Sanicare

Streit um Betriebserlaubnis und Fremdsteuerung

Stuttgart - 29.08.2017, 07:05 Uhr

Es gibt viele Altlasten für die Versandapotheke Sanicare, wie ein vom früheren Betreiber gekauftes Flugzeug neben dem Firmensitz. (Foto: dpa)

Es gibt viele Altlasten für die Versandapotheke Sanicare, wie ein vom früheren Betreiber gekauftes Flugzeug neben dem Firmensitz. (Foto: dpa)


Die Auseinandersetzungen um die Aufnahme eines neuen Apothekers als Sanicare-Geschäftsführer gehen bei der Apothekerkammer Niedersachsen in eine neue Runde. Gleichzeitig erheben die Anwälte des verstorbenen früheren Sanicare-Chefs Vorwürfe, die Apotheke werde fremdgesteuert. Dies weisen die Gesellschafter jedoch von sich.

Der Streit um die im niedersächsischen Bad Laer ansässige Versandapotheke Sanicare eskaliert weiter. Der Saarländische Pharmazeut Volkmar Schein hatte sie im Frühjahr 2013 übernommen, nachdem sie im Vorjahr nach dem Tod des früheren Leiters Johannes Mönter Insolvenz anmelden musste. Doch obwohl der Betrieb stabilisiert werden konnte, rissen die Probleme nicht ab. Rechtliche Auseinandersetzungen gibt es insbesondere um die Frage, ob der Einstieg des Apothekers Christoph Bertram rechtens ist: Im Jahr 2014 übertrug Schein die Hälfte der Anteile an seinen Kollegen, im Jahr 2015 weitere 45 Prozent. Nach Ansicht seiner Gattin verstießen die „unentgeltlichen“ Übertragungen der Geschäftsanteile unter anderem gegen ihre Rechte als Ehefrau, so dass sie vor das Familiengericht zog. Ihrer Ansicht nach konnte ihr Ehemann auch die Folgen nicht ausreichend abschätzen – er beging im Juli 2016 Suizid.

„In Bad Laer geht es um alles“, meldete die „Neue Osnabrücker Zeitung“ nun. Neben den eherechtlichen Auseinandersetzungen, der Frage, inwiefern Schein geschäftsfähig war, und weiteren Rechtsstreitigkeiten dreht sich die aktuelle Diskussion um zwei Punkte: Ist der Chefapotheker von Sanicare, Heinrich Meyer, legitimer Gesellschafter – und wird die Versandapotheke fremdgesteuert?

Nach einem Vertrag von Januar vergangenen Jahres übernahm Meyer 5 Prozent der Anteile von Sanicare von Bertram. Bei einer Gesellschafterversammlung verweigerte der rechtliche Vertreter Scheins der Aufnahme von Meyer jedoch die Zustimmung. Umstritten ist, ob damit die Aufnahme Meyers als Gesellschafter verhindert ist: Laut Rechtsanwaltskanzlei Comtesse, die nun die Witwe Scheins vertritt, muss die Aufnahme einstimmig beschlossen werden – laut Bertram und dem kaufmännischen Leiter Detlef Dusel jedoch nicht.

Widerspruch gegen Entscheidung der Kammer

Die Niedersächsische Apothekerkammer erteilte Meyer die Betriebserlaubnis im Januar vergangenen Jahres. „Nach umfassender rechtlicher Prüfung ist die Apothekerkammer zu der Entscheidung gelangt, dass Herrn Meyer als Gesellschafter der BS-Apotheken OHG die Betriebserlaubnis zu erteilen ist“, erklärte Sanicare damals. Scheins Witwe versuchte bislang erfolglos, hiergegen vorzugehen.

„Wir sind der Auffassung, dass Herr Meyer nicht legitimer Gesellschafter ist“, erklärte Rechtsanwalt Hermann Comtesse gegenüber DAZ.online. Die Präsidentin Magdalene Linz hatte gegenüber dem Branchendienst Apotheke Adhoc bestätigt, dass die Kammer bei dem Fall genau hingesehen habe. „Wir haben das geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir hier die Erlaubnis erteilen“, erklärte auch die Justiziarin Marion Eickhoff. Wie eine Pressesprecherin auf Nachfrage von DAZ.online bestätigte, wurde von der Kanzlei Comtesse zwischenzeitlich Widerspruch hiergegen eingelegt. Weitere Nachfragen wollte die Kammer mit dem Verweis auf das laufende Verfahren jedoch nicht beantworten.

Wer steuert Sanicare?

Ein weiterer Vorwurf von der Witwe Scheins ist, dass Sanicare schon lange „fremdgesteuert“ wird. Die Markenrechte an Sanicare waren im Oktober 2013 an eine Firma namens Mercator Services abgetreten worden, deren Geschäftsführer Bertram ist – und hinter der offenbar auch Dusel steht. Die BS-Apotheken OHG, die Sanicare betreibt, führte erhebliche Lizenzgebühren an Mercator ab. Da die Rechte inzwischen an eine weitere Firma Dusels – Top-Brands-Services – übertragen wurde, sieht die Witwe Scheins die Unabhängigkeit der Apotheke in Gefahr.

„Wir sind der Auffassung, dass die Apotheker – früher Herr Schein, jetzt Herr Bertram oder Herr Meyer – nicht mehr entscheiden können, was in ihrer Apotheke passiert, weil die Markenrechte und die Domain der Apotheke verkauft wurden“, erklärte Anwalt Comtesse gegenüber DAZ.online. Da die Nutzungsverträge Ende des Jahres ausliefen, könne Dusel „über Wohl und Wehe“ der Apotheke entscheiden. Wenn er Rechte und Domain abziehe, würde die OHG relativ schnell insolvent gehen, erklärt Comtesse – dann wäre es mit der Apotheke vorbei. „Wer bei Versandapotheken die Domain und die Markenrechte hat, der hat das Sagen“, betont er.

„Allein die Marke macht’s ja nicht“

„Sie können sich darauf verlassen, dass die BS-Apotheken OHG nicht ohne Markenrechte dastehen wird“, erklärte Dusel auf Nachfrage hingegen. „Da macht sich keiner Sorgen – und zwar zu Recht.“ Seiner Ansicht nach sind Markenrechte und Domain allein ohne Kundenstamm wenig wert. „Allein die Marke macht’s ja nicht“, sagt er – es gehöre ein Geschäftsbetrieb und die Kundenbasis dazu. „Deshalb ist die ganze Mär, dass sich jemand in die Hand des anderen begeben hat, vollkommener Quatsch.“

Dusel verwehrt sich außerdem gegen die Unterstellung, die Kammer hätte die Angelegenheit nicht genau geprüft – Comtesse drohte hingegen sogar mit einer Untätigkeitsklage. „Ich finde es sehr infam, der Apothekerkammer da ein Versagen oder eine Tendenz zu unterstellen – genau das Gegenteil ist der Fall“, erklärte Dusel. Bei den größeren Apotheken werde eher etwas genauer hingeguckt als bei kleineren. „Aufgrund des größeren Volumens haben wir eine größere Verantwortung“, erklärte er. „Der Beschluss wurde ein dreiviertel Jahr geprüft, auch unter Beiziehung externen Sachverstands.“ Spannend ist nun die Frage, ob die Kammer die Einschätzung der aktuellen Sanicare-Gesellschafter teilt – oder ob die Kanzlei Comtesse mit dem neuen Widerspruch überzeugende Argumente vorbringen konnte.

Zusammenarbeit mit Bertelsmann-Tochter

Medienberichte über eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Bertelsmann-Konzern und eine mögliche Übernahme von Anteilen an der Mercator Services – die somit auch die Markenrechte betreffen würden – wies Dusel als teilweise falsch zurück. „Zu den Details kann ich nichts sagen“, erklärte er unter Hinweis auf Verschwiegenheitsklauseln. „Aber es gab deutliche Vorteile – sonst hätte Herr Schein es nicht gemacht.“

Bis heute arbeitet Sanicare mit der Bertelsmann-Tochter Arvato zusammen, die Dienstleistungen im IT- und Logistik-Bereich für Sanicare übernimmt – wie die Versandapotheke beispielsweise auch Logistikleistungen für den Optiker Fielmann tätigt. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung" dementierte ein Arvato-Sprecher, dass die Firma auf unzulässige Weise mit Sanicare zusammenarbeiten wollte. „In den Betrieb von Versandapotheken wollen und werden wir nicht einsteigen“, erklärte er. „Das ist nicht unser Geschäft, wir sind keine Händler“, betonte der Sprecher: „Spekulationen über Anteile und Anteilseigner“ werde er nicht kommentieren.

„Das waren ja Schenkungen“

Comtesse behauptet, Schein habe schon seit den Jahren 2013 beziehungsweise 2014 keine verantwortlichen Entscheidungen mehr getroffen – seit der ersten Übertragung der Gesellschafteranteile an Bertram. „Das sind Geschäfte, die sind rational nicht erklärbar“, erklärt Comtesse – da Bertram die Anteile erhielt, ohne hierfür Schein ein Entgelt zu zahlen. „Das waren ja Schenkungen“, sagt Comtesse gegenüber DAZ.online – Bertram habe seiner Ansicht nach Schenkungssteuer zahlen müssen.

Laut Dusel waren es normale geschäftliche Entscheidungen

Schein habe ein stark negatives Kapitalkonto gehabt, was später hätte ausgeglichen werden müssen. „Herr Schein hatte damit schlagartig Schulden in Millionenhöhe und keine Apotheke mehr“, erklärt Comtesse. Für den Todesfall hatte offenbar die Sparkasse Osnabrück eine Lebensversicherung in Höhe von fünf Millionen Euro verlangt, die aufgrund des Suizids zum Ausgleich genutzt wurde.

Laut Dusel habe es sich um ganz normale geschäftliche Entscheidungen getroffen: Bertram habe mit der Übernahme erhebliche Finanzmittel in die Apotheke eingebracht, wie später auch Meyer. „Sie haben das Geld aus der eigenen wirtschaftlichen Sphäre in die OHG eingebracht, und damit ist es final in der Gesellschaft gebunden und steht den Einlegern für private Zwecke nicht mehr zur Verfügung“, erklärt er. Daher seien die Übertragungen durchaus nicht als Schenkungen zu verstehen.

Das Kapitalkonto Scheins sei durch Privatentnahmen und anteilige Schulden ins Minus geraten, sagt Dusel – während Comtesse bemängelt, dass ihm von den aktuellen Sanicare-Gesellschaftern keine Unterlagen vorgelegt würden, anhand derer dies nachzuvollziehen ist. Aufgrund der gegenseitigen Beschuldigungen werden sich die Gerichte an dem Fall wohl weiter abarbeiten müssen. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Streit um Versandapotheke geht in die nächste Runde

Sanicare „fremdgesteuert“?

Witwe des ehemaligen Sanicare-Inhabers Volkmar Schein und derzeitige Leiter ziehen gegeneinander vor Gericht

Der Streit um Sanicare geht weiter

Versandapotheken

Streit um Sanicare

Versandapotheken-Eigentümer streiten vor Gericht

Weiter Zoff bei Sanicare

3 Kommentare

Betriebsgröße eK

von Tom am 30.08.2017 um 18:05 Uhr

Es nicht erlaubt das Fremdbesitzverbot zu umgehen. Die Rechtsprechung und das ApoG ist eindeutig bzgl. Strohmannkonstruktionen im dt. Apothekenwesen. Bei der Beantragung der Betriebserlaubnis versichert jeder Apotheker auch in wirtschaftlicher Hinsicht selbstbestimmt zu handeln. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen solche Konstruktionen unterbunden und rückgängig gemacht werden. Es ist auch nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn Erträge aus einer Apotheke von weniger besteuerten GmbHs abgezapft werden. Oder wenn die apothekennotwendige Domain, Markenrechte und Kundenstamm losgekoppelt von der Apotheke z.B. in die Niederlande verkauft werden können. Dann stehen Apothekeneigentümer und Mitarbeiter sowie Kammer plötzlich ohne Umsätze da. Das Druckmittel auf den Strohmannapotheker ist damit immens. Hier sollte wohl gerade ein Medienkonzern Zugriff auf apothekeneigene Daten gegen Beteiligung erhalten. Die Gesundheitsdaten an ein Privatunternehmen ohne persönliche Haftung?
Es kann nicht sein, dass bei umsatzabhänigen Mietverträgen bei vor Ortlern zu Recht hart durchgegriffen wird, aber die großen Versender lässt man bei ähnlichem Verstoß gegen das ApoG folgenlos gewähren.
Zum Thema Betriebsgröße: Aus einem anderen Artikel lässt sich schließen, dass Herr Dr. Schein 15 ct. pro Packung bzw. ca. 1 Mio p.a. an die Marken-und Domainfirma gezahlt hat. Das bedingt etwa 6Mio. Packungen/Jahr. Das sind dann bei dem Packungswert einer Versandapotheke etwa 60Mio.€ Umsatz. Es gibt mehrere 4er-Verbünde mit HIV- und Hepatitispatienten in Großstädten, die solche Umsätze problemlos als e.K. völlig eigenverantwortlich erreichen. Es wird niemand gezwungen eine Versandapotheke zu betreiben. Wenn man es aber macht, so ist die Gesetzeslage einzuhalten ansonsten ist man selbst schuld wenn die Bude dicht gemacht wird.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Betriebsgröße

von Holger am 30.08.2017 um 8:28 Uhr

Ob die Protagonisten jetzt Apotheker sind oder nicht, ist für mich von nachgeordneter Bedeutung. Grundlage dieses Disputs ist für mich die Annahme, dass die meisten Menschen einfach "fies" werden, wenn es um viel Geld geht. Und ich frage mich, ob es nicht irgendwo eine "natürliche maximale Betriebsgröße" gibt, die man als eK führen kann oder nicht. Müssten wir nicht als Berufsstand eigene Regeln definieren, die solche Riesenunternehmen verhindern? Denn dem Leitbild des "Apothekers in SEINER Apotheke" entspricht das gewiss nicht. Ich bin kein Fan dieses Leitbilds, aber wenn wir es haben, müssen wir es auch durchsetzen! Alternative wäre das Zulassen von Kapitalgesellschaften, Fremdbesitz etc. und damit das Ermöglichen von Strukturen, in denen auch solche Giganten mit neunstelligen Umsätzen führbar sind.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Allein schon Anteile....

von pharmi am 29.08.2017 um 10:20 Uhr

Allein, wenn eine Apotheke in Anteile geteilt wird, zeigt doch schon deutlich, dass hier eben nicht nur ein Apotheker das sagen hat, sondern auch die Gesellschafter/Investoren... Sind diese keine Apotheker haben Außenstehende ein anteiliges Mitspracherecht... Da die wenigsten Versandapotheken auf eigenen Beinen stehen können, haben Geldgeber dann auch ein eventuelles Druckmittel, wenn es nicht so läuft, wie sie es sich vorstellen... Würde jetzt allein eine "gute" Absicht hinter der Investition stehen, bräuchten sie wohl keine Anteile bekommen...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.