Kommentar zum neuen jahr

Die Beste aller (Zyto-)Welten?

München - 03.01.2024, 10:45 Uhr

(Foto: imago images / Future Image)

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Zytoskandale erschüttern die Presse immer wieder. In der Folge werden tiefgreifende Reformen gefordert. Allerdings: Sieht man von einigen laufenden juristischen Auseinandersetzungen ab, deren Ergebnisse voraussichtlich dürftig sein werden, sind wir im ambulanten Bereich weit von einer Neuordnung der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen entfernt. Könnte das auch daran liegen, dass einige grundlegenden Fakten bei den Überlegungen geflissentlich ausgeklammert werden? Dr. Franz Stadler, Beiratsvorsitzender der Stiftung für Arzneimittelsicherheit und früher selbst Leiter einer Zytoherstellung, findet deutliche Worte.

Fangen wir mit einer einfachen Frage an: Warum ist der Bereich der parenteralen Zubereitungen so oft im Fokus der medialen Berichterstattung? Einfache Antwort: Weil es um sehr viel Geld geht. Allein der GKV-Bruttoumsatz belief sich 2022 auf gut 5,3 Milliarden Euro und hatte einen Anteil von fast 10 Prozent am Gesamtmarkt [1]. Dabei betrug der Anteil an den Verordnungsblattzeilen nur 0,5 Prozent, der Markt ist also sehr hochpreisig. Allein schon diese Werte begründen, warum der Markt sehr umkämpft ist.

Das Gerangel fängt bei den Krankenkassen an, die vielfach am liebsten Versorgungen ausschreiben würden – was zwar, zumindest vorübergehend, zu niedrigsten Preisen führen würde, aber viele Qualitätsgesichtspunkte vernachlässigen und vor allem die Mono- und Oligopolbildung hin zu finanzinvestorengestützten Strukturen massiv befördern würde. Am Schluss wären die Verlierer der Ausschreibungen die Patientinnen und Patienten – wie wir bei den zunehmenden Lieferengpässen im generischen Bereich gerade beobachten können.

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Gierig sind aber nicht nur manche Krankenkassen, sondern auch nicht wenige Leistungserbringer untereinander und gegenüber den Produzenten: Groß- und Zwischenhändler, Apotheken, Herstellbetriebe, Kliniken und Ärzte feilschen teils am Rande der Legalität um eine Marge, die in zähen Verhandlungen der pharmazeutischen Industrie abgerungen werden kann, die aber andererseits auch vorhanden sein muss, um überhaupt verhandelt werden zu können.

Mangelnde Transparenz, fehlende Kontrolle

Und hier sind wir bei einem der Hauptprobleme unseres Arzneimittelmarktes: Neueinführungen von patentgeschützten Arzneimitteln sind wahrscheinlich deutlich zu teuer. Das Wort „wahrscheinlich“ weist auf die grundlegenden Probleme der mangelnden Transparenz und der fehlenden Kontrolle bei der Preisbildung hin. Während man bei der forschenden Pharmaindustrie mit Recht stolz auf die neuentdeckten Wirkprinzipien sein darf, ist es für die Shareholder und Betriebswirte darunter wesentlich interessanter, um wie viel sich der Unternehmensgewinn/die Dividende jedes Jahr steigern lässt, als wie viele zusätzliche Menschenleben bei einem optimierten Vertrieb zu retten wären. Erfolg manifestiert sich leider in Gewinnsteigerungen.

Die Tricks der Industrie

Dieser Erfolgshunger hat übrigens auch zur Konsequenz, dass generische Unternehmensteile ausgegliedert werden und deren Verluste/sinkende Gewinne wiederum plakativ als Folge der gesetzgeberischen Regulierungsversuche zur Rettung unseres solidarischen Gesundheitssystems dargestellt werden können. Eine auch bei weltweit agierenden pharmazeutischen Konzernen mögliche Mischkalkulation wird nur von den kleinen inhabergeführten Apotheken verlangt. Klar ist auch, dass diese Pharmakonzerne wenig Interesse an der Finanzierbarkeit des deutschen Gesundheitssystems haben – ganz im Gegensatz zu ihrem großen Interesse an der Aufrechterhaltung eines möglichst langen Patentschutzes für ihre Wirkstoffe/Produkte. Weil im gesamten Gesundheitswesen jeder fast ausschließlich auf seinen Vorteil bedacht ist und nur in Sonntagsreden und während eines direkten persönlichen Kontaktes empathisch mit dem Patienten/Mitmenschen mitfühlt, gilt wohl in vielen Fällen folgender plakativer Satz: Im Gesundheitsbereich ist nicht Geiz, sondern Gier geil.

privat

Apotheker Dr. Franz Stadler hat seine Apotheke längst verkauft, doch unter anderem mit seinen Kommentaren auf DAZ.online kämpft er weiter: gegen die Gier sowie den Sparwahn im Gesundheitswesen – und für die Arzneimittel- und Patientensicherheit. 

Mit seiner Frau hat er die „Stiftung für Arzneimittelsicherheit“ gegründet; zudem hat er das Buch „Medikamenten Monopoly“ geschrieben.

Natürlich tragen auch eine überbordende Bürokratie und zu wenig Detailkenntnisse bei den die Rahmen setzenden Politikern/Beamten zu diversen Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem bei. Würden aber nicht alle Beteiligten hauptsächlich auf ihre eigenen (finanziellen) Vorteile blicken, sondern auch das Funktionieren des Gesamtsystems im Blick haben, wäre das alles zu verschmerzen und könnte mit etwas guten Willen behoben werden.

Was tun?

Was könnte man also tun [2]? Angesichts der überall waltenden Gier müssten wenigstens deren gröbste Auswüchse begrenzt werden. Sowohl im Zytobereich als auch im gesamten Gesundheitssystem muss das Streben nach Gewinnmaximierung inflationsbereinigt gedeckelt werden. Das oft und gerne von den Akteuren für sich selbst geforderte Anreizsystem könnte auch im Sinne der Beitragszahler/Patienten ausgelegt werden und das Gesundheitswesen in eine Art sich selbst regulierendes Rückkopplungssystem umgebaut werden. Grundlage wäre eine volle Kostentransparenz (auch für die Patienten), die angesichts der fortschreitenden Digitalisierung kein Problem darstellen dürfte. Auftretende Defizite könnten dann nach einem vorher festzulegenden Schlüssel auf alle Beteiligten umgelegt werden. Die Patienten wären beteiligt (zu einem geringen Prozentsatz, sozial abgefedert und abhängig von der Inanspruchnahme des Gesamtsystems), die Leistungserbringer (Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten usw.), die pharmazeutische Industrie (je nach ihrem Wertschöpfungsanteil) und auch die Krankenkassen – jeder hätte seinen Anteil am entstandenen Defizit mitzutragen und wäre – jeder für sich – motiviert beziehungsweise incentiviert dieses Defizit nicht zu groß werden zu lassen. Das Verfahren wäre vergleichbar der Nebenkostenabrechnung in einem Mietverhältnis und würde sich im Laufe der Zeit einspielen. In einem solchen System würden nicht allein die Bürger/Patienten über Beitragszahlungen und ihre Steuergelder das Gesundheitssystem und deren jährliche Defizite finanzieren, sondern auch die anderen Profiteure hätten ein Interesse am Funktionieren des Gesamtsystems – zumindest würde die zu beobachtende Selbstbedienungsmentalität und deren ausufernde Kosten eingeschränkt. 

Ausgehend von einigen grundlegenden Betrachtungen im Bereich der parenteralen Zubereitungen und nach einem Parforceritt durch unser Gesundheitssystem stellt sich eine letzte und alles entscheidende Frage: Wenn wir das alles wissen (oder wissen könnten), warum gibt es trotz alledem keine grundlegende Reform? Die simple, aber wahre Antwort lautet (frei nach Slavoj Žižek): Wir denken mehr über die Wahrscheinlichkeit eines Asteroideneinschlages auf der Erde nach als über ein Ende des Kapitalismus und des damit einhergehenden Egoismus.


Quellen:

[1] https://www.gkv-gamsi.de/media/dokumente/quartalsberichte/2022/q4_27/Bundesbericht_GAmSi_202212_konsolidiert.pdf

[2] Das Folgende ist als eine grobe Skizze zu verstehen, die nur die Möglichkeit eines anderen Prinzips darstellen soll. Es wurde etwas ausführlicher in meinem Buch „Medikamenten Monopoly“ (Murmann Verlag, August 2020) vorgestellt.


Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Konsequent zu Ende gedacht

von Michael Mischer am 18.01.2024 um 9:39 Uhr

Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies das Ende der Selbstständigkeit im Gesundheitssystem. Apotheken, aber auch Arztpraxen, etc., sind letztlich Gewerbebetriebe mit Gewinnstreben.
Eine inflationsbereinigte Deckung des Gewinnstrebens klingt nicht nur nach Planwirtschaft, sondern auch nach einer Abschaffung der inhabergeführten Apotheke zugunsten einer (staatlich oder durch das Gesundheitssystem geführten) Versorgungsstation, in der das wesentlich stringenter durchsetzen lässt.
Das kann man richtig finden - sollte es aber auch in aller Klarheit aussprechen. Und offen lagen, dass der Autor damit die Abschaffung eines Systems fordert, von dem auch er in der Vergangenheit profitiert haben dürfte.

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Es fällt schon auf

von Stefan Haydn am 04.01.2024 um 8:54 Uhr

Warum die selbe Tablette im Bereich der Generika beim
Tochterkonzern manchmal 1/3 weniger kostet als bei der Mutter ist schon schwer zu erklären. Richtig übel wird es aber, wenn Importe oder Generikafirmen die einem Originalhersteller angegliedert sind und dessen Tabletten nur in anderem Blister verkaufen teilweise nur 1/5 des Vergleichspreises aufrufen.
Das kann man keinem vernünftig erklären und hiermit torpediert die Pharma-Industrie ihre teils berechtigten Forderungen selbst.

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