hkk-Gesundheitsreport

Opioide: Oft zu leichtfertig verordnet

07.06.2022, 12:15 Uhr

Verordnungsvolumen häufig eingesetzter stark wirkender Opioide und Opiate (WHO-Stufe-III) bei hkk-Versicherten in den Jahren 2018, 2019 und 2020. (Quelle: hkk Gesundheitsreport)

Verordnungsvolumen häufig eingesetzter stark wirkender Opioide und Opiate (WHO-Stufe-III) bei hkk-Versicherten in den Jahren 2018, 2019 und 2020. (Quelle: hkk Gesundheitsreport)


Der Umgang mit Opioiden erfolgt nicht immer lege artis. So werden etwa Morphin, Fentanyl und Tilidin zunehmend gegen Rückenbeschwerden und Arthrose eingesetzt, obwohl sie bei diesen Indikationen meist nicht indiziert sind. Zu diesem Ergebnis kommen die Verfasser des hkk-Opioidreports – eine Studie, die unter der Leitung des unlängst verstorbenen Professor Gerd Glaeske an der Uni Bremen erstellt wurde. 

Vergangene Woche Donnerstag hat die Handelskrankenkasse (hkk) den mit ihrer Unterstützung erstellten Opioidreport 2022 der Universität Bremen veröffentlicht. Hinter der Studie steht der Bremer Arzneimittelexperte Professor Gerd Glaeske, der wenige Tage zuvor verstorben ist. Die Präsentation anlässlich des heutigen bundesweiten Aktionstags gegen den Schmerz am 7. Juni übernahm nun Lutz Muth, Apotheker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Uni Bremen.

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Die Daten aus der Versorgungsforschung zeigen für Deutschland ein verändertes Verhalten bei der Verordnung von Schmerzmitteln. Wurde in früheren Jahrzehnten die relativ niedrige Verschreibungshäufigkeit von Opioiden kritisiert, so liegt nunmehr ein hoher Pro-Kopf-Verbrauch von starken und schwachen Opioiden vor, der im Wesentlichen konstant ist. 

Eine Auswertung der Verschreibungen zwischen 2018 und 2020 zeigt, dass die Anzahl der BTM-Verordnungen kaum angestiegen ist. Befürchtungen, dass auch in Deutschland mit einer Opioidkrise wie in den USA zu rechnen ist, sind somit unbegründet. Dennoch führen die Verfasser des Opioidreports einige Kritikpunkte an. Darunter fällt beispielsweise die leichtfertige Verordnung von Fentanyl, das vor allem aufgrund seiner Zubereitung als Pflaster vielfach bei nicht adäquaten Indikationen verordnet wird. 

Unkritischer Einsatz bei Rückenschmerzen und Arthrose

Ein nicht reflektierter und häufiger Einsatz von Fentanyl – auch als Nasenspray oder Lutschtablette – kann zu Opioid-Abhängigkeiten und eine missbräuchliche Falschanwendung zu einer Überdosierung mit Todesfolge führen. In diesem Zusammenhang weisen die Autoren auf die bereits 2012 von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) veröffentlichte Warnung vor einem unkritischen Einsatz von Fentanyl-Pflastern bei opioidnaiven Patienten hin. 

Des Weiteren wird der 2022 von der AkdÄ ergänzte Warnhinweis zur Opioidabhängigkeit nach wiederholter Anwendung von transmukosal verabreichtem Fentanyl betont und auf Informationen des BfArM hingewiesen. Aus diesen geht hervor, dass das Risiko der Abhängigkeitsentwicklung bei Off-Label-Use, also einer Anwendung außerhalb der behördlichen Zulassung und ohne vorherige klinische Prüfung, erhöht sein kann.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verordnung von Opioiden bei Arthrose- und Rückenschmerzen. Diese sollten immer zunächst mit Heil- und Hilfsmitteln wie Ergo- oder Physiotherapie und gegebenenfalls zusätzlich mit opioidfreien Analgetika behandelt werden. 

Die Realität sieht indes anders aus. Rund 80 Prozent der starken Opioide werden nicht bei Tumorschmerzen oder sonstigen schweren Schmerzen eingesetzt, sondern bei Patienten mit Rückenbeschwerden und Arthrose. Die Verschreibungen erfolgten fast ausschließlich von Allgemeinmedi­zinern und Internisten. Die Autoren des Opioidreports sehen die Langzeitanwendung von Opioiden außerhalb bestimmter Indikationen kritisch und geben daher folgenden Rat: Sollten Opioide nicht zur Linderung von Tumorschmerzen eingesetzt werden, ist ein Schmerztherapeut hinzuzuziehen, auch um eine Chronifizierung des Schmerzes zu verhindern.

Oxycodon und Naloxon als fixe Kombination – ist das nötig?

Kritisch hinterfragt wird die fixe Wirkstoffkombination Oxycodon und Naloxon. Nach Ansicht der Autoren des Opioidreports können unter Umständen bestimmte Patienten von dieser fixen Kombination profitieren. Allerdings wird die Aussagekraft entsprechender Hersteller-gesponserter Studien als begrenzt und nicht überzeugend eingestuft. In vielen Fällen reiche die Gabe von Oxycodon, gegebenenfalls in Kombination mit einem Laxans wie etwa Macrogol völlig aus, so die Einstufung der Autoren.



Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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