Feuilleton

Nostalgie versus Naturschutz

Mit Pflanzen färben und heilen – Sinn und Unsinn*

* Herrn Prof. Dr. Ewald Sprecher in kollegialer Verbundenheit mit den besten Wünschen zum 90. Geburtstag gewidmet.

Klatschmohn Färberpflanze und im Arzneibuch monografierte Arzneipflanze, aber ohne nennenswerte pharmakologische Wirkung.  Foto: Ulf Dressen – Fotolia.com

Nicht alle naturverbundenen Menschen begrüßen den derzeitigen Trend zur Nutzung natürlicher Substanzen anstelle synthetischer Materialien, denn die "Liebe" zur Natur schädigt nicht selten die Natur. So wird den Studierenden der Pharmazie aus Gründen des Arten- und Naturschutzes seit Jahren davon abgeraten, ein eigenes Herbarium anzulegen.

Auch wenn nostalgisch veranlagte Personen dazu animiert werden, Textilien mit selbst zubereiteten Pflanzenfarben zu färben, wie es in über einem Dutzend Anleitungsbüchern geschieht [1 – 12], erscheint dies bedenklich. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, die seit dem 5. Juni 1992 in Kraft ist.

Beim Färben mit Pflanzen müssen zwei Fakten berücksichtigt werden: Es dürfen

1. keine Pflanzen gesammelt und verwendet werden, die unter Arten- oder Naturschutz stehen, und

2. beim Färbungsprozess keine toxischen Beizmittel verwendet werden.

Bezüglich Punkt 1 sind – mit einer Ausnahme – bei den zitierten Anleitungen aus den Jahren 1977 bis 2010 keine groben Verstöße festzustellen. Bei der Anleitung "Färberpflanzen" von Prinz [10] wird allerdings auf Arten- und Naturschutz keine Rücksicht genommen.


Beizen


Aus färbetechnischer Sicht sind die pflanzlichen Farbstoffe in drei Gruppen zu unterteilen. Direkt aufziehende (substantive) Farbstoffe benötigen keine Hilfsmaßnahmen, um sich mit den Fasern zu verbinden. Küpenfarbstoffe müssen zuerst reduziert und damit wasserlöslich gemacht werden. Nach dem Aufziehen wird der eigentliche Farbstoff durch Luftoxidation gebildet. Adjektive Farbstoffe, zu denen die meisten Pflanzenfarbstoffe gehören, benötigen eine Vorbehandlung – das "Beizen" – der Textilfasern, um eine Bindung des Farbstoffs an die Faser – das "Aufziehen" – zu erreichen.

Als unbedenkliche Beizmittel können Alaun (Kaliumaluminiumsulfat), Essigsaure Tonerde (Aluminiumacetat), Eisensulfat, Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) und Tannin(e) verwendet werden.

Was den 2. Punkt angeht, zeigt die Literatur ein differenzierteres Bild: In der Anleitung von Jentschura [6] werden als Beizen nur Alaun und Weinstein herangezogen. Bei Fischer [4] und Meier [8] sind ebenfalls nur unbedenkliche Beizmittel angegeben. Arendt [1] verwendet durchweg Alaun und nennt nur ausnahmsweise einmal Zinnsalze. Bei Jörke [7] wird leider auch Zinnchlorid als Beize einbezogen; van Vrande [12] gebraucht neben unbedenklichen Stoffen das sehr toxische Kaliumdichromat. Außer diesem Chrom(VI)-Salz bedienen sich Schneider [11] noch mit Kupfersulfat und Milner [9] noch mit Zinnchlorid. Bächi-Nussbaumer [2], Berger [3], Hentschel [5] und Prinz [10] gebrauchen sogar alle drei toxisch bedenklichen Beizmittel, nämlich Zinnchlorid, Kupfersulfat und Kaliumdichromat. Diese dürfen nicht in das Abwasser gelangen und sind als Sondermüll zu entsorgen, was jeder Hobbyfärber wissen und auch befolgen müsste. Wie er das durchzuführen hat, sollte in der zitierten Literatur ausführlich und nachvollziehbar dargestellt werden, es geschieht aber leider nur bei Bächi-Nussbaumer [2] und Berger [3].

  • Zinn(II)-chlorid (SnCl2) ist gut wasserlöslich, giftig und wirkt als Substanz oder in Form konzentrierter Lösungen Haut- und Schleimhaut verätzend. Auf Fische und Wasserflora wirkt es toxisch.

  • Kupfersulfat (CuSO4), früher auch als Kupfervitriol bezeichnet, ist als blassblaues Pentahydrat leicht wasserlöslich, wirkt giftig auf Säugetiere, Wasserflora und Wasserfauna, verursacht Schleimhaut- und Augenreizungen und kann die Luftwege irritieren.

  • Kaliumdichromat (K2 Cr2 O7) ist wie alle Chrom(VI)-Verbindungen stark toxisch, verursacht Kontaktallergien und wirkt mit großer Wahrscheinlichkeit mutagen und kanzerogen.

Nach der gültigen Abwasserverordnung betragen die Grenzwerte für Zinn 2 mg/l, für Kupfer und Chrom je 0,5 mg/l.

Seit der damals 18-jährige Student William Henry Perkin um 1856 im Labor von August Wilhelm Hofmann das Mauvein, den ersten Anilin-Farbstoff, herstellte, wurden tausende solcher und weiterer Farbstoffe entwickelt und synthetisiert, die den etwa zwei Dutzend natürlichen Farbstoffen in Qualität, Wirtschaftlichkeit, Lichtechtheit, Waschbeständigkeit, Reproduzierbarkeit der Farbtönung etc. deutlich überlegen sind. Es besteht also keine Notwendigkeit, heute noch mit den "schönen, guten, alten, biologischen, gesunden" Färberpflanzen der Mutter Natur zu arbeiten. Sie sollten zum Schutz der Natur auch in ihrem Lebensraum verbleiben.

Und wenn nun die stereotype Bemerkung kommt, die biologischen, natürlichen Farbstoffe seien harmlos und bekömmlich, die chemischen dagegen bedenklich bis giftig, so muss daran erinnert werden, dass die farbgebenden Stoffe der Pflanzen ebenso chemische Stoffe sind wie die synthetischen Farbstoffe. In beiden Fällen sind es organische Moleküle. Einige der natürlichen Vertreter sind sogar stark giftig, und andere verfügen über ein beträchtliches allergenes Potenzial.

Bekanntlich können natürliche Farbstoffe wie Indigo oder der Antike Purpur heute synthetisch gewonnen werden, was nebenbei bemerkt Millionen von Purpurschnecken das Leben gerettet und auch zur Demokratisierung machtbesessener Purpurträger beigetragen hat.

Sind Färberpflanzen Heilpflanzen?

Gelegentlich wird geäußert, dass alle Färberpflanzen auch Heilpflanzen seien und wenn man das oben zitierte Buch von Prinz [10] durchblättert, scheint diese Behauptung bestätigt zu werden. Doch sollte man wissen, dass kaum eine auffällige Pflanze bzw. Färberpflanze existiert, die nicht in eine ethnobotanische Mystik eingebunden ist und dass dabei nicht zwischen homöopathischer und allopathischer, phytotherapeutischer Anwendung unterschieden wird. Phytopharmaka sind Arzneimittel, die aus Heilpflanzen-Zubereitungen gefertigt werden und einer rationalen oder zumindest traditionellen Therapie dienen. Nicht zu den Phytopharmaka zu zählen sind einerseits homöopathische Mittel und andererseits isolierte pflanzliche Sekundärstoffe wie Alkaloide oder Glykoside.

Daher erscheint es sinnvoll, die 117 von Prinz besprochenen Färberpflanzen mit den Stammpflanzen oder Pflanzendrogen zu vergleichen, die im Homöopathischen Arzneibuch bzw. im Europäischen Arzneibuch monografiert sind (siehe Tab.). Von den 117 Färberpflanzen werden aktuell 24 nicht zur Herstellung homöopathischer Zubereitungen benutzt. Von den verbleibenden 93 Färberpflanzen sind im Europäischen Arzneibuch nur ein Drittel (39 von 117 = 33%) und im Standardwerk "Teedrogen und Phytopharmaka" von Wichtl [15] immerhin knapp die Hälfte (52 von 117 = 44,5%) zu finden.


Färberpflanzen oder deren Pflanzenteile, die im Homöopathischen Arzneibuch (HAB) oder im Europäischen Arzneibuch
(Pharm. Eur.) monografiert sind [13, 14]

Im HAB
In der Pharm. Europaea
Im HAB
In der Pharm. Europaea
Achillea millefolium
Millefolii herba (Schafgarbenkraut)
Juglans regia
--- * (Walnussblätter)
Aesculus hippocastanum
--- * (Rosskastanienblätter, -rinde,
-samen)
Juniperus communis
--- * (Wacholderbeeren, -holz)
Agrimonia eupatoria
Agrimoniae herba (Odermennigkraut)
Lawsonia inermis
--- * (Hennablätter)
Alchemilla vulgaris
Alchemillae herba
(Frauenmantelkraut)
Malva sylvestris
Malvae folium (Malvenblätter)
Malvae sylvestris flos (Malvenblüten)
Alkanna tinctoria
--- * (Alkannawurzel)
Matricaria recutita
Matricariae flos (Kamillenblüten)
Arctostaphylos uva-ursi**
Uvae ursi folium
(Bärentraubenblätter)
Olea europaea
Oleae folium (Ölbaumblätter)
Arnica montana**
Arnicae flos (Arnikablüten)
Origanum vulgare
Origani herba (Dostenkraut)
Betula pendula
Betulae folium (Birkenblätter)
Paeonia officinalis
--- * (Pfingstrosenblüten)
Calendula officinalis
Calendulae flos (Ringelblumenblüten)
Papaver rhoeas
Papaveris rhoeados flos
(Klatschmohnblüten)
Capsicum annuum
Capsici fructus (Cayennepfeffer)
Petroselinum crispum
--- * (Petersilienfrüchte, -wurzel)
Centaurium erythraea**
Centaurii herba
(Tausendgüldenkraut)
Prunus spinosa
--- * (Schlehenblüten)
Chelidonium majus
Chelidonii herba (Schöllkraut)
Quercus robur
Quercus cortex (Eichenrinde)
Crocus sativus
Croci stigma ad praeparationes homoeopathicas (Crocus für homöopathische Zubereitungen)
Rhamnus catharticus
--- * (Kreuzdornbeeren)
Curcuma longa
--- * (Curcumawurzelstock)
---
Rhamni purshianae cortex
(Cascararinde)
---
Curcumae xanthorrhizae rhizoma
(Javanische Gelbwurz)
Rheum palmatum
Rhei radix (Rhabarberwurzel)
Cynara scolymus
Cynarae folium (Artischockenblätter)
Ribes nigrum
--- * (Schwarze Johannisbeerblätter)
Digitalis purpurea
Digitalis purpureae folium
(Digitalis-pupurea-Blätter)
Rosa canina
Rosae pseudo-fructus
(Hagebuttenschalen)
Equisetum arvense
Equiseti herba (Schachtelhalmkraut)
Rubus fruticosus
--- * (Brombeerblätter)
Eucalyptus globulus
Eucalypti folium (Eucalyptusblätter)
Salvia officinalis
Salviae officinalis folium
(Salbeiblätter)
Filipendula ulmaria
Filipendulae ulmariae herba
(Mädesüßkraut)
Sambucus nigra
Sambuci flos (Holunderblüten)
Frangula alnus
Frangulae cortex (Faulbaumrinde)
Solidago virgaurea
Solidaginis herba (Goldrutenkraut)
Fraxinus excelsior
Fraxini folium (Eschenblätter)
Taraxacum officinale
Taraxaci officinalis herba cum radice
(Löwenzahnkraut mit Wurzel)
Genista tinctoria
--- * (Färberginsterkraut)
Thymus serpyllum
--- * (Quendelkraut)
Hedera helix
Hederae folium (Efeublätter)
Hedera helix ad praeparationes homoeopathicas (Efeu für homöopathische Zubereitungen)
Trigonella
foenum-graecum
Trigonellae foenugraeci semen
(Bockshornkleesamen)
Humulus lupulus
Lupuli flos (Hopfenzapfen)
Urtica dioica
Urticae folium (Brennnesselblätter)
Hypericum perforatum
Hyperici herba (Johanniskraut)
Hypericum perforatum ad praeparationes homoeopathicas (Johanniskraut für hom. Zubereitungen)
Vaccinium myrtillus
Myrtilli fructus recens
(Frische Heidelbeeren)
Myrtilli fructus siccus
(Getrocknete Heidelbeeren)
Inula helenium
--- * (Alantwurzelstock)
Verbascum densiflorum
Verbasci flos
(Königskerzenblüten, Wollblumen)
Isatis tinctoria
Isatidis radix (Färberwaidwurzel)
Vitis vinifera
----

* Im "Wichtl" [15] unter einem ähnlichen oder abweichenden Namen enthalten ** Artenschutz


Wie jeder Pharmazeut weiß, ist das Arzneibuch nur für die Qualität der beschriebenen Pflanzen und Pflanzenteile verantwortlich und nicht für deren Wirkung. So ist im Arzneibuch beispielsweise eine Monografie Papaveris rhoeados flos (Klatschmohnblüten) zu finden, obwohl die roten Blütenblätter sich nicht durch potente Wirkstoffe wie Opiumalkaloide auszeichnen. Vielmehr werden sie benutzt, um Teemischungen farblich aufzupeppen. Da sie auch in einer arzneilich gebrauchten Teemischung enthalten sein können, muss ihre Qualität und Reinheit in einer Arzneibuchmonografie festgeschrieben sein.

Eine Monografie für eine Pflanze oder einen Pflanzenteil wird dann erstellt und in das Europäische Arzneibuch aufgenommen, wenn das Objekt oft und vielseitig gebraucht wird und von den nationalen und europäischen Arzneibuchkommissionen diskutiert, bearbeitet und für notwendig befunden ist. Das ist aber nicht immer gleichzusetzen mit einer nachgewiesenen pharmakologischen Wirkung. Die molekularen Wohltäter der heilenden Färberpflanzen oder färbenden Heilpflanzen sind meistens Flavonoide (einschließlich Anthocyanidine), Carotinoide, Anthrachinone und Gerbstoffe. Doch sind die enthaltenen Wirkstoffmengen stark schwankend und reichen u. U. nicht aus, um einen therapeutischen Erfolg durch "Färberpflanzentee-Trinken" zu erzielen.

Hier sollte man den pflanzlichen Fertigarzneimitteln vertrauen, die fachgemäß zubereitet, von gleichbleibender, kontrollierter Qualität und mit den notwendigen Informationen versehen sind.

Die dazu benötigten Pflanzen stammen aus Wildsammlungen, wenn die Pflanzen in der Natur sehr zahlreich zur Verfügung stehen. Fast die Hälfte der phytotherapeutisch verwendeten Pflanzen kommen aus Pflanzenkulturen, die angelegt werden, wenn die Pflanzen unter Naturschutz stehen oder wenn ein sehr großer Bedarf an ihnen besteht.


Literatur

[1] Arendt, Helena: Werkstatt Pflanzenfarben: Natürliche Malfarben selbst herstellen und anwenden. AT-Verlag, Aarau 2010.

[2] Bächi-Nussbaumer, Erna: So färbt man mit Pflanzen, 4. Aufl. Verlag Paul Haupt, Bern u. a. 1996.

[3] Berger, Dorit: Färben mit Pflanzen. Ökobuch, Staufen im Breisgau 2006.

[4] Fischer, Dorothea: Wolle und Seide mit Naturstoffen färben: leuchtende Farben ohne giftige Zusätze. AT-Verlag, Aarau 1999.

[5] Hentschel, Kurt: Wir färben mit Pflanzen. Webe mit Verlag, 1977.

[6] Jentschura, Eva: Pflanzenfärben ohne Gift, 2. Aufl. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1995.

[7] Jörke, Renate: Färben mit Pflanzen, 8. Aufl. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1995.

[8] Meier, Günter: Pflanzenfarben. Verlag am Goetheanum, Dornach 1994.

[9] Milner, Ann: Handbuch der Färbetechniken. Verlag Paul Haupt, Bern u. a. 1996.

[10] Prinz, Eberhard: Färberpflanzen – Anleitung zum Färben, Verwendung in Kultur und Medizin. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 2009.

[11] Schneider, Gudrun: Färben mit Naturfarben. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1986.

[12] van Vrande, Iet: Wolle färben mit Naturfarben, 2. Aufl. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1982.

[13] Europäisches Arzneibuch, 7. Ausgabe einschließlich 3. Nachtrag.

[14] Homöopathisches Arzneibuch 2011.

[15] Wichtl, Max (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka, 5. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2009.

Autor

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-Naumann-Str. 33,

76187 Karlsruhe

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info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 47, S. 102

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