Antibiotika für Kinder

Bei Atemwegsinfekt lieber „Schmalspur“ statt Breitspektrum

Stuttgart - 19.03.2018, 12:00 Uhr

Antibiotika sind bei
Kindern nicht beliebt, und viel hilft nicht unbedingt viel. (Foto: photomim / stock.adobe.com)

Antibiotika sind bei Kindern nicht beliebt, und viel hilft nicht unbedingt viel. (Foto: photomim / stock.adobe.com)


Das Bewusstsein für Antibiotika-Resistenzen wächst. Ärzte und Patienten stellen immer häufiger die Frage: „Antibiotikum oder nicht?“ Wird die Frage mit ja beantwortet, kommt vor allem bei Kindern eine weitere hinzu – Breitspektrum oder nicht?

Akute Atemwegsinfekte sind einer amerikanischen Studie im JAMA zufolge der häufigste Grund für die Gabe von Antibiotika bei Kindern. Unter dem Begriff „akute Atemwegsinfektion“ fassen die JAMA-Autoren die Otitis media, die akute Sinusitis und die (Gruppe-A-Streptokokken) Pharyngitis zusammen. Schätzungsweise entfalle die Hälfte aller Antibiotika-Verordnungen für Kinder auf diese drei Erkrankungen, die dann mit Breitspektrum-Antibiotika behandelt würden. Ob der großzügige Einsatz von Breitspektrum-Antibiotika auch tatsächlich effektiver ist als Schmalspektrumantibiotika, und nicht nur mehr Nebenwirkungen, Resistenzen und Kosten mit sich bringt, stellen die Studien-Autoren in Frage.  

Die Leitlinien in den USA sind uneinheitlich

Die American Academy of Pediatrics empfiehlt im sogenannten Red Book®  bei akuter Otitis media den Einsatz von zwei Antibiotika, die die JAMA-Autoren den Schmalspektrum-Antibiotika zuordnen: Penicillin oder Amoxicillin. Laut deutscher Fachinformation wird Amoxicillin den Breitspektrumpenicillinen zugeordnet. Das Wirkspektrum von Amoxicillin allein umfasst jedoch keine Erreger, die Betalaktamasen bilden. Andere klinische Studien haben laut JAMA den Einsatz von Amoxicillin-Clavulansäure gegen Placebo untersucht. Diese wiesen darauf hin, dass der Einsatz von Antibiotika mit dem um die Betalaktamase-bildenden Bakterien breiteren Wirkspektrum zu rechtfertigen sei. Als ähnlich widersprüchlich beschreiben die JAMA-Autoren Empfehlungen bezüglich der Behandlung der akuten Sinusitis: Die American Academy of Pediatrics nennt Amoxicillin als erste Wahl. Die Infectious Diseases Society of America empfiehlt jedoch Amoxicillin-Clavulansäure. 

Beeinflusst eine Impfung die Antibiotika-Auswahl?

Bei (Gruppe-A-Streptokokken) Pharyngitis (β-hämolysierende Streptokokken der Serogruppe A) würden historisch zwar Schmalspektrum-Antibiotika empfohlen, jedoch wiesen neuere Untersuchungen auf einen zusätzlichen Benefit durch Cephalosporine hin. Begründet wird diese Verschiebung in Richtung Breitspektrum-Antibiotika mit der Impfung gegen Pneumokokken. Es wird angenommen, dass sich der Erreger-Schwerpunkt dadurch weg von den Pneumokokken und hin zu ß-Laktamase-produzierenden Organismen verschieben könnte.  

Unterscheidung zwischen Breitspektrum- und Schmalspektrum-Antibiotika

Ein Breitspektrumantibiotikum wirkt gegen mehrere Spezies von Erregern. Laut „Mutschler Arzneimittelwirkungen“, spricht man dann von Breitspektrum- oder Breitbandantibiotika, wenn „Stoffe gegen eine Vielzahl verschiedener Bakterien – insbesondere gramnegative Stäbchen und grampositive Kokken – aktiv sind“. Amoxicillin wird den Breitspektrum-Penicillinen zugeordnet. Sein Wirkspektrum umfasst das des Penicillin G plus gramnegative Keime und entspricht dadurch der oben genannten Definition für Breitbandantibiotika. Breitspektrum-Penicilline, die auch gegen Betalaktamase-bildende Keime aktiv sind, werden als BLI bezeichnet (Breitspektrum-Penicilline plus Betalactamase-Inhibitoren). In der Studie wurden die untersuchten Antibiotika wie folgt eingeteilt: 

Diagnose Schmalspektrum-Antibiotika in Studie Breitspektrum-Antibiotika in Studie
Akute Otitis media Amoxicillin Amoxicillin-Clavulansäure
Azithromycin
Cefdinir (nicht in Deutschland)
Cefprozil (nicht in Deutschland)
Cefuroxim axetil
Akute Sinusitis Amoxicillin Amoxicillin-Clavulansäure
Azithromycin
Cefdinir (nicht in Deutschland)
Cefprozil (nicht in Deutschland)
Cefuroxim axetil
Gruppe-A-Streptokokken Pharyngitis Penicillin Amoxicillin-Clavulansäure
Amoxicillin Azithromycin
Cefadroxil
Cefdinir (nicht in Deutschland)
Cefprozil (nicht in Deutschland)
Cefuroxim axetil
Cefalexin

Die JAMA-Autoren beziehen sich mit dem Begriff Breitspektrum auf Antibiotika (siehe Tabelle), die neben Pneumokokkus, auch gegen andere Spezies wirksam sind – wie Moraxella catarrhalis, Haemophilus influenzae, und Staphylococcus aureus.

Obwohl Makrolidantibiotika (Azithromycin) zur Behandlung der akuten Otitis media und der akuten Sinusitis nicht empfohlen werden, wurden auch sie in die Studie einbezogen, weil sie dennoch häufig in dieser Indikation zum Einsatz kommen.

In der Studie wurde das klinische Ergebnis der Behandlung retrospektiv an 30.159 Kindern untersucht. 19.179 litten an einer akuten Otitis media, 6746 an (Gruppe-A-Streptokokken) Pharyngitis und 4234 an akuter Sinusitis. 14 Prozent (4307) wurden Breitspektrum-Antibiotika verschrieben, zu denen Amoxicillin-Clavulansäure, Cephalosporine und Makrolide zählten. Dabei zeigte sich für diese Gruppe keine niedrigere Rate an Behandlungsversagen (3,4 % für Breitspektrum-Antibiotika versus 3,1 % für Schmalspektrum-Antibiotika).

Praktische Relevanz in Deutschland

In einer weiteren Kohorte wurden prospektiv zwischen Januar 2015 und April 2016 patientenzentrierte Ergebnisse gesammelt. Von insgesamt 2472 Kindern (1100 mit akuter Otitis media, 705 mit (Gruppe-A-Streptokokken) Pharyngitis und 667 mit akuter Sinusitis) bekamen 35 Prozent (868) Breitspektrum-Antibiotika verschrieben. Dabei zeigte sich, dass Breitspektrum-Antibiotika die Lebensqualität der Kinder leicht verschlechterten (Breitspektrum-Antibiotika erzielten einen Score von 90,2 und Schmalspektrum-Antibiotika einen Score von 91,5). Nebenwirkungen wurden unter den Breitspektrum-Antibiotika häufiger dokumentiert (durch Klinikärzte 3,7 Prozent unter Breitspektrum versus 2,7 Prozent unter Schmalspektrum; durch Patienten 35,6 Prozent unter Breitspektrum versus 25,1 Prozent unter Schmalspektrum.)

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Alle Kinder waren zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren alt. Die Autoren schließen aus den Daten, dass bei Kindern mit akuten Atemwegsinfektionen, Breitspektrum-Antibiotika keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber Schmalspektrum-Antibiotika aufweisen. Stattdessen sind sie mit einer höheren Nebenwirkungsrate assoziiert. Deshalb sollten Schmalspektrum-Antibiotika bevorzugt eingesetzt werden.

Schwächen der Studie

Die Studienautoren schließen nicht aus, dass manche der untersuchten Kinder an einem viralem statt einem bakteriellen Infekt litten, jedoch spiegele dies auch die Verschreibungspraxis im Alltag wieder. Da Kinder, die bereits innerhalb von 30 Tagen zuvor Antibiotika erhalten hatten, nicht in die Studie eingeschlossen wurden, lässt sich keine Aussage darüber treffen, ob diesen Kindern Breitspektrum-Antibiotika nicht vielleicht doch besser geholfen hätten.

Gegenüber Medscape bestätigte Prof. Dr. Arne Simon (2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie und Oberarzt an der Klinik für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie des Universitätsklinikums des Saarlandes) vergangenen Februar den in der amerikanischen Studie geschilderten Trend: Zwar würden Antibiotika-Verschreibungen bei Kindern und Jugendlichen leicht zurückgehen, gerade bei akuten Atemwegsinfekten würden jedoch vermehrt Breitspektrum-Antibiotika eingesetzt werden. Konkret nannte er Cefuroxim, obwohl es in den Leitlinien kein Mittel der ersten Wahl ist.

Ein Ansatz für die Praxis wäre, wie Prof. Simon vorschlägt, sich die Breitspektrum-Antibiotika für die Zweitlinien-Therapie aufzusparen, denn offenbar erleiden Kinder unter Schmalspektrum-Antibiotika nicht häufiger Komplikationen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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