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Phytopharmaka: Die Musik spielt in Brüssel

BRÜSSEL (bah). Europäische Entwicklungen im Bereich der Phytopharmaka haben unter dem Gesichtspunkt des dezentralen Zulassungsverfahrens und der harmonisierten Bewertungskriterien gerade in den letzten Monaten große Fortschritte verzeichnen können. Weil Brüssel als Sinnbild eines harmonisierten Europa auch für Phytopharmaka immer mehr zum Schauplatz des Geschehens wird, hat der Wissenschafts- und Wirtschaftsdienst des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) zu einem Seminar an den Sitz der Europäischen Kommission eingeladen.

In seiner Begrüßung stellte Dr. Hubertus Cranz, Direktor des Europäischen Fachverbandes der Arzneimittel-Hersteller, AESGP, die Industriepolitik des Europäischen Rates und des Europäischen Parlamentes im Arzneimittelsektor dar, die insbesondere zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe über pflanzliche Arzneimittel durch die europäische Zulassungsagentur EMEA geführt habe.

Phytos in der EU Aus Sicht der Europäischen Kommission beschrieb Dr. Fabian Lutz vom Generaldirektorat III den derzeitigen und künftigen Rechtsrahmen für Phytopharmaka innerhalb der Europäischen Union. Zur Darstellung der Rechtslage in den Mitgliedstaaten habe die Kommission Anfang 1998 eine einjährige Studie über pflanzliche Arzneimittel in Auftrag gegeben, die Divergenzen evaluieren und Empfehlungen für die Bewertung im Rechtsrahmen der Europäischen Union aussprechen soll. Die Kommission wolle zunächst die Ergebnisse dieser Studie abwarten, bevor über weitere Schritte nachgedacht werde. Aus Sicht des Kommissionsvertreters sei es durchaus vorstellbar, daß der Antragsteller optional neben einem dezentralen Zulassungsverfahren basierend auf klinischen Studien oder bibliographischen Daten entsprechend Art. 4.8 a (ii) der Richtlinie 65/65/EWG die Möglichkeit habe, aufgrund einer speziellen Regelung, ähnlich den homöopathischen Arzneimitteln, Phytopharmaka mit geringerem Anspruch an den Wirksamkeitsnachweis in den Verkehr zu bringen. Hierbei sei allerdings zu berücksichtigen, daß für Phytopharmaka eine Regelung ohne Beanspruchung von Anwendungsgebieten, wie es sie für Homöopathika gibt, nicht anwendbar sei.

Erfahrungen aus den Nachbarländern Erfahrungen aus den Nachbarländern Österreich und Schweiz wurden von den Vertretern der Zulassungsbehörden Dr. Alexander Jentzsch, Österreichisches Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, und Dr. Hans Stocker, Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel der Schweiz, dargestellt. In diesen Ländern ist es im Grundsatz möglich, für bekannte Pflanzen und deren Zubereitungen auf die Vorlage von präklinischen und klinischen Daten zu verzichten, wobei die gesetzlichen Vorgaben jeweils unterschiedlich sind.

Leitlinien verabschiedet Über die 1997 von der EMEA berufene Ad Hoc Working Group on Herbal Medicinal Products, die aus 45 Sachverständigen nationaler Gesundheitsbehörden besteht, berichtete deren Vorsitzender Dr. Konstantin Keller. Die Arbeitsgruppe habe in den vergangenen Monaten einige wichtige Leitlinien zum Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneimittel verabschiedet und der Fachöffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Im Bereich der pharmazeutischen Qualität sei die bestehende Leitlinie aus 1989 überarbeitet worden, für die Beurteilung der Unbedenklichkeit sei eine spezielle Leitlinie über die Notwendigkeit der Durchführung präklinischer Untersuchungen bei pflanzlichen Zubereitungen erstellt worden, durch die deutlich gemacht werden soll, daß entsprechende Tests nur erforderlich seien, wenn aus den bisherigen Daten keine Informationen hervorgehen. Keller betonte auch die Erstellung eines sog. Core SPC zu Baldrian, der eine globale Wirksamkeitsbeurteilung ermögliche und auf dem von der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) eingereichten Monographie-Vorschlag beruhe. Die Beurteilung von 12 weiteren ESCOP-Monographien sei für die nahe Zukunft geplant, ebenso die Behandlung des Bereiches der fixen Kombinationen.

Rechtliche Einordnung von Phytos Einen Überblick über die rechtliche Einordnung von Phytopharmaka in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gab BAH-Referentin Dr. Barbara Steinhoff, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede insbesondere in den Möglichkeiten eines erleichterten Zulassungsverfahrens und bei der Zulassung auf Basis bibliographischer Daten nach Art. 4.8 a (ii) der Richtlinie 65/65/EWG aufzeigte. Aus den von Dr. Bernd Eberwein, BAH-Geschäftsführer, präsentierten IMS-Daten zum Markt pflanzlicher Arzneimittel in Europa geht hervor, daß Deutschland mit 45% neben Frankreich mit 29% und Italien mit 11% deutlich an der Spitze liegt.

Zukunftsperspektiven Zukunftsperspektiven für pflanzliche Arzneimittel in Europa wurden von Dr. Hubertus Cranz zusammengefaßt, der die von Dr. Konstantin Keller dargestellten beeindruckenden Resultate der Ad Hoc Arbeitsgruppe würdigte. Zur Klassifizierung von pflanzlichen Arzneimitteln, die je nach ihrer Datenlage den europäischen Weg gehen könnten oder nationalen Märkten vorbehalten bleiben, hatte die AESGP bereits in 1995 ein Modell zur regulatorischen Einordnung im Anwendungsbereich der Richtlinie 65/65/EWG entwickelt, das als gedanklicher Ansatz für ein Zukunftsszenario dienen könne. Zunächst sollten jedoch die Ergebnisse der Studie abgewartet werden, um so eine bessere Transparenz hinsichtlich der rechtlichen Situation in Europa zu schaffen. Wenn man über neue gesetzgeberische Maßnahmen nachdenke, müsse differenziert werden, ob man diese für pflanzliche Arzneimittel generell, für bestimmte Gruppen pflanzlicher Arzneimittel oder allgemein für den Arzneimittelbereich schaffen wolle. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, daß auch im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel eine Richtlinie geplant sei, die gesundheitsbezogene Aussagen für diese Produktgruppe erlaube. Inwieweit diese den Bereich pflanzlicher Arzneimittel berühre, könne jedoch derzeit nicht abgesehen werden.

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