TK fordert neue Preisbildung

Wie lassen sich Gentherapeutika künftig finanzieren?

Berlin - 06.03.2024, 17:50 Uhr

Zolgensma ist längst nicht mehr das teuerste Arzneimittel der Welt. (Foto: oasisamuel /AdobeStock)

Zolgensma ist längst nicht mehr das teuerste Arzneimittel der Welt. (Foto: oasisamuel /AdobeStock)


Zolgensma sorgte 2019 als teuerstes Arzneimittel der Welt für Schlagzeilen und hitzige Diskussionen. Doch seitdem mehren sich die zugelassenen Gentherapeutika mit schwindelerregenden Preisen. Für viele Patienti*nnen sind diese neuen Arzneimittel echte Hoffnungsträger – doch die GKV werden sie vor massive Herausforderungen stellen. Die Techniker Krankenkasse will jetzt mit einem neuen Report für das Thema sensibilisieren und eine Debatte über künftige Finanzierungsmodelle in Gang bringen.

Noch ist das Angebot überschaubar: 15 Gentherapeutika sind in Deutschland zugelassen. Zolgensma (Onasemnogen Abeparvovec), das Kinder mit Spinaler Muskelatrophie mit nur einer Spritze Hilfe verspricht, machte – als es 2019 in den USA zugelassen wurde – als teuerstes Arzneimittel der Welt Schlagzeilen; fast 2 Millionen Dollar kostete die nur einmal zu verabreichende Spritze. Nach der Zulassung in Europa im Jahr darauf wurde auch in Deutschland viel darüber diskutiert, was ein solches Arzneimittel kosten darf.

Nun handelt es sich bei der Spinalen Muskelatrophie um eine sehr seltene Erbkrankheit. Und auch die anderen bislang (bedingt) zugelassenen Gentherapeutika zielen auf eher kleine Patientengruppen ab (z. B. Hämophilie A). Doch die Pipeline dieser neuartigen Arzneimittel wächst. Künftig werden auch Gentherapeutika zum Beispiel gegen Herzinsuffizienz oder Diabetes Typ 1 zur Verfügung stehen. 49 Gentherapeutika sind in der Pipeline. Der potenzielle Kreis der Patientinnen und Patienten wird also immer größer werden. Und bedenkt, man, dass die bisherigen Präparate bei Markteintritt zwischen rund 300.000 Euro und mittlerweile 4,2 Millionen Euro pro Behandlung kosteten, wird schnell klar: Auf die Kostenträger im Gesundheitswesen kommt Gewaltiges zu.

Was sind Gentherapeutika?  

Gentherapeutika zählen zur Kategorie der „Arzneimittel für neuartige Therapien“ (engl. Advanced Therapy Medicinal Products, kurz ATMPs). Die Wirkung basiert darauf, dass genetisches Material, also ein zusätzliches, künstlich hergestelltes Gen, in eine Zielzelle eingebracht wird. Dieses hinzugefügte Gen kann die Aufgaben eines defekten körpereigenen Gens übernehmen bzw. die Körperzellen mit einer zusätzlichen Fähigkeit versehen, die zur Behandlung einer Erkrankung wichtig ist. Das Einbringen des neuen Gens in die Zellen kann im Körper stattfinden (in vivo) oder außerhalb des Körpers an zuvor entnommenen Zellen (ex vivo). Eine Therapie mit einem Gentherapeutikum gilt als Einmaltherapie, weil das Medikament einmalig verabreicht werden soll. Wie lange Gentherapeutika tatsächlich wirken, ist noch nicht bekannt. (Techniker Krankenkasse)  

Auch wenn sich die Arzneimittelausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung im Moment noch eher unauffällig entwickeln und extrem günstige Generika bislang teure patentgeschützte Arzneimittel kompensieren konnten – ewig wird dies sicherlich nicht funktionieren. Nach den Lieferengpässen der vergangenen Jahre ist klar, dass auch für Generika wieder mehr Geld in die Hand genommen werden muss. Es ist also absehbar, dass die Kosten auch für neue Arzneimittel wieder zum Thema werden.

Hoffnungsträger oder Systemsprenger?

Grund genug für die Techniker Krankenkasse (TK), die Entwicklungen im Markt der Gentherapeutika in die Öffentlichkeit zu bringen. Am heutigen Mittwoch präsentierte die Kasse ihren aktuellen mit dem aQua-Institut erstellten Report „Arzneimittel-Fokus: Gentherapeutika - Hoffnungsträger oder Systemsprenger?“. Dieser zeigt nicht nur auf, wie diese sehr speziellen neuartigen Arzneimittel, bei denen defekte Gene „repariert“ bzw. ersetzt werden, wirken und wie sie sich im Markt etablieren. Er schätzt auch die künftigen Kosten ab. Und weil diese erheblich sein werden, wirft er auch einen Blick in andere Länder: Wie geht man in den USA, Frankreich und Japan mit hochpreisigen neuen Arzneimitteln um? Und was lässt sich daraus für Deutschland mitnehmen?

Kosten von bis zu 35 Milliarden Euro?

TK-Chef Jens Baas will keinesfalls Pharma-Bashing betreiben. Ihm ist bewusst, dass die neuen Therapien teilweise sehr vielversprechend sind – und er hat auch gar nichts dagegen, dass die Unternehmen gute Gewinne machen. Doch am Ende müssen die Preise auch angemessen sein, erklärte Baas bei der Vorstellung des Reports. Nach Recherchen und Berechnungen der TK werden bei Zulassung aller 49 Gentherapeutika aus der Pipeline diese zu Ausgaben zwischen 26,7 und 35,6 Milliarden Euro führen – und das wird durchaus Beitragssatz-relevant, wie der TK-Chef betonte. Er will lieber jetzt schon darüber nachdenken, wie man mit dieser Situation umgeht. Dass das Thema noch in dieser Legislaturperiode angegangen wird, hält er für unwahrscheinlich. Derzeit beherrschen die Lieferengpässe die politische Diskussion. Niemand legt derzeit einen Fokus auf zu hohe Preise. „Aber wir müssen sensibilisieren“, sagt Baas, damit in der nächsten Legislaturperiode etwas getan wird.

Reale Kosten müssen maßgeblich sein

Aber welche neuen Wege in der Preisbildung könnten ermöglichen, dass auch künftig alle Patientinnen und Patienten von den neuen Therapiemöglichkeiten profitieren können? „Wir brauchen Preise, die sich an den tatsächlichen Forschungs- und Herstellungskosten orientieren“, sagt Baas. „Aktuell schaukeln sich die Preise immer weiter hoch, vor allem weil bei Arzneimitteln einer völlig neuen Wirkstoffklasse wie Gentherapeutika keine Vergleiche möglich sind.“ Die Hersteller können die Preise hier noch immer erst einmal selbst bestimmen. Deshalb brauche es eine sinnvolle Regulierung – und da setzt die TK nicht zuletzt auf Transparenz.  

Vorbild Japan?

Mit besonderem Interesse blickt die Kasse nach Japan. Das Land hat mit einem kriterienbasierten Prämiensystem für neue Arzneimittel ohne Vergleichstherapie die Ausgaben gesenkt. Kern des Systems sind Dossiers der pharmazeutischen Unternehmen, in denen Herstellungs-, Vertriebs- und Vermarktungskosten transparent dargestellt werden. Anschließend werden nach Kriterien wie Innovationsgrad oder der Absatzfähigkeit unterschiedlich hohe Prämien aufgeschlagen. Eins zu eins lasse sich das japanische Modell sicher nicht für Deutschland übernehmen. Für diskussionswürdig hält es der TK-Chef aber durchaus. 

Eine klare Absage erteilt die TK übrigens den sogenannten Pay-for-Performance-Modellen. Auch in diesen werde der festgesetzte Preis nicht infrage gestellt – er wird nur in Raten bezahlt. Und überdies sei es äußerst schwierig, sich auf konkrete Performance-Elemente zu einigen – wann ist wirklich ein wesentlicher Schritt erreicht? Baas weist zudem darauf hin, dass mit der hinter diesem Modell stehenden Logik auch Penicillin Tausende Euro kosten müsste, weil es schlimme Erkrankungen vermeidet.

Der Aufschlag ist gemacht. Früher oder später wird auch die Politik in die Diskussion über die Preise neuer Arzneimittel einsteigen müssen. 


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Gentherapie bei Spinaler Muskelatrophie

Zolgensma in der EU zur Zulassung empfohlen

Antibiotika, Spravato, Zolgensma und Co.

Welche neuen Arzneimittel bringt 2020?

Novartis' Gentherapie bei Spinaler Muskelatrophie

Millionenschwere Erlöse bei Zolgensma – trotz Datenmanipulation

2-Millionen-Dollar-Arzneimittel Zolgensma

Schmidt: Arzneimittelpreise müssen nachvollziehbar sein

Manipulierte Daten in den Zulassungsunterlagen der Gentherapie bei spinaler Muskelatrophie

Zolgensma® beschert Novartis Millionen-Erlöse

3 Kommentare

Kosten Gentherapeutika

von Roland Mückschel am 06.03.2024 um 18:22 Uhr

Ganz einfach,
Gibt es nicht. Kein Geld da.
Wen betrifft es? Niemand. Also fast.

Da bin ich mittlerweile abgehärtet durch Politik und Krankenkasse.

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Kosten Gentherapeutika

von Tim Olol am 07.03.2024 um 10:43 Uhr

Ist das Ihr Ernst? Erscheint mir kein konstruktiver Vorschlag.
Aber Hauptsache man hat sich mal geäußert und das Solidaritätsprinzip dabei gleich mit "entsorgt".




AW: Herr Olol

von Roland Mückschel am 07.03.2024 um 16:04 Uhr

Was hat das Solidaritätsprinzip damit zu tun?
Soll die Gemeinschaft um ganz wenigen zu helfen
den Pharmafirmen die eh schon gut gefüllten Taschen vollstopfen?
Sind sie Lobbyist?
Dieses Geld könnte an anderer Stelle vielen Menschen entscheidende Hilfe leisten.
Überall Not.
Und sie wollen absolute Spartenmedizin?
Und das Solidaritätsprinzip als Finanzierungsgrundlage?

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.