Kooperationen

Rezept für die Zukunftssicherung

Wie sich der Markt der Kooperationen entwickelt hat

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Wer die Relevanz der Apothekenkooperationen im Gesundheitsmarkt der Zukunft zuverlässig einschätzen will, sollte sich mit der Entwicklung und Gegenwart der Verbundgruppenszene genauer beschäftigen, weil Marktveränderungen fundamentale wirtschaftliche Wurzeln haben. Auch ein Blick über den Tellerrand in den deutschen Handel oder in die Nachbarländer wie die Schweiz öffnet den Blick für künftige Marktentwicklungen. | Von Klaus Hölzel

Schon Mitte der Achtzigerjahre gründeten sich lokale und regionale Apothekengruppen. Am bekanntesten war der Hegeda-Pool, eine Einkaufsgemeinschaft des Großhändlers Merckle, heute Phoenix. Sie war zu einem gewissen Grad die Reaktion auf die Urform der Kooperation, die Genossenschaft, in Deutschland vertreten durch Noweda und Egwa-Wiveda, heute Sanacorp. Damals galt das geflügelte Wort von „meinem Großhandel, meiner Heimat“. Mit den ersten schmerzhaften Gesundheitsreformen trat neben der gefühlten Wahl einer Kooperation der beginnende Rentabilitätsgedanke, die eher rational orientierte Kooperationsentscheidung vor allem einkaufsstarker Apotheker.

Definitionen „Kooperation“

„Darunter lassen sich alle Formen der Zusammenarbeit von Unternehmungen verstehen, sei es nun auf freiwilliger oder auf obligatorischer Basis, um gemeinsame wirtschaftliche Belange zu verfolgen.“

H.-O. Schenk, Marktwirtschaftslehre des Handels

„Kooperation ist jede auf freiwilliger Basis beruhende, meist vertraglich geregelte Zusammenarbeit rechtlich und wirtschaftlich selbstständig bleibender Unternehmungen (insbesondere aus dem Groß- und Einzelhandel) zur Absicherung beziehungsweise Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit. Einzelne Leistungsbereiche (zum Beispiel Einkauf, Marketing etc.) werden auf die Kooperationszentrale übertragen, da diese in diesen Bereichen über mehr Knowhow verfügt. Ziel dabei ist der nachhaltige Erhalt der Selbst­ständigkeit.“

Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution

„Verbundgruppe ist ein Sammelbegriff für Zusammenschlüsse rechtlich selbstständiger Unternehmen zum Zwecke der zwischenbetrieblichen Kooperation. Die Zusammenarbeit kann in der Beschaffung, im Absatz, im Investitions- und Finanzbereich und in der Verwaltung erfolgen. Trägerbetrieb sind Verbundgruppenzentralen, meist in der Rechtsform der Genossenschaft, der GmbH oder der AG.“

Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution

In den Jahren 2001 bis 2005 boomte der Gründermarkt. Viele neue Kooperationen entstanden wie zum Beispiel parmapharm, andere entwickelten sich weiter wie die MVDA und manche überlebten schon die erste Wachstumsphase nicht. Ein Zitat von Professor Dr. Peter Oberender belegt das: „Viele Kooperationen scheitern, weil sie aus falscher Sparsamkeit versäumen, möglichst frühzeitig ein professionelles Management einzusetzen. Die Kooperation braucht jemanden, der die Gruppe der Einzelkämpfer Apotheker zusammenhält, nachdem die Euphorie der ersten Stunde verflogen ist.

„Die Kooperation braucht jemanden, der die Gruppe der Einzelkämpfer Apotheker zusammenhält, nachdem die Euphorie der ersten Stunde verflogen ist.“

Professor Dr. Peter Oberender

Doch das Management muss vor allem von Anfang an realistische Strategien und Konzepte entwickeln. Es sollte von Unternehmerpersönlichkeiten verkörpert werden, die Visionen haben mit einem angemessenen Blick für die Realität.“ Diese Kritik betraf die ihm nahestehende A+PKO-Gruppe. Die Treuhand Hannover GmbH fragte beim Betrachten von damals rund 30 Kooperationen, ob es wirklich nötig sei, einer Verbundgruppe beizutreten. Die Antwort gaben die Apotheker in den letzten Jahren selbst.

Eine Entwicklung, die auch für die Zukunft von Bedeutung war, gilt es hervorzuheben: Fast alle Großhändler, auch die privaten wie Kehr und Ebert & Jacobi, gründeten nach dem Erstarken der MVDA eigene Kooperationen für ihre bisherigen Lieferkunden. Im Grunde handelte es sich um aus der Zentrale ausgelagerte Marketing- und Vertriebsabteilungen, die ihre Kunden mit besonderen Leistungen gegen eine Monatsgebühr binden und ihren Marktanteil auch vergrößern wollten. Lediglich Noweda tat das Gleiche ohne eine Kooperation mit eigener Rechtsform zu gründen.

Wasch mir den Pelz

Bis in die Gegenwart hinein zeigen sich Apotheker überzeugt, die Synergieeffekte einer Kooperation zu hundert Prozent nutzen zu können, ohne partiell Freiheiten aufgeben zu müssen: „Wasch mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass.“ Auch die Übereinstimmung mit den Zielen der Kooperation wurde bis in die letzten Jahre als Nebensache betrachtet. Kernpunkt der Kritik war jedoch die mangelnde Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten der Mitgliedsapotheken. Kooperationen achteten weniger auf die Homogenität der Gruppe als auf eine möglichst hohe Mitgliederzahl. Kam noch die Einführungspflicht einer Dachmarke dazu, war die Trennung für manche Apotheker vorprogrammiert. Keine Kooperation sicherte allein durch ihre Tools in Einkauf, Marketing und weiteren Geschäftsfeldern ein wirtschaftliches Überleben. Manche Kosten- und Nutzenberechnungen, soweit sie überhaupt durchgeführt wurden, ergaben ein kleines Plus oder gar ein Nullsummenspiel. Das lag allerdings auch daran, dass viele Angebote wie etwa das Category Management nicht oder unzureichend umgesetzt wurden (siehe Abbildung 3).

Kritik an der wachsenden Zahl von Kooperationsapothekern kam und kommt von der Standesorganisation. Für Ina Hofferberth (LAV-Geschäftsführerin Baden-Württemberg) bleibt ein Landesapothekerverband „die unverzichtbarste Kooperation“. Der ehemalige LAV-Geschäftsführer aus Thüringen, Dr. Reinhard Giese, formulierte es in seiner aktiven Zeit als Geschäftsführer spitzer: „Jeder Apotheker muss selbst entscheiden, ob er lieber an der Leine, unter einem Dach oder an der Kette tätig sein will, falls er einer Kooperation beitritt.“ Dennoch gab es zahlreiche LAV-Vorstände, die Mitglied einer Kooperation wurden. Mehr noch: Mit „OTC­Aktiv“ bot die standeseigene MGDA klassische Kooperationsleistungen gegen eine Monatsgebühr an. 2008 gründete Apotheker Dr. Stefan Hartmann den Bundesverband der Apothekenkooperationen (BVDAK). Das konnte er nur tun, weil der DAV die Marktentwicklung zwar beobachtete, aber nichts unternahm, um die Kooperationen näher an sich zu binden. Zudem versuchte die Standesführung in den Anfangsjahren auszugrenzen, indem sie Apothekenkooperationen als Vorläufer von Apothekenketten verunglimpfte. Dies passiert heute noch gelegentlich. Die standeseigene Presse sprach vom Dachverband als Ein-Mann-Show und schrieb damals: „Fraglich ist, ob der Bundesverband als legitime Interessenvertretung anerkannt wird, zumal der Vorstand die Notwendigkeit seines Verbundes nicht befriedigend beantworten könne. Heute verfügt der Verband über 4924 Mitgliedsapotheken, 19 Kooperationen und einen breit gefächerten Förderkreis. Für die Zukunft heißt das: Der BVDAK wird sich aktiv in die bevorstehenden Veränderungen einbringen und wird den Apothekenmarkt der Zukunft mitgestalten.

„Jeder Apotheker muss selbst entscheiden, ob er lieber an der Leine, unter einem Dach oder an der Kette tätig sein will.“

Dr. Reinhard Giese, LAV Thüringen

Die Angst vor Fremdbesitz

Die aktuellen Mitgliedszahlen der über 60 Kooperationen (siehe Tabelle) sind in den letzten Jahren auf einem hohen Niveau nahezu konstant. Gab es vor dem EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot noch einmal einen Zuwachs durch die eher ängstlichen Apotheker, so sind nun vor allem die Verschiebungen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen und die abnehmenden Mehrfachmitgliedschaften von Interesse. Im Apothekenmarkt insgesamt haben sich seit 2014 Strukturveränderungen gezeigt (siehe Abbildung 1). Zudem konnten die führenden Kooperationen, wie zum Beispiel gesund leben oder Linda, ihr Leistungsangebot wesentlich attraktiver gestalten. Der Wettbewerb um die besten Apotheken an den jeweiligen Standorten ist spürbar.

Marktentwicklung Kooperationen 20161
2016
2015
2014
Zahl der Mitgliedschaften (= Verträge)
19.944
20.913
19.860
  • Mehrfachmitgliedschaften
2.593 (13%)
3.137 (15%)
1.986 (10%)
Apotheken in Kooperationen
17.351
17.776
17.874
Apothekenzahl inkl. Filialen
20.254
20.441
20.716
Apotheken ohne Kooperation (inkl. Filialen)
2.903
2.665
2.842
Zahl der Mitglieder in ­Fachkooperationen
1.070
1.763
1.580
Zahl der Mitglieder in ­regionalen Kooperationen
501
510
400
Zahl der Mitglieder in ­Discount-Kooperationen
206
251
275
Zahl der Kooperationen
79
80
81
Kooperationen mit mindestens 100 Mitgliedern
21
26
22

1 Quelle: Kooperationskompass 2016

Abb. 1: Apothekenentwicklung 2014

„Die Zukunft der Apotheken und damit auch der Kooperationen wird wesentlich von den politischen Rahmenbedingungen beeinflusst.“

Dr. Stefan Hartmann, BVDAK-Vorsitzender

Betrachtet man die Kooperationsstruktur und den Bindungsgrad (siehe Abbildung) am Jahresende 2016 dann zeigen sich folgende Tendenzen besonders deutlich:

  • Die Dominanz der Großhandels- beziehungsweise der großhandelsnahen Kooperationen ist mit einem Markt­anteil von über 75 Prozent sehr deutlich. Sie können bundesweit agieren und haben deutlich mehr als 1000 Outlets.
  • Diese Marktführer bieten ein umfangreiches Leistungsangebot und vor allem unterschiedliche Stufen des Bindungsgrades.
  • Attraktive Kooperationsmitglieder im dreistelligen Bereich mit universellem Angebot und bundeslandübergreifenden Standorten weisen die Verbundgruppen Elac, parmapharm, AVIE und Migasa auf. Weitere eher regional agierende Kooperationen, wie zum Beispiel 1A-Gesund, Medicon, Curadies oder Bären, besitzen ebenfalls eine hohe Zahl attraktiver Mitglieds-Apotheken.
  • Der seinerzeit durch DocMorris angestoßene „Discount-Trend“, beschleunigt durch die OTC-Preisfreigabe 2004, hat sich nicht fortgesetzt – im Gegenteil. Mit deutlich erweitertem Leistungsprofil agieren zum Beispiel die easy-Apotheken und die farma-plus-Standortbetreiber.
  • In der Fachkooperationsszene beherrschen die hilfsmittelorientierten Gruppen den Markt. Cura-San, Apoquick und Belsana-VenenfachCenter könnten zukünftig eine größere Rolle im GKV-Markt spielen.

Welche Gefahr geht von ausländischen Versandapotheken für die Kooperationen aus? Jede Kooperation kann selbst durch Gründung oder Beteiligung an einer ausländischen Versandapotheke Marktanteile, die der stationären Kooperations-Apotheke verloren gehen, zumindest theoretisch zurückholen. Doch innerhalb der Mitgliederschaft besitzt eine solche Konstellation erhebliche Sprengkraft. Suchen große Versender in Zukunft ein Netz von Abholstationen, bieten sich die Kooperationen als dankbarer Partner an, sofern sie groß genug sind und wirtschaftlich angemessen von dieser Vertriebslösung profitieren.

„Die Zahl der Kooperationen wird sich halbieren.“

Professor Dr. Joachim Zentes im Jahr 2010

Zukunftsszenarien: Pulverfass oder heile Welt?

„Der Apotheken- und Kooperationsmarkt wird von den künftigen politischen Entwicklungen ganz wesentlich beeinflusst“, ist sich Dr. Stefan Hartmann (BVDAK) sicher. Gründungs- und Konsolidierungsphasen sind weitgehend abgeschlossen (siehe Abbildung 2). Pleiten und Rückzüge gab es zwar (gesine, DocMorris und andere), doch die Struktur zeigt sich zurzeit noch stabil. Das hatte einer der führenden Handelsprofessoren, Dr. Joachim Zentes, 2010 schon ganz anders vermutet: „Die Zahl der Kooperationen wird sich halbieren und in expansive Winner sowie proaktive Downsizer aufteilen.“ Wie sich gezeigt hat, ist der Apothekenmarkt bis jetzt stabiler als andere Handelskanäle.

Abb. 2: Kooperations-Entwicklung

Dennoch: Die Zukunft gehört denjenigen Kooperationen, deren Mitglieder sich stark mit ihrer Kooperation identifizieren, vor Ort als lokale Marktführer wirtschaftlich agieren und die Power der Systemzentrale für ihren Standort nutzen (siehe Abbildung 3). Professor Dr. Joachim Zentes nennt das „straffe Bindung an partizipative Entscheidungen“. Die Organisation der Kooperation müsse seiner Meinung nach eine Balance zwischen selbstständigem Agieren und verbindlichem Umsetzen der gemeinsam getroffenen Maßnahmen möglich machen. Als Vorbild wird immer wieder die Einzelhandelsgenossenschaft EDEKA genannt. Davon sind die Kooperationen im Apothekenmarkt nicht nur wegen der Besitzstruktur noch ein erhebliches Stück entfernt.

Abb. 3: Merkmale erfolgreicher Kooperationen

Im Angesicht drohender Veränderungen durch eine neue Regelung der Rx-Preisbildung sind in einem ersten Schritt zwei Szenarien denkbar, die sich im Laufe der nächsten Jahre womöglich auch ohne gravierende politische Änderungen ergeben hätten.

These 1: Die Prozessoptimierung zwischen Zentrale und Apotheke, vor allem aber in der Apotheke, wird den Qualitätsabstand zwischen den großen Kooperationen und einigen nicht so attraktiven regional-lokalen Verbänden erheblich vergrößern.

These 2: Der Grad der Umsetzungsverbindlichkeit wird zunehmen: Einzelne Mitgliedsaustritte werden in einigen Kooperationen die Folge sein. Die gewachsene Homogenität stärkt den Verbund der Verbliebenen.

Unterstellt man eine neue Rx-Preisbildung, die für große Teile der Apothekerschaft existenzgefährdend wäre, käme es zu weitreichenden Folgen. Auch der Fremdbesitz stünde am Ende der Entwicklung wieder als Option der Politik zur Verfügung.

These 3: Die Marktführer orientieren sich an Märkten wie etwa die der Schweiz. Sie bieten die Kette, ein Franchise-System oder die Kooperation wie zurzeit an. Die Dachmarke wird dabei die Regel.

These 4: Global Player aus dem Pharmamarkt und aus anderen Sektoren wie zum Beispiel Amazon sowie strategische Investoren werden hohe Summen für die Übernahme von solchen Kooperationen bieten, die im GKV-Markt und regional eine Bedeutung erlangen. Hier können auch mittelgroße Kooperationen, vielleicht sogar in der Hand von Einzelapothekern, enorme Gewinne realisieren, sofern sie bisher schon und dann verstärkt, ihre „Braut schön gemacht haben“. Diese globale Umverteilung wird im Buch von H.-J. Jakobs (Titel: „Wem gehört die Welt“) treffend beschrieben.

These 5: Zum Trost für die anderen Kooperationen: Sind sie schnell, flexibel, innovativ und als Local Hero bekannt oder stark in Teilmärkten (zum Beispiel Hilfsmittel), dann werden ihnen neue Kooperationsmöglichkeiten mit den Marktführern geboten oder sie schaffen es, in Clan-Verbünden als Kettengegenwicht zu überleben.

These 6: Apotheken ohne jede Kooperationsbindung wenigstens im Einkauf werden wegen wirtschaftlicher Probleme rasant vom Markt verschwinden. Die Standesorganisation kann sie auch nicht mehr retten. Sie verliert selbst an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung.

Welchen Grad die Veränderung im Kooperationsmarkt auch immer erreichen wird, der Satz des Aphoristikers Werner Mitsch trifft den Tenor des Beitrages: „Die Gegenwart ist das Bargeld der Zukunft.“ |

Literaturhinweise

Hölzel, Klaus, Kooperationskompass 2004, 2013, 2014, 2016, Oestrich-Winkel.

Jacobs, Hans-Jürgen, Wem gehört die Welt? Knaus-Verlag, 2016, München (Verlagsgruppe Random House).

Prof. Dr. Müller-Hagedorn/L. Veltmann, Kooperationen im Handel, aus: Handbuch Handel, Springer/Gabler-Verlag, 2012, Wiesbaden.

Grossmann, Ute, Dachverband als Einmannshow, Pharmazeutische Zeitung, 28.02.2008, Eschborn.

Autoren

Dipl.-Vw. Klaus Hölzel

Redaktionsbüro A&K GbR, Oestrich-Winkel Herausgeber des jährlich erscheinenden Kooperations-Kompass (seit 1998)



Thomas Koch

Apotheken-Management Institut GmbH & Co. KG, Oestrich-Winkel, Redakteur der Zeitschrift „Die erfolgreiche Apotheke“


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