Meldepflicht gefordert

Medikationsfehler bleiben oft im Dunkeln

Berlin - 17.08.2023, 17:00 Uhr

Vermeidbare Behandlungsfehler sollten einer Meldepflicht unterliegen, fordern die Medizinischen Dienste. (Foto: Robert Kneschke / AdobeStock)

Vermeidbare Behandlungsfehler sollten einer Meldepflicht unterliegen, fordern die Medizinischen Dienste. (Foto: Robert Kneschke / AdobeStock)


Verglichen mit der Gesamtzahl aller Arzt- und Krankenhausbehandlungen ist die Zahl der festgestellten Behandlungsfehler gering. Doch die dahinter stehenden Einzelschicksale sind gewichtig – und es gibt Fehler, die einfach nicht passieren dürfen, zum Beispiel Medikamentenverwechslungen. Solche schwerwiegenden, aber sicher vermeidbaren Ereignisse sollten aus Sicht der Medizinischen Dienste, die heute die Fehlerstatistik 2022 veröffentlicht haben, verpflichtend gemeldet werden.

13.059 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern hat der Medizinische Dienst im Jahr 2022 erstellt. In der Mehrzahl der Fälle wurde kein Fehler festgestellt. Insgesamt kamen die Gutachter jedoch auf 3.685 Fehler. Jedes vierte Gutachten (3.221) kam zu dem Schluss, dass ein Behandlungsfehler und ein Gesundheitsschaden vorlagen. In fast jedem fünften Fall (2.696) war der Fehler auch die Ursache für den gesundheitlichen Schaden. In 84 Fällen führten die Fehler sogar zum Tod oder trugen wesentlich dazu bei. Bei knapp zwei Drittel (60,5 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patientinnen und Patienten aber nur vorübergehend. Dies geht aus der am Donnerstag vorgestellten Jahresstatistik 2022 der Behandlungsfehler-Begutachtung der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste hervor. Die Zahlen bewegen sich in etwa auf dem Niveau der Vorjahre.

OP-Fehler sind offensichtlicher als Medikationsfehler

Die meisten Fehler (32 Prozent) zeigten sich im Bereich der operativen Therapie. In 23 Prozent der Fälle unterliefen sie bei der Befunderhebung. Fehler bei der medikamentösen Therapie hatten einen Anteil von 5,6 Prozent. Insgesamt 208 Fehler führt die Statistik im Arzneimittelbereich auf. 44-mal stimmte beispielsweise die Dosierung nicht, in 20 Fällen gab es eine bekannte Allergie und in zwölf Fällen kam es zu einer Verwechslung. Als Beispiel für einen Fehler aus diesem Bereich nannte Christine Adolph, stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern, den Fall einer Schwangeren: Sie erhielt ein für Schwangere kontraindiziertes Bluthochdruckmedikament, das beim ungeborenen Kind schwere dauerhafte Schäden verursacht hat. Adolph verwies auch darauf, dass Fehler bei chirurgischen Eingriffen für Patientinnen und Patienten in der Regel leichter zu erkennen seien als beispielsweise Medikationsfehler. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Meldungen zu OP-Fehlern erfolgen.

Hohe Dunkelziffer

Insgesamt wirkt die Fehlerzahl aber gering, bedenkt man, dass die Krankenhäuser in Deutschland pro Jahr fast 17 Millionen Fälle behandeln und Arztpraxen mehr als 550 Millionen Behandlungsfälle zählen. Stefan Gronemeyer, Vorstandvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund betont jedoch: „Die Begutachtungszahlen zeigen nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens.“ Wissenschaftliche Untersuchungen belegten, dass die Dunkelziffer deutlich höher liege. Gronemeyer: „Experten gehen davon aus, dass etwa 1 Prozent der Krankenhausfälle von Behandlungsfehlern betroffen ist. Nur etwa 3 Prozent aller unerwünschten Ereignisse werden nachverfolgt.“

Forderung nach verpflichtender nationaler Never-Event-Liste

Um die Patientensicherheit zu verbessern, sollten aus Sicht der Medizinischen Dienste schwerwiegende, aber sicher vermeidbare Ereignisse wie Seiten- oder Medikamentenverwechslungen („Never Events“) verpflichtend gemeldet werden. „Das ist internationaler Standard in der Patientensicherheit. Es ist aus Patientensicht nicht hinnehmbar, dass Deutschland das nicht umsetzt“, so Gronemeyer. Diese eigentlich gut vermeidbaren Schadensereignisse tauchen jedes Jahr in der Begutachtungsstatistik auf (2022: 165 Fälle; 2021: 130 Fälle), obwohl die Risiken bekannt und geeignete Präventionsmaßnahmen verfügbar wären. Doch offenbar sind die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort doch unzureichend. Gronemeyer sieht in der geplanten Novellierung des Patientenrechtegesetzes die Chance, „eine verpflichtende Nationale Never Event-Liste einzuführen und dadurch die Patientensicherheit in der Versorgung zu stärken“. Die Meldung der Schadensereignisse soll dabei ausschließlich der Prävention dienen und für die Einrichtungen sanktionsfrei und pseudonymisiert erfolgen.


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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