Medikationsfehler

Bei Schweizer Hausärzten gibt es Verbesserungspotenzial

Remagen - 18.08.2017, 09:00 Uhr

(Foto: picture alliance/chromorange)

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Medikationsfehler können auf dem Weg von der Verschreibung durch den Arzt über die Apotheke bis hin zur Anwendung durch den Patienten überall passieren. Die Apotheke hat hier eine wichtige Kontrollfunktion. Was aber, wenn keine Apotheke dazwischengeschaltet ist, so wie in der Schweiz, wo viele Ärzte die Arzneimittel direkt selbst abgeben? Eine neue Studie hat die dortige Situation unter die Lupe genommen.

In einer prospektiven Beobachtungsstudie haben Wissenschaftler von der Universität Zürich Medikationsfehler in der primärärztlichen Versorgung in der Schweiz analysiert und versucht, mögliche Risikofaktoren dafür zu identifizieren. In die Studie, deren Ergebnisse im British Medical Journal publiziert wurden, (BMJ Open 2017; 7:e013658), waren 149 Praxen von Allgemeinmedizinern/Internisten und 32 Kinderarztpraxen einbezogen, die im Jahr 2015 an das Swiss Sentinel Surveillance Network (Sentinella) angeschlossen waren. Das Sentinella-Meldesystem ist ein gemeinsames Projekt zwischen Schweizer Hausärzten und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Neben der Überwachung übertragbarer akuter Erkrankungen ermöglicht es auch die Forschung in der Hausarztmedizin. 

42 Prozent der Ärzte gaben die Arzneimittel selbst ab

In der Studie der Züricher Wissenschaftler waren 42 Prozent der Ärzte selbstdispensierend, rund 11 Prozent hatten ein gemischtes System, und bei 47 Prozent wurden die verordneten Arzneimittel über eine Apotheke abgegeben. Fast 37 Prozent der Mediziner waren älter als 50 Jahre, 32 Prozent 60 und darüber. Etwa die Hälfte führte die Patientenakten elektronisch, der Rest als Papierversion. Lediglich knapp 37 Prozent der Praxen verfügten über Programme zur systematischen Kontrolle von Arzneimittelinteraktionen. 

Im Jahr 2015 gingen von den 148 Allgemeinärzten/Internisten 194 für die Studie auswertbare Meldungen über „medication incidents“ ein und von den 32 Pädiatern 3. Dies ergibt für die Hausärzte bei 4456 Patientenkontakten 1,31 Vorfälle pro Arzt und Jahr oder 29,4 pro 100.000 Kontakten. Bei 32 Kinderärzten mit rund 5300 jährlichen Patientenkontakten ergibt sich eine Rate von 0,1 Vorfall pro Arzt und Jahr bzw. 1,8 pro 100.000 Kontakten.

Was waren die häufigsten Fehler?

Über einen zusätzlichen Fragebogen erfuhren die Forscher von den Ärzten, dass es noch weitere Fälle gegeben habe, die jedoch nicht gemeldet worden seien. Immerhin rund ein Viertel gab an, dass das aus Zeitmangel oder Vergesslichkeit selten oder manchmal vorkomme oder dass sie nie meldeten. Die Schweizer Wissenschaftler schließen aus dem Rücklauf der Fragebögen auf eine rund 58-prozentige Rate an Underreporting. Nach ihrer Berechnung steigt die Rate an „medication incidents“ damit auf 2,07 pro Arzt und Jahr bzw. 46,5 pro 100.000 Patientenkontakte und für die Pädiater auf 0,15 bzw. 2,8 auf 100.000 Kontakte.

Die meisten Meldungen betrafen fehlerhafte Dosierungen (meistens zu hoch). An zweiter Stelle folgten Verschreibungen von falschen Medikamenten. Die Mehrzahl bezog sich auf orale Arzneimittel, aber in vier Fällen ging es auch um Fehler bei Parenteralia (Insulin und Impfstoffe). Die drei Fälle aus der Pädiatrie waren allesamt falsche Dosierungen (darunter zweimal von Antibiotika). In 89 von 195 Fällen wurde im Zusammenhang mit den Vorfallmeldungen über Schädigungen von Organsystemen berichtet, bei 13 war mehr als ein Organsystem involviert. 17 Prozent der Patienten hatten durch die Fehler mittelschwere oder schwerwiegende Probleme. 3,5 Prozent brauchten eine stationäre Behandlung. Todesfälle gab es nicht.

Beim Essen zum falschen Arzneimittel gegriffen

Unter den falsch eingesetzten Medikamenten standen im Einklang mit der Verordnungshäufigkeit die ATC-Gruppen C (Kardiovaskuläre Mittel, 23 Prozent) und N (Nervensystem, 22 Prozent) im Vordergrund. Gemessen an den Verordnungen überproportional häufig wurden Fehler bei Mitteln aus der ATC-Gruppe B (Blut und blutbildende Organe, 12 Prozent) mit den oralen Antikoagulanzien (Rivaroxaban, Phenprocoumon und Acenocoumarol) berichtet. Nicht immer gab es bei den Medikationsfehlern einen Bezug zu einer Arzneimittelgruppe. In 17 Fällen hatten Patienten in Pflegeeinrichtungen Medikamente eingenommen, die für andere Bewohner bestimmt waren. Meist hatten beide beim Essen am selben Tisch gesessen.

Apotheker nur in wenigen Fällen verantwortlich

In fast allen Fällen konnten die Ärzte mögliche Auslöser für die „Incidents“ angeben. Auf die Frage, wer dafür verantwortlich gemacht werden könne, nannten rund 21 Prozent den Arzt selbst, gefolgt von der Einrichtung, in der der Patient lebt (17 Prozent) und dem Personal in der Arztpraxis mit rund 14 Prozent der Antworten. Apotheken wurden lediglich von 3,7 Prozent für Medikationsfehler verantwortlich gemacht.  

Fast 70 Prozent der Vorkommnisse vermeidbar

Als wichtigste Risikofaktoren für die Häufigkeit von Medikationsfehlern ermittelten die Wissenschaftler eine höheres Alter, Pflegebedürftigkeit, mehrere chronischen Erkrankungen und Polypharmazie. 68 Prozent der Vorkommnisse wurden als wahrscheinlich oder sicher vermeidbar eingestuft. Aus der Sicht der Studienautoren um Markus Gnädinger von der Uni Zürich zeigen die Ergebnisse, dass die Fehler trotz der vielfältigen Ursachen oft mit Kommunikationsproblemen zusammenhingen.

Ärzte geloben Besserung

Rund drei Viertel der Ärzte gaben in der Untersuchung an, dass sie nach einem entsprechenden Ereignis Gegenmaßnahmen ergriffen hätten, damit so etwas nicht mehr vorkommt. Dabei ging es meist um eine bessere Verständigung mit anderen Versorgern und eine bessere Unterweisung der Patienten. Zu den Vorschlägen, wie man die Situation in Zukunft insgesamt verbessern könnte, zählten außerdem genaue Medikationslisten, reguläre Follow-up-Kontrollen und organisatorische Änderungen in der Praxis und beim Personal.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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