Arzneimittel und Therapie

Demenzerkrankungen: Neue Therapiemöglichkeiten mit Galantamin

Bisher wurden zur Behandlung der Alzheimer-Demenz vor allem Acetylcholinesterase-Inhibitoren wie Rivastigmin eingesetzt. Jetzt kommt mit Galantamin (Reminyl) ein weiterer Acetylcholinesterase-Hemmstoff auf den Markt, der aber zusätzlich nicotinische Rezeptoren moduliert.

Unter dem Begriff Demenz versteht man ein Muster von Symptomen. Bei Demenzpatienten ist vor allem die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert: Gedächtnis, Denkvermögen und Orientierung sind beeinträchtigt, und Gegenstände werden nicht mehr erkannt. Die Ausführung einfachster Alltagstätigkeiten und das praktische Handeln sind häufig stark behindert. Außerdem verändern sich Antrieb und Sozialverhalten. Besonders belastend für die Angehörigen sind die unterschiedlichen nicht kognitiven Symptome wie Unruhe, Aggressivität, Depression, Wahn und Sinnestäuschungen.

Eine Demenzerkrankung kann zahlreiche Ursachen haben. Die häufigste ist mit 60% die Alzheimer-Krankheit, Durchblutungsstörungen im Gehirn sind für 10% der Demenzen verantwortlich, und weitere 10% sind Kombinationen aus beiden Ursachen. Seltenere Gründe für Demenzerkrankungen sind eine frontotemporale Degeneration, die Lewy-Körper-Krankheit und die Parkinson-Krankheit.

Demenzerkrankungen sind zwar keine unvermeidlichen Alterserscheinungen, aber sie werden mit zunehmendem Alter immer häufiger: Bei den über 85-jährigen sind bereits 30% betroffen.

Irreversible Zerstörung von Nervenzellen

Fast alle Demenzzustände werden durch eine nicht mehr umkehrbare und in der Regel fortschreitende Zerstörung von Nervenzellen hervorgerufen. Dennoch ist die Lage nicht hoffnungslos: Zwar lässt sich der Untergang der Nervenzellen mit den heutigen Arzneimitteln wahrscheinlich nicht aufhalten, aber die Folgeerscheinungen können deutlich verbessert werden.

Allerdings dürfen die Erwartungen an eine symptomatische Therapie nicht zu hoch angesetzt werden. Auch geringe Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, können schon als Erfolg gezählt werden. Wenn diese geringen Verbesserungen auch noch über einen längeren Zeitraum gehalten werden können, ist dies bereits ein deutlicher Therapieerfolg. Besonders für die Angehörigen kann eine Besserung der nicht kognitiven Symptome, beispielsweise der Aggressivität und der Wahnvorstellungen, sehr erleichternd sein.

Hemmung der Acetylcholinesterase

Der Botenstoff Acetylcholin und die mit ihm verbundene Signalübertragung, die cholinerge Neurotransmission zwischen den Nervenzellen des Gehirns, spielt bei Lern- und Gedächtnisprozessen eine zentrale Rolle. Ist diese Signalübertragung abgeschwächt, wie bei der Alzheimer-Demenz, sind kognitive Hirnleistungsstörungen die Folge. Zur medikamentösen Behandlung der Alzheimer-Krankheit bieten sich daher Substanzen an, welche die cholinerge Neurotransmission verbessern können. Eine Möglichkeit dazu ist, die verfügbare Konzentration des Botenstoffs Acetylcholin zu erhöhen. Dies lässt sich durch Hemmung des Enzyms erreichen, das den Botenstoff nach jedem Signalübertragungsvorgang abbaut und damit inaktiviert.

Die so genannten Acetylcholinesterase-Inhibitoren sind die bislang modernsten Arzneimittel zur Behandlung der Alzheimer-Demenz. Sie haben allerdings den Nachteil, dass sie wegen ihrer cholinergen Nebenwirkungen nur vorsichtig dosiert werden können und in ihrer Wirkung mit der Zeit nachlassen.

Wirkstoff aus dem Schneeglöckchen

Das neue Antidementivum Galantamin ist im Unterschied zu den bisher verfügbaren Acetylcholinesterase-Hemmern pflanzlichen Ursprungs, es wurde ursprünglich aus Schneeglöckchen isoliert. Auch Galantamin hemmt die Acetylcholinesterase, allerdings in geringerem Ausmaß als die älteren Substanzen.

Zusätzlich beeinflusst die neue Substanz die nicotinischen Acetylcholinrezeptoren, die bei Demenzerkrankungen in großem Ausmaß verloren gehen: Galantamin sensibilisiert die verbliebenen Rezeptoren für Acetylcholin. Auf diese Weise wird das Defizit der Rezeptoren durch eine erhöhte Empfindlichkeit der verbliebenen ausgeglichen. Galantamin moduliert den Rezeptor allosterisch, das bedeutet, dass Galantamin und Acetylcholin gemeinsam den Acetylcholinrezeptor aktivieren können.

Wirkung auf verschiedene Neurotransmitter

Nicotinische Acetylcholinrezeptoren kommen postsynaptisch und präsynaptisch vor. Postsynaptisch wird die direkte Acetylcholinwirkung vermittelt. Werden jedoch die präsynaptischen Rezeptoren stimuliert, beeinflussen sie die Freisetzung anderer Neurotransmitter, beispielsweise Glutamat, Serotonin und GABA (Gammaaminobuttersäure). Durch die vielfältigen Wirkungen dieser unterschiedlichen Neurotransmitter werden Lernvermögen, Gedächtnis sowie die Stimmung verbessert. Außerdem nehmen Angstgefühle und Aggressionen ab.

In präklinischen Studien gab es Hinweise dafür, dass Galantamin auch in begrenzter Weise protektiv wirken und damit den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung verlangsamen könnte.

Gute Wirkung in klinischen Studien

Galantamin wurde in fünf randomisierten, plazebokontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studien mit Dosierungen zwischen 16 und 32 mg täglich bei über 3200 Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Krankheit untersucht. Die Patienten wurden über drei bis sechs Monate therapiert; in zwei offenen Follow-up-Studien wurden die Patienten insgesamt zwölf Monate beobachtet.

Galantamin verbesserte die Kognition über mindestens sechs Monate und stabilisierte sie über mindestens zwölf Monate auf Ausgangsniveau. Die Kompetenz in Alltagsaktivitäten wie Körperpflege, Essen und Ankleiden erhielt Galantamin über mindestens zwölf Monate, während bei Patienten unter Plazebogabe eine deutliche Verschlechterung dieser Fähigkeiten registriert wurde. Galantamin verzögerte außerdem das Auftreten von Verhaltensstörungen. Durch die Behandlung reduzierte sich der Zeitaufwand der pflegenden Angehörigen um durchschnittlich sieben Stunden pro Woche für Hilfestellungen im Rahmen der Alltagsaktivitäten. In der Kontrollgruppe nahm die Pflege zeit dagegen um etwa 20 Minuten über sechs Monate zu. Vor allem bei einem kurzen Krankheitsverlauf scheint Galantamin eine gute Wirkung zu haben. Ein weniger guter Effekt ist bei langjährigen Patienten zu erwarten.

Unerwünschte Wirkungen

Typische unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind Übelkeit, Appetitlosigkeit und kurzzeitiger Schwindel. Diese cholinergen Nebenwirkungen lassen sich vermindern, wenn Galantamin langsam aufdosiert wird. Die Behandlung beginnt mit 8 mg/Tag über vier Wochen und wird dann auf 16 mg täglich über weitere vier Wochen gesteigert. Anschließend wird die Dosis von 16 mg täglich beibehalten oder bei Verträglichkeit auf 24 mg/Tag gesteigert. Wenn die Nebenwirkungen dies erlauben, sollte eine maximale Dosierung angestrebt werden.

Kastentext: Galantamin hat einen dualen Wirkmechanismus

  • Galantamin bindet an nicotinische Acetylcholinrezeptoren und verstärkt dadurch deren Empfindlichkeit gegenüber Acetylcholin.
  • Galantamin inhibiert die Acetylcholinesterase und verlangsamt dadurch den Abbau des Acetylcholins.
  • Beide Wirkungen erhöhen die beim Morbus Alzheimer reduzierte nicotinische cholinerge Neurotransmission.
  • Die Acetylcholinesterase-Inhibition verstärkt auch die muscarinische Transmission.
  • Galantamin wirkt primär auf die nicotinischen Rezeptoren, was (unerwünschte) muscarinische Nebenwirkungen reduziert.

Kastentext: Mögliche Auswirkungen einer Therapie mit Galantamin

Postsynaptische nicotinische Acetylcholinrezeptoren:

  • Verstärkte Stimulation durch Acetylcholin, stärkere Depolarisation
  • Hochregulation der Expression von Acetylcholinrezeptoren

Präsynaptische nicotinische Acetylcholinrezeptoren:

  • Verstärkte Ausschüttung von Neurotransmittern
  • Modulierung der Neurotransmitter-Systeme für Glutamat, GABA, Serotonin, Dopamin
  • Rückgewinnung verlorener Plastizität (z.B. Lernvermögen)

Alle nicotinischen Rezeptoren:

  • Schutz vor Amyloidtoxizität
  • Schutz vor anderen neurodegenerativen Prozessen

Quelle: Prof. Dr. Alexander Kurz, München, Prof. Dr. Alfred Maelicke, Mainz, Priv.-Doz. Dr. Susanne Schwalen, Neuss, Dr.Hans-Jürgen Bosma, Rees, Einführungspressekonferenz "Reminyl: Ein Meilenstein in der Behandlung der Demenz", München, 8. Februar 2001, veranstaltet von Janssen-Cilag, Neuss.

Bisher wurden zur Behandlung von Demenzerkrankungen, allen voran der Alzheimer-Erkrankung, vor allem Acetylcholinesterase-Inhibitoren wie Rivastigmin eingesetzt. Mitte März kommt mit Galantamin (Reminyl) ein weiterer Acetylcholinesterase-Hemmstoff auf den Markt, der aber zusätzlich nicotinische Rezeptoren moduliert.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.