DAZ aktuell

BAH: Bioverfügbarkeitsuntersuchungen bei meisten Phytos derzeit nicht sinnvoll

BONN (hb). Um die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Untersuchungen zur Bioverfügbarkeit und die Ansätze zum Nachweis der Bioäquivalenz bei Phytopharmaka gibt es seit geraumer Zeit zum Teil heftige Kontroversen. Ein Diskussionsforum des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) am 30. März 2000 in Bonn brachte zwei wichtige Ergebnisse: Derartige Untersuchungen werden von Experten nur dann für sinnvoll gehalten, wenn das wirksame Prinzip einer Pflanze bzw. eines Extraktes bekannt ist. Darüber hinaus sollte klar sein, dass die Freisetzung der wirksamen Bestandteile aus der Arzneiform der geschwindigkeitsbestimmende Schritt bei der Aufnahme in den Organismus ist.

Über die Parameter, die bei der Bewertung der Äquivalenz von zwei pflanzlichen Extrakten oder auch Fertigarzneimitteln heranzuziehen sind, herrscht nach Aussage von Dr. Frauke Gaedcke, Andernach, heute weitgehend Konsens. Diese sind: 1. wirkstoffspezifische (Extrakt): Ausgangsdroge, Auszugsmittel, Herstellverfahren, DEVnativ (als Ergebnis dieser drei Parameter), 2. präparatespezifische (Darreichungsform): Masse an nativem Extrakt, Masse an wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen (Schwankungsbreite), Hilfsstoffe, Darreichungsform, Dosierung.

Typ A- und Typ B-Präparate

Gaedcke schlägt vor, bei der Bewertung der Vergleichbarkeit zwei Standardtypen von "rationalen" Phytopharmaka zu unterscheiden: 1. Typ A-Präparate: altbewährte, monographiekonforme Präparate auf Basis von Gesamtextrakten, 2. Typ B-Präparate: neue, nicht monographiekonforme Präparate auf Basis von Gesamt- oder Spezialextrakten.

Typ A-Präparate gelten als "bekannt" ("well-established use"), und zum Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit liegt medizinisches Erfahrungsmaterial vor, während Typ B-Präparate als "neu" eingestuft werden, was den Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch eigene pharmakologisch-toxikologische und klinische Studien nach sich zieht.

Für die Entscheidung, welcher Gruppe ein pflanzliches Präparat zuzuordnen ist, sollen nach ihrer Vorstellung die Art der Droge, das für die Extraktion verwendete Lösungsmittel, das Extraktionsverfahren, die Übereinstimmung der Zusammensetzung von Ausgangsdroge und Extrakt, sowie die Dauer der Anwendungserfahrungen eine Rolle spielen.

Um ein Phytopharmakon als Typ A einzustufen, müssten alle in Tabelle 1 aufgeführten Kriterien erfüllt sein. Für die Einstufung als Typ B soll das Zutreffen eines der dort für diese Gruppe angeführten Kriterien ausreichen.

Essentially similar oder "nur" similar?

Für die Möglichkeit der Zulassung auf Basis desselben Erkenntnismaterials oder auch einer bezugnehmenden Zulassung zieht Gaedcke hieraus die folgenden Konsequenzen: Bei Bezugnahme auf ein Produkt vom Standardtyp A muss das Bezugspräparat lediglich ähnlich (similar) sein, bei Bezugnahme auf den Standardtyp B dagegen im wesentlichen identisch (essentially similar). Die Anforderungen an Bezugspräparate vom Typ A bzw. B sind in Tabelle 2 dargestellt. Vor dem Hintergrund, dass den Typ B-Präparaten "neue" Stoffe zugrundeliegen, hält Gaedcke es für gerechtfertigt, dass bei Bezugnahme auf Typ A-Präparate weniger strenge Maßstäbe angelegt werden als bei Typ B-Präparaten.

In-vitro-Freisetzungsprüfung nur sinnvoll, wenn Wirkstoffe bekannt ...

Dr. Johannes Krämer, Eschborn, beleuchtete die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von In-vitro-Freisetzungsprüfungen bei pflanzlichen Arzneimitteln. Prizipiell dienen diese

  • in der Qualitätskontrolle zur Prüfung der Konstanz der Produktqualität und
  • als Surrogatparameter für die Darstellung der Bioverfügbarkeit und damit gegebenenfalls auch der Bioäquivalenz.

Im Falle von Phytopharmaka sollten nach Krämer drei Konstellationen unterschieden werden:

  • Sind die alleine wirksamkeitsbestimmenden Bestandteile bekannt wie bei Aloe oder Mariendistel, so soll eine In-vitro-Freisetzungsprüfung erforderlich sein.
  • Sind zwar Inhaltsstoffe bekannt, gelten diese aber nicht als alleine wirksamkeitsbestimmend wie bei Ginkgo, Crataegus und Hypericum, so hält er eine Freisetzungsprüfung anhand lipophiler Leitsubstanz(en) für wünschenswert.
  • sind die Inhaltsstoffe nicht bekannt oder bekanntermaßen nicht wirksamkeitsbestimmend (Urtica, Valeriana), so ist eine In-vitro-Freisetzungsprüfung für ihn nicht sinnvoll.

Auswege für diese Fälle sieht Krämer in einem Vergleich der Fingerprint-Chromatogramme nach HPLC-Gradientenelution von hydrophil nach lipophil (Dressmann/Schubert-Zsilavecz) oder auch in einer Bestimmung der Löslichkeit des Gesamtextraktes im physiologischen Bereich (modifiziert nach Blume). Bei einer Freisetzung von mindestens 85% innerhalb von 15 Minuten soll die Spezifikation als erfüllt gelten.

... oder wenn geschwindigkeitsbestimmender Schritt

Die Bedeutung des biopharmazeutischen Klassifikationssytems (BCS) für die In-vitro-Freisetzung und Bioäquivalenz bei Phytopharmaka beleuchtete Prof. Dr. Helga Möller, Eschborn. Für sie ist der Bezug zu den Verhältnissen in vivo grundsätzlich essenziell. Innerhalb des biopharmazeutischen Klassifizierungssystems sei die Freisetzung nur bei Klasse II-Arzneistoffen von Bedeutung, bei denen die Absorption trotz hoher Permeabilität der Substanz von deren geringer Löslichkeit kontrolliert werde. Solange nicht klar sei, dass die In-vitro-Freisetzung der geschwindigkeitsbestimmende Schritt für die Absorption sei, betonte Möller, sei sie auch kein Surrogatparameter für die Bioverfügbarkeit, sondern lediglich ein Qualitätsparameter für die Arzneiform. Die Einordnung einer pflanzlichen Zubereitung nach BCS müsse daher an erster Stelle stehen, bevor weitere Untersuchungen gefordert werden.

Pharmakokinetische Modelle für komplexe Stoffgemische erforderlich

Auch Dr. Markus Veit, Sinzig, hält Bioverfügbarkeitsuntersuchungen bei Phytos nur dann für sinnvoll, wenn die Wirkstoffe bekannt sind (normierte Extrakte). Dies gilt derzeit jedoch für sehr wenige Extrakte. Für die übrigen Fälle müssen seiner Meinung nach zunächst pharmakokinetische Modelle entwickelt werden, die den Besonderheiten komplexer Stoffgemische gerecht werden. Veit gab zu bedenken, dass es nicht ausreiche, aus In-vitro-Modellen pharmakologisch relevante Aktivitäten abzuleiten. Im zweiten Schritt müsse dann erst nachgewiesen werden, dass die genuin getesteten Substanzen auch systemisch verfügbar seien Darüber hinaus könnten in einigen Fällen auch Metaboliten die eigentlichen Wirkstoffe darstellen oder entscheidend zur Wirkung beitragen.

Wichtige Erkenntnisse können seiner Einschätzung nach vergleichende Untersuchungen zur systemischen Verfügbarkeit von therapeutisch relevanten Bestandteilen aus Extrakten versus Reinsubstanzen bringen, wobei der Gesamtextrakt aufgrund des positiven Einflusses nicht wirksamer Extraktbestandteile den isolierten Bestandteilen durchaus überlegen sein könne.

Um die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Bioverfügbarkeitsuntersuchungen bei Phytopharmaka gibt es seit geraumer Zeit Kontroversen. Auf einem Diskussionsforum des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) wurden derartige Untersuchungen nur dann für sinnvoll gehalten, wenn das wirksame Prinzip einer Pflanze bzw. eines Extraktes bekannt ist. 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.