Referentenentwurf eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes

Krankenkassen sollen automatisierte AMTS-Prüfung vornehmen dürfen

Berlin - 08.08.2023, 15:15 Uhr

(Foto: imago images / Zoonar)

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Seit vergangenen Freitag liegt der Referentenentwurf eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes den Verbänden zur Stellungnahme vor. Ziel ist, die Verknüpfung von Gesundheitsdaten zu erleichtern, diese der Forschung zugänglich zu machen und letztlich die Patientenversorgung zu verbessern. In diesem Zuge soll es auch den Kassen ermöglicht werden, zum Beispiel automatisierte AMTS-Prüfungen vorzunehmen.

Was die Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken betrifft, hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Das will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) jetzt ändern: Sein Haus legte am vergangenen Freitag einen Referentenentwurf für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) vor – die Verbände haben nun bis kommenden Montag Zeit, dazu ihre Stellungnahmen einzureichen.

Kern des Gesetzes ist das Vorhaben, Gesundheitsdaten auch über den unmittelbaren Versorgungskontext hinaus nutzbar zu machen, sie miteinander zu verknüpfen und der Forschung zugänglich zu machen. Davon verspricht sich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) neue Erkenntnisse für Therapien, die Neu- und Weiterentwicklung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie von Versorgungsprozessen, die Förderung von Patientensicherheit und eine verstärkte Qualitätssicherung. „Zudem liegt in der grenzüberschreitenden Datennutzung innerhalb der Europäischen Union (EU) großes Potenzial, insbesondere bezüglich der Datenmenge und der Repräsentativität, die derzeit noch ungenutzt sind“, schreibt es im Entwurf.

Neue Koordinierungsstelle am BfArM geplant

In diesem Zusammenhang soll am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten eingerichtet werden, um Datennutzende beim Zugang zu Gesundheitsdaten zu unterstützen und zu beraten. Geplant ist, dass diese Stelle unter anderem einen öffentlichen Metadatenkatalog führt, in dem Informationen über die im deutschen Gesundheitswesen vorhandenen Gesundheitsdaten und die jeweiligen Halter dieser Daten gesammelt werden. Sie soll zudem Datennutzenden dabei helfen, die für ihre Zwecke geeigneten Daten zu identifizieren und zu lokalisieren und ihnen beim Antragsprozess unter die Arme greifen. Um die Details zu regeln, ist eine Verordnungsermächtigung für das BMG vorgesehen.

Überdies soll die Verknüpfung und Verarbeitung pseudonymisierter Daten des Forschungsdatenzentrums nach § 303d des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) und der klinischen Krebsregister der Länder nach § 65c SGB V zu Forschungszwecken unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Nutzen Forschende personenbezogene Gesundheitsdaten auf Grundlage gesetzlicher Verarbeitungsvorschriften ohne Einwilligung betroffener Personen oder wird das Forschungsvorhaben mit öffentlichen Mitteln unterstützt, unterliegen die jeweils Verantwortlichen einer Publikationspflicht: Sie müssen die Ergebnisse innerhalb von zwölf Monaten nach Abschluss des Forschungsvorhabens in anonymisierter Form wissenschaftlich veröffentlichen.

„Die dem Forschungsdatenzentrum übermittelten Daten dürfen von den Nutzungsberechtigten verarbeitet werden, soweit dies für folgende Zwecke erforderlich ist

1. Wahrnehmung von Steuerungsaufgaben durch die Kollektivvertragspartner,

2. Verbesserung der Qualität der Versorgung sowie Verbesserung der Sicherheitsstandards der Prävention, Versorgung und Pflege,

3. Planung von Leistungsressourcen, zum Beispiel Krankenhausplanung oder Pflegestrukturplanungsempfehlungen nach § 8a Absatz 4 Elftes Buch,

4. wissenschaftliche Forschung zu Fragestellungen aus den Bereichen Gesundheit und Pflege, insbesondere für Längsschnittanalysen über längere Zeiträume, Analysen von Behandlungsabläufen oder Analysen des Versorgungsgeschehens, sowie Grundlagenforschung im Bereich der Lebenswissenschaften,

5. Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung,

6. Analysen zur Wirksamkeit sektorenübergreifender Versorgungsformen sowie von Einzelverträgen der Kranken- und Pflegekassen,

7. Wahrnehmung von Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung, anderer Berichtspflichten des Bundes nach diesem oder dem Elften Buch und der amtlichen Statistik,

8. Wahrnehmung von gesetzlichen Aufgaben im Bereich der öffentlichen Gesundheit oder

9. Entwicklung, Weiterentwicklung, Nutzenbewertung und Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, Hilfs- und Heilmitteln sowie digitalen Gesundheits- und Pflegeanwendungen, einschließlich Testen und Trainieren von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen.“

Quelle: Referentenentwurf eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes; geplanter § 303e Absatz 2 SGB V

Auch Kranken- und Pflegekassen sollen dem Entwurf nach „datengestützte Auswertungen zum individuellen Gesundheitsschutz ihrer Versicherten, zur Verbesserung der Versorgung und zur Verbesserung der Patientensicherheit vornehmen und insoweit ihre Versicherten individuell ansprechen“ dürfen (§ 287a SGB V). Eine automatisierte Verarbeitung der bei den Kranken- und Pflegekassen vorliegenden personenbezogenen Daten der Versicherten ist demnach ohne Einwilligung der betroffenen Person zu den genannten Zwecken zulässig, soweit sie erforderlich und geeignet ist zur Früherkennung von seltenen Erkrankungen, der Überprüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit zur Erkennung von Gesundheitsgefahren, der risikoadaptierten Früherkennung von Krebsrisiken oder zur Erkennung und Identifizierung akuter und schwerwiegender Gesundheitsgefährdungen, soweit dies im überwiegenden Interesse der Versicherten ist. Widerspricht ein Versicherter ausdrücklich der Nutzung seiner Daten gegenüber der Kasse, ist die Datenverarbeitung zu unterlassen.

Automatisierte AMTS-Prüfung durch Kassen im Einzelfall erlaubt

Für die Apotheken ist vor allem interessant, dass das BMG dabei ausdrücklich auch auf eine Überprüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit abstellt. „Patientinnen und Patienten bekommen ihre Arzneimittel oft von unterschiedlichen Leistungserbringern verschieben, ohne dass zwangsläufig überprüft wird, ob bereits wirkstoffgleiche Präparate mit unterschiedlichen Handelsnamen verschrieben worden sind oder potenziell lebensgefährliche Arzneimittelwechselwirkungen durch bestimmte Kombinationen drohen“, schreibt das Ministerium dazu in der Begründung zum Entwurf. „Diese Daten laufen allerdings bei den Krankenkassen zusammen, so dass dort eine entsprechende automatisierte Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit im Einzelfall erfolgen kann. Die Verarbeitung und Information der Betroffenen liegt im Interesse der Betroffenen, da Überdosierungen und potenziell tödliche Arzneimittelwechselwirkungen erkannt und den Betroffenen kommuniziert werden können.“

In der geplanten Neufassung des § 287a SGB V konkretisiert das BMG in Absatz 4 jedoch zugleich, wie eine Kasse mit möglicherweise erkannten Problemen umzugehen hat. „Sofern bei einer Verarbeitung nach Absatz 2 eine konkrete Gesundheitsgefährdung bei Versicherten identifiziert wird, sind diese umgehend über die bestehende Gefährdung zu unterrichten“, heißt es darin. „Diese Unterrichtung ist als unverbindliche Empfehlung auszugestalten, medizinische Unterstützung eines Leistungserbringers in Anspruch zu nehmen. Die ärztliche Therapiefreiheit der Leistungserbringer wird dabei nicht berührt.“

Kassen dürfen Patienten nicht gefährden

In besonders dringenden Fällen sollte die Kontaktaufnahme telefonisch erfolgen, stellt das Ministerium in der Begründung klar. Bei Information und Empfehlung der Früherkennung genügt eine Information elektronischen Weg oder in Schriftform. „Dabei dürfen keine Vorgaben hinsichtlich der Beseitigung der Gefährdung gemacht werden, die Therapiefreiheit der Leistungserbringer wird somit nicht eingeschränkt“, betont es. „Die Krankenkassen haben dafür Sorge zu tragen, dass durch die Information der Versicherten keine Gefährdung derselben entsteht. So ist etwa darauf zu achten, dass Versicherte nach einem Hinweis auf mögliche Kreuzmedikationen medizinischen Rat einholen, anstatt selbständig Medikamente abzusetzen.“

Des Weiteren soll künftig der elektronischen Patientenakte (ePA) eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung zukommen: Sofern die Versicherten nicht widersprochen haben, sollen die enthaltenen Daten zu bestimmten Zwecken nutzbar gemacht und automatisiert an das Forschungsdatenzentrum nach § 303d übermittelt werden. „Es werden ausschließlich Daten übermittelt, die zuverlässig automatisiert pseudonymisierbar sind“, hält das BMG in der geplanten Änderung des § 363 Absatz 2 SGB V fest. „Die Übermittlung wird in der elektronischen Patientenakte dokumentiert.“ Möchte ein Versicherter der Nutzung seiner Daten widersprechen, soll er das über die Benutzeroberfläche eines geeigneten Endgeräts tun können. Das Nähere zum technischen Verfahren bei der Ausleitung von Daten aus der ePA regelt das BMG per Rechtsverordnung.

Die Verbände haben nun bis kommenden Montag, den 14. August, Zeit, ihre Stellungnahmen zum Entwurf einzureichen. Für diesen Tag ist auch die Verbändeanhörung im Ministerium vorgesehen.

Lauterbach stellt DigiG und GDNG vor

Zusammen mit dem Digitalgesetz, das bereits als Referentenentwurf vorliegt, soll das Gesundheitsdatennutzungsgesetz die digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland voranbringen. Während das GDNG vor allem die Nutzung von Gesundheitsdaten in den Blick nimmt, adressiert das Digitalgesetz insbesondere praktische Versorgungsaspekte und konkretisiert unter anderem die Regeln rund um ePA und E-Rezept. Am morgigen Mittwoch stellt Bundesgesundheitsminister Lauterbach beide Vorhaben nochmals persönlich vor: Dann wird er eine kardiologische Gemeinschaftspraxis in Berlin-Charlottenburg sowie eine Apotheke besuchen und sich dort über die Abläufe beim E-Rezept informieren. Anschließend wird er der Presse die Neuerungen zum E-Rezept sowie die beiden Digitalgesetze präsentieren.


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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1 Kommentar

Wann nächster Protest?

von V. Herkert am 12.08.2023 um 9:25 Uhr

Also zum einen haben die Krankenkassen keine entsprechende Struktur, zum anderen sind viele Wechselwirkungen ernährungsbedingt oder durch Nahrungsergänzungsmittel.
Warum wird dem Apotheken jetzt ihr Handwerk weggenommen (was jahrelange Studium erfordert, insbesondere die Einschätzung der Relevanz).
Den Kern unserer Aufgabe (Kontrolle der AM Therapie) auszulagern zeigt deutlich, dass das BMG keinen Platz für Apotheken in deren digitaler Gesundheitsstruktur hat!

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