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Pflanzliche Arzneimittel: Marktzugangsregelungen in Europa für die Zukunft klar

BONN (hb). Die derzeitigen Perspektiven für Phytopharmaka im europäischen Binnenmarkt zeigten Experten bei einer Forum-Veranstaltung am 28. Oktober 2002 in Bonn auf. Fazit: die regulatorische Situation im Arzneimittelbereich scheint einigermaßen konsolidiert, Bewegung gibt es aber im Grenzbereich zu den Lebensmitteln und mittelfristig wohl auch im Hinblick auf die Öffnung des Marktes für traditionelle pflanzliche Arzneimittel aus anderen Kulturkreisen.

Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) Dr. Bernd Eberwein skizzierte den Markt anhand einiger Kerndaten. Den Anteil pflanzlicher Arzneimittel am gesamten deutschen Pharma-Markt bezifferte er mit 10%, wobei für den Verordnungsanteil in den letzten Jahren bis zu zweistellige Rückgangsraten zu verzeichnen gewesen seien. Der deutsche Anteil am europäischen Phytopharmaka-Markt sei mit 39% in 2001 gegenüber 47% im Jahr 2000 deutlich rückläufig, während Frankreich leicht zugelegt habe (2001: 29%, 2000: 27%).

Zwei Möglichkeiten des Marktzugangs

Nach dem europäischen Zulassungssystem werde es für Phytopharmaka in Zukunft aller Voraussicht nach zwei Wege für den Marktzugang geben, zum einen über ein Registrierungsverfahren für traditionelle Arzneimittel, zum anderen über eine "normale" Arzneimittelzulassung für individuell klinisch geprüfte Präparate und solche mit bibliographischen Belegen ("well-established use"), eine duale Lösung, die Eberwein aus verschiedenen Gründen als "optimal" bewertet:

  • Zunächst gälten damit für alle pflanzlichen Arzneimittel in der Union die gleichen Bedingungen.
  • Es gebe eine klare Unterscheidung zwischen traditionellen Präparaten und solchen mit einem validen Wirksamkeitsnachweis.
  • Präparate, die den Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach den europäischen Standards erbringen können, stünden damit auf einer Stufe mit chemisch definierten Arzneimitteln, und die Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit sei gegeben.
  • Es gebe gute Chancen für Innovationen, wenn auch der Unterlagenschutz für Untersuchungen mit bekannten Stoffen noch zu wünschen übrig lasse.
  • Mit der "Traditionsschiene" werde zudem die Alternative "Nahrungsergänzungen" zurückgedrängt.

Eine Unschärfe sieht Eberwein noch in der Abgrenzung der traditionellen "Phytos" von denjenigen mit einem so genannten "well-established use". Nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand sollen diese Produkte ebenfalls ein "normales" Zulassungsverfahren durchlaufen und nicht dem traditionellen Bereich zugerechnet werden, eine Position, die der BAH sehr nachdrücklich unterstütze.

Ohne harmonisierte SPC keine Anerkennung

Die Bedeutung der SPC (Summary of Product Characteristics) zur Bewertung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in europäischen Zulassungsverfahren beleuchtete Dr. Barbara Steinhoff, Fachreferentin für pflanzliche Arzneimittel beim BAH. Die SPC – die deutsche Entsprechung ist die Fachinformation – ist das zentrale Dokument im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen innerhalb der Europäischen Union.

Abweichungen führten vielfach zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Behörden bis hin zu einer Verweigerung der Anerkennung und damit zu einer Behinderung des freien Warenverkehrs. Auch für Phytotherapeutika liege hier ein großes Konfliktpotenzial, besonders deshalb, weil die Marktbedeutung und auch die Akzeptanz pflanzlicher Arzneimittel in Europa stark divergiere. So hätten nach wie vor erst sehr wenige pflanzliche Arzneimittel ein gegenseitiges Anerkennungsverfahren durchlaufen.

ESCOP liefert wertvolle Grundlagen

Um diese unbefriedigende Situation zu verbessern, bemühe sich die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP), eine Dachorganisation der nationalen Fachgesellschaften für Phytotherapie, seit nunmehr fast fünfzehn Jahren um eine Harmonisierung der Bewertungskriterien und damit um eine Verbesserung der Durchlässigkeit der Märkte für pflanzliche Arzneimittel. Als wesentliches Arbeitsergebnis der ESCOP führte Steinhoff das mittlerweile stattliche Kompendium von Drogenmonographien im Format der europäischen SPC an. Sechzig solcher Monographien seien bereits fertiggestellt, weitere acht in Vorbereitung.

Für die europäischen Zulassungsbehörden böten die ESCOP-Monographien eine wertvolle Grundlage für den Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Einzeldrogen, wenn auch nach Einschätzung des Abteilungsleiters für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen im BfArM Dr. Konstantin Keller nicht alle dort dokumentierten Angaben in ausreichendem Maße durch valide Daten untermauert sind. Gleichwohl hält er die Arbeit der ESCOP für eine sinnvolle Fortsetzung der Aufgabe der Aufbereitungskommission E und bedauert gleichzeitig, dass auch sie, wie seinerzeit die Kommission E, mit begrenzten Ressourcen auskommen muss.

Die Weichen werden in Brüssel gestellt

Trotz mancher Reibungsverluste und Unzulänglichkeiten sei bezüglich der regulatorischen Vorgaben für pflanzliche Arzneimittel tatsächlich eine gewisse Konsolidierung eingetreten, konstatierte Keller, wodurch aber den nationalen Spielräumen gleichzeitig deutliche Grenzen gesetzt worden seien. "Die Vorstellung, dass man in Deutschland noch etwas national regeln kann, ist absurd, sagte Keller, "der Takt wird in der EU vorgegeben."

Hinzu komme, dass man sich in Brüssel auch in der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, in der die europäischen Standards für Lebensmittel gesetzt werden, mit pflanzlichen Produkten beschäftige, und zwar mit denjenigen im Grenzbereich, wie Nahrungsergänzungen und "functional food". Die schlechte Kommunikation mit den Arzneimittelfachleuten lasse befürchten, dass die Standards bezüglich der sog. "Borderline"-Produkte aufgrund der erheblich größeren Marktbedeutung letzten Endes von Seiten der Lebensmittel-Experten gesetzt werden und nicht ausgehend vom Arzneimittel-Bereich.

Wird auch die TCM nach Europa kommen?

Darüber hinaus rechnet Keller, der ebenfalls Vorsitzender der europäischen Expertengruppe für pflanzliche Arzneimittel bei der EMEA ist, damit, dass sich der europäische Phyto-Markt im Zuge der Globalisierung demnächst auch mit traditionellen Arzneimitteln aus dem indischen und dem ostasiatischen Kulturkreis wird auseinandersetzen müssen.

Für die Phytos werde es dann schwierig werden, meint Keller, denn aus seiner Sicht verfügt die Phytotherapie im Gegensatz etwa zur traditionellen chinesischen Medizin (TCM) oder zur japanischen Kampo-Medizin nicht über ein eigenes Wissenschaftsgebäude.

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