Gesundheitspolitik

Unerhört und ungehört

Muss man in der Berufs- und Gesundheitspolitik dreist sein, so richtig überziehen und unerhörte Forderungen stellen? Ja! Der Erfolg gibt dieser Taktik recht. Beispiel: Andreas Köhler, seines Zeichen Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Alle gefühlte ein bis zwei Jahre holt er für seine Klientel, die niedergelassenen Ärzte, erkleckliche Honorarzuwächse heraus. Hier geht es nicht um Millionen, sondern um Milliarden. Verkauft werden diese Honorarsteigerungen, von denen Verdi und Co. nur träumen können, unter anderem mit Anpassungen an die Inflationsrate und an die gestiegenen Unterhaltskosten für Praxis und Leben. Jüngster Coup: die 3,5-Milliardenforderung von Köhler. Es war klar, dass er mit dieser Forderung nicht durchkommen wird – die Retourkutsche kam prompt von den Kassen, die die Honorare der Ärzte um 2,2 Milliarden kürzen wollten. Der Streit führte zur Schlichterentscheidung: Mit rund 300 Millionen Euro fürs nächste Jahr können die Ärzte nun rechnen. Das macht rund 1800 Euro für jeden Arzt im Jahr. Das ist nicht die Welt, aber immerhin erneut ein kleines Plus. Dass Köhler mit seiner Milliardenforderung bei seinen Ärztinnen und Ärzten allerdings extreme Hoffnungen geweckt und er nun ein Problem hat, wie er den kleinen Zuwachs verkaufen soll, das steht auf einem anderen Blatt.

Aber immerhin, die Ärzte wurden wieder, wie in den letzten Jahren auch, gehört, sie erhielten wieder eine Anpassung an Inflation und gestiegene Kosten. Und die Apotheker? Sie bleiben ungehört. Aber sie haben sich in den letzten acht Jahren auch nicht so lautstark zu Wort gemeldet wie die Ärzte. Was läuft da bei den Ärzten anders als bei den Apothekern? Sind wir viel zu vornehm zurückhaltend?

Eine Erkenntnis liegt auf der Hand: In Sachen Apothekenhonorar haben die Apotheker viel zu lange gewartet, um ihre berechtigten Forderungen durchzudrücken (siehe auch den Beitrag des Apotheken-Ökonomen Kaapke in dieser Ausgabe). Man hätte bereits nach zwei Jahren neu über die 8,10 Euro verhandeln müssen – hat es womöglich nicht getan aus Sorge, die 8,10 Euro könnten gekürzt werden. Aber auch damals zeigte sich eine inflationäre Entwicklung, es stiegen Kosten und Löhne. Softwareausgaben für die Bedienung von Rabattverträgen, Einstellung von Personal – es hätte genug Gründe gegeben, berechtigte Anpassungen deutlich zu machen. Wo waren die Forderungen nach einer Honorarerhöhung? Jetzt nach acht Jahren Stillstand 25 Cent mehr – das bringt nicht einmal den Inflationsausgleich. Ich hoffe, die Berufspolitik lernt aus diesem Desaster.


Peter Ditzel



AZ 2012, Nr. 36, S. 1

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