Gastkommentar

Lieferengpässe und Ausschreibungen – warum unser Wording deutlicher werden muss

München - 21.12.2022, 12:45 Uhr

Unser Arzneimittelmarkt unterliegt seit Jahrzehnten einem marktwirtschaftlichen Monopoly, dessen Folgen wir nun ausbaden müssen, meint DAZ-Gastautor Dr. Franz Stadler. (Foto: Stephan Dinges / AdobeStock)

Unser Arzneimittelmarkt unterliegt seit Jahrzehnten einem marktwirtschaftlichen Monopoly, dessen Folgen wir nun ausbaden müssen, meint DAZ-Gastautor Dr. Franz Stadler. (Foto: Stephan Dinges / AdobeStock)


Apotheker:innen können das aktuelle Politik- und Mediengetöse um die Lieferengpässe nicht mehr hören. Trotzdem müssen sie täglich mit den Folgen der jahrelangen Ignoranz umgehen. Absurditäten wie die Schaffung eines privaten Flohmarkts lenken nur von den eigentlichen Problemen ab. Der Arzneimittelmarkt unterliegt seit Jahren einem marktwirtschaftlichen Monopoly, dessen Folgen wir nun ausbaden müssen, meint Dr. Franz Stadler und fordert endlich Klartext.

Lieferengpässe sind keine Versorgungsengpässe, können aber dazu werden. Dann, aber erst dann, würde es auch im europäischen Ausland nichts mehr geben: kein Paracetamol, kein Ibuprofen, kein Pantoprazol, kein Calciumfolinat usw. 

Lieferengpässe entstehen durch das marktwirtschaftliche Handeln aller Beteiligten – der pharmazeutischen Unternehmen, der Zwischenhändler, der Apotheken und nicht zuletzt der Krankenkassen. Hinzu kommen unvorhersehbare Ereignisse, Fabrikbrände, Krankheitswellen, aber auch mediale Panikmache, die schon mal zum Horten von Fiebersäften in Privathaushalten, vergleichbar der Toilettenpapier-Hysterie im ersten Pandemiejahr, führen kann. Jeder ist sich eben selbst der Nächste.

Rabattverträge sind Ausschreibungen. Das Hauptvergabekriterium dieser Ausschreibungen ist der Preis. Manche Krankenkassen nutzen ihre Marktmacht, die ihnen vom Gesetzgeber verliehen wurde, dazu, nur einem Bewerber den Zuschlag für die Versorgung des entsprechenden Medikaments zu geben, andere vergeben an bis zu fünf „Gewinner“. 

Die restlichen Anbieter werden dadurch für meist zwei Jahre von einem Großteil des Markts ausgeschlossen und drosseln ihre Produktion für Deutschland oder stellen sie ganz ein. Das Angebot wird so automatisch verschlankt und ist störanfälliger als zuvor. Aufseiten der weltweit agierenden pharmazeutischen Unternehmen wird der Konzentrationsprozess auf immer weniger Anbieter forciert. Es entstehen Oligopole und irgendwann Monopole.

Die Krankenkassen sparen durch diese Ausschreibungen im generischen Bereich erhebliche Summen ein, was wiederum die Beitragserhöhungen für ihre Mitglieder erträglicher macht. Deshalb wurde und wird dieses Vorgehen von vielen Wählern und damit von der Politik akzeptiert.

Das eigentliche Problem: Intransparenz!

Die Intransparenz dieses Verfahrens, wie überhaupt die Intransparenz der Preisgestaltung durch die pharmazeutische Industrie für den deutschen Markt, ist das eigentliche Problem. Obwohl der deutsche Markt groß ist und obwohl im patentgeschützten Bereich gut bis sehr gut verdient wird, werden die Gewinne weiter optimiert. Weltweit agierende Großkonzerne schaffen Unterfirmen (ihre Generikaableger), die jeweils für sich betrachtet profitabel sein müssen. Eine Mischkalkulation, wie sie im Apothekenbereich seit Jahren Usus ist, wird so, marktwirtschaftlich korrekt, unterbunden.

Die Politik agiert hilflos, weil sie inzwischen weitgehend hilflos ist. Multinationale Konzerne vergeben nationale Kontingente, die für sich schon preisgesteuert sind. Aber auch wenn diese Zuteilungen zeit- und mengenmäßig korrekt sein sollten, unterliegen sie einem Zwischenhandel, der seinerseits marktwirtschaftlich handelt und Teilmengen zwischen verschiedenen Ländern preisabhängig verschiebt.

privat

Apotheker Dr. Franz Stadler hat seine Apotheke mittlerweile verkauft. Er ist aber weiterhin regelmäßiger Gastkommentator auf DAZ.online, hat zudem im Jahr 2020 das Buch „Medikamenten Monopoly“ herausgebracht und die „Stiftung für Arzneimittelsicherheit“ gegründet.

Jetzt die Preise für die pharmazeutische Industrie per Dekret um 50 Prozent zu erhöhen, mag kurzfristig und zulasten unserer europäischen Nachbarn einige Lieferengpässe beheben. Die strukturellen Rahmenbedingungen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet haben, wird es aber nicht beseitigen. Im generischen Bereich eine europaweite Preisspirale nach oben in Bewegung zu setzen, ist ohnehin nicht sinnvoll.

Die politisch zurzeit oft und gerne wiederholte Forderung nach einer Rückverlagerung der Arzneimittelproduktion nach Europa oder gar nach Deutschland wird dieses Umfeld kaum ändern. Vielleicht wird es die Lieferketten in einigen Jahren bis Jahrzehnten etwas verkürzen, aber das Marktgeschehen in einem Oligopol bleibt das Gleiche.

Notwendig sind folgende Maßnahmen:

  1. Möglichst schnelle Schaffung eines nationalen, rollierenden Arzneimitteldepots, das erstens für genügend Vorrat sorgt (Halbjahresbedarf?), zweitens die Marktmacht gegenüber den Arzneimittelkonzernen über einen Zentraleinkauf erhöht und drittens den transnationalen Zwischenhandel kontrollieren kann. Ein rollierendes System ist dabei zwingend, um logistisch den Verfall der Arzneimittel zu verhindern. Weniger sinnvoll ist es allerdings, diese Aufgabe an die pharmazeutische Industrie zu delegieren.
  2. Ausschreibungen durch die Krankenkassen sind zu untersagen. Sie führen zu Oligopolen und einer Angebotsverknappung.
  3. Transparenz bei der Preisgestaltung mit dem Ziel angemessener Preise für alle Beteiligten ist zwingend. Dies muss in Zuge des Zulassungsverfahrens EU-weit gefordert und durchgesetzt werden.
  4. Mittelfristig könnte über eine staatliche Produktion der wichtigsten Arzneimittel und Wirkstoffe für die Grundversorgung nachgedacht werden.
  5. Auf EU-Ebene sollten kartellrechtliche Schritte geprüft werden, um weitere Fusionen im Arzneimittelsektor zu verhindern.

Arzneimittel sind ein besonderes Gut, das nicht nur marktwirtschaftlichen Regularien unterworfen sein darf. Versorgungssicherheit als Teil der Arzneimittelsicherheit und ein angemessener Preis sollten die gemeinsamen Ziele für alle sein.

Stiftung Arzneimittelsicherheit

Anfang 2021 hat das Apotheker-Paar Franz und Beatrix Stadler nach dem Verkauf einer Apotheke die „Stiftung für Arzneimittelsicherheit“ ins Leben gerufen. Ihr Ziel: die Patientensicherheit wieder zu einem Kernthema in der Apothekerschaft zu machen. Die Stiftung veranstaltet dazu Vortragsreihen in Zusammenarbeit mit dem House of Pharma and Healthcare. Zudem verlieh sie dieses Jahr erstmals den Ulrich-Schwabe-Medienpreis. Mit diesem sollen journalistische Arbeiten gewürdigt werden, die sich abwägend den komplexen und schwierigen Themen der Arzneimittelsicherheit widmen. Nicht zuletzt fördert die Stiftung Studien und Projekte zu diesem Thema. 

Doch eine Stiftung braucht auch Förderer:innen. In einem Weihnachtsbrief wenden sich Stadler und sein Beirat daher aktuell an alle an der Stiftungsarbeit Interessierten. Wer mehr erfahren will oder direkt online spenden will, findet in dem Brief oder auf der Webseite weitere Informationen. 

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Buchtipp

1. Auflage 2020 – Murmann Publishers – 220 S., 159 x 17 mm – Kartoniert

von Franz Stadler

Medikamenten-Monopoly

Die unheilvolle Welt der Arzneimittelgeschäfte

Der sorglose, fast spielerische, von Geldgier getriebene Umgang, also das Medikamenten Monopoly, bedroht zunehmend die Sicherheit unserer Arzneimittelversorgung. Das ist die Kernthese des kürzlich im Murmann-Verlag erschienen gleichnamigen Buchs von Dr. Franz Stadler.

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Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Schöner Artikel

von ecke2 am 22.12.2022 um 15:51 Uhr

Der Artikel bringt die Probleme auf den Punkt. Unglaublich, dass es dafür einer Stiftung bedarf. Das sollte eigentlich ureigenste Aufgabe des Gesundheitsministeriums sein.
Zeigt aber nur, dass die ihre Arbeit nicht machen und ideologisch verblendet die Arzneimittelversorgung an die Wand fahren werden.

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Zwei Fragen

von Michael Mischer am 21.12.2022 um 13:00 Uhr

1. Kann der deutsche Markt allein wirksam der Oligopolbildung entgegenwirken oder ist diese nicht eine Folge globaler Prozesse? Welchen Nutzen bringen am Ende mehrere Anbieter, wenn die Konzentration auch auf Ebene der Wirkstoffhersteller / Hersteller der Bulkware geschieht?

2. Ist nicht die Gefahr eines Zentraleinkaufs, dass am Ende nur ein Anbieter zum Zug kommt, wohingegen im aktuellen Rabattvertragsgeschäft die Ausschreibung durch mehrere Käufer in verschiedenen Losen zumindest die Möglichkeit bietet, dass mehrere Anbieter zum Zuge kommen. Wäre es da nicht sinnvoller, Konzentrationsprozesse durch gemeinsame Ausschreibungen stärker zu limitieren?

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