Respiratorisches Synzytial-Virus

Dreimal RSV-Abwehr

07.11.2023, 16:45 Uhr

Gleich drei neue Präparate können zur Abwehr von Infektionen mit dem respiratorischen Synzytial-Virus eingesetzt werden: Abrysvo®, Arexvy® und Beyfortus®. (Foto: nikkytok / AdobeStock)

Gleich drei neue Präparate können zur Abwehr von Infektionen mit dem respiratorischen Synzytial-Virus eingesetzt werden: Abrysvo®, Arexvy® und Beyfortus®. (Foto: nikkytok / AdobeStock)


In den letzten Monaten sind drei Präparate zur Immunisierung gegen das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) auf dem deutschen Markt eingeführt worden. Die Zu­bereitungen sollen bei gefährdeten Menschen wie Frühgeborenen, Säuglingen, Kleinkindern oder Älteren schwere Erkrankungen der unteren Atemwege verhindern. Allen gemeinsam ist, dass die Wirkung über das virale Fusionsprotein vermittelt wird, mit dessen Hilfe das Virus in die Körperzellen eindringt.

Infektionen durch das respiratorische Synzytial-Virus betreffen in erster Linie die Atemwege. Während Schulkinder, Jugendliche und Erwachsene meist nur leichte Erkältungssymptome entwickeln, muss insbesondere bei Kindern unter zwei Jahren und älteren Menschen mit schweren Verläufen und teilweise lebensbedrohlichen Lungenentzündungen gerechnet werden. Die überwiegende Mehrheit der Krankenhauseinweisungen von Säuglingen und Neugeborenen ist auf eine solche Infektion zurückzuführen. In der vergangenen Erkältungssaison 2022/23 wurden nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts etwa 44.000 Kinder wegen einer RSV-Infektion stationär behandelt. Besonders betroffen sind Frühgeborene und Kinder mit angeborenem Herzfehler. Die Anzahl der meist älteren Erwachsenen mit erforderlicher Hospitalisierung lag bei etwa 12.800, knapp ein Viertel davon benötigte eine intensivmedizinische Betreuung. Besonders gefährdet sind Vorerkrankte mit Lungen- oder Herzkrankheiten sowie Diabetes mellitus.

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Der Befall von Körperzellen mit dem RS-Virus erfolgt durch Andocken des Virus mithilfe eines membranständigen Fusionsproteins. Die Wirkmechanismen der drei neuen aktiven und/oder passiven Impfstoffe zielen in unterschiedlicher Weise auf dieses Oberflächenprotein ab.

Aktivimpfstoff für Ältere

Anfang August wurde das für Patienten ab 60 Jahren vorgesehene Präparat Arexvy® auf dem deutschen Markt eingeführt. Es enthält als Antigen eine gentechnisch hergestellte, veränderte Version des RSV-spezifischen Fusionsproteins und ermöglicht eine aktive Immunisierung. Zur Optimierung der Effektivität liegt das rekombinante Oberflächenprotein in einer stabilisierten Präfusionskonfirmation (RSVPreF) vor. Zudem enthält der Impfstoff das Adjuvans AS01E, das die Rekrutierung und Aktivierung von antigenpräsentierenden Zellen erleichtert, welche aus dem Impfstoff stammende Antigene in die drainierenden Lymphknoten transportieren. Bei geimpften Personen kommt es zur Bildung von RSVPreF3-spezifischen CD4-positiven T-Zellen. Die entstehenden, gegen RSVPreF3 gerichteten Antikörper verhindern die Fusion des RS-Virus mit den menschlichen Wirtszellen und unterbinden damit deren Infektion. In der zulassungsrelevanten Studie konnte bei den Geimpften das Risiko für RSV-assoziierte untere Atemwegsinfekte um 83 % reduziert werden. Die Risikoreduktion für schwere Verläufe lag sogar bei 94 %. Derzeit geht man davon aus, dass der Schutz des gut verträglichen Impfstoffs bei älteren Menschen für mindestens sechs Monate anhält. Erkenntnisse zur Erfordernis sowie der Wirksamkeit und Sicherheit einer Auf­frischungsimpfung mit Arexvy® liegen noch nicht vor.

Passivimpfstoff für die Kleinsten

Seit Anfang September ist mit dem Präparat Beyfortus® zudem ein Wirkstoff zur Prävention von RSV-Erkrankungen bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern verfügbar. Die Zubereitung enthält den rekombinanten Immunglobulin-G1-kappa(IgG1κ)-Antikörper Nirsevimab, der gegen ein hochkonserviertes Epitop des RSV-spezifischen Fusionsproteins in Prä­fusionskonformation gerichtet ist. Das Immunglobulin hemmt den entscheidenden Membranfusionsschritt im Prozess des Viruseintritts und blockiert unmittelbar die Zellfusion. Beyfortus® sollte vor Beginn der ersten RSV-Saison der Säuglinge gegeben werden. Bei Kindern, die während dieses Zeitraums geboren werden, ist auch unmittelbar ab der Geburt eine Impfung möglich. Kinder unter 5 kg Körpergewicht erhalten intramuskulär 50 mg Nirsevimab, Kinder mit einem Gewicht von mindestens 5 kg entsprechend 100 mg. Falls bei den kleinen Patienten eine Herzoperation mit einem kardiopulmonalen Bypass durchgeführt werden muss, kann nach postoperativer Stabilisierung eine zusätz­liche Nirsevimab-Applikation erfolgen. Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit einer wiederholten Impfung, beispielsweise bei Kleinkindern ohne Herzoperation oder in der nächsten Erkrankungssaison, sind derzeit nicht erwiesen. Die Dauer des Infektionsschutzes liegt bei mindestens fünf Monaten. In zwei Zulassungsstudien erwies sich Nirsevimab bei einer Wirksamkeit von 70 bis 80 % gegenüber Placebo als signifikant überlegen. Aber auch im Vergleich zum Standardtherapeutikum Palivizumab (Synagis®) zeigte sich ein Vorteil für den neuen Antikörper. Bei Palivizumab handelt es sich um einen ebenfalls gegen das Fusionsprotein gerichteten Antikörper, der im Gegensatz zu Nirsevimab nur für vorerkrankte Kinder zugelassen ist. Ein weiterer Pluspunkt für das besonders langwirksame Nirsevimab liegt in der Tatsache begründet, dass es nur einmalig verabreicht wird, während Palivizumab im Laufe der RSV-Saison einmal im Monat injiziert werden muss, was eine erhöhte Be­lastung für die Kinder bedeutet.

Aktivimpfstoff für Ältere und passiver Schutz für Neugeborene

Ähnlich wie der oben beschriebene Impfstoff Arexvy® enthält der seit Anfang Oktober in Deutschland erhältliche Impfstoff Abrysvo® Antigene, allerdings in Form von zwei rekombinanten stabilisierten RSV-Präfusions-F-Antigenen der RSV-Untergruppen A und B. Nach intramuskulärer Verabreichung lösen die Präfusions-F-Antigene eine Immunantwort mit neutralisierenden Antikörpern aus, die vor RSV-assoziierten Erkrankungen der unteren Atemwege schützt. Die Zubereitung ist für eine aktive Immunisierung von Erwachsenen ab einem Alter von 60 Jahren vorgesehen. In der Zulassungsstudie mit über 34.000 Teilnehmern war das Risiko einer RSV­assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege um 67 % geringer als bei Patienten, die eine Placeboinjektion erhielten.

Ältere Erwachsene sind jedoch nicht die einzige Zielgruppe von Abrysvo®. Eine weitere Indikation ist der passive RSV-Infektionsschutz von Säuglingen ab der Geburt bis zum Alter von sechs Monaten. Die Zubereitung wird allerdings nicht den Kindern selbst injiziert, sondern einmalig werdenden Müttern in den Schwangerschafts­wochen 24 bis 36 verabreicht. Im Rahmen des Nestschutzes kommt es zu einer Übertragung von RSV-neutralisierenden Antikörpern durch die Plazenta, sodass die Neugeborenen bereits unmittelbar nach der Geburt gegen die bedrohliche Erkrankung geschützt sind. In einer Studie mit etwa 3500 schwangeren Frauen wurde gezeigt, dass Abrysvo® das Risiko einer durch das RSV verursachten Erkrankung der unteren Atemwege bei Säuglingen geimpfter Mütter gegenüber der Pla­cebogabe um 51 % reduzierte. In der Verumgruppe kam es zu einem leichten, aber nicht signifikanten Anstieg der Frühgeburtenrate. Rückschlüsse auf einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung sind auf Basis der aktuell vorliegenden Daten jedoch noch nicht möglich.

Die Kostenfrage

Die Tatsache, dass nun in kürzester Zeit drei neue Präparate zum Schutz verschiedener Zielgruppen vor potenziell lebensbedrohlichen RSV-Infektion verfügbar wurden, ist generell sehr zu begrüßen. Viele sehr junge und ältere Geimpfte können nun durch Arexvy®, Beyfortus® oder Abrysvo® aktiv und/oder passiv immunisiert werden. Aktuell liegt jedoch für keines der neuen Präparate eine Nutzenbewertung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) bzw. den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vor. Dies ist besonders bedauerlich, da die Impfungen ohne Empfehlung dieser Gremien nicht von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden müssen. Obwohl die RSV-Saison unmittelbar bevorsteht, liegt die Kostenübernahme derzeit im Ermessen der einzelnen Krankenkasse. 

Falls eine Patientin oder ein Patient für sich entscheidet, dass er sich oder sein Kind mit Arexvy® bzw. Abrysvo® schützen möchte, ist mit Kosten von etwas mehr als 200 Euro pro Impfung zu rechnen. Der Passivimpfstoff Beyfortus® mit dem Antikörper Nirsevimab schlägt allerdings mit 1350 Euro pro Injektion zu Buche, was eine erhebliche Belastung darstellen dürfte. Aktuell können lediglich Versicherte der Techniker Krankenkasse aufatmen. Sie übernimmt seit Anfang Oktober die Kosten für Beyfortus® zum Schutz von Säuglingen, die einer Risikogruppe angehören. Eingeschlossen sind beispielsweise Frühgeborene bis zum voll­endeten sechsten Lebensmonat sowie Säuglinge mit einer Immunschwäche oder einer Herz- bzw. Lungenerkrankung. Für weitere Indikationen oder für Personen, die bei anderen Krankenkassen versichert sind, bleibt momentan lediglich die individuelle Anfrage. Wünschenswert wäre daher eine baldige STIKO-Empfehlung, sodass die drei Impfstoffe entsprechend ihrer Indikation zeitnah und breit eingesetzt werden können.

Literatur

[1] RSV-Infektionen (Respiratorische Synzytial-Viren). Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand 18. September 2023

[2] Fachinformation zu Arexvy®, Stand August 2023

[3] EPAR summary for the public. Arexvy® Respiratory Syncytial Virus (RSV) vaccine (recombinant, adjuvanted). Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/260940/2023

[4] Fachinformation zu Beyfortus®, Stand Juni 2023

[5] EPAR summary for the public. Beyfortus® Nirsevimab. Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/776857/2022

[6] Fachinformation zu Abrysvo®, Stand Oktober 2023

[7] EPAR summary for the public. Abrysvo® Respiratory Syncytial Virus Vaccine (bivalent, recombinant). Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/341052/2023

[8] Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand 28. September 2023


Apothekerin Dr. Monika Neubeck


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