Aus Kammern und Verbänden

Wo liegt die Zukunft pflanzlicher Arzneimittel?

Das Marktumfeld für pflanzliche Produkte in Deutschland und Europa wird offenbar immer schwieriger, so lautete das Fazit eines Workshops mit dem Titel "Die Zukunft pflanzlicher Zubereitungen: Chancen und Risiken der Produktentwicklung und Vermarktung" am 16. und 17. März 2009 in Münster. Veranstalter war der Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie der Universität Münster in Zusammenarbeit mit dem Wissenschafts- und Wirtschaftsdienst des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), Bonn.

 

Die regulatorischen Grundlagen für das Inverkehrbringen pflanzlicher Arzneimittel legte Dr. Barbara Steinhoff, BAH, dar. Rund 2400 Präparate umfasst der deutsche Phytopharmakamarkt derzeit, wobei die Zukunft der 560 traditionell Nachzugelassenen wegen der erforderlichen Re-Registrierung noch ungewiss ist. Zwar wurden auf europäischer Ebene durch die Erarbeitung einer großen Zahl harmonisierter Pflanzenmonographien wesentliche Fortschritte erzielt, jedoch geht der Trend beim Anwendungszweck der Präparate eindeutig in Richtung "traditionelle Anwendung" zu Ungunsten der belegten Indikationen ("well-established use", WEU). Insgesamt ist demnach eine Abwertung der Präparate zu befürchten, weshalb Steinhoff die Situation pflanzlicher Arzneimittel abschließend als "nicht gerade rosig" bezeichnete. Neben dem aufwendigen Zulassungsverfahren der WEU-Arzneimittel tragen die mangelnde Forschungsförderung, der unzureichende Schutz von Forschungsergebnissen sowie die weitgehende Nicht-Erstattungsfähigkeit zu den düsteren Aussichten bei.

Das Grüne Rezept als "Rettungsboot"

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) versucht, den massiven Umsatzeinbrüchen bei den Phytopharmaka speziell durch das Grüne Rezept entgegenzusteuern. Hierzu wurde zum Jahresbeginn 2009 eine neue Promotionskampagne aufgelegt, deren Erfolg durchschlagend zu sein scheint. Seit dem Start der Aktion konnte der BAH an manchen Tagen 1500 Ärzte-Bestellungen für Grüne Rezepte verzeichnen, berichtete BAH-Geschäftsführer Dr. Bernd Eberwein.

Grenze zu Nahrungsergänzungsmitteln verschwimmt

In eine ähnliche Richtung gingen die Ausführungen von Dr. Stefan Sandner, Münster. Angesichts "überzogener und undifferenzierter regulatorischer Anforderungen" sind Nahrungsergänzungsmittel seinen Erfahrungen nach in vielen Fällen der einzige Ausweg, um die Verkehrsfähigkeit altbewährter Präparate zu erhalten. Dabei sieht es im Lebensmittelbereich regulatorisch nicht viel besser aus. Auch hier macht sich eine, wie Sandner meint, undifferenzierte "Regelungswut" bemerkbar, die die Player in der klassischen Lebensmittelindustrie gegenüber den reinen Pharmaunternehmen begünstigt. An Beispielen von Arzneimittelzulassungen, traditionellen Registrierungen, Diätetika und Nahrungsergänzungsmitteln machte er deutlich, wie die Grenzen zwischen diesen rechtlich eigentlich klar zu differenzierenden Produktgruppen mehr und mehr verschwimmen, wobei das Arzneimittel hinsichtlich der Indikationen keineswegs immer als das höchstwertige Produkt wahrgenommen wird. In diesem für pflanzliche OTC-Arzneimittel "fatalen Szenario" sieht Sandner nur einen Ausweg, um den Präparaten langfristig einen Platz im Markt zu erhalten: Die Anforderungen in der Arzneimittelzulassung müssen spezieller auf pflanzliche Zubereitungen abgestellt werden.

Health Claims für pflanzliche Zubereitungen

Ebba Loeck, Flensburg, skizzierte die Kernelemente der europäischen Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln (Health-Claims-Verordnung), mit der der Rahmen für die gesundheitsbezogene Werbung bei Lebensmitteln abgesteckt wird. Im Prinzip gibt es hierfür zwei Möglichkeiten, einmal über Positivlisten für zulässige Aussagen (generische Claims) und zum anderen über individuelle Claims, die jedoch belegt werden müssen – ein, wie sich bereits gezeigt hat, außerordentlich schwieriges Unterfangen, das dem Aufwand für den Wirksamkeitsbeleg bei Arzneimitteln durchaus gleichkommt.

Für die Positivliste der generischen Claims, die gerade erstellt wird, wurden Entwürfe zu 1900 Pflanzen und Zubereitungen (botanicals) eingereicht. Dabei dürfen die Aussagen lediglich gesundheitsbezogen sein, um die Abgrenzung zu vergleichbaren Arzneimitteln sicherzustellen. Ob dies tatsächlich gelingt, bleibt abzuwarten.

Kaum Anreiz für Innovationen

Wie begrenzt die Möglichkeiten für Innovationen bei Phytopharmaka sind, schilderte Dr. Günter Meng, Karlsruhe. Im Bereich bekannter pflanzlicher Wirkstoffe sieht er am ehesten Chancen für neue Darreichungsformen oder neue Indikationen. Für diese gibt es jedoch nur einen geringen Zweitverwertungsschutz, sodass sie für die Industrie kaum attraktiv sind. Anhand der geltenden Rechtsvorschriften zeigte Meng auf, dass die regulatorischen Anforderungen an Innovationen im Arzneimittelbereich bzw. für Nahrungsergänzungsmittel mit Wirkanspruch im Übrigen gar nicht so verschieden sind, und auch der Investitionsaufwand, der sich im Wesentlichen aus dem Beleg der Wirksamkeit ergibt, hält sich durchaus die Waage. Vor diesem Hintergrund gibt es für ihn keinen Grund, bei innovativen pflanzlichen Produkten auf den Lebensmittel-Weg auszuweichen.

Multi-Target-Therapie bringt Vorteile

Auf welchen Gebieten pflanzliche Arzneimittel mit chemisch definierten Synthetika durchaus konkurrieren können, machte Dr. Olaf Kelber, Darmstadt, an Beispielen deutlich. Die Therapie mit stark wirksamen Arzneimitteln, wie etwa 5-HT-Rezeptor-Agonisten und -Antagonisten im Bereich der funktionellen Dyspepsie, selektiven COX-2-Hemmern bei rheumatischen Erkrankungen oder auch selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern bei Depressionen stößt wegen zunehmender Nebenwirkungen häufig an ihre Grenzen. Besonders Erkrankungen mit einer komplexen Pathophysiologie lassen sich mit einer Multi-Target-Therapie effektiver und nebenwirkungsärmer behandeln, ein Prinzip, das viele pflanzliche Extrakte aufgrund ihres breit gefächerten Wirkstoffspektrums bereits mitbringen und das durch ihre Kombination noch gesteigert werden könnte. Regulatorisch betrachtet liegt jedoch gerade hier die Crux, denn die auf chemisch definierte Substanzen abgestellten Zulassungsanforderungen sind für solche komplexen Systeme kaum erfüllbar.

Forschungsergebnisse aus den Universitäten

Dass auch die Universitäten einen wichtigen Beitrag zur Neuentwicklung von pflanzlichen Präparaten leisten können, zeigte sich an der Vielfalt der Themen, die in den Referaten über jüngere Forschungsergebnisse bei der Tagung angesprochen wurden. Hier die Themen in Kernsätzen:

  • Neue Bewertungen etablierter Pflanzenextrakte und ihrer Inhaltsstoffe (u. a. Thymian-Extrakt) mit Wirkungen auf den Respirationstrakt, d. h. die mukoziliäre Clearance, die Flimmerepithel-Aktivität und Mechanismen der Trachea-Relaxation, zeigte Prof. Dr. Eugen Verspohl, Münster.
  • Prof. Dr. Jörg Heilmann, Regensburg, präsentierte seine Forschungen zur Gewinnung analytisch und pharmakologisch interessanter Sekundärstoffprofile aus bekannten Naturstoffen mithilfe einfacher Reaktionen, die zu Universalbausteinen für möglichst zahlreiche, strukturell ähnliche Komponenten führen sollen.
  • Die Wirkprinzipien und phytochemischen Implikationen des Herzgespannkrauts und der Olivenblätter untersucht Prof. Dr. Hans Wilhelm Rauwald, Leipzig. Derzeit gibt es zwar nur noch wenige Präparate im Markt, jedoch könnte sich aus seinen vielversprechenden Ergebnissen ein attraktives Potenzial für Neuentwicklungen ableiten lassen.
  • Prof. Dr. Peter Proksch, Düsseldorf, befasst sich mit potenziellen Arzneistoffkandidaten aus marinen Organismen, z. B. Kegelschnecken (Conus spp.) oder Kugelfischen. Industriell forschen derzeit meist kleine Unternehmen auf diesem Gebiet, die ihre Entdeckungen bis zur Phase II der klinischen Prüfung weiterentwickeln und danach mangels eigener Ressourcen auslizenzieren.
  • Über innovative Modelle zur Testung von Wirkstoffen gegen Alkohol- oder Nicotinabhängigkeit berichtete Prof. Dr. Hilke Winterhoff, Münster, am Beispiel von Deoxypeganin, einem Alkaloid aus Peganum harmala (Steppenraute).
  • Prof. Dr. Andreas Hensel, Münster, beschäftigt sich mit der Antiadhäsion, d. h. der Verhinderung des Andockens von pathogenen Mikroben und Viren an Zellmembranen. Er berichtete u. a. über Versuche mit Inhaltsstoffen von Abelmoschus esculentus (Okra) und Glycyrrhiza glabra (Süßholz), Kaffeesäure-Dopa sowie verschiedenen Proanthocyanidinen. Diese könnten potenzielle Kandidaten für die Entwicklung von Arzneimitteln zur Erkältungsprophylaxe sein.

 

Apothekerin Dr. Helga Blasius

 

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