Arzneimittel und Therapie

Neue Netzwerke unter Psilocybin

Wie Veränderungen im Gehirn die antidepressive Wirkung des Psychedelikums erklären können

cel/mab | Psilocybin wirkt bei schweren Depressionen rasch und anhaltend antidepressiv. Nur: Was verändert der Wirkstoff aus „magic Mushrooms“ im Gehirn eigentlich? Einer Studie in „Nature Medicine“ zufolge knüpft das Psychedelikum neue Netzwerke und löst alte auf – und könnte so die Informations­verarbeitung und -bewertung bei Depressiven verändern.

Ein 2020 im Fachjournal „Acta Psychiatrica Scandinavica“ veröffentlichter Review deutet auf eine gute Wirksamkeit von Psilocybin bei Depressionen, Zwangsstörungen und Sucht­erkrankungen hin. Im April 2021 veranschaulichte zudem eine Studie, dass der Inhaltsstoff aus „magic Mushrooms“ vergleichbar gut anti­depressiv wirkt wie Escitalopram.

Foto: Iarygin Andrii/AdobeStock

Was macht Psilo­cybin im Gehirn?

Nur: Wie wirkt eigentlich Psilocybin anti­depressiv? Richard E. Daws vom Imperial College London hat mit seinem Team nun Erstaunliches zum möglichen Wirkmechanismus von Psilocybin herausgefunden: Die Wissenschaftler hatten dafür in zwei unabhängigen klinischen Studien MRT-Bilder (Magnetresonanztomografie) des Gehirns von mit Psilocybin behandelten Patienten analysiert und teilweise mit denen von Escitalopram-Patienten verglichen. Veröffentlicht wurde die Studie Mitte April 2022 in „Nature Medicine“.

Funktionelle Konnektivität ­erhöht

In der ersten Studie zur Wirksamkeit von Psilocybin (einarmig, offen) wurden 13 schwer depressive Teilnehmer (davon vier Frauen, Durchschnittsalter 42,75 Jahre) zu Beginn im MRT untersucht und mittels Fragebogen die Schwere ihrer Depression erfasst (Baseline). Sie erhielten sodann 10 mg Psilocybin, eine Woche darauf 25 mg Psilocybin und am darauffolgenden Tag sowie sechs Monate später je einen erneuten MRT-Scan. Die Wissenschaftler stellten eine „schnelle, anhaltende und signifikante“ Besserung der Depression fest. Das MRT zeigte, dass sich auch im Gehirn der Patienten etwas veränderte: Die Modularität nahm ab, die funktionelle Konnektivität – wie verschiedene Bereiche des Gehirns zusammenarbeiten und das Gehirn Informationen verarbeitet – nahm zu. Einfach ausgedrückt: Es kam zu einer Auflösung der üblichen Netzwerke, und neue Netzwerke wurden geknüpft. Interessanterweise korrelierte die Zunahme der funktionellen Konnektivität mit der klinischen Depressionsverbesserung durch Psilocybin.

Besser antidepressiv wirksamals Escitalopram

Die zweite Studie (doppelblind, randomisiert, kontrolliert) bestätigte diese Ergebnisse: 22 Probanden (davon acht Frauen, Durchschnittsalter 44,5 Jahre) erhielten entweder zweimal 25 mg Psilocybin im Abstand von drei Wochen und dazwischen Placebo-Kapseln (Psilocybin-Arm) oder zweimal 1 mg Psilocybin im Abstand von drei Wochen und dann jedoch täglich 10 mg bzw. 20 mg Escitalopram (Escitalopram-Arm). Alle Teilnehmer wurden jedoch informiert, dass sie Psilocybin einnahmen. Vor der ersten und drei Wochen nach der zweiten Psilocybin-Gabe fanden die MRT-Untersuchungen statt. Das Ergebnis: Auch bei diesen Patienten bewirkten die zwei Dosen 25 mg Psilocybin eine rasche Depressionsverbesserung, die signifikant stärker war als unter Escitalopram, „was auf eine bessere Wirksamkeit der Psilocybin-Therapie im Vergleich zu Escitalopram hinweist“, erklären die Wissenschaftler.

Depressionen – ein weltweites Problem

Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge lebten 2015 geschätzt 4,4% der Weltbevölkerung mit Depressionen – häufiger Frauen (5,5%) als Männer (3,6%). Mittlerweile dürften es deutlich mehr sein, allein von 2005 bis 2015 erhöhte sich die Zahl der Depressiven um 18,4%, was sich der WHO zufolge auf das allgemeine Bevölkerungswachstum sowie den Anstieg der älteren Bevölkerungsgruppen erklären lässt, denn Depressionen treten am häufigsten bei älteren Erwachsenen auf. Zudem trägt die Corona-Pandemie ihren Teil bei, denn Wissenschaftlern im Fachmagazin „Psychology & Health“ zufolge förderte eine Corona-bedingte Quarantäne Depressionen und Angstzustände bei den Betroffenen signifikant, was sich nicht zuletzt durch häufigere Antidepressiva-Verordnungen bemerkbar macht. Das zeigen Rezeptzahlen und Antidepressiva-Kosten aus Großbritannien zeigen: Von Januar bis Dezember 2020 verordneten britische Ärzte vier Millionen Mal häufiger ein Antidepressivum als im Vorjahreszeitraum (2020: 78 Millionen; 2019: 74 Millionen), der NHS (National Health Service) gab dadurch 139 Britische Pfund (etwa 162 Millionen Euro, Wechselkurs: 1,21 Euro/Pfund; Stand 16. April 2022) mehr aus als im Jahr zuvor.

Dynamische Flexibilität des Gehirns nimmt zu

Auch hier beobachteten die Wissenschaftler die bereits in der ersten Studie beschriebenen Effekte auf die Gehirn-Modularität: Diese nahm ab und stand auch in Verbindung mit der veränderten Schwere der Depression – jedoch nur in der Psilocybin-Gruppe und nicht bei Patienten, die Escitalopram erhalten hatten. Zudem stand die Reaktion der Patienten auf Psilocybin in Verbindung mit der Flexibilität der neuronalen Netzwerke. Diese dynamischen Veränderungen konnten die Wissenschaftler durch ein „besonders schnelles“ MRT (viele Bilder in Abfolge) zeigen. Sie erklären das Prinzip: „Die ,dynamische Flexibilität‘ beschreibt, wie oft Hirnregionen im Laufe der MRT-Untersuchung ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ändern“. Das ist interessant, da eine verminderte funktionelle Dynamik des Gehirns erst 2021 durch eine in „Cerebral Cortex“ veröffentlichte Studie mit Depressionssymptomen in Verbindung gebracht wurde. In der aktuellen Untersuchung nun korrelierte eine erhöhte dynamische Flexibilität durch Psilocybin mit einer stärkeren Depressionsverbesserung – unter Escitalopram ließ sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen einer erhöhten dynamischen Flexibilität und einer Depressionsverbesserung feststellen.

Meinungen aus der Fachwelt

Möglich ist also, dass Psilocybin zu neuen Verknüpfungen von Nervenzellen im Gehirn führt und Verbindungen zu anderen Regionen geschwächt werden, was den Patienten vielleicht ermöglicht, bestimmte Probleme anders zu bewerten und ihre Sichtweise zu ändern. Prof. Dr. Matthias Liechti, Stellvertretender Chefarzt, Universitätsspital Basel (Schweiz), ordnet die Studienergebnisse für das Science ­Media Center (SCM) ein: „Die erhöhte funktionelle Verbindung könnte einer beschriebenen subjektiven erhöhten Flexibilität und emotionaler Entspannung entsprechen“. Allerdings korreliere auch „die akute subjektiv angenehme Wirkung von Psilocybin sehr gut mit dem therapeutischen Effekt“, und man „könnte also genauso gut die Patienten mittels Fragebogen befragen, wie das Erlebnis war, und das als Marker für die Therapieantwort verwenden“. Dennoch zeige das MRT Mechanismen, die für Psilocybin typisch sein könnten: Die Erhöhung funktioneller Verbindungen sei nur nach Behandlung mit Psilocybin und nicht nach einer Behandlung mit dem klassischen Antidepressivum Escitalopram gefunden worden. Es sei aber nicht klar, „was die erhöhte funktionelle Verbindung nach der Einnahme von Psilocybin genau bedeutet“. Wichtig sei die Erkenntnis, dass „Psilocybin möglicherweise spezielle Aspekte einer Depression – zum Beispiel kognitive Probleme – besser behandelt als ein Antidepressivum“. Und weiter: „Psilocybin wirkt also anders als ein klassisches Antidepressivum. Zudem wirkte es auch stärker antidepressiv als Escitalopram.“ Priv.-Doz. Dr. Katrin Preller (Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional Processing, Universität Zürich, Schweiz) findet, die Erkenntnisse zeigen, dass „die Behandlung mit Psilocybin Veränderungen in der Informationsverarbeitung im Gehirn – gemessen als funktionale Konnektivität – herbeiführt, die mit einer Reduktion der Symptome einhergehen“. Sie wünscht sich für die Zukunft weitere Forschung und einen Biomarker, der schon „vor der Behandlung vorher­sagen lässt, ob ein Patient von der Therapie profitieren kann.“

Psilocybin in Phase-III-Studie an der Berliner Charité

Derzeit läuft die Episode-Studie in Deutschland: Die Berliner Charité untersucht gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, wie sicher und wirksam Psilocybin bei Menschen mit therapieresistenten Depressionen ist, bei denen alle bisherigen Therapien und Arzneimittel versagt haben. 144 Patienten erhalten entweder eine hohe therapeutische Dosis Psilocybin oder eine niedrige oder Placebo, und die Wissenschaftler vergleichen sodann die antidepressiven Effekte. Sie untersuchen auch, ob eine mehrmalige Psilocybin-Gabe bei Depressionen besser wirkt als eine Einmalgabe. |

Literatur

Andersen K et al. Therapeutic effects of classic serotonergic psychedelics: A systematic review of modern-era clinical studies. Acta Psychiatrica Scandinavia 2020, doi: 10.1111/acps.13249

Carhart-Harris R et al. Trial of Psilocybin versus Escitalopram for Depression. NEJM 2021, doi: 10.1056/NEJMoa2032994

Daws RE et al. Increased global integration in the brain after psilocybin therapy for depression. Nature Medicine 2022, doi: 10.1038/s41591-022-01744-z

Depression and OtherCommon Mental Disorders Global Health Estimates. Informationen der World Health Organisation, https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/254610/WHO-MSD-MER-2017.2-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y

Goodman ZT et al. Whole-Brain Functional Dynamics Track Depressive Symptom Severity. Cerebral Cortex 2021, doi: 10.1093/cercor/bhab047

Rabeea S et al. Surging trends in prescriptions and costs of antidepressants in England amid COVID-19. DARU 2021. doi: 10.1007/s40199-021-00390-z

Studienziel EPIsoDE-Studie. Informationen des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI), https://episode-study.de/studienziel/, Abruf 27. April 2022

Tang F et al. COVID-19 related depression and anxiety among quarantined respondents. Psychology & Health 2020, doi:10.1080/08870446.2020.1782410

Wirkweise von Psychedelikum bei Depression. Informationen des Science Media Center (SMC), 11. April 2022

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