Arzneimittel und Therapie

Acetylcholinesterasehemmer: Galanthamin bei Alzheimer-Demenz

Schon im Jahr 1972 fanden sowjetische Forscher heraus, daß das Alkaloid -Galanthamin eine durch Scopolamin ausgelöste Amnesie bei Mäusen aufheben kann. Diese Beobachtung wurde 1977 beim Menschen bestätigt. Seit 1986 wird der reversible Acetylcholinesterasehemmer Galanthamin bei Alzheimer-Patienten geprüft. Er zeichnet sich durch eine günstige Pharmako-kinetik und eine gute Verträglichkeit aus.

Die Alzheimer-Erkrankung ist die häufigste Form der Demenz und die viert-häufigste Todesursache bei Älteren. An ihrer Entwicklung scheint ein Verlust zentraler cholinerger Nervenzellen beteiligt zu sein. Der Verlust cholinerger Neuronen konzentriert sich auf bestimmte Basalganglien im Gehirn. Die Synthese von Acetylcholin durch die Cholin-Acetyltransferase scheint verringert, der Abbau durch die Acetylcholinesterase dagegen kaum beeinträchtigt zu sein. Daher ist die Acetylcholinkonzentration im synaptischen Spalt stark vermindert mit der Folge, daß die Signaltransduktion nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert.

Acetylcholinkonzentration erhöhen Vom Verlust funktionstüchtiger cholinerger Neuronen dürfte ein Großteil der Alzheimer-Patienten betroffen sein. Dies ist aber nicht das einzige Charakteristikum der Erkrankung; weitere Neurotransmitterveränderungen sind beschrieben, und auch das Amyloidprotein spielt eine wichtige Rolle. Analog zum Dopamindefizit bei der Parkinson-Erkrankung ist es möglich, das Acetylcholindefizit bei der Alzheimer-Demenz medikamentös zu behandeln. Die Acetylcholinkonzentration an den Synapsen kann theoretisch auf drei Wegen erhöht werden:
• präsynaptisch durch Gabe von Cholin-Vorläufersubstanzen,
• synaptisch durch selektive Hemmung des abbauenden Enzyms Acetylcholinesterase oder
• postsynaptisch durch Agonisten an Muscarinrezeptoren. Von den Cholin-Vorläufersubstanzen zeigen Cholin, Phosphatidylcholin und Lecithin nur wenig Wirkung; Acetyl-l-Carnitin könnte durch eine direkte neuroprotektive Wirkung erfolgreicher sein. Von den Agonisten am Muscarinrezeptor erscheint Xanomelin erfolgversprechend. Als Monotherapie bewährt haben sich bei Alzheimer-Demenz jedoch ausschließlich reversible Acetylcholinesterasehemmer. Sie müssen die Blut-Hirn-Schranke passieren können und selektiv ans Enzym binden. Die in der Peripherie vorkommende Butyrylcholinesterase sollten sie in therapeutischen Dosen nicht beeinflussen.

Neue Acetylcholinesterasehemmer Der Acetylcholinesterasehemmer Physostigmin verfügt nur über eine sehr kurze Wirkung. Länger wirksame Derivate, wie Heptylphysostigmin und Phenserin, werden bei Alzheimer-Demenz noch geprüft. Tacrin (Cognex®) ist zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Demenz bei Morbus Alzheimer schon auf dem Markt. Seine Hepatotoxizität macht jedoch regelmäßige Kontrollen der Transaminasespiegel notwendig und führt häufig zu Reduktionen unter die wirksamste Dosis. Tacrin beeinflußt zusätzlich spannungsabhängige Ionenkanäle und den Monoaminstoffwechsel, so daß es zu gefährlichen Interaktionen mit anderen Arzneistoffen kommen kann. Pharmakologisch ausgereiftere Acetylcholinesterasehemmer der zweiten Generation für die symptomatische Behandlung der Alzheimer-Demenz sollten über eine ausreichend lange Halbwertszeit verfügen und über eine langfristige Verträglichkeit in Dosen, die die Stabilisierung der Enzymaktivität auf 30 bis 60% des Ausgangswerts erlauben. Als neuer Acetylcholinesterasehemmer wurde Donepezil (Cognex®) in Deutschland eingeführt (s. DAZ 42/97, S. 43). Weitere Kandidaten für Wirkstoffe der zweiten Generation sind Eptastigmin, Metrifonat, SDZ-ENA-713 und Galanthaminhydrobromid.

Alkaloid aus Schneeglöckchen und Narzisse Galanthaminhydrobromid ist ein co-deinähnliches Phenanthrenalkaloid aus dem kaukasischen Schneeglöckchen (Galanthus worownii) und der Narzisse (Narcissus pseudonarcissus). Es wurde 1953 erstmals isoliert und ohne größere Wirksamkeits- und Verträglichkeitsstudien schon in den folgenden Jahren von bulgarischen und russischen Forschern klinisch eingesetzt. Insbesondere wur-de Galanthamin zur postoperativen Aufhebung der durch Tubocurarin ausgelösten Muskelentspannung, bei Muskeldystrophie und bei Hirnverletzten angewendet. Der Wirkstoff stammte bis vor wenigen Jahren ausschließlich aus den natürlichen Quellen. Erst vor kurzem wurde eine Galanthaminsynthese in industriellem Maßstab entwickelt. Alzheimer-Patienten wurden erstmals 1986 mit dem Alkaloid behandelt, als die Beteiligung cholinerger Mechanismen an Wahrnehmung, Gedächtnis und Lernen bekannt war und Frühsymptome der Alzheimer-Demenz mit einer herabgesetzten Cholin-Acetyltransferase-Aktivität in Zusammenhang gebracht worden waren.

Pharmakokinetik Pharmakokinetische Untersuchungen mit Galanthamin ergaben:
• eine hohe orale Bioverfügbarkeit (Tabletten 85%, Lösung 100%),
• eine schnelle Resorption,
• keinen First-pass-Effekt,
• keine nennenswerte Plasmaproteinbindung,
• eine Halbwertszeit von 5,6 Stunden bei jungen Männern und von 8 Stunden bei Alzheimer-Patienten,
• eine Ausscheidung von etwa 50% mit dem Urin, davon 25% in Form von Metaboliten. Keiner der Metaboliten scheint nennenswert zur therapeutischen Wirkung beizutragen.

Behandlungserfolge in klinischen Studien Die ersten klinischen Studien mit Galanthamin waren drei kleine offene Pilotstudien, die bei etwa einem Drittel der Patienten kognitive bzw. nichtkognitive (z. B. Alltagsbewältigung, soziale Kompetenz) Verbesserungen zeigten. In eine plazebokontrollierte Multicenterstudie wurden 167 Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz aufgenommen. Nach einer dreiwöchigen einfachblinden Dosistitrationsphase mit einer Anfangsdosis von 20 mg und einer Höchstdosis von 50 mg Galanthamin am Tag nahmen 141 Responder an der zehnwöchigen Doppelblindphase teil. Sie erhielten randomisiert weiterhin Galanthamin in der individuell besten Dosis oder Plazebo. Als kognitive Tests wurde unter anderem die international anerkannte Alzheimer Disease Assessment Scale (ADAS) verwendet. Patienten, die weiterhin Galanthamin erhielten, verbesserten sich in der Doppelblindphase um 1,66 Punkte auf der Skala, Patienten mit Plazebo verschlechterten sich um 1,40 Punkte. Weitere kognitive und Gesamtbeurteilungstests bestätigten die Überlegenheit gegenüber Plazebo. Die Nebenwirkungen waren leicht und vorübergehend; am häufigsten traten Übelkeit und Erbrechen sowie Durchfälle auf. Hepatotoxizität wurde nicht beobachtet. Eine offene Weiterbehandlung von Patienten aus verschiedenen Studien mit Galanthamin über drei Jahre ergab gegenüber Patienten, die nicht mit Acetylcholinesterasehemmern behandelt wurden (z. B. Nootropika, Antidepressiva), eine Verlangsamung der kognitiven Verschlechterung. Dabei ließ der Grad der kognitiven Stabilisierung im ersten Jahr auf den weiteren Behandlungserfolg schließen. Nach zwei Jahren nahm die Wirksamkeit der Behandlung allerdings ab. In Österreich ist Galanthamin zur Therapie der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz bereits zugelassen. Die optimale Tagesdosis scheint zwischen 30 und 45 mg zu liegen.

Literatur Mucke, H. A. M.: Principles of therapeutics of galanthamine. Drugs of Today 33, 251–257 (1997). Mucke, H. A. M.: Preclinical studies with galanthamine. Drugs of Today 33, 259–264 (1997). Kewitz, H.: Pharmakokinetics and metabolism of galanthamine. Drugs of Today 33, 265–272 (1997). Rainer, M.: Clinical studies with galanth-amine. Drugs of Today 33, 273–279 (1997).

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