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Chemienobelpreis 2001: Die händige Synthese

Der Nobelpreis für Chemie wurde in diesem Jahr an die US-Amerikaner William Knowles und Barry Sharpless und den Japaner Ryoji Noyori vergeben. Sie sind für die Entwicklung der katalytischen, asymmetrischen Synthese ausgezeichnet worden. Ihre Erkenntnisse erleichtern unter anderem die Entwicklung biologisch aktiverSubstanzen. Es geht darum, reine Enantiomere als Arzneistoffe und Chemikalien zu erzeugen. Diese Arbeiten begründen ein Forschungsgebiet, das permanent an Bedeutung gewinnt.

Pasteur war der Erste

Die Chiralität, Händigkeit oder optische Aktivität von Molekülen ist bereits im 19. Jahrhundert erkannt worden. Sie geht auf das genial einfache Experiment zur Symmetrie von Molekülen von Louis Pasteur (1822 bis 1895) zurück. Zu seiner Zeit war bereits bekannt, dass die natürliche vorkommende Weinsäure optisch aktiv ist, indem sie die Polarisationsebene des Lichts nach rechts dreht, während die bei der Weinherstellung entstehende Traubensäure optisch inaktiv ist. Pasteur fütterte Bakterien mit Traubensäure, wobei sich in der Nährlösung die "unnatürliche" linksdrehende Form der Weinsäure anreicherte. Damit zeigte er, dass Traubensäure ein Gemisch von Enantiomeren der Weinsäure ist (Abb. 1) und dass die Bakterien die rechtsdrehende Form der Weinsäure bevorzugen. Enantiomerengemische heißen seither nach der Traubensäure Racemate.

Als Begründer der Stereochemie gelten der lange Zeit in Berlin lehrende Holländer Jacobus van't Hoff (1852 - 1911; Chemienobelpreis 1901) und der Elsässer Joseph Le Bel (1847 - 1930). Unabhängig voneinander entwickelten sie eine Theorie der Tetraederstruktur des Kohlenstoffatoms. Die Chiralität organischer Verbindungen erklärten sie 1874 mit einem asymmetrischen dreidimensionalen Kohlenstoff. Die vier möglichen Substituenten umgeben das Kohlenstoffatom in einer tetraedrischen Anordnung. Bei vier unterschiedlichen Substituenten sind genau zwei spiegelbildliche Anordnungen möglich, die zwei Enantiomere (Abb. 2). Die erste stereoselektive Synthese gelang Emil Fischer (1852 - 1919; Chemienobelpreis 1902) mit der Umsetzung von l-Arabinose mit Blausäure zu l-Mannomononitril.

Symmetrie bestimmt die Welt

Zwar bestimmen die Symmetrieprinzipien aufgrund der physikalischen Erhaltungssätze der Energie, des Impulses und des Drehimpulses die grundlegenden Geschehnisse der materiellen Welt. Doch die Spiegelsymmetrie hat auf der Ebene der Moleküle mitunter fatale Konsequenzen. Denn die händigen Moleküle reagieren chemisch unterschiedlich, wenn sie mit anderen chiralen Substanzen wechselwirken. Arzneistoffe verhalten sich da nicht anders wie die linke Hand, die nur in einen linken Handschuh passt. Die Wirkung einer Substanz beruht auf der richtigen Passform zu den chiralen Rezeptoren. Das Spiegelbild der Substanz passt zum Rezeptor wie die rechte Hand zum linken Handschuh, nämlich gar nicht, und ist wirkungslos - oder sie passt zu anderen Rezeptoren und kann somit schädliche Wirkungen zeitigen.

Klassisches Beispiel dafür ist das Thalidomid oder Contergan. Während das R-Enantiomer ein ausgezeichnetes Sedativum darstellt, bewirkt das l-Enantiomer schwere Wachstumsstörungen an den Gliedmaßen Ungeborener. Die pharmakologischen Eigenschaften der Enantiomere einer Verbindung werden seitdem sehr viel stärker beachtet.

Das erste Beispiel einer enantioselektiven, durch einen Metallkomplex katalysierten chemischen Reaktion wurde 1966 von der Arbeitsgruppe um Noyori beschrieben. Der Enantiomerenüberschuss von 10 Prozent bei der Umsetzung von Styrol mit Ethyldiazoacetat unter Einsatz eines chiralen Kupfer(II)-Komplexes zu 2-Phenylcyclopropansäurethylester war allerdings noch recht bescheiden.

Hydrierung

Nahezu zeitgleich erschien die Arbeit von Knowles zur enantioselektiven Hydrierung von 2-Phenylacrylsäure. Zwei Jahre später gelang dem Mitarbeiter von Monsanto in St. Louis der Durchbruch. Er hatte mit Übergangsmetallen chirale Katalysatoren hergestellt, die aus einem nichtchiralen Substrat ein chirales Produkt machen. Eine wichtige Reaktion bestand in der Hydrierung des Substrats mit elementarem Wasserstoff. Seine Experimente basierten auf löslichen Übergangsmetallkomplexen mit Rhodium als Zentrum und vier Liganden, nämlich drei Triphenylphosphinen und einem Chloratom.

Das geeignete optisch aktive Metall zu finden, war nicht leicht. Es muss schließlich die miteinander reagierenden Substrate binden und, durch die Übertragung der Elektronen des Wasserstoffs, aktivieren. Es wirkt gleichzeitig als Zange und Elektronenreservoir. Damit dies selektiv geschieht, wird das Metall durch geeignete Liganden "gezähmt". Die molekulare Kralle der Ligandenhülle lässt nur ein kleines reaktives Zentrum frei. Findet man so wie Knowles geeignete Ligandenmoleküle, erhält der Komplex chirale Eigenschaften.

Sein Phosphin-Enantiomer lag zwar nur im Überschuss von 15 Prozent vor. Dennoch konnte er damit zeigen, dass die asymmetrische Hydrierung funktioniert. Damit war das Tor zu einem neuen Syntheseweg aufgestoßen. Ein Rhodium-Komplex mit dem Ligand DiPAMP (1,2-Bis-[(2-methoxyphenyl)phenylphosphino]-ethan) erwies sich schließlich als am besten geeignet, Levodopa (3,4-Dihydroxyphenylalanin) mit einer Reinheit von 97,5 Prozent großtechnisch herzustellen (Abb. 3). Die Aminosäure war für Monsanto so interessant, weil der Schwede Arvid Carlsson (Medizinnobelpreis 2000) ihre Eignung für die Parkinsontherapie entdeckt hatte.

Einhundert Prozent

Ryoji Noyori trieb unterdessen die Suche nach generellen Hydrierungskatalysatoren voran. Es gelang ihm, mit einem Komplex aus Rhodium und dem Diphosphin-Liganden BINAP (2,2'-Bis-(diphenylphosphino)-1,1'-binaphthalin) reine Enantiomere zu erzeugen. Diese Entdeckung wurde sofort von der Firma Takasago International genutzt, um l-Menthol im industriellen Maßstab zu produzieren.

Noyori gab sich damit aber nicht zufrieden. Als er Rhodium durch Ruthenium ersetzte, hielt er auf einmal einen vielseitig einsetzbaren Katalysator in Händen. Der Ru(II)-BINAP-Komplex kann zahlreiche Molekültypen mit unterschiedlichen funktionellen Gruppen hydrieren.

Zunächst wurde er verwendet, um (R)-1,2-Propandiol für die industrielle Synthese des Antibiotikums Levofloxacin zu produzieren. Barry Sharpless hat die Erkenntnisse genutzt, um chirale Oxidationskatalysatoren zu entwickeln. Im Gegensatz zur Hydrierung führt eine Oxidierung oft zur Bildung chiraler Moleküle. Unter anderem gelang ihm in den Achtzigerjahren die katalytische asymmetrische Oxidation von allylischen Alkoholen zu chiralen Epoxiden. So oxidierte er (E)-Zimtalkohol (3-Phenylallylalkohol) mit tert. Butylhydroperoxid unter Zusatz eines 1:1-Gemisches von Titan-tetraisopropanolat und (R,R)-Weinsäurediethylester zum chiralen Epoxyalkohol (Abb. 4). Analog oxidierte er Allylalkohol zu dem Epoxid (R)-Glycidol (Epoxypropanol).

Die Sharpless-Epoxidierung wird als eine der wichtigsten Entdeckungen auf dem Feld der Synthesen in den letzten Jahrzehnten betrachtet, denn Epoxide sind wichtige Intermediärprodukte für viele Synthesewege. Aus epoxidiertem Zimtalkohol lassen sich Ibuprofen-Enantiomere synthetisieren. Das Glycidol wird zur Produktion von Betablockern eingesetzt.

Fäustlinge und Gummihandschuhe

Bis vor wenigen Jahren war es nicht möglich, genau vorauszusagen, ob ein Molekül überhaupt chiral ist. Die klassischen Theorien basieren auf der räumlichen Verteilung der Atome im Molekül. Die Elektronen und damit die chemischen Eigenschaften wurden nicht berücksichtigt. Das ändert sich nun. An der Universität Bonn wird mit quantenchemischen Verfahren die Wellenfunktion der Elektronen berechnet und in ein spezielles Programm eingespeist. Damit lässt sich das Chiralitätsmaß eines Moleküls auf einer Skala von 0 (nicht chiral) bis 100 (maximal chiral) bestimmen. Auf Handschuhe übertragen, erhielte man bei einem Fingerhandschuh einen hohen Zahlenwert, bei einem Fäustling nur einen mittleren und bei einem Gummihandschuh, der sowohl rechts als auch links getragen werden kann, einen Wert, der gegen Null geht.

Solche Forschung hat wachsende Bedeutung. Denn enantiomerenreine Produkte nehmen in der Industrie mittlerweile eine Schlüsselstellung ein. Das jährliche Wachstum des Marktes enantiomerenreiner pharmazeutischer Verbindungen liegt bei 20 Prozent. Im Europäischen Arzneibuch von 1997 weisen 353 von 635 Arzneimitteln ein oder mehrere Symmetriezentren auf und sind somit chiral. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis nur noch enantiomerenreine Medikamente zugelassen werden oder bis zumindest die Unbedenklichkeit des anderen Enantiomers nachgewiesen werden muss.

Ausblick

Aminosäuren sind als Speicher stereochemischer Informationen eine wichtige Substanzklasse des chiralen Pools. Ihre Enantiomere bieten die Möglichkeit, stereochemische Informationen in eine breite Palette von Verbindungen einzubauen. Optimal wäre es, sich einfach aus der Natur zu bedienen. Denn die racemische Synthese hat den Nachteil, dass die Hälfte der Produkte überflüssig ist. Und die metallhaltigen Katalysatoren für die asymmetrischen Synthese sind häufig toxisch.

Deshalb werden heute vor allem die stereospezifschen Enzyme auf ihre Eignung zur asymmetrischen Synthese hin untersucht. Interessante enantiomerenreine Produkte sind z. B. die vicinalen Diole (mit benachbarten Chiralitätszentren), die in der HIV-Therapie eingesetzt werden könnten, oder Biaryle wie das Gossypol, dessen (-)-Enantiomer als "Pille für den Mann" diskutiert wurde. Die Anstrengungen beantworten aber nicht die Frage, weshalb die Natur sich so gar nicht symmetrisch geben will und linksdrehende Aminosäuren bevorzugt. Auch da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Abbildungen und Tabellen s. Printausgabe der DAZ

Der Nobelpreis für Chemie wurde in diesem Jahr an die Amerikaner Knowles und Sharpless und den Japaner Noyori vergeben. Ihr Verdienst ist die Entwicklung der katalytischen, asymmetrischen Synthese. Dadurch ist es möglich geworden, reine Enantiomere im industriellen Maßstab herzustellen. Reine Enantiomere spielen in der Pharmazie eine zunehmend wichtige Rolle.

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