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Forensische Entomologie: Maden verraten den Täter

Art und Alter von Fliegen- und Käferlarven, die eine Leiche besiedeln, lassen genaue Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt, die Liegezeit oder eine örtliche Verlagerung des Leichnams zu. Vergiftungen können durch chemische Analysen der Maden nachgewiesen werden, sogar ein DNA-Test des Toten mit dem Mageninhalt der Larven ist möglich. Die Forensische Entomologie ist kein besonders ästhetisches Thema, gewinnt aber immer mehr an Bedeutung.

Die Forensische Entomologie (gerichtsmedizinische Insektenkunde) befasst sich als Teilgebiet der Kriminalbiologie wissenschaftlich-kriminalistisch mit Arthropoden. Da zu diesen Gliedertieren neben den Insekten auch Krebse, Spinnen und Tausendfüßler gehören, müsste es Gliedertierkunde (Arthropodologie) heißen. In Einzelfällen werden sogar Schnecken zur Fallermittlung herangezogen. Der Fachbegriff Forensische Entomologie (FE) hat sich dennoch eingebürgert. Im Zusammenspiel mit Biologen anderer Fachrichtung, mit Meteorologen und Rechtsmedizinern kommt den Ergebnissen solcher Untersuchungen immer häufiger ein Schlüsselcharakter zu.

Auf Tag und Stunde genau

Als einer der Begründer der modernen FE gilt der Franzose Jean-Pierre Megnin, der 1894 festgestellt hatte, dass verschiedene Insektenarten ganz bestimmte Zersetzungsstadien einer Leiche bevorzugen. Er unterschied die Stadien: frischtot – beginnende Fäulnis – fettartig – käseartige Produkte – ammoniakalische Fäulnis und Schwärzung – beginnende Vertrocknung – Skelettierung.

Die wichtigste Aufgabe der FE ist, die Liegezeit des Leichnams (Dauer seit Eintritt des Todes) zu bestimmen. Wenn der Tod schon länger als drei Tage zurückliegt, sind die konventionellen Methoden, die Messung der Temperatur des Toten, die Analyse der Totenflecken und der Totenstarre nicht mehr aussagekräftig. Dagegen lässt sich mit der FE in den ersten drei bis vier Wochen unter günstigen Umständen die Liegezeit auf wenige Stunden eingrenzen. Bei längeren Liegezeiten kann immer noch der Tag, die Woche oder wenigstens die Jahreszeit festgestellt werden. In Einzelfällen erlauben die gefundenen Maden und Puppen auch noch nach Jahren Rückschlüsse auf die Sterbeumstände.

Fliegen kommen vor und nach den Käfern

Die FE teilt die Insekten nach ihrer Ernährungsweise in vier Gruppen:

  • nekrophage Arten, die sich mindestens im Larvenstadium von Leichengewebe ernähren (Tab. 1),
  • Räuber nekrophager Insekten (Tab. 2),
  • nekrophage Räuber, die sowohl Aas als auch andere Besiedler fressen (Tab. 2),
  • Zufallsbesiedler.

Aus der Familie der Schmeißfliegen (Calliphoridae) stammen die wichtigsten Erstbesiedler. Sie legen ihre Eier vor allem in Körperöffnungen. Ähnlich wie die adulten Stubenfliegen lieben sie auch gasgeblähte und zerfallende Leichen.

Mit beginnender Verwesung stürzen sich die Kurzflügelkäfer (Staphylinidae) auf den toten Körper. Schreitet diese fort, kommen immer mehr Insekten, um ihre Brut abzulegen. So legt die Käsefliege (Piophila casei) erst etwa drei Monate nach dem Tod, wenn sich ein breiiger Zustand eingestellt hat, ihre Eier ab. (Die Käsefliegen sind der Alptraum der ermittelnden Entomologen, da die Larven bis zu 40 cm hoch springen.)

Beginnt der Leichnam langsam zu vertrocknen und zu skelettieren, schlägt die Stunde der Speck- und Schinkenkäfer, der Kopra- und Museumskäfer (Dermestidae). Sie sind Spezialisten für die Zersetzung von Knochen und treten erst auf den Plan, wenn diese freigelegt sind. Die Schmeißfliegenlarven, die nicht gefressen worden sind, verpuppen sich derweil in der nächsten Umgebung (z. B. Laubstreu, Teppich, Kleidung). Die Nestkäfer machen sich schließlich auf, die mumifizierte Leiche zu besiedeln.

Auch ein begrabener Toter dient Insekten als Lebensraum. Eine bestimmte Art der Buckelfliegen (Phoridae) legt ihre Eier im Erdreich über vergrabenen Leichen ab. Die Larven graben sich weiter vor bis zur Leiche und besiedeln diese über viele Generationen. Auch nach Jahren können Leichname mit dicken Schichten der Buckelfliege bedeckt sein.

Maden fressen schnell

Ausgewachsene Schmeiß- und sonstige Fliegen ernähren sich nicht von Fleisch oder aus Kadavern, sondern von Blütensäften, zuckerhaltigen Lebensmitteln und menschlichen und tierischen Ausscheidungen. Mit leckenden, saugenden oder stechenden Mundwerkzeugen ist nichts anderes möglich.

Anders sieht es bei den Maden aus. Schon Carl von Linné behauptete 1767, dass drei Fliegen (mit ihren Larven) ein totes Pferd ebenso schnell zerstören können wie ein Löwe. In der Tat können Schmeißfliegenmaden bei optimaler schwülheißer Witterung einen Körper innerhalb von 14 Tagen vollständig skelettieren. Doch ist die Gefräßigkeit von Fliegenmaden ebenso artspezifisch wie ihr Lebenszyklus. Kann man alle einen Leichnam besiedelnden Maden bestimmen und ist die Witterung während des betreffenden Zeitraums bekannt, dann besteht gute Hoffnung, den Todeszeitpunkt und manches mehr zu erkennen.

Alle Fliegenmaden bohren sich mit ihren ventralen (bauchseitigen) Haken in das Leichengewebe. Ist es nicht zu frisch, hält sie nichts davon ab, ihr Körpergewicht innerhalb weniger Tage zu verzehnfachen. Und sie bleiben, wo sie sind. Bei Gefahr flüchten sie nicht, sondern ziehen sich in die eigenen Fressgänge zurück. Sie scheiden Harnstoff und Allantoin aus, um die bakterielle Zersetzung zu verlangsamen, was übrigens medizinisch für die Wundheilung genutzt werden kann.

Maden und Puparien haben darüber hinaus einen ganz neuen Fachbegriff entstehen lassen: die Forensische Entomotoxikologie. Denn auch bei massiv zersetzten Leichen sind in den noch vorhandenen Larven und Puppen beispielsweise Cyanide, Opiate, Cocain, diverse Psychopharmaka, Quecksilber oder Organophosphate nachweisbar und lassen Rückschlüsse zu. So korrelieren die Opiatkonzentrationen in den Larven direkt mit den Konzentrationen in der Leber. Liegen keine Weichteile des Toten mehr vor, dienen die Maden ersatzweise als toxikologische Informationsquelle.

Käfer sind für's Grobe zuständig

Käfer und Ameisen können mit ihren Beißwerkzeugen ausgetrocknete Leichen, die für Fliegen viel zu hart sind, weiter zerstören. Ihre Artbestimmung lässt vor allem Rückschlüsse auf eine eventuelle Verlagerung des Toten zu. Von den nekrophagen Käfern sind die nekrophilen Arten zu unterscheiden, die sich von Maden und Pilzhyphen auf den Leichen ernähren. Große Aaskäfer (Silphen) leben häufig auf geblähten oder schon zerfallenen Leichen. Zunächst fressen sie Leichengewebe, später Fliegenmaden. Kleinere Aaskäfer dagegen besiedeln einen Leichnam erst dann, wenn sie sich gegen die Übermacht der Fliegenmaden durchsetzen können.

Postmortaler DNA-Test

Als letztes sei der Hinweis gestattet, dass man eine Leiche im Keller nicht allzu lange liegen lassen sollte. Schafft man sie zu spät weg, kann mit dem Mageninhalt der zurückgebliebenen Maden eine DNA-Analyse durchgeführt und die Identität des Toten anhand von Vergleichsproben identifiziert werden.

Literatur

Heiko Koch: Forensische Entomologie – prä- und postmortale Leichenbesiedelung durch Insekten. Diplomarbeit an der Fachhochschule Villingen-Schwenningen, Hochschule der Polizei, 2002. Maike Reichel: Forensische Entomologie – Insekten, die stillen Assistenten der Kriminalistik und Rechtsmedizin. Diplomarbeit an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen, 2000. Mark Benecke: Rechtsmedizinisch angewandte kerb- und spinnentierkundliche Begutachtungen in Europa. Rechtsmedizin 8, 153 – 155 (1998). M. Benecke und M. Leclercq: Ursprünge der modern angewandten rechtsmedizinisch-kriminalistischen Gliedertierkunde bis zur Wende zum 20. Jahrhundert. Rechtsmedizin 9, 41 – 45 (1999).

Art und Alter von Fliegen- und Käferlarven, die eine Leiche besiedeln, lassen genaue Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt, die Liegezeit oder eine eventuelle örtliche Verlagerung des Leichnams zu. Sogar die Inhaltsstoffe längst verschwundener Eingeweide lassen sich durch die Untersuchung der Insekten bestimmen. Die Forensische Entomologie, die sich mit dieser Thematik befasst, ist kein besonders ästhetisches Thema, gewinnt aber in der Kriminalistik immer mehr an Bedeutung.

Schon im alten China ...

Der chinesische Jurist Song Ci (1186 – 1249) schilderte in seinem rechtsmedizinischen Lehrbuch Xiyuan Jilu (etwa: Das Hinwegwaschen von Ungerechtem) folgenden Sachverhalt:

In der Nähe eines Reisfeldes wird ein von mehreren Sichelstichen getöteter Mann aufgefunden. Der Ermittler fordert alle Sichelträger des Dorfes auf, ihre Sicheln in einer Reihe auszulegen. Schon nach kurzer Zeit flogen die ersten Fliegen eine der Sicheln an, die mit für das Auge unsichtbaren Blutstropfen behaftet war. Der Täter gestand, sichtlich schockiert, die Tat.

Zahlen

Etwa 1 Trillion Insekten schwirren über die Erde und kriechen durch alle Ritzen. Jedem Menschen stehen so statistisch 166 Millionen Kerbtiere zu. Forensisch bedeutsam unter den etwa 1 Million Insektenarten sind vor allem die Fliegen (Dipteren).

Allein die Familie der Schmeißfliegen zählt 80 000 beschriebene Arten. 70 Stubenfliegen wiegen etwa 1 Gramm. Jede Stubenfliege legt zwischen April und September bis zu 2000 Eier ab und hat potenziell 15 Generationen an Nachkommen. Das wären 6,6 x 1052 Fliegen, die zusammen 80 000 Tonnen wiegen und die Fläche Deutschlands zehn Zentimeter hoch bedecken.

Lebenszyklus einer Schmeißfliege

Kaum ein Tier riecht den Tod so gut wie die Schmeißfliege, und zwar Hunderte Meter weit. Schon Minuten nach Eintritt des Todes legt sie ihre Eier im Leichnam ab. Sie eignet sich hervorragend zur Rekonstruktion des Todeszeitpunktes, denn ihr Lebenszyklus läuft, abhängig von der Temperatur, fast wie ein Uhrwerk ab (hier: Blaue Schmeißfliege bei 27 °C):

  • 24 Stunden nach Eiablage schlüpfen erste Maden.
  • Die Maden durchlaufen drei Larvalstadien. Sie sind – 1 Tag nach dem Schlupf 6 mm lang, – 2 Tage nach dem Schlupf 13 mm lang, – 2,5 Tage nach dem Schlupf 17 mm lang.
  • Nach 4 bis 5 Tagen wandern die Maden vom Leichnam in dunkle Spalten ab, um sich zu verpuppen.
  • Nach 9 bis 12 Tagen sind die Puparien auf 9 bis 12 mm Länge geschrumpft.
  • Nach 18 bis 24 Tagen sind die Puparien dunkelbraun gefärbt, die Puppen sind entwickelt.
  • Nach etwa 4 Wochen schlüpfen die Imagines. Die Männchen sind sofort geschlechtsreif, die Weibchen nach einer Woche.

Ein typischer Fall

Es wurde eine fast vollständig skelettierte Leiche gefunden. Zeitgleich wurde nach einer vermissten Person gefahndet, die einen Tag vor ihrem Verschwinden in der Apotheke Phenobarbital gekauft hatte. Durch gaschromatographische Analyse der Maden auf dem Leichnam wurde Phenorbital nachgewiesen, was die Identifizierung erleichterte und eine Rekonstruktion der Ereignisse ermöglichte. Letztendlich war eine Selbsttötung durch Barbiturat-Einnahme wahrscheinlich.

Thema im Netz

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