Geriatrie

H. MackGalantamin bei Alzheimer Demenz – Studi

Fünf bis sechs Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland leiden unter mittelschwerer bis schwerer Alzheimer Demenz, wobei dieser Anteil mit steigendem Alter zunimmt. Angesichts der demographischen Entwicklung wird die Prävalenz dieser Krankheit in Zukunft noch zunehmen und deshalb auch die verstärkte Aufmerksamkeit des Apothekers erfordern. Bei leichten und mittelschweren Stadien der Erkrankung ist unter anderem der im Jahr 2001 zugelassene Wirkstoff Galantamin indiziert. Seine Bewertung stützt sich heute im Wesentlichen immer noch auf drei klinische Studien, die unmittelbar vor seiner Zulassung durchgeführt worden sind.

Diagnostik und Symptomatik

Eine Demenz liegt vor, wenn die Störungen über mindestens 6 Monate angehalten haben und den Patienten in der Ausübung der Aktivitäten seines täglichen Lebens wesentlich beeinträchtigen (siehe Kasten). Um differenzialdiagnostisch eine Alzheimer Demenz konstatieren zu können, müssen alle Befunde, die auf einen Apoplex, eine Hirnerkrankung, Tumoren oder eine vaskuläre Demenz hindeuten, ausgeschlossen werden (siehe Kasten).

Ebenso sind demenzielle Symptome auszuschließen, die auf einer Einnahme bestimmter Arzneimittel wie Anticholinergika beruhen. Trotzdem ist die exakte Diagnose letztendlich erst post mortem möglich.

Der Gedächtnisverlust bei der Alzheimer Demenz betrifft vor allem das Kurzzeitgedächtnis: Neue Informationen können nicht mehr verarbeitet werden, Objekte können nicht mehr benannt werden, Motivation und Aufmerksamkeit nehmen ab, es kommt zu motorischen Störungen, ohne dass ein motorischer Defekt vorliegt, das Sprachvermögen nimmt ab, und Aggressivität und Depressionen treten auf.

So verliert der Patient nach und nach seine Persönlichkeit und zieht sich von seinem sozialen Umfeld zurück. Er verkindlicht zunehmend, kann später auch einfachste Dinge wie Anziehen und Waschen nicht mehr erledigen und wird pflegebedürftig. Alzheimer-Patienten sterben im Mittel zehn Jahre nach der Diagnose, meist an Infektionen wie Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen oder Dekubitusgeschwüren.

Ätiologie

Ursache der genannten Symptome ist eine Gehirnatrophie, die mit einem Untergang cholinerger Neuronen im Hippocampus und Cortex verbunden ist. Weiterhin wurde eine Anhäufung neurofibrillärer Bündel von τ-Protein innerhalb von Nervenzellen und von β-Amyloid-Plaques im Extrazellularraum beobachtet. Die Ursachen dafür sind unbekannt.

Bei familiären Formen der Alzheimer Demenz wurden Mutationen auf den Chromosomen 1, 14 und 21 festgestellt, die zur vermehrten Bildung von β-Amyloid führen. Außerdem ist ein sehr früher Ausbruch der Krankheit bei Menschen festzustellen, die das ε4-Allel des Apolipoprotein-E-Gens besitzen. Man vermutet Einflussfaktoren wie eine gestörte Calciumhomöostase, Sauerstoffradikale, Mangel an Hormonen und Wachstumsfaktoren sowie Entzündungen.

Medikamentöse Therapien und ihre Bewertung

Geheilt werden kann die Alzheimer Demenz nicht, die Symptome können nur gelindert und die Progredienz verzögert werden. Dazu werden Trainingsmaßnahmen (Mnemotechniken, Beschäftigungstherapien), Verhaltenstherapien, psychotherapeutische Betreuung und Medikamente eingesetzt. Wichtig ist außerdem eine professionelle Pflege in einer dem Patienten vertrauten Umgebung und eine frühzeitige Einbindung der Angehörigen.

Zur medikamentösen Therapie der leichten und mittelschweren Demenz stehen Acetylcholinesterasehemmer (Galantamin, Donepezil, Rivastigmin) zur Verfügung, die das cholinerge Defizit mindern sollen; bei schwerer Demenz ist Memantin, ein NMDA-Rezeptor-Antagonist, indiziert. Außerdem können Nootropika wie Piracetam, Dihydroergotoxin und Pyritinol eingesetzt werden, deren Wirksamkeit aber zum Teil umstritten ist, sowie Ginkgo-biloba-Spezialextrakte.

Das Fertigarzneimittelkomitee CPMP der europäischen Zulassungsbehörde EMEA fordert für einen Wirksamkeitsnachweis eine signifikant positive Beeinflussung von mindestens zwei der folgenden drei Ebenen:

  • die Kognition (kognitiver Endpunkt),
  • die Aktivitäten des täglichen Lebens (funktionale Endpunkte) und
  • der klinische Gesamteindruck (globaler Endpunkt). Kognition und Gesamteindruck gelten als primäre Endpunkte, die Funktionalität als sekundäre Endpunkte. Die drei Ebenen werden durch verschiedene Testverfahren untersucht (s. Kasten).
  • Kognitive Leistungen sollen durch objektive Tests gemessen werden, die auch die Sprache, konstruktive Fähigkeiten, Aufmerksamkeit und die psychomotorische Geschwindigkeit berücksichtigen (Beispiel: ADAS-cog).
  • Aktivitäten des täglichen Lebens, z. B. Ankleiden, Körperpflege, Einkaufen, Telefonieren, werden meist durch Angehörige oder Pflegekräfte beurteilt (Beispiele: DAD, ADCS-ADL).
  • Subjektiv, aber dennoch sehr sinnvoll ist die globale Bewertung durch einen Arzt unter Einbeziehung von Informationen aus verschiedenen Quellen wie Patient und Pflegepersonal (Beispiel: CIBIC-plus).
  • Außerdem können Verhaltensstörungen und neuropsychiatrische Symptome beurteilt werden (Beispiel: NPI).

Klinische Studien mit Galantamin

Der Arzneistoff Galantamin ist ein aus dem heimischen Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) und dem Kaukasischen Schneeglöckchen (G. woronowii, Amaryllidaceae) isoliertes Alkaloid, das mittlerweile synthetisch hergestellt wird (Abb. 2). Galantamin ist ein selektiver, kompetitiver und reversibler Inhibitor der Acetylcholinesterase (ACh) und erhöht zusätzlich die cholinerge Neurotransmission durch allosterische Modulation der nicotinischen ACh-Rezeptoren von Nervenzellen (duales Wirkprinzip).

Der Wirkstoff wurde mit dem Präparat Reminyl® 2001 in Deutschland für die Therapie von leichter bis mittelschwerer Alzheimer Demenz zugelassen, und zwar in einer Erhaltungsdosis von 16 bis 24 mg/d.

Zur Wirksamkeit von Galantamin sind drei randomisierte plazebokontrollierte klinische Studien publiziert worden (Tab. 1) [1 – 3]. Alle drei haben eine auffallend ähnliches Studiendesign, sind durch den gleichen Hersteller finanziert worden und wiesen eine große Zahl an Studienabbrechern auf, was vermutlich auf die cholinergen Nebenwirkungen bei schneller Aufdosierung zurückzuführen ist.

Übereinstimmend berichten diese drei Studien, dass Galantamin in der Erhaltungsdosis von 16 bis 24 mg/d sowohl auf kognitiver als auch auf globaler Ebene der Plazebomedikation überlegen ist. Was die sekundären Endpunkte betrifft, so sind die Ergebnisse uneinheitlich: Nur eine Studie zeigte eine signifikante Überlegenheit von 16 und 24 mg/d Galantamin gegenüber Plazebo [2].

Die Studien dauerten 5 bzw. 6 Monate, doch ist eine Studie [1] um zusätzliche 6 Monate ausgedehnt und dabei unverblindet weitergeführt worden. In der Ausdehnungsphase erhielt auch die Plazebogruppe 24 mg Galantamin. Nach 12 Monaten war kaum ein Unterschied zwischen den drei Studiengruppen mehr feststellbar (Abb. 3). Es konnte ein Langzeiteffekt beobachtet werden, der auf einen Erhalt der kognitiven Fähigkeiten während der gesamten Studiendauer hindeutet.

Die in den Studien beobachteten Nebenwirkungen waren meist cholinerger Natur (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) und relativ häufig (> 10%), was auch zu der hohen Rate an Studienabbrechern geführt haben dürfte: Bei der Studie von Raskind betrug sie über 30%, in der Studie von Tarot 20%; die niedrigere Rate ist hier auf das langsame Aufdosieren (8 mg Erhöhung alle 4 Wochen) zurückzuführen.

Besonderes Augenmerk verdient auch der im Gegensatz zu Plazebo häufigere Gewichtsverlust, der bei Alzheimer Demenz sowieso vielfach auftritt und zu Kachexie führen kann. Außerdem sind cholinerge Nebenwirkungen bei Patienten, die zusätzlich an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Atemwegserkrankungen leiden, problematisch.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Galantamin bei Alzheimer-Patienten eine signifikante Wirksamkeit auf der kognitiven und globalen Ebene zeigt. Die ähnlichen Ergebnisse der drei zitierten Studien sprechen für einen reproduzierbaren Effekt, der vergleichbar mit dem der etablierten Acetylcholinesterasehemmer Donepezil und Rivastigmin ist.

Galantamin und Rivastigmin werden jedoch 2 x täglich, Donepezil nur 1 x täglich gegeben, was für eine erhöhte Compliance bei Donepezil spricht. Donepezil hat aber eine höhere Rate an gastrointestinalen Nebenwirkungen. Die monatlichen Therapiekosten der Arzneistoffe sind ähnlich.

Die Effekte von Galantamin gegenüber Placebo sind zwar meistens signifikant besser, aber absolut gesehen doch recht gering. Die 12-monatige, in der zweiten Hälfte unverblindete Studie [1] gibt Hinweise darauf, dass mit Galantamin eine Progression der Alzheimer Demenz möglicherweise um etwa ein Jahr verzögert werden kann; dies müsste durch verblindete Studien über ebenfalls mindestens ein Jahr verifiziert werden.

Ein solcher Therapieeffekt wäre angesichts des großen Leidensdrucks, dem Patient, Angehörige und Pflegende ausgesetzt sind, nicht zu unterschätzen. Wünschenswert wären Vergleichsstudien mit anderen (auch nicht-medikamentösen) Therapieformen. Die Hoffnung richtet sich auch auf neue Arzneistoffe. Aktuell wird geprüft, ob COX-2-Hemmer und Statine die Progression der Alzheimer Demenz vermindern können.

Aber nicht nur die klinische Forschung ist wichtig. Für die Praxis ist eine gute Betreuung der Patienten für den Therapieerfolg entscheidend. Apotheker können neben den Patienten auch deren Angehörige beraten und in die Therapie einbinden und dadurch die Compliance verbessern; sie sollten auch Beratung und Hilfestellung bei Folgeproblemen wie Pflegebedürftigkeit, Dekubitus oder Inkontinenz geben und so eine Rundum-Versorgung leisten. Dies fördert auch die Bindung der Patienten an die Apotheke.

Bei leichten und mittelschweren Stadien der Alzheimer Demenz sind mehrere Acetylcholinesterasehemmer indiziert, darunter der im Jahr 2001 zugelassene Wirkstoff Galantamin. Die chronische Erkrankung lässt sich heute noch nicht heilen. Schon die Unterbrechung oder die Verlangsamung der Progression gelten als therapeutische Erfolge. Unter dieser Voraussetzung erwies sich Galantamin in plazebokontrollierten Studien als wirksam; Vergleichsstudien mit anderen Präparaten stehen jedoch noch aus.

Allgemeine Definition der Demenz*

1. Störungen des Gedächtnisses a. Aufnahme und Wiedergabe neuerer Informationen b. Verlust früher erlernter und vertrauter Inhalte (in späten Stadien)

2. Störungen des Denkvermögens a. Störung der Fähigkeit zu vernünftigen Urteilen b. Verminderung des Ideenflusses c. Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung

3. Störungen der emotionalen Kontrolle a. Störung des Sozialverhaltens b. Störung der Motivation

Die Störungen des Gedächtnisses und des Denkvermögens sind so schwer, dass sie Aktivitäten des täglichen Lebens wesentlich beeinträchtigen. Die Störungen dauern länger als 6 Monate an.

* nach ICD-10

Diagnostische Kriterien für Alzheimer Demenz*

1. Vorliegen einer Demenz 2. Schleichender Beginn mit langsamer Verschlechterung 3. Fehlen klinischer Hinweise oder spezieller Untersuchungsbefunde, die auf eine System- oder Hirnkrankheit hinweisen, welche ihrerseits eine Demenz verursachen kann 4. Fehlen eines plötzlichen apoplektischen Beginns oder neurologischer Herdzeichen

* nach ICD-10

Testverfahren

ADAS-cog – Alzheimer Disease Assessment Scale, cognitive subscale 0 bis 70 Punkte; höhere Werte spiegeln größere kognitive Beeinträchtigung wider; ausgewertet wird auch die prozentuale Ansprechrate.

DAD – Disability Assessment in Dementia 0 bis 46 Punkte; höhere Werte signalisieren besseres Zurechtkommen ADCS-ADL – Alzheimer's Disease Cooperative Study that includes Activities of

Daily Living inventory 0 bis 78 Punkte; niedere Werte zeigen größere Einschränkungen

CIBIC-plus – Clinician Interview-Based Impression of Change plus caregiver input 1 bis 7 Punkte; 1: deutliche Verbesserung; 4: keine Veränderung; 7: deutliche Verschlechterung; ausgewertet wird auch die prozentuale Ansprechrate.

NPI – Neuropsychiatric Inventory 0 bis 120 Punkte; höhere Werte für größere Störungen (z. B. Depressionen, Angst, Halluzinationen)

Nicht bei schwerer Demenz

Eine Therapie mit Galantamin sollte nur begonnen werden, wenn vorher eine sorgfältige Diagnosestellung erfolgt ist. Galantamin ist nur bei leichter bis mittelschwerer, nicht aber bei schwerer Alzheimer Demenz indiziert, weil hier wahrscheinlich schon zu viele cholinerge Neuronen untergegangen sind.

Hannelore Mack hat im September 2003 ihr 2. Staatsexamen in Pharmazie an der Universität Tübingen abgelegt und sich im Rahmen der Prüfung in Pharmazeutischer Biologie eingehend mit dem Arzneistoff Galantamin beschäftigt. Seit November 2003 absolviert sie ihr Pharmaziepraktikum in der Krankenhausapotheke des Universitätsklinikums Tübingen.

Anschrift: Hannelore Mack, Knillweg 9, 89555 Steinheim, E-Mail: hanni.mack@web.de

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