Gesundheitspolitik

Pharmaindustrie im Visier der EU-Wettbewerbskommissarin

Nelie Kroes beklagt Verzögerungen beim Markt-Eintritt von Generika

Berlin (ks). In der Europäischen Union kommen Generika oftmals später auf den Markt, als es eigentlich möglich wäre. Zudem entwickelt sich die Anzahl neuartiger Arzneimittel auf dem Markt rückläufig. Zu diesem Ergebnis kommt die Europäische Kommission in ihrem Abschlussbericht über den Wettbewerb im Arzneimittelsektor. Sie will daher weiterhin ein waches Auge auf den Markt halten und schreckt auch nicht davor zurück, kartellrechtlich gegen Unternehmen vorzugehen. Einige Verfahren hat die Kommission bereits eingeleitet.

Für die im Januar 2008 eingeleitete Sektorenuntersuchung wurden von den EU-Wettbewerbshütern 43 Originalpräparatehersteller und 27 Generikaunternehmen unter die Lupe genommen. Auf diese Unternehmen entfallen 80 Prozent des einschlägigen EU-Umsatzes. Für eine eingehende Analyse wurden 219 Wirkstoffe einer Stichprobe unterzogen – sie machten 2007 rund die Hälfte des EU-Gesamtumsatzes mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus. Überprüft wurde der Zeitraum von 2000 bis 2007. Bereits letzten November hatte die Kommission ihren Zwischenbericht vorgelegt (siehe DAZ Nr. 49, 2008, S. 34), dessen Grundrichtung nun vom Abschlussbericht bestätigt wurde.

Kroes: "Mehr Wettbewerb, weniger Bürokratie"

EU-Wettbewerbskommissarin Nelie Kroes beklagte bei der Vorstellung des Berichts am 8. Juli in Brüssel, dass die Industrie "teilweise die Spielregeln nicht einhalte". Immer wieder komme es zu künstlichen Verzögerungen, die sich letztlich auf den Geldbeutel der Patienten und Steuerzahler niederschlagen. Zugleich räumte Kroes ein, dass es nicht auszuschließen sei, dass neben fragwürdigen Unternehmenspraktiken mitunter weitere Faktoren – etwa unzureichende Rechtsvorschriften – für die zu beobachtende Entwicklung verantwortlich seien. "Im Arzneimittelsektor brauchen wir mehr Wettbewerb und weniger Bürokratie", betonte die EU-Kommissarin. Dieser Wirtschaftszweig sei zu wichtig, als dass man sich mit einer anderen als der besten Lösung zufriedengeben könnte. Die Untersuchung habe nun gezeigt, was falsch läuft, und jetzt sei es Zeit zu handeln. "Jede Woche, jeder Monat, um den sich der Markteintritt von Generika verzögert, kostet das Geld von Patienten und Steuerzahlern", betonte Kroes.

Sieben Monate warten auf ein Generikum

Nun steht es also schwarz auf weiß: Die EU-Bürger müssen nach Ablauf des Patentschutzes im Schnitt über sieben Monate auf billigere Generika warten. Das bedeutet für sie Zusatzausgaben von 20 Prozent. Die Verzögerung des Markteintritts von Generika schlage deshalb so spürbar zu Buche, weil Generika bei ihrem Markteintritt durchschnittlich bereits um ein Viertel billiger seien als die Originatoren. Zwei Jahre später liegt ihr Preis sogar um 40 Prozent niedriger. Einen etwas früheren Markteintritt und größere Einsparungen konnten die Wettbewerbshüter allerdings in solchen Ländern beobachten, "die ihre Apotheker, wann immer möglich, zur Ausgabe der billigsten generischen Arzneien zwingen". Deutschland mit seiner hohen Generikaquote dürfte im EU-Vergleich noch recht gut da stehen. Doch Kroes gibt keinesfalls einen Freibrief: "Ich glaube kaum, dass in Deutschland nur Engel in der Pharmaindustrie angestellt sind", sagte sie.

Verzögerungsstrategien der Original-Hersteller

Dass sich der Markteintritt der Nachahmerprodukte verzögert, sei auf vielfältige Instrumente der Originalpräparatehersteller zurückzuführen, mit denen sie eine möglichst lange wirtschaftliche Lebensdauer ihrer Produkte erreichen wollen. So würden Patentstreitigkeiten durchgeführt oder Vereinbarungen mit Generikaherstellern geschlossen, die die Markteinführung von Nachahmerpräparaten bremsen. Schon bei der Art und Weise der Patentanmeldung seien viele Hersteller findig, um einen möglichst langen Schutz zu erreichen. Zu beobachten war zudem die Strategie, etwa 1,5 Jahre vor Ablauf eines Patents für ein viel verkauftes Arzneimittel nur eine minimale Wirkstoffveränderung neu patentieren zu lassen und diese bei Ärzten kräftig als Verbesserung zu bewerben. Das Ziel: Die Patienten sollen auf das Präparat der zweiten Generation umgestellt sein, ehe generische Varianten der ersten Generation auf dem Markt sind. So nimmt es auch nicht wunder, wenn die Untersuchung einmal wieder feststellt, was der Industrie schon lange vorgehalten wird: Die Originalpräparatehersteller setzten zwischen 2000 und 2007 im Schnitt 17 Prozent ihres weltweiten Rx-Umsatzes für Forschung und Entwicklung ein – mit 23 Prozent des Umsatzes floss deutlich mehr in Werbe- und Marketing-Maßnahmen.

Innovationen und Patente von großer Bedeutung

Dennoch: Der Bericht macht auch deutlich, dass Innovationen – selbst schrittweise – von "elementarer Bedeutung" sind. Innovative Arzneimittel hätten es möglich gemacht, dass heute Therapien zur Verfügung stehen, die vor wenigen Jahrzehnten noch unvorstellbar schienen. Ohne die enormen F&E-Aufwendungen der Original-Hersteller wäre dies nicht möglich gewesen. Als Schlüsselelement der Innovationsförderung sieht die Kommission daher die Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums. Zugleich sieht sie es aber kritisch, dass in den vergangenen Jahren weniger neuartige Arzneimittel die Marktreife erreicht haben. Der Markt werde daher weiter untersucht, um alle Faktoren zu ermitteln, die zu diesem Innovationsrückgang beitragen.

Gegen das französische Pharma-Unternehmen Les Laboratoires Servier sowie gegen einige Generika-Hersteller sind bereits Kartellverfahren eröffnet worden. Die Kommission spricht sich darüber hinaus dafür aus, ein Gemeinschaftspatent einzuführen und ein einheitliches europäisches System zur Beilegung von Patentstreitigkeiten zu schaffen, um den Verwaltungsaufwand und die Unsicherheit für Unternehmen zu verringern. Gut 30 Prozent aller Gerichtsverfahren in Patentsachen liefen in mehreren Mitgliedstaaten parallel. Besonders schwierig ist, dass in elf Prozent der Fälle die nationalen Gerichte unvereinbare Urteile erlassen.

In ihrem Abschlussbericht appelliert die Kommission außerdem an die Mitgliedstaaten, Rechtsvorschriften zu erlassen, die die Verbreitung von Generika erleichtern. So sollten etwa die Zulassungsverfahren gestrafft werden.

Pharma-Verbände begrüßen Bericht

Die Verbände der pharmazeutischen Industrie – gleich ob generische oder forschende Hersteller – begrüßten den Bericht der EU-Kommission. Peter Schmidt, Geschäftsführer von Pro Generika, betonte, dass die Mitgliedsunternehmen seines Verbandes die die Innovationskraft der forschenden Pharmaindustrie schätzen und den befristeten Schutz geistiger Eigentumsrechte an echten Innovationen für elementar halten. Dennoch zeige der Bericht überdeutlich Regelungslücken auf, die einen fairen Wettbewerb verhinderten. Das Arzneimittel-Patentsystem dürfe "nicht dazu missbraucht werden, dass sich forschende Arzneimittelhersteller auf Kosten der Patienten auf ihren im Markt befindlichen Produkten ausruhen und die Forschung vernachlässigen". Die Vorschläge der Kommission sollten nun auch in Deutschland "schnellstmöglich in verbindlich geltendes Recht umgesetzt werden", so Schmidt.

Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Cornelia Yzer, freut sich, dass der Endbericht die bedeutende Rolle des innovativen Pharmasektors und seine Forschungs- und Entwicklungserfolge würdigt. Zudem unterstützt der vfa die Empfehlungen der Kommission, das Gemeinschaftspatent mit dem zugehörigen gemeinschaftlichen Patentgerichtssystem voranzubringen. "Die EU-Kommission liefert damit eine Grundlage für eine breite Debatte über die Voraussetzungen für mehr Innovationen und effizientere Generika-Märkte", so Yzer.

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