Gastkommentar

Die zwei Seiten des E-Rezeptes

Erding - 12.03.2021, 13:45 Uhr

Wenn die Digitalisierung das eigentliche Ziel ist und die Arzneimittelsicherheit kaum eine Rolle spielt, dann sollte doch wenigstens der Zahlungsfluss für die Apotheken vereinfacht und damit schneller und sicherer gemacht werden, meint Dr. Franz Stadler. (Foto: IMAGO / Future Image)

Wenn die Digitalisierung das eigentliche Ziel ist und die Arzneimittelsicherheit kaum eine Rolle spielt, dann sollte doch wenigstens der Zahlungsfluss für die Apotheken vereinfacht und damit schneller und sicherer gemacht werden, meint Dr. Franz Stadler. (Foto: IMAGO / Future Image)


Das E-Rezept wird kommen. Bald. Schon ab 1. Juli 2021 soll es losgehen. Ab 1. Januar 2022 wird es verpflichtend für alle Verordnungen, die bisher auf Muster 16 getätigt wurden. Das betrifft den Großteil der Rezepte. Die restlichen Rezeptarten sollen auch schnellstmöglich eingebunden werden. Es gibt sogar schon Pläne für ein E-Rezept 2.0, das die bisher vorgesehene, zugegeben etwas umständliche Hardware bis 2025 ersetzen soll. Trotz dieser wichtigen Entwicklungen für die Zukunft der Vor-Ort-Apotheken wird das Thema Digitalisierung bisher zu einseitig angesprochen und nicht mit all seinen möglichen Konsequenzen durchdacht, meint Dr. Franz Stadler.

Tiefgreifende Veränderungen der Versorgungsstrukturen werden von der Politik und den Nerds der Gematik billigend in Kauf genommen. Schon jetzt ist klar, dass hier die Hände später in Unschuld gewaschen werden – selbst wenn massenhaft Rezepte verschoben, die in- und vor allem die ausländischen Versender Wege finden werden, das Einlösen der Rezepte zu incentivieren (oder anders gesagt, den Kunden / die Krankenkasse / den Arzt mehr oder weniger legal zu beeinflussen) und bei der nächsten Pandemie die Zahl der Vor-Ort-Apotheken auf die Hälfte gesunken sein wird. Schuld wird der Patient sein, der ja mit seiner App die freie Wahlmöglichkeit hat. Er kann das Rezept löschen, direkt in einer Präsenzapotheke einlösen oder über eine Weiterleiten-Funktion an eine Apotheke seiner Wahl übermitteln. Die ausgewählte Apotheke kann dann den 2D-Code auslesen und beliefert die Verordnung per Versand, per Bote oder direkt. Ganz nach Kundenwusch. Und der Kunde ist König.

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Vergessen wird dabei die Fürsorgepflicht des Staates. Warum wohl gibt es ein Arzneimittelgesetz? Warum gibt es eine Verschreibungspflicht, warum eine mehr schlecht als recht bezahlte Apotheke vor Ort? Weil so und nur so die Arzneimittelsicherheit umgesetzt und kontrolliert werden kann. Ausländische Versandapotheken entziehen sich jeder Kontrolle, der Einfluss des Versandweges auf die Arzneimittelqualität, die letztlich beim Kunden ankommt, ist weitgehend unbekannt, mögliche Fehlerquellen werden ignoriert und im Zusammenspiel mit der Telemedizin droht die faktische Abschaffung der Verschreibungspflicht. Aber: Arzneimittel sind ein besonderes Gut. Der Konsum ist nicht beliebig. Er darf nicht von Laien gewünscht und gesteuert werden. Er sollte kontrolliert werden. Ich bin aber, nicht nur wegen meiner Stiftung für Arzneimittelsicherheit, zuversichtlich, dass sich mit der Zeit und mit Unterstützung der Apotheker und Apothekerinnen die entsprechenden Kontrollstrukturen aufbauen werden – umso mehr, als aus meiner Sicht leider unvermeidliche Skandale ans Tageslicht kommen.

Wenn schon, denn schon

An dieser Stelle werden viele einwenden: Aber das wissen wir doch alles. Das E-Rezept ist aber nicht mehr zu verhindern. Unsere Politik hat entschieden. Seine Ausgestaltung steht und die Umsetzung läuft. Ja, mag sein.

Aber erstens soll später niemand sagen können, diese Folgen haben wir nicht erwartet. Das haben wir nicht gewusst und nicht gewollt. Und zweitens, wenn es schon so kommen muss, dann sollten wir die Sache doch bitte ganz durchziehen. Diese Aufforderung richtet sich nicht nur an die Gematik oder den jeweiligen Gesundheitsminister, sondern auch an unsere Standesvertretung. Wenn die Digitalisierung das eigentliche Ziel ist und die Arzneimittelsicherheit kaum eine Rolle spielt, dann sollte doch wenigstens der Zahlungsfluss für die Apotheken vereinfacht und damit schneller und sicherer gemacht werden.

Apotheker Dr. Franz Stadler hat seine Apotheke mittlerweile verkauft. Er ist aber weiterhin regelmäßiger Gastkommentator auf DAZ.online, hat zudem im vergangenen Jahr das Buch „Medikamenten Monopoly“ herausgebracht und vor Kurzem die „Stiftung für Arzneimittelsicherheit“ gegründet.

Auch wenn wir aktuell fast nur über Corona reden, wirkt der AvP-Skandal noch immer nach. Immer noch kämpfen viele Apotheken mit Liquiditätsproblemen und manche mit Existenzängsten. Wenn aber in den goldenen Zeiten des E-Rezeptes jedes Rezept in Sekundenbruchteilen überall hin verschickt werden kann, wenn manche Krankenkassen schon jetzt über eine sofortige Retax- und Genehmigungsprüfung nachdenken und wenn all das in Echtzeit stattfinden kann, dann hätte eine selbstständige Apotheke auch gerne sofort (oder zumindest einmal pro Woche) die Überweisung des Erstattungsbetrages auf dem Geschäftskonto.

Warum sollen wir für die abgegebenen Arzneimittel, die noch dazu im Schnitt immer teurer werden, in Vorauskasse gehen, alle Gelder zunächst über ein Abrechnungszentrum laufen lassen, ein auch unter Kontrolle der Bafin nicht wegzudiskutierendes Insolvenzrisiko eingehen und uns dort automatisch ggf. nicht gezahlte Herstellerrabatte oder dergleichen abziehen lassen? Das muss im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr sein. Ware gegen Geld. Und Entschuldigung: Auf Vorstandspöstchen, veraltete Geschäftsmodelle oder überbürokratische Rahmenverträge kann da keine Rücksicht genommen werden.

Wer nimmt denn auf die Arzneimittelsicherheit oder die Apotheke vor Ort Rücksicht?



Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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