pfund (etwa 162 Millionen Euro, Wechselkurs: 1,21 Euro/Pfund; Stand 16. April 2022) mehr aus als im Jahr zuvor („DARU Journal of Pharmaceutical Sciences“; „Surging trends in prescriptions and costs of antidepressants in England amid COVID-19“).



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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