Berichte

Phytotherapie an der Hochschule – wo liegt die Zukunft?

Eine allgemeine Standortbestimmung war das Ziel der Veranstaltung unter dem o. g. Titel, die am 16. April 2002 in Bonn stattfand. In einem weiten Bogen wurden der Status quo der Forschung auf dem Gebiet pflanzliche Arzneimittel beleuchtet und die Möglichkeiten der Weiterentwicklung in der Zukunft ausgelotet. Organisiert wurde das Forum von der Kooperation Phytopharmaka GbR, Bonn, in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut Arzneimittelforschung GmbH, Sinzig. Die Moderation hatte ZA-Geschäftsführer Priv.-Doz. Dr. Markus Veit.

Qualität: Die neue Monographie "Extrakte"

Auf den Stand der Bearbeitung von Arzneidrogen und deren Zubereitungen im Arzneibuch ging Prof. Dr. Gerhard Franz, Regensburg, Mitglied der Deutschen Arzneibuchkommission, ein. Er hob besonders die neue, gegenüber der bisherigen umfassendere Monographie für Extrakte hervor, in der erstmals eine klarere Typisierung vorgenommen wurde, und zwar in:

  • standardisierte (normierte) Extrakte (Einstellung auf einen vorgegebenen Gehalt an Inhaltsstoffen mit bekannter Wirksamkeit),
  • quantifizierte Extrakte (Einstellung auf einen definierten Gehalt an Inhaltsstoffen, die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht definiert sind),
  • andere Extrakte, deren Qualität über den Herstellungsprozess bestimmt wird.

(Näheres hierzu siehe DAZ Nr. 14, S. 47).

Die Zuordnung einzelner Extraktmonographien zu dem jeweiligen Typ werde nicht immer einfach sein, so vermutet Franz. Auch seien diese inhaltlich meist schwer zu konzipieren, wolle man den Ansprüchen der Extrakthersteller und der Unternehmer, die die entsprechenden Produkte in den Verkehr bringen, gerecht werden.

Pharmakologie: Ursachen für Testfehler

Die Besonderheiten der pharmakologischen Forschung in der Phytotherapie – nach ihrer Einschätzung eher eine Domäne der Pharmazeuten als der Mediziner – stellte Prof. Dr. Hilke Winterhoff, Münster, dar. Häufig gelte die Wirkung einer Droge oder eines Extraktes durchaus als gesichert, aber das wirksame Prinzip und/oder der Wirkmodus seien nicht bekannt. Dies impliziere die Gefahr negativer oder falscher Testergebnisse.

Als Hauptursachen für Fehlschläge in der pharmakologischen Forschung mit pflanzlichen Arzneimitteln führte Winterhoff an:

  • fehlende Untersuchungen zur Kinetik,
  • Verwendung falscher Applikationsformen,
  • Verwendung unphysiologischer Lösungsmittel,
  • Unzureichende Stabilität der Testsubstanzen,
  • Keine Verwendung von Referenzsubstanzen,
  • Einsatz irrelevanter Modelle,
  • Fehlende Relevanz tierexperimenteller Untersuchungen für den Menschen,
  • Unzulässige Rückschlüsse von der klinischen Wirkung auf den Wirkmechanismus.

Klinik: Forscher stoßen häufig auf Vorbehalte

Prof. Dr. Hildebert Wagner, München, beleuchtete den Status quo im Bereich Klinik. Bis zum Jahr 2001 seien mindestens 400 Einfach- und Doppelblindstudien mit pflanzlichen Arzneimitteln publiziert worden, davon 80% zu Mono- und 20% zu Kombinationspräparaten. Im Mittelpunkt des Forscherinteresses hätten u. a. die Drogen Ginkgo, Johanniskraut, Weißdorn gestanden. Für viele unerwartet, habe sich in ca. 20% der Fälle in Vergleichsuntersuchungen eine therapeutische Äquivalenz des Phytopharmakons mit dem chemisch definierten Vergleichspräparat nachweisen lassen.

Welch massiven Problemen sich Wissenschaftler, die sich auf diesem Sektor engagieren, allerdings stellen müssen, demonstrierte Prof. Dr. Lutz Heide, Tübingen, anhand eines Beispiels einer randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie mit einem Weidenrindenextrakt in der Rheumatologie. Sowohl bei der Einwerbung von Drittmitteln als auch bei der Publikation der Studienergebnisse seien in den jeweils vorgebrachten Ablehnungsgründen immer wieder grundsätzliche Vorbehalte gegen die Forschung mit komplexen Substanzen offenkundig geworden. "Die Resonanz auf klinische Forschung mit Phytopharmaka in der Öffentlichkeit, bei den Apothekern und bei den Studenten ist gut," sagte Heide, "die in der wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit jedoch ein blankes Desaster." So sollte es aus seiner Sicht nicht verwundern, dass entsprechende Forschungsanstrengungen begrenzt sind.

Ein Beispiel für staatliche Förderung: das Projekt Rephyna

Mit besseren Erfahrungen bei der Einwerbung von Drittmitteln konnte demgegenüber Priv.-Doz. Dr. Michael Keusgen, Bonn, aufwarten. Er berichtete von dem Projekt Rephyna, einem regionalen Netzwerk zum Aufbau einer durchgängigen Wertschöpfungskette bei Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsmitteln. Projektpartner seien neben kleinen und mittelständischen Unternehmen vor allem universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Die Arbeiten würden zum Teil über staatliche Fördermittel, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Verfügung gestellt werden (rund 22 Mio. Mark bis 2003), zum Teil über Eigenmittel, ergänzt durch Venture Capital finanziert. Das Spektrum der Aktivitäten reiche von der Pflanzenzucht und der Weiterverarbeitung der Drogen über die Analytik und Verfahrenstechnik bis hin zur Entwicklung fertiger Produkte.

Kooperation mit der Industrie ist durchaus möglich

Dr. Johannes Freudenstein, Salzgitter, legte die Vorstellungen der Industrie über eine Forschungskooperation mit der Hochschule dar. Dass die Universitäten sich im Idealfall eine freie Forschungsförderung ohne Einflussnahme auf konkrete Themen wünschen, hält er zwar für nachvollziehbar, allerdings könnten sich dies heute nur noch die wenigsten Industrieunternehmen leisten. Dabei gebe es durchaus sinnvolle Themen für eine F & E-Kooperation (siehe Kasten unten). Unabdingbar für eine gedeihliche Zusammenarbeit seien allerdings vertragliche Regelungen, z. B. bezüglich der Finanzierung, der Vertraulichkeit, Rückzugsmöglichkeiten und vor allem Publikationsrechten und der Verwertung der Ergebnisse. Gerade die Sensibilität für das Patentrecht sei bei Universitätsangehörigen häufig zu wenig ausgeprägt, meint Freudenstein.

Junge Apotheker haben Vorbehalte gegenüber den Phytos

Von den Erfahrungen mit der Akzeptanz pflanzlicher Arzneimittel in der Apotheke berichtete die Präsidentin der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg Karin Wahl. 38% aller in der öffentlichen Apotheke abgegebenen Packungen seien Selbstmedikationsarzneimittel, so Wahl, und davon wiederum 70% Phytopharmaka, und unterstrich damit deren Stellenwert. Dennoch sei der Umgang mit pflanzlichen Arzneimitteln in der täglichen Praxis nicht immer einfach. Probleme bereiteten zum einen die durch die zunehmende Werbung im Internet mehr und mehr vorkonditionierten Kunden. Viel größere Sorgen macht es Wahl jedoch, dass nach ihren Erfahrungen gerade die jüngeren Apotheker/innen den Präparaten häufig mit Vorbehalten begegnen. Auch seien deren Kenntnisse in bezug auf pflanzliche Arzneimittel oft nicht adäquat, was sie in erster Linie auf die "chemielastige" Apothekerausbildung zurückführt. Aus Wahls Sicht ist die Situation durchaus dramatisch: "Wenn man jetzt nicht aufpasst, dann kippt es." mahnte die Kammerpräsidentin.

Der Abteilungsleiter Besondere Therapierichtungen im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Dr. Konstantin Keller schloss sich ihrer Kritik an der Apotheker-Ausbildung an. Seiner Meinung nach mangelt es auch am regulatorischen Rüstzeug. So habe man bei den Neueinstellungen in seiner Abteilung infolge des Umzugs in vielen Fällen Lebensmittelchemikern den Vorzug gegeben, weil diese gegenüber den Apothekern eine bessere Qualifikation vorzuweisen gehabt hätten.

Nahrungsergänzungsmittel schaffen neuen Marktdruck

Keller vermittelte außerdem einige Kerndaten zum Stand der Zulassung und Nachzulassung pflanzlicher Arzneimittel (siehe Tabelle). Seiner Einschätzung nach ist die Vielfalt des Marktes zum derzeitigen Stand der Nachzulassung im wesentlichen erhalten geblieben. Dennoch sieht Keller der Zukunft pflanzlicher Arzneimittel in Deutschland ebenfalls nicht ohne Besorgnis entgegen. Diese gründet sich zum einen auf die Konkurrenz der Präparate zu den Nahrungsergänzungsmitteln mit Indikationen. Hier werde in Europa ein neuer Markt entstehen, prognostiziert Keller, der einen ganz erheblichen Druck vor allem gegenüber den apothekenpflichtigen Phytopharmaka auslösen werde. Diese seien schließlich für die Verbraucher in der Apotheke nicht sichtbar, und ob es der Apotheke gelingen werde, diesen Nachteil über den Mehrwert der Beratung aufzufangen, sei durchaus fraglich.

Marktzugangsregelungen sind zufriedenstellend

Die Möglichkeiten des Marktzugangs für pflanzliche Arzneimittel in Europa skizzierte der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Bonn, Dr. Bernd Eberwein wie folgt:

  • Die Zulassung gemäß dem Kodex für Humanarzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG) entweder auf Basis präparatespezifischer Studien und/oder bibliographischer Daten im Sinne des "Well-established use". Präparate z. B. mit eigenen klinischen Studien stellen hiernach keine gesonderte Kategorie dar.
  • Die Registrierung für Phytopharmaka entsprechend der "Traditionals-Richtlinie", die sich allerdings noch im europäischen Gesetzgebungsverfahren befindet.

Aus Eberweins Sicht ist dies ein Status quo, auf dem man aufbauen kann, wobei die Zukunftssicherung für ihn in erster Linie darin liegt, die bewährten und bereits bibliographisch dokumentierten Präparate mit neuen Studien noch besser zu stützen, eine Einschätzung, die aus behördlicher Sicht geteilt wird. Im Bereich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit werde es auf die Dauer nicht mehr ausreichen, so Keller, ältere bibliographische Daten vorzulegen. Seine Erfahrungen auf europäischer Ebene, vor allem in der EMEA gäben vielmehr Anlass zu der Befürchtung, dass der Ansatz der sorgfältigen bibliographischen Dokumentation, den er grundsätzlich für sinnvoll hält, in Zukunft diskreditiert werden könnte.

Keller reklamierte vor diesem Hintergrund, hier entsprechend aufzuholen und sprach sich in diesem Zusammenhang nachdrücklich für mehr angewandte Forschung auch an den Universitäten aus.

Dringender Appell: Aktivitäten bündeln

Dass die wissenschaftliche Phytotherapie vor allem durch ein Arsenal gut geprüfter Präparate gestärkt werden müsse, deckt sich auch mit den Vorstellungen des Präsidenten der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt. In Relation zu dem hohen Standard in der Naturstoffanalytik, meint Dingermann, sei im Bereich der pharmakologischen und klinischen Forschung noch vieles nachzuholen. Ein wesentliches Hemmnis hierfür sieht er jedoch in dem mangelnden Verwertungsschutz bei neuen Studien. Auch fehle es an der akademischen Anerkennung und Etablierung der Phytotherapie in Wissenschaftlerkreisen. Hierzu müssten öffentliche Mittel her oder auch zweckgebundene Stiftungen. Dingermann appellierte an die Beteiligten, angesichts dieser Situation individuelle Interessen zurückzustellen. "Es geht uns offensichtlich immer noch zu gut", so der DPhG-Präsident.

Tabelle: Pflanzliche Präparate in der Zulassung und Nachzulassung

Status / Anzahl der Präparate zugelassen oder nachzugelassen: 1860 (davon 1550 Mono) davon – mit pharmakologischen/klinischen Belegen: 1300 (davon 2 rezeptpflichtige, 280 freiverkäufliche) – nach § 109 a AMG (traditionelle): 530 (50% Mono, 50% Kombi) In der Zulassung in Bearbeitung: 150 In der Nachzulassung noch offen: 1490 (davon 2/3 Mono)

Kastentext: Sinnvolle Themen für eine F & E-Kooperation zwischen Phytopharmaka-Industrie und Hochschule

Bereich Qualität

  • phytochemische Charakterisierung von Extrakten,
  • Identifizierung von Inhaltsstoffen,
  • Entwicklung bzw. Optimierung von Anbaumethoden,
  • Entwicklung innovativer Darreichungsformen,
  • analytische Entwicklung

Bereich Präklinik

  • Entwicklung pharmakologischer Modelle,
  • Pharmakologische Untersuchungen
  • Screening-Projekte,
  • Bioassay-guided fractionation zur Identifizierung wirksamkeitsbestimmender Inhaltsstoffe,
  • Spezielle toxikologische Fragestellungen

Bereich Klinik z. B. Unterstützung von Investigator-initiated studies

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