DAZ aktuell

Das E-Rezept bleibt eine Baustelle

Testphase wurde um zwei Monate verlängert – Start zum 1. Januar 2022 wackelt

eda/jb/ral | Wer schon einmal gebaut hat, weiß: Es wird immer teurer und es dauert immer länger, als man es geplant hat. Das gilt auch für die Baustelle „E-Rezept“. Eigentlich war der 1. Oktober der Stichtag, ab dem das E-Rezept-Pilotprojekt deutschlandweit ausgerollt werden sollte. Doch in letzter Minute hat die Gematik einen Rückzieher gemacht und das Ganze auf den 1. Dezember 2021 verschoben. Am 1. Januar 2022, also dem Datum, ab dem E-Rezepte für apothekenpflichtige Arzneimittel grundsätzlich Pflicht werden sollen, hält die Gematik aber fest, auch wenn sonst niemand so richtig daran glaubt. Denn es hakt noch an einigen Stellen.

Seit Juli wird in Berlin und Brandenburg bereits das E-Rezept getestet. So wirklich gut läuft der Test nicht und hinter vorgehaltener Hand war schon länger zu hören, dass die gesetzten Termine für die bundesweite Testphase und den „richtigen“ Start des E-Rezepts nicht haltbar sein ­würden. Auf offizielle Anfragen hieß es bislang von der Gematik, dass ­alles nach Plan laufe. Nun hat sie ­jedoch die Reißleine gezogen und den deutschlandweiten Roll-out des E-Rezept-Pilotprojekts erst einmal um zwei Monate verschoben.

Foto: Marco2811 / AdobeStock

Man kennt das ja ... dem E-Rezept geht es nicht besser als dem Berliner Flughafen oder anderen Großbaustellen –es dauert länger als geplant.

Es hakt bei den Ärzten …

Wo hakt es? Da wären gleich mehrere Punkte zu nennen: Zum einen sind noch verhältnismäßig wenige Praxisverwaltungssysteme entsprechend von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert – am 1. Oktober waren es nur 15 von mehr als 100. Und auch bei den Apothekensoftwarehäusern sind dem Vernehmen nach nur Awinta und Pharmatechnik beim Piloten dabei. Dazu kommt: Viele Ärzte, die ja die Rezepte am Ende ausstellen müssen, sind – mal ganz abgesehen von der Software – noch nicht flächendeckend dazu in der Lage, weil sie noch keinen Heilberufsausweis ­haben. Mitte August war Zahlen der Bundesärztekammer zufolge noch nicht einmal die Hälfte der Praxisärzte versorgt. Auch wurden zumindest zu diesem Zeitpunkt noch Strafen verhängt, weil Praxen nicht an die TI angeschlossen waren. Ohne ein flächendeckendes Netz an betriebsbereiten Praxen kann es jedoch keine E-Rezepte geben, und ohne diese keine Ende-zu-Ende-Tests mit den Patienten, Apotheken und Krankenkassen.

… und den Versicherten

Wie die Tests in Berlin und Brandenburg bislang verlaufen sind, wird von den Beteiligten unter Verschluss gehalten. Unklar ist daher auch, wie viele reale E-Rezepte für echte Patienten tatsächlich schon abgerechnet wurden. Einzig die AOK Nordost hat auf Anfrage der DAZ durchblicken lassen, dass es im Rahmen der Testphase Abrechnungen mit Testversicherten in bislang „niedriger zweistelliger Höhe“ gab. „Echte“ E-Rezepte von realen Versicherten dagegen wurden bisher noch nicht mit der AOK Nordost abgerechnet. Das dürfte auch schwierig werden, denn auch die Versicherten sind überwiegend noch nicht auf das E-Rezept vorbereitet. Die meisten haben noch nicht die neueste Generation der elektronischen Gesundheitskarte mit NFC-Schnittstelle und dazugehöriger PIN. Dieses Problem sieht die Gematik auch, wie ihrer Pressemitteilung zu entnehmen ist. Karte und PIN der jeweiligen Krankenkasse sind jedoch Voraussetzungen, um die E-Rezepte in der App zu empfangen und zu verwalten, sonst bleibt nur der Ausdruck des E-Rezepts auf Papier. Dem Bundesgesundheitsministerium liegen aber laut Aussage der Gematik seit wenigen Tagen Zusagen weiterer großer Krankenkassen vor, die sich nun ebenfalls aktiv an der Testphase be­teiligen werden.

Wer ist schuld an der Verzögerung?

Und wer ist nun schuld daran, dass sich die Baustelle „E-Rezept“ verlängert? Die Gematik will es jedenfalls nicht sein. In einer Pressemitteilung vom vergangenen Donnerstag schreibt Gematik-CEO Markus Leyck Dieken: „Die Gematik hat die technischen Voraussetzungen für das E-Rezept frist­gerecht umgesetzt und bereitgestellt, und die bisherige Testphase zeigt: Das E-Rezept funktioniert.“ Die Einführung sei jedoch ein anspruchsvolles Vorhaben mit vielen Beteiligten. Sorge bereiten der Gematik dabei vor allem die Softwarehäuser. In einer Diskussionsrunde zum E-Rezept, die vor Kurzem stattfand, kritisiert Leyck Dieken vor allem, dass die Anbieter der Praxisverwaltungssysteme den offiziellen Starttermin am 1. Januar 2022 als ihren Starttermin betrachteten und nicht die aktuelle Testphase. Allerdings habe die KBV als Zertifizierungsstelle hier auch einen Hebel: Sie könnte im vierten Quartal nur noch E-Rezept-fähige Systeme zulassen, so Leyck Dieken.

Ein Schwarzer-Peter-Spiel

Auch die KBV schiebt den Schwarzen Peter zumindest teilweise den Softwarehäusern zu. Fragt man die Anbieter der Praxisverwaltungssysteme beziehungsweise den Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg), in dem viele von ihnen organisiert sind, stellt sich die Lage allerdings ganz anders dar. Dort ärgert man sich über die Schuldzuweisungen seitens der Gematik und der KBV. Der limitierende Faktor sei nicht die Software selbst, sondern die Prozesse, die bei der Gematik und der KBV durchlaufen werden müssen – jedes System benötigt eine Konformitätsbescheinigung durch die Gematik und eine Zertifizierung durch die KBV. Diese Prozesse seien aber nicht abgestimmt, bemängelt der bvitg. Außerdem würden immer wieder die Anforderungen geändert. So sei es beispielsweise für die Zertifizierung durch die KBV seit Kurzem Pflicht, an den besagten Konnektathons teilzunehmen, bei denen Hersteller das Zusammenspiel ihrer Lösung mit anderen am Prozess beteiligten Systemen testen können. Für bereits zertifizierte Systeme gelten neue Anforderungen dann zwar nicht. Anders ist das anscheinend bei allen, die ihren Antrag schon eingereicht haben, aber dieser noch nicht abgesegnet ist. Laut Aussage der Verbandssprecherin müssen dann alle neuen Anforderungen umgesetzt werden. Man fange also wieder von vorne an.

Das „eine“ Problem gibt es nicht

Das „eine“ Problem, an dem die deutschlandweite Einführung des E-Rezept-Pilotprojekts jetzt gescheitert ist, lässt sich also nicht identifizieren. Es hakt vielmehr überall im Prozess. Das heißt: Auch ohne offizielle Verschiebung wäre am vergangenen Freitag vermutlich fast nirgendwo in Deutschland ein E-Rezept ausgestellt worden, weil die Voraussetzungen schlicht noch nicht gegeben sind – in der Fokusregion Berlin-Brandenburg nicht, wo eigentlich seit Juli getestet werden soll, und anderswo wohl auch nicht.

Und wie sieht es bei den Apotheken aus?

Auch wenn die Erkenntnis nicht hilft: An den Apotheken hat es jedenfalls nicht gelegen. Die allermeisten Apotheken sind technisch bereit für die E-Rezepte und die Anbieter von Apothekensoftware entsprechend gerüstet. Über die Verlängerung der Testphase ist man hier dennoch nicht traurig. Neben Awinta ist Pharmatechnik mit seiner IXOS-Apothekensoftware bei den E-Rezept-Testdurchläufen in der Fokusregion dabei. Nun sollen auch die Kunden im Bundesgebiet mit dem E-Rezept in Berührung kommen können: Ab sofort können alle IXOS-Nutzer einen „E-Rezept-Führerschein“ absolvieren. Dazu gehören eine digitale Fortbildung in Form einer mobilen App sowie Übungs-E-Rezepte, anhand derer das gesamte Apothekenteam „praktische Erfahrungen vor Ort direkt in IXOS sammeln“ kann. Gleichzeitig soll es auch prinzipiell möglich sein, dass alle IXOS-Apotheken E-Rezepte aus der Fokusregion empfangen und bearbeiten können. Per Upgrade würden dazu alle Apotheken „zeitnah“ befähigt. Daher begrüße man, dass die Testphase um zwei Monate verlängert wurde.

Overwiening hält Verlängerung der Testphase für notwendig

Diese Meinung vertritt auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Man müsse mehr reale Erfahrungswerte sammeln und die Ende-zu Ende-Tests müssten mehrfach wiederholt werden. Ein- bis dreimal reiche nicht aus. Gleichzeitig unterstrich sie, dass es nicht primär an den Apotheken gelegen habe. Es sei falsch, nach Schuldigen zu suchen, doch es sei gut, dass die Kassenärztliche Bundesver­einigung noch einmal in intensiven Austausch mit den Anbietern der Praxisverwaltungssysteme getreten sei. Die Apotheken seien sehr digitalaffin, und viele Betriebe hätten bereits an Schulungen teilgenommen.

Neben den Softwarehäusern sollen auch Kammern und Verbände entsprechende Angebote aufgestellt haben. Oberwienings Heimatkammer Westfalen-Lippe bietet seit Ende September Live-Online-Vorträge für die Mitglieder an. Die Geschäftsstelle meldete in der vergangenen Woche einen „enormen Zulauf“ auf die E-Rezept-Webinare. Die ersten fünf Veranstaltungen seien mit insgesamt gut 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer weitestgehend ausgebucht. Weitere Veranstaltungen sollen wieder ab Ende Oktober angeboten werden.

Vor diesem Hintergrund hält Overwiening die Einführungspflicht der E-Rezepte ab dem 1. Januar 2022 für kein Problem. Dies würden ihr auch die Kollegen zurückmelden. Sorgen machten dem Berufsstand eher die „politischen Implikationen“, die mit dem ­E-Rezept verbunden sind – wie beispielsweise die Stärkung des Arzneimittelversandhandels. |

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