Feuilleton

Vom Tatort ins Labor – Rechtsmediziner decken auf

Über die vielseitige Tätigkeit der Rechtsmediziner informiert eine Sonderausstellung, die vor zwei Jahren ihre Premiere im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité hatte und derzeit im Turm Triva in Ingolstadt zu sehen ist. Gezeigt werden bis zum 11. September nachgestellte Fälle, Tatwerkzeuge, Laborgeräte, anatomische Präparate und Wachsmoulagen.
Foto: Patrik Budenz
Instrumentenkoffer für die erste Leichenschau am Fundort.

Mit der amerikanischen Serie "Quincy" (1976) etablierte sich die Rechtsmedizin im Kriminalfilm. Bis dahin tabuisiert, traf das Thema den Nerv des Publikums. Wen wunderts, dass sich viele andere Drehbuchautoren inspirieren ließen und ebenfalls Obduktionssäle in ihre Filme integrierten. Als populäres Beispiel sei der eloquente und allwissende Professor Boerne in Münster erwähnt, der dem ermittelnden Kommissar Thiel gern die Schau stiehlt und dabei zuweilen in Lebensgefahr gerät.


Vom Film zur Realität

Die "forensischen Filmmediziner" haben allerdings niemals eine Leiche obduziert. Auch sonst haben sie mit ihren professionellen "Kollegen" nur wenig gemeinsam, wie die aktuelle Ausstellung zeigt. Beispielsweise sind Rechtsmediziner nicht in die polizeilichen Ermittlungen eingebunden. Sie wirken bei der Aufklärung unnatürlicher Todesfälle – infolge von Gewaltanwendung, Unfällen, Katastrophen usw. – mit, beschränken sich aber auf die Leichenschau am Fundort, die Obduktion und die Laboranalytik.

Häufig – zuweilen auch in Krimis – werden Rechtsmediziner mit Pathologen verwechselt. Zwar ähneln sich die Einsatzgebiete beider ärztlicher Disziplinen. Im Gegensatz zum Rechtsmediziner obduziert ein Pathologe aber nur eines natürlichen Todes verstorbene Menschen oder untersucht Gewebeproben lebender Patienten zur Unterstützung der Diagnosestellung – dies zuweilen auch während einer Operation (etwa bei Tumorpatienten), damit der Chirurg anhand des Befunds über das weitere Vorgehen entscheiden kann.

Bereits die unter Kaiser Karl V. (1500 – 1558) verabschiedete "Peinliche Halsgerichtsordnung" (Constitutio Criminalis Carolina) von 1532 bezog Ärzte in die Rechtsprechung mit ein. Der römische Arzt Paolo Zacchia (1584 – 1659) verfasste mit den "Questiones medico-legales" die erste systematische Ausarbeitung zur forensischen Medizin. Im 19. Jahrhundert begründeten Ambroise Tardieu (1818 – 1879), Johann Ludwig Casper (1796 – 1864) und Carl Liman (1818 – 1891) die moderne Rechtsmedizin. Heute gibt es in Deutschland 31 Universitätsinstitute für Rechtsmedizin.


Foto: Navena Widulin
Nach einem authentischen Fall inszenierter Tatort: Eine alte Frau wurde in ihrer Wohnung mit einem Kandelaber (Nr. 2) erschlagen.

Ein wahrer Fall

Die Ausstellung beginnt mit der Inszenierung eines authentischen Kriminalfalls: Ein Rechtsmediziner wird in eine Wohnung gerufen, deren betagte Mieterin der Hausmeister tot auf dem Teppich liegend aufgefunden hat. Schränke und Schubladen sind geöffnet und teilweise ausgeräumt. Neben der Toten liegt ein Silberkandelaber. Es hat den Anschein, dass die alte Dame bei der Heimkehr einen Dieb ertappt hat, der dann in Panik geraten ist und ihr den Kandelaber auf den Kopf geschlagen hat.

Der Rechtsmediziner stellt äußere Verletzungen fest. Da die Leiche noch nicht "kalt" ist, misst er ihre Temperatur und berechnet aus der Differenz zur Raumtemperatur den ungefähren Todeszeitpunkt.

Kriminaltechniker sichern derweil die Spuren. Weil ihnen bekannt ist, dass der Täter nach einer ungeplanten Gewaltanwendung oft so geschockt ist, dass er sich eine Weile setzen muss, nehmen sie mithilfe von Klebestreifen Haare, Hautpartikel und Textilfasern vom Sessel neben der Toten ab.


Brust mit Einschussloch. Wachsmoulage.Foto: Patrik Budenz

Vier-Augen-Prinzip

Der Richter ordnet eine Leichenöffnung an, weil die Seniorin offensichtlich durch Gewalteinwirkung gestorben ist. Wenn unmittelbar nach einer Tötung eine zeitnahe Obduktion zur Beweissicherung geboten ist, kann der Staatsanwalt diese sofort verfügen.

Eine Leichenöffnung muss grundsätzlich durch zwei Ärzte durchgeführt werden. Das Vier-Augen-Prinzip soll sicherstellen, dass kein Befund übersehen wird. Das Gesetz schreibt zudem vor, dass alle drei Körperhöhlen – Kopf, Brust und Bauch – geöffnet werden. Gegebenenfalls werden auch der Rücken oder die Extremitäten seziert.

Sektion, Histologie, Toxikologie, DNA-Analyse

Während einer Sektion arbeiten meistens mehrere Ärzte gleichzeitig. Zuerst wird der sogenannte Y-Schnitt gesetzt: Zwei Teilschnitte führen von beiden Schlüsselbeinen schräg zum Brustbein und der dritte von dort senkrecht bis zum Schambein. Nach der Entfernung des Brustbeins und der angrenzenden Rippen sind dem Arzt alle Organe des Brust- und Bauchraumes zugänglich. In manchen Instituten wird auch der T-Schnitt angewandt, dessen oberer Teilschnitt leicht bogenförmig von Schulter zu Schulter führt, sodass der senkrechte Teilschnitt zum Schambein schon unterhalb des Halses beginnt. Die Schädeldecke wird mit einer oszillierenden Säge geöffnet.

Foto: Patrik Budenz
Speiseröhre mit verschlucktem Knochen. Präparat.

Nun ist die Entnahme von Gewebeproben aller Organe für histologische Untersuchungen möglich. Je nach Fall und Verdacht werden auch toxikologische Untersuchungen durchgeführt. Unter anderem werden Magen- und Darminhalt, Blut und andere Körperflüssigkeiten des Verstorbenen, aber auch Haare auf Spuren verschiedenster Gifte und Drogen untersucht. Symptome tödlicher Krankheiten müssen erkannt bzw. ausgeschlossen werden. Durch Röntgenaufnahmen können im Körper verbliebene Kugeln aufgespürt werden. Verheilte Knochenbrüche können auf frühere Misshandlungen hinweisen.

1987 wurde in England erstmals ein Mord mithilfe des "genetischen Fingerabdrucks" aufgeklärt, den der britische Genetiker Alec Jeffreys erst zwei Jahre zuvor entdeckt hatte. Seither ist die DNA-Analyse für die forensische Medizin unverzichtbar. Sie ist oft die einzige Möglichkeit, um völlig unkenntliche Leichen zu identifizieren.

Erst wenn sämtliche Befunde aus der Obduktion sowie den Labor- oder Röntgenuntersuchungen vorliegen, erstellen die Ärzte ein Sektionsgutachten. Die zur Untersuchung entnommenen Organe und Gewebe werden dem Toten wieder beigegeben und die Schnitte sauber vernäht, damit gegebenenfalls ein Abschied am offenen Sarg möglich ist. Die Bestattung erfolgt aber erst nach der gerichtlichen Freigabe.

In Deutschland werden jedes Jahr fünf Prozent aller Verstorbenen obduziert. In 40 bis 60 Prozent aller Fälle stimmt die Todesursache nicht mit den Angaben auf dem Totenschein überein. Wegen der geringen Obduktionsquote wird vermutet, dass jährlich 1200 bis 2400 Tötungsdelikte unentdeckt bleiben.


Foto: Patrik Budenz
Utensilien für den Drogenkonsum, die an einem Tatort gefunden wurden.

Aussage vor Gericht

Rechtsmediziner brauchen viel Erfahrung und umfangreiche Sachkenntnisse, um zwischen Körperverletzungen und Tatwerkzeugen einen Zusammenhang herzustellen und daraus den Tathergang zu rekonstruieren. Fast jeder Gegenstand – wie etwa der Kandelaber in der Wohnung der Seniorin – kann zum Töten missbraucht werden, wenn er groß genug ist.

Immer wieder werden forensische Mediziner mit Waffen konfrontiert, die nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich und nur Experten bekannt sind. Auch wenn das Tatwerkzeug nicht gefunden wird, gelingt es ihnen oft, den Tathergang zu rekonstruieren.

Die Aussagen der Rechtsmediziner vor Gericht tragen ebenso wie die Zeugenaussagen und die Indizien zur Wahrheitsfindung bei, nicht nur bei Tötungsdelikten, sondern auch bei Verbrechen, deren Opfer noch leben, wie schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung. Zudem sind Forensiker als Sachverständige gefragt, wenn ärztliche Behandlungsfehler vor Gericht verhandelt werden.


Ausstellung


Turm Triva, Regimentstraße 28, 85051 Ingolstadt

Information über Deutsches Medizinhistorisches Museum

Tel. (08 41) 3 05-28 60 www.dmm-ingolstadt.de

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr

Begleitband zur Ausstellung: Vom Tatort ins Labor – Rechtsmediziner decken auf.
170 Seiten, viele Abbildungen, 18,50 Euro

ISBN 3-9810220-3-3


Reinhard Wylegalla



DAZ 2011, Nr. 33, S. 60

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