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Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft: Fachgruppen Pharmazeutische Chemie und Ar

Vom 2. bis 4. März 1998 fand in Tübingen die erste gemeinsame Tagung der Fachgruppen Pharmazeutische Chemie und Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik der DPhG sowie der Fachgruppe Medizinische Chemie der GDCh zum Thema "Stereochemische Reinheit von Arzneistoffen aus pharmakologischer, synthetischer und analytischer Sicht" statt. Die zweifelsfreie Bestimmung der Enantiomerenzusammensetzung und der absoluten Konfiguration sind wichtige Aufgaben bei der Synthese, Charakterisierung und Anwendung von Arzneistoffen.

Chiralität und biologische Wirkung Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch den Präsidenten der DPhG, Prof. Dr. H. P. T. Ammon, und die Vorsitzenden der jeweiligen Fachgruppen, Prof. Dr. H. Hamacher und Prof. Dr. B. Clement, hielt Prof. Dr. H. J. Roth einen Vortrag über Chiralität und biologische Wirkung, gespickt mit Beispielen aus dem "täglichen Leben" und veranschaulicht mit eigenen Plastiken und Objekten. Der Begriff "Chiralität" leitet sich vom griechischen cheir = Hand ab. Ein Objekt, das mit seinem Spiegelbild nicht zur Deckung gebracht werden kann, ist chiral. Paare spiegelbildlicher Objekte werden als "Enantiomorphe" bezeichnet, Paare spiegelbildlicher Moleküle als "Enantiomere". Entscheidend für ihre Existenz ist das Fehlen interner Symmetrieelemente wie Symmetriezentren oder Drehspiegelachsen. Anstelle relativer Begriffe wie links und rechts ist die Unterscheidung der Konfiguration von Molekülen in der Chemie durch das R- und S-System von Cahn-Ingold-Prelog eindeutig festgelegt. In der Natur existieren nicht nur Paare von Enantiomorphen wie unsere Hände oder Füße, sondern auch enantiomorphe Einzelgänger. So windet sich der Hopfen in Wachstumsrichtung links herum, die Gartenbohne rechts herum. In der Fauna ist beispielsweise das Gehäuse der Meeresschnecke Neptunea despecta linksgewunden, das Gehäuse der Weinbergschnecke meist rechtsgewunden. Enantiomere Einzelgänger auf molekularer Ebene sind z.B. Adrenalin oder die proteinogenen Aminosäuren. Zweidimensionale Objekte wie etwa Buchstaben des Alphabets lassen sich durch die - allerdings verbotene - Bewegung durch die dritte Dimension (den Raum) ineinander überführen. Chirale Moleküle, die selbstverständlich immer dreidimensional sind, können nur in bestimmten Fällen durch eine Bewegung in der vierten Dimension, d.h. der Zeit, ineinander übergehen. Beispiele für dieses Phänomen der zeitlichen Konformationsänderung sind das cis-Decalin und das Spiro[5,5]undecan. Warum besitzen Enantiomere unterschiedliche biologische Wirkungen? Die Organismen sind aus chiralen Molekülen (Aminosäuren, Zuckern etc.) aufgebaut, d.h., in der belebten Welt herrscht Homochiralität. Enantiomere besitzen identische chemische und physikalische Eigenschaften, eine Diskriminierung erfolgt nur in einer chiralen Umgebung. Daher paßt nur ein Enantiomer eines chiralen Liganden optimal an einen Rezeptor, oder eine homochirale Peptidase kann nur ein aus L-Aminosäuren aufgebautes Peptid spalten. Aktive Transportvorgänge und die Metabolisierung von Substanzen erfolgen stereoselektiv. Bei den Arzneistoffen bezeichnet man das wirksame Enantiomer eines Arzneistoffs nach Ariens als "Eutomer", das weniger wirksame, unwirksame oder toxische Enantiomer als "Distomer". Nicht vergessen werden darf, daß auch die Sinneswahrnehmungen wie Geruch oder Geschmack chirale Phänomene sind. Eine umfassende Beschreibung all dieser Vorgänge gibt das kürzlich erschienene Buch "Stereochemie und Arzneistoffe" von Roth/Müller/Folkers.

Stereoselektivität der pharmakologischen Wirkung Prof. Dr. I. Szelenyi von der Arzneimittelwerk Dresden GmbH sprach über pharmakologische und toxikologische Eigenschaften als Basis für den Einsatz von Enantiomeren. Das Bewußtsein um die Stereoselektivität der pharmakologischen Wirkung von Substanzen spiegelt sich nicht zuletzt in der Tatsache wider, daß unter den zehn umsatzstärksten Arzneistoffen lediglich Fluoxetin als Racemat im Handel ist. Der Einsatz nur eines Enantiomers ist unbedingt erforderlich, wenn der eine Antipode die Wirkung des anderen antagonisiert oder starke Nebenwirkungen induziert. So wirkt z.B. R-(-)-Zacoprid anxiolytisch, während S-(+)-Zacoprid anxiogene Aktivität zeigt; (+)-Picenadol ist ein Agonist des µ-Opiat-Rezeptors, (-)-Picenadol ein Antagonist. Während L-Dopa oder S-(-)-Ofloxacin nicht-toxische Substanzen sind, bewirken D-Dopa Agranulozytose bzw. R-(+)-Ofloxacin Neurotoxizität. S-(+)-Ketamin ist ein Anästhetikum, R-(-)-Ketamin ruft Alpträume hervor. Der Wechsel vom Racemat zum enantiomerenreinen Stoff könnte ebenfalls notwendig sein, wenn die Antipoden wie im Falle des Propoxyphens unterschiedliche Wirkungen besitzen. Unterscheiden sich die Stereoisomere in ihrer Wirkstärke, wird der Einsatz nur des aktiveren Antipoden empfohlen. Der Aktivitätsunterschied von Arzneistoff-Enantiomeren ist manchmal nur gering (z.B. Faktor 3 beim Warfarin), kann aber auch über einem Faktor von 1000 liegen (z.B. beim Pindolol). Die Entwicklung eines Stereoisomers als Arzneistoff ist überflüssig, wenn beide Enantiomere identische pharmakodynamische Wirkung besitzen oder sich wie im Falle des Carvedilols in ihrer Wirkung ergänzen. S-Carvedilol ist ein b1-Adrenozeptorenblocker, während das R-Enantiomer über eine Blockade der zentralen a-Rezeptoren eine Vasodilatation hervorruft. Zahlreiche Arzneistoffe sind bereits als reine Enantiomere im Handel bzw. werden derzeit entwickelt. Der Wechsel vom Racemat zum Antipoden ist bei vielen weiteren empfehlenswert. Allerdings führt die Entwicklung optisch reiner Arzneistoffe nicht immer zum Erfolg. Das Dilevalol, das R,R-Diastereomer des Labetalols, ist zwar ein reiner b1-Adrenozeptorenblocker frei jeglicher a1-adrenerger Aktivität, ist aber hepatotoxisch. Das (+)-Enantiomer des Sotalols als reines Klasse-III-Antiarrhythmikum zeigt, verglichen mit dem Racemat, eine erhöhte Mortalitätsrate bei Infarkt-Patienten. Als Anforderungen für einen Wechsel vom Racemat zum reinen Enantiomer faßte Szelenyi zahlreiche Faktoren zusammen. Seitens der Chemie sind dies effektive Synthese sowie die Konfigurationsstabilität der Substanz. Die Verbindung muß eine verbesserte Pharmakodynamik und verminderte Toxizität besitzen. In der klinischen Praxis muß die Substanz nach Halbierung der Dosis den gleichen Effekt bei gleichzeitig verbesserter Verträglichkeit zeigen als das Racemat oder eine höhere Effektivität bei gleichbleibender Verträglichkeit nach Verdopplung der Dosis. Darüber hinaus spielen wirtschaftliche Gründe eine Rolle wie z.B. die generelle Patentierbarkeit, die Verlängerung der Patentlaufzeit oder verbesserte Chancen für das Marketing der Substanz.

Pharmakokinetik von Enantiomeren Enantiomere unterscheiden sich nicht nur in ihren pharmakologischen Effekten, sondern häufig auch in pharmakokinetischen Parametern, d.h. Absorption, Verteilung, Metabolismus und Ausscheidung, wie Priv.-Doz. Dr. J. M. Mayer von der Universität Lausanne an zahlreichen Beispielen erörterte. Pharmakokinetische Unterschiede zwischen Enantiomeren sind eher die Regel als die Ausnahme. Während die Absorption durch passive Diffusion nicht stereoselektiv erfolgt, sind aktive Transportsysteme hoch stereoselektiv. Beispiele für Arzneistoffe, die aktiv resorbiert werden, sind L-Dopa, Methotrexat oder einige b-Lactamantibiotika. Analoge Verhältnisse gelten für die renale Exkretion. Auch hier ist der aktive Transport meist enantiospezifisch. Viele Arzneistoffe binden stereoselektiv an Plasmaproteine, was neben der Verteilung über die glomeruläre Filtration auch die Exkretion beeinflußt. Einige Arzneistoff-Enantiomere reichern sich darüber hinaus in bestimmten Geweben an. So akkumuliert S-Leucovorin in Tumorzellen, und S-Propranolol wird in einigen Geweben selektiv in adrenergen Nervenenden gespeichert. Der stereoselektive Metabolismus zahlreicher Arzneistoffe ist stark ausgeprägt. Von Substratstereoselektivität spricht man im Falle der unterschiedlichen Metabolisierung der Enantiomere zu verschiedenen Produkten. Beispielsweise wird das R-Enantiomer des Antidepressivums Mianserin bevorzugt N-demethyliert, während der S-Antipode hydroxyliert wird. Bei der Produktstereoselektivität entstehen aus einer prochiralen Substanz Stereoisomere. Ein Beispiel hierfür ist das Antiepileptikum Phenytoin, dessen p-hydroxylierter Hauptmetabolit R-Konfiguration besitzt. Auch der extrahepatische Metabolismus beispielsweise des Darmendothels ist stereospezifisch, wie für Verapamil nachgewiesen wurde. Weiterhin kann der Metabolisiererstatus (poor oder extensive metabolizer) der Patienten eine Rolle spielen. Neben chiralen Arzneistoff-Arzneistoff-Wechselwirkungen können Interaktionen zwischen den Enantiomeren einer Substanz deren Pharmakodynamik und Pharmakokinetik verändern. Zusätzlich ist der Einfluß optisch aktiver Hilfsstoffe auf die Resorption zu bedenken.

Aufklärung stereochemischer Strukturen Die Aufklärung stereochemischer Strukturen war Thema des Vortrags von Prof. Dr. A. W. Frahm von der Universität Freiburg. Chemische, spektroskopische und chromatographische Verfahren stehen hierfür zur Verfügung. Bei den chemischen Methoden handelt es sich um Relativ-Verfahren. Die Korrelation der unbekannten Konfiguration einer Verbindung erfolgt entweder durch Überführung der untersuchten Verbindung in eine Substanz mit bekannter absoluter Konfiguration oder durch Überführung einer Verbindung mit bekannter Konfiguration, beispielsweise aus dem Chiral Pool, mit Hilfe stereoselektiver Reaktionen in die zu untersuchende Verbindung. Darüber hinaus können beide genannten Wege zur Darstellung einer gemeinsamen Relaisverbindung genutzt werden. Als spektroskopische Methoden können chiroptische Verfahren, die Röntgenstrukturanalyse und Kernmagnetische Resonanz-(NMR-)Spektroskopie zur Aufklärung der Stereochemie einer Substanz herangezogen werden. Die chiroptischen Methoden umfassen die Polarimetrie, die optische Rotationsdispersion und den Zirkulardichroismus (CD). Dabei gelingt es mittlerweile auch, Fluoreszenz-CD-Spektren und IR-Schwingungs-CD-Spektren zu erzeugen. Die Röntgenstrukturanalyse eignet sich zur Bestimmung der relativen und der absoluten Konfiguration. Letztere läßt sich mit der Schwermetallmethode, die auf der anomalen Streuung an Schweratomen wie z.B. Brom beruht, oder mit der von Hümmer, Weckert und Bordza eingeführten Dreistrahlmethode bestimmen, die ohne die Anwesenheit eines Schweratoms auskommt. Bei der NMR-Spektroskopie werden sowohl homonukleare wie auch heteronukleare Kopplungstechniken eingesetzt. Die chromatographischen Verfahren wie GC, HPLC, DC und CE eignen sich prinzipiell zur Bestimmung der absoluten Konfiguration über die Elutionsreihenfolge an chiralen Adsorbentien und Selektoren, allerdings ist große Vorsicht geboten, um nicht falsche Schlüsse zu ziehen. Anhand eigener Forschungsbeispiele erläuterte Frahm die Möglichkeiten der NMR-Spektroskopie. Die Struktur und Stereochemie der pentaglykosidischen Seitenkette eines spirozyklischen Nortriterpenglykosids aus einer südafrikanischen Hyacinthacee wurde durch die Total Correlation Spectroscopy (TOCSY) Technik ermittelt. Ermittlung der Protonenspinsysteme der fünf Monosaccharide erfolgte durch getrennte 1D-Spektren. Um dann zweifelsfrei die einzelnen 1D-TOCSY-Signalgruppen den zugehörigen Zuckerprotonen zuzuordnen, waren fünf entsprechende 2D-TOCSY-Spektren aufzunehmen, die nachfolgend die Sequenz der koppelnden Wasserstoffkerne sichtbar machten. Das Phänomen der Atropisomerie von 3,8''-verknüpften Biflavonoiden wurde mit Hilfe dynamischer 1H- und 13C-NMR-Messungen sowie mit Hilfe des Koaleszenzverhaltens untersucht. Acht Guaianolide aus Centaurea scoparia, deren Konfiguration nach den Geissmann-CD-Regeln für den n-p*-Übergang nur unzureichend ermittelt werden kann, dienten zur Erweiterung sowie zur eindeutigen Absicherung der Konfigurationsvorhersagemöglichkeiten.

Molecular Modeling Prof. Dr. G. Klebe von der Universität Marburg erläuterte den Einsatz des Molecular Modeling zur Erklärung unterschiedlicher Affinitäten von Stereoisomeren. Enzyme und Rezeptoren sind als chirale Moleküle in der Lage, zwischen Stereoisomeren zu diskriminieren, woraus sowohl unterschiedliche Wirkstärken als auch unterschiedliche Wirkqualitäten resultieren. Mit Hilfe computergestützter Verfahren können diese Zusammenhänge anhand der dreidimensionalen Strukturen verstanden werden. Unbedingte Voraussetzung für eine korrrekte Interpretation der Struktur-Wechselwirkungen ist die Kenntnis einer experimentell bestimmten Struktur, wie z.B. der Kristallstruktur der Proteine mit den Liganden. Grundsätzlich können Stereoisomere analoge Bindungsmodi aufweisen, d.h. beide Antipoden interagieren mit den gleichen Aminosäuren der Proteinbindungstasche. Ein Beispiel hierfür ist ein Sulfanoamid als Hemmer der Carboanhydrase, dessen Enantiomere von den gleichen Aminosäureresten erkannt werden. Die gefundene Affinitätsdifferenz um den Faktor 100 ergibt sich aus einer unterschiedlichen gespannten Konformation der spiegelbildlichen Liganden. Ein Beispiel für alternative, d.h. unterschiedliche Bindungsmodi von Stereoisomeren sind die diastereomeren a- und b-N-Acetylglucosamide, die sich in der Bindungstasche des Lysozyms entgegengesetzt ausrichten. Der Effekt der Stereochemie läßt sich eindrucksvoll am Beispiel des hochaffinen Thrombininhibitors Gyki 14766 (N-Me-D-Phe-Pro-Arg) demonstrieren. Aufgrund der unnatürlichen D-Konfiguration des Phenylalanins besetzt der Phenylring die P3-Bindungstasche in gleicher Weise wie ein Dekapeptid, das nur aus L-Aminosäuren aufgebaut wurde. Moleküle können auch dann analog binden, wenn sie sich in ihrem Molekülgerüst unterscheiden. So werden Thiorphan und retro-Thiorphan, das eine inverse Peptidbindung besitzt, in gleicher Weise im Enzym koordiniert. Molecular Modeling kann nicht nur zur Erklärung unterschiedlicher Bindungsaffinitäten, sondern auch zur Verdeutlichung stereoselektiver Reaktionen herangezogen werden. So läßt sich beispielsweise die enantioselektive Hydrolyse chiraler Ester aus den mit ebenfalls chiralen Phosphonat-Analoga des Übergangszustands gewonnenen Kristallstrukturen erklären und die kinetischen Unterschiede verstehen.

Entwicklung chiraler Wirkstoffe aus Sicht der Zulassungsbehörde∑ Dr. K. Olejniczak von Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Berlin erläuterte die Anforderungen an präklinische und klinische Prüfungen chiraler Wirkstoffe. Zulassungsrechtliche Anforderungen sind in den "Notes to Applicants", den "Rules Governing Medicinal Products", den Empfehlungen der Food and Drug Administration der USA, den Mitteilungen "Chirale Wirkstoffe in Arzneimitteln" der Schweizer Zulassungsbehörde sowie den Richtlinien zur Entwicklung von Arzneistoffstereoisomeren der kanadischen Behörden dargelegt. Rein formell ist darauf zu achten, daß eine einheitliche Nomenklatur für die Substanzen verwendet wird, insbesondere bezüglich der Zuordnung der R- oder S-Konfiguration. Aus dem Zulassungsantrag muß weiterhin klar hervorgehen, ob und mit welchem Stereoisomer die Tier- und Humanstudien durchgeführt wurden. Klare Informationen über die Reproduzierbarkeit des Stereoisomerenverhältnisses der Stubstanzen bei der Herstellung, über toxikologische, pharmakologische und pharmakokinetische Eigenschaften sowie über die Extrapolierbarkeit präklinischer Daten insbesondere bezüglich der Unterschiede der untersuchten Tierspezies müssen vorliegen. Im Verlauf der Herstellung und während der vorgeschlagenen Laufzeit darf darüber hinaus keine unakzeptierbare Veränderung der stereochemischen Reinheit auftreten. Die Entwicklung eines Stereoisomers empfiehlt sich nur, wenn die Substanz in vivo weitgehend racemisierungsstabil ist. Ein Negativ-Beispiel hierfür ist Oxazepam, das mit einer Halbwertszeit von wenigen Minuten racemisiert, während die Plasmahalbwertszeit ca. 9 Stunden beträgt. Bei der Entwicklung eines Enantiomers als Arzneistoff müssen alle erforderlichen Studien nur mit dem betreffenden Enantiomer durchgeführt werden. Darüber hinaus ist die Racemisierungsrate zu untersuchen und die Enantiomerenreinheit klar zu definieren. Bei der Entwicklung eines Enantiomers eines zugelassenen racemischen Arzneistoffs können Daten des Racemats teilweise übernommen werden. Die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Profile sind zusätzlich mit dem Enantiomer durchzuführen. Dabei sind enantiospezifische Analysenverfahren anzuwenden. Ergänzende toxikologische "Bridging-Studies" können in einigen Fällen erforderlich sein. Dabei werden zur Extrapolation vergleichende Studien mit dem Racemat und beiden Enantiomeren erstellt. Bei der Entwicklung eines racemischen Arzneistoffs muß die Interkonversion untersucht werden. Dabei sind die pharmakodynamischen Daten bei In-vitro- und bei Tierexperimenten sowohl mit dem Racemat als auch mit den einzelnen Enantiomeren zu studieren. Bei der Erstellung der pharmakokinetischen Parameter sollen enantiospezifische Analysenverfahren zum Einsatz kommen. Die Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz wird anhand des Racemats bestimmt. Darüber hinaus muß stets begründet werden, warum die Zulassung für das Racemat und nicht für ein Enantiomer beantragt wird.

∑und aus Sicht der Industrie Die industrielle Sichtweise erläuterte Dr. M. Locher von der Fa. Asta Medica in Frankfurt/Main. Für die Unternehmen ist von Bedeutung, ob racemische Stoffe, die derzeit in der Entwicklung sind, von den Zulassungsbehörden überhaupt noch akzeptiert werden. Sind bei einem notwendigen Wechsel vom Racemat zum enantiomerenreinen Stoff die mit dem Racemat erhaltenen Daten übertragbar und welche zusätzlichen Untersuchungen sind erforderlich? Dabei orientiert man sich an den Richtlinien der nationalen und internationalen Behörden. Die pharmazeutischen Unternehmen werden einen racemischen Arzneistoff entwickeln, wenn
• beide Enantiomere die gleiche therapeutische Wirkung besitzen,
• unterschiedliche, aber sich ergänzende Aktivitäten aufweisen,
• der inaktive oder weniger aktive Antipode untoxisch ist oder
• in vivo Interkonversion der Enantiomere erfolgt. Zusätzlich spielen wirtschaftliche Gründe wie eine kostenintensive Synthese bzw. Racemattrennung eine Rolle. Bei der Entwicklung eines racemischen Arzneistoffs werden komplette toxikologische Untersuchungen mit dem Racemat sowie eine verkürzte Toxizität mit den Enantiomeren durchgeführt. Ebenso wird die Pharmakokinetik mit Racemat und Enantiomeren bestimmt. Zeigen sich bei beiden Untersuchungen keine oder nur geringe Unterschiede, wird das Racemat weiterentwickelt. Werden in klinischen Studien die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit belegt, wird die Zulassung des Racemats beantragt. Die Entwicklung eines enantiomerenreinen Arzneistoffs ist erforderlich, wenn jeder Antipode eine definierte, unterschiedliche Wirkung besitzt, beide Enantiomere aktiv, eines jedoch toxisch ist, oder nur ein Enantiomer aktiv, das andere aber toxisch ist. Eine weitere Voraussetzung ist die Racemisierungsstabilität in vivo sowie die Entwicklung einer enantioselektiven Bioanalytik. Die weitere Vorgehensweise entspricht der Entwicklung einer neuen Substanz. Beim Wechsel von Racemat zum Enantiomer wird in präklinischen Studien die Toxizität und Pharmakokinetik gegen das Racemat als Kontrolle sowie in der Klinik die Verträglichkeit des enantiomerenreinen Arzneistoffs geprüft. Die allgemeine Tendenz geht eindeutig zur Entwicklung enantiomerenreiner Produkte, da Target-Enzyme und -Rezeptoren sehr spezifisch wirkende Substanzen erfordern. Verbunden mit modernem Drug Design wird diese allgemeine Tendenz durch die Spezialisierung einiger Firmen auf chirale Synthesen unterstützt. Für das Jahr 2000 wird prognostiziert, daß der Anteil enantiomerenreiner Arzneistoffe am Gesamtumsatz des Pharmamarkts weltweit etwa ein Drittel betragen wird.

HPLC-Analytik Zahlreiche Referate befaßten sich mit der Enantiomerenanalytik. In der Hochdruckflüssigchromatographie als einem der "klassischen" Verfahren zur Bestimmung von Stereoisomeren stehen heute zahlreiche chirale Adsorbentien zur Verfügung, wie Frau Dr. K. Cabrera von der Merck KGaA in Darmstadt berichtete. Die Selektoren werden im allgemeinen kovalent an Kielselgel gebunden oder aufpolymerisiert. Vollsynthetische Selektoren sind die optisch aktiven Polyacrylamide und die Donor-Akzeptor-Phasen ("Pirkle-Phasen"). Die stereoselektiven Interaktionen mit den Analyten erfolgen über Wasserstoffbrückenbindungen und p-p-Interaktionen. Die halbsynthetischen Ester- und Carbamat-Derivate von Cellulose und Amylose sind die meistverbreiteten chiralen Phasen. Aufgrund ihrer Fähigkeit zur Bildung von Einschlußkomplexen werden Cyclodextrine und Kronenether kovalent an Kielselgel gebunden. Auch Proteine und Peptide sind chiral und können als Adsorbentien zur Enantiomerentrennung verwendet werden, wie beispielsweise bovines Serumalbumin und a1-AGP oder die makrozyklischen Glykopeptidantibiotika Vancomycin und Teicoplanin. Darüber hinaus sind Liganden-Austausch-Phasen beschrieben. Der große Vorteil der synthetischen chiralen Adsorbentien besteht darin, daß beide Enantiomere hergestellt werden können. Wie Cabrera am Beispiel der S,S- bzw. R,R-Whelk O1®® Phase aufzeigte, kann die Elutionsreihenfolge zahlreicher Arzneistoff-Enantiomere umgekehrt werden. Dies erlaubt die Detektion der Verunreinigung vor dem Peak der Hauptsubstanz. Weitere Vorteile sind die hohe Enantioselektivität gegenüber zahlreichen Substanzklassen, eine hohe Stabilität, der Einsatz im Normalphasen- und Umkehrphasen-Modus sowie der Einsatz zur präparativen Enantiomerentrennung. Die Optimierung einer Trennung erfolgt durch Variation der Zusammensetzung der mobilen Phase, insbesondere des pH-Werts sowie des organischen Modifiers. Die Veränderung der Temperatur kann unterschiedliche Einflüsse haben. Während beispielsweise eine Basislinientrennung der Prominal-Enantiomere erst bei 35ľC erreicht wird, erfolgt die optimale Trennung der Oxazepam-Enantiomere bei 5ľC.

Kapillarelektrophorese Als relativ jüngstes Verfahren zur Enantiomerentrennung stellte Prof. Dr. G. Blaschke von der Universität Münster die Kapillarelektrophorese vor. Bei dieser Methode erfolgt die Trennung der Analyten durch Migration im elektrischen Feld aufgrund unterschiedlicher Ladungsdichten in puffergefüllten Kapillaren. Die Innendurchmesser der Kapillaren liegen üblicherweise im Bereich von 50 bis 100 mm. Einige Vorteile der Kapillarelektrophorese sind die hohe Trennleistung aufgrund des stempelförmigen Flußprofils, die geringen benötigten Substanzmengen sowie die Anwendung zur Analytik polarer Substanzen. Der Einsatz zur Analytik von Arzneistoffen aus Körperflüssigkeiten sowohl zum Drug Monitoring als auch zur Untersuchung der Metabolisierung der Substanzen wurde an zahlreichen Beispielen dokumentiert. So gelang es beispielsweise nach oraler Gabe von Paracetamol nicht nur die Substanz selbst, sondern gleichzeitig auch die Phase-I- und die Phase-II-Metaboliten direkt aus Urinproben zu bestimmen. Die Methode erforderte keinerlei vorgeschaltete Aufarbeitungs- und Reinigungsschritte. Besonderes Augenmerk galt dabei der Analytik des Paracetamolcysteinats und des Paracetamolmercapturats. Die geri

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