Reaktionen auf das Thesenpapier

Wie viel Reformen braucht das Pharmaziestudium?

Stuttgart - 02.02.2017, 16:00 Uhr

Muss man das Studium grundlegend entrümpeln, so wie es die Studenten fordern? Wir haben Meinungen zu den Wünschen der zukünftigen Apotheker eingeholt. (Foto: eyetronic / Fotolia)

Muss man das Studium grundlegend entrümpeln, so wie es die Studenten fordern? Wir haben Meinungen zu den Wünschen der zukünftigen Apotheker eingeholt. (Foto: eyetronic / Fotolia)


Das Thesenpapier des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden hat die Diskussion um eine Entrümpelung des Studiums in jedem Fall bereichert und beflügelt. Zwar stoßen nicht alle Vorschläge bei  jedem auf Zustimmung, grundsätzlich wird die Initiative der Studenten aber positiv bewertet. Wir haben einige Reaktionen gesammelt. 

Ist das Pharmaziestudium noch zeitgemäß? Sollte man die pharmazeutische Kompetenz ausbauen, vielleicht zulasten der Chemie? Die Lehrinhalte sind bereits seit längerem Gegenstand heftiger Diskussionen. Die Verabschiedung des Perspektivpapiers 2030 hat das Ganze noch befeuert. Die Pharmaziestudierenden haben nun vor kurzem ihre Vorstellungen und Wünsche in einem Thesenpapier konkretisiert. Das basiert auf Diskussionen der Arbeitsgruppe Zukunft des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden (BPhD) und einer Umfrage, die die Arbeitsgruppe durchgeführt hat. 

Ethik und Scientific English stehen auf der Wunschliste

So wünschen sich die zukünftigen Apotheker vor allem eine Ausweitung der pharmazeutischen Kompetenz. Außerdem stehen unter anderem Scientific English, Ethik und mehr Möglichkeiten zur Individualisierung auf der Wunschliste. Abstriche könne man hingegen in den Bereichen Arzneimittelanalytik und Arzneistoffanalytik hinnehmen. Um das Studium zu entzerren und auch mal Raum für ein externes Praktikum zu bieten, sollte die Regelstudienzeit zudem um mindestens ein Semester verlängert werden, findet der BPhD.

Auch wenn sicher nicht alles, was in dem Thesenpapier vorgeschlagen wird, auf breite Zustimmung stößt, eines ist den Studierenden damit auf jeden Fall schon einmal gelungen: Sie haben Schwung in die Diskussion um das Pharmaziestudium gebracht. Wie sind denn so die Reaktionen darauf? DAZ-Chefredakteurin Dr. Doris Uhl hat Apotheker aus der Hochschule, der Offizin und der Krankenhausapotheke sowie die für die Ausbildung zuständige ABDA-Geschäftsführerin, Dr. Christiane Eckert-Lill, für die aktuelle Ausgabe der DAZ um ein Meinungsbild gebeten. 

Studium entrümpeln?! 

Der BPhD will Lehrinhalte überarbeiten und die Approbationsordnung ändern. Was genau die Studierenden ändern möchten, lesen Sie hier. 

Radikalumbau oder alles im Rahmen der bestehenden Studienordnung?

Grundsätzlich wird die Initiative der Studierenden, sich mit der Thematik zu befassen, als positiv bewertet. Insbesondere für die Methodik ernten sie einiges Lob und Anerkennung. So findet es Professor Ulrich Jaehde, klinischer Pharmazeut aus Bonn, zum Beispiel „bemerkenswert“, dass die Thesen nicht nur auf der Meinung einzelner, sondern auf einer Umfrage basieren, an der 1827 Studierende und PhiPs (Pharmazeuten im Praktikum) aller Studienorte teilgenommen haben. Auch dass die Studierenden nicht nur allgemeine Forderungen stellen, sondern auch Verbesserungsvorschläge machen und diese auch begründen, hält Jaehde für gelungen. Professor Theo Dingermann aus Frankfurt, der als Emeritus Wert darauf legt, den Prozess nur interessiert zu beobachten, aber nicht zu bewerten, ist „positiv überrascht“, wie er sagt. Das Papier sei originell und durchaus kreativ. Auch Dingermann lobt die „empirische Genese“ des Papiers. Dr. Christiane Eckert-Lill zollt dem Vorgehen der Studierenden hohen Respekt. Es sei eine Leistung, neben dem Studium dieses komplexe Thema so strukturiert anzugehen, sagt sie im Interview mit der DAZ.

„Hoher Respekt!“

ABDA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Eckert-Lill nimmt Stellung zu Forderungen der Studenten. Das vollständige Interview finden Sie hier (vollständige Statements jeweils nur für DAZ-Abonnenten).

Doch wie sieht es mit den Inhalten aus? Muss grundlegend entrümpelt und erneuert werden oder birgt die bestehende Approbationsordnung genug Spielraum, um die Pharmazie zukunftsfit zu machen? Hier gehen die Meinungen weiter auseinander. Professor Martin Smollich, der an der Praxishochschule in Köln lehrt ist der Meinung, es brauche einen radikalen Umbau von Studium und Berufsbild. Nur so könne sich der pharmazeutische Berufsstand mittel- und langfristig jenseits von Rabatt- und Kosmetikaktionen etablieren. Gerade vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils sei dies offensichtlich, erklärt Smollich.

PD Dr. Martin Hug, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Freiburg, hingegen hält die derzeitige Ausbildung für zielführend. Das Studium sei besser als sein Ruf, findet Hug. Man müsse lediglich im Grundstudium einen besseren Bezug zum späteren Beruf herstellen – hier sieht er als Krankenhausapotheker und Hochschullehrer die Hochschullehrer, inklusive sich selbst, in der Pflicht. Einer neuen Studienordnung bedarf es dafür seiner Meinung nach nicht. 

„Der Studiengang besser ist als sein Ruf"

sagt Krankenhausapotheker PD Dr. Martin Hug zum Thesenpapier des BPhD in seiner Stellungnahme in der DAZ. 

Offizinapothekerin Andrea Hug sieht ebenfalls Defizite bei der Vermittlung des Praxisbezugs im Grundstudium. Ihrer Erfahrung nach sei aber fundiertes Wissen die Basis für eine respektvolle Zusammenarbeit, beispielweise mit den ärztlichen Kollegen. Die Zeit, Grundlagen aufzuholen, sei aber später nicht mehr gegeben. 

„Grundsätzlich erfreulich, aber ..."

findet Apothekerin Andrea Hug, die in der Offizin tätig ist, die Vorschläge des BPhD. Ihre Stellungnahme lesen Sie hier. 

Die Approbationsordnung sollte zumindest auf den Prüfstand

Jahede hält die „Stärkung der Flexibilität zur Gewährleistung der Aktualität der Lehrinhalte“ für eine der zentralen Botschaften des Thesenpapiers. Gewisse Anpassungen lassen sich nach seiner Ansicht, innerhalb der bestehenden Approbationsordnung vornehmen – und sind auch notwendig. Allerdings sei es nach 15 Jahren an der Zeit, diese selbst auf den Prüfstand zu stellen, findet der klinische Pharmazeut. 

„Bemerkenswertes Thesenpapier"

meint Prof. Dr. Ulrich Jaehde. Seine Stellungnahme finden Sie hier. 

Auch Prof. Dingermann sieht zumindest für etliche der – in seinen Augen wohldosierten – Forderungen realistische Chancen, sie im Rahmen der aktuellen Approbationsordnung anzupassen.

„Positiv überrascht"

ist Prof. Dr. Theo Dingermann vom Thesenpapier. Sein Statement lesen Sie hier. 

Aus Eckert-Lills Aussagen spricht viel Pragmatismus. Sie thematisiert unter anderem den Zeitaspekt einer Novellierung der Ausbildungsordnung. Eine Änderung sei ein langwieriger Prozess. Deswegen plädiert die ABDA-Geschäftsführerin für den Bereich Pharmazie dafür, bei Dingen, die schnell in die Gänge kommen müssen, den bestehenden Gestaltungsspielraum zu nutzen. Nichtsdestotrotz müsse die Approbationsordnung mit Blick auf das Perspektivpapier unter die Lupe genommen und ergebnisoffen geprüft werden, ob die Inhalte noch zeitgemäß sind oder ob Änderungsbedarf besteht.

Doch es gibt auch schon Konkreteres: So wird in den kompetenzorientierten Lernzielkatalog Pharmazie der Bundesapothekerkammer, der unter anderem mit den Studenten diskutiert wird, sicher auch das Thesenpapier einfließen, prognostiziert Eckert-Lill. Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft hat ebenfalls angekündigt, sich mit den Studenten an einen Tisch zu setzen – ganz unabhängig vom Thesenpapier. Aber die Vorschläge der Studenten werden dort sicher ein Thema sein.

Studenten der Gesundheitsberufe gemeinsam für Reformen

Alleine sind Pharmazeuten mit ihrem Wunsch nach einer Entrümpelung des Studiums übrigens nicht. Auch die Studierenden in anderen „gesundheitsbezogenen Studiengängen“, wie Medizin oder Psychologie, wünschen sich beispielsweise mehr Praxisnähe und eine bessere Vernetzung der Berufe bereits im Studium. Was Letzteres betrifft ist der Nachwuchs jetzt mit gutem Beispiel vorangegangen. Der BPhD hat mit den Vertretern sechs anderer „gesundheitsbezogener Studiengänge“ eine gemeinsame Stellungnahme herausgegeben, in der sie Reformen in den beteiligten Studiengängen fordern und gleichzeitig Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung aufzeigen. Mitzeichner sind der Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden, der Bundesverband der Zahnmedizinstudenten, die Konferenz der Medizintechnikfachschaften, die Psychologie Fachschaften-Konferenz, die Studierenden im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen sowie die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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