Neue EU-Sicherheitsbewertung gestartet

Wie sicher sind Erkältungspräparate mit Pseudoephedrin?

Stuttgart - 13.02.2023, 17:50 Uhr

Wie sicher sind „Aspirin Complex“, „BoxaGrippal“, „Grippostad Complex“, „Wick DayNait“ oder auch „Reactine duo“ und Co.? (s / Foto: Schelbert)

Wie sicher sind „Aspirin Complex“, „BoxaGrippal“, „Grippostad Complex“, „Wick DayNait“ oder auch „Reactine duo“ und Co.? (s / Foto: Schelbert)


Auf EU-Ebene ist eine Sicherheitsüberprüfung von Pseudoephedrin-haltigen Arzneimitteln gegen Erkältungen und Allergien in der Selbstmedikation eingeleitet worden. Direkte (rechtliche) Konsequenzen hat das zwar noch keine, die Beratung kann in der Apotheke aber bereits entsprechend angepasst werden. Denn dass Pseudoephedrin-haltige Arzneimittel kritisch zu bewerten sind, ist schon länger klar.

Kombinationspräparate gegen Erkältung sind in der Apotheke nicht die erste Wahl in der Selbstmedikation, werden von Patient:innen aber dennoch häufig bei Infekten nachgefragt. Beliebt sind Präparate für die orale Einnahme, in denen Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol mit Pseudoephedrin kombiniert angeboten werden – zum Beispiel „Aspirin Complex“, „BoxaGrippal“, „Grippostad Complex“, „Wick DayNait“ oder auch „Reactine duo“. Letzteres richtet sich allerdings, in Kombination mit Cetirizin statt gegen Schmerzen und Fieber, gegen die allergische Rhinitis.

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Nase frei!

Laut ABDA-Datenbank (Stand 13.02.2023) stimuliert Pseudoephedrin alpha-adrenerge Rezeptoren in der glatten Gefäßmuskulatur und verengt dadurch die erweiterten Arteriolen in der Nasenschleimhaut. Der Wirkstoff soll bei einer Erkältung also die Nasenatmung wieder ermöglichen, was auch durch ein abschwellendes Nasenspray (beispielsweise mit Xylometazolin) erreicht werden kann. Beliebt ist die orale Einnahme von Pseudoephedrin bei einer Erkältung aber auch, weil es als Nebenwirkung wach macht. „Ältere Patienten können besonders empfindlich auf die zentralnervösen Wirkungen von Pseudoephedrin reagieren“, heißt es in der ABDA-Datenbank dazu. Neben Schlaflosigkeit werden allerdings noch einige andere Nebenwirkungen aufgeführt, die nun durch eine erneute Sicherheitsbewertung von Pseudoephedrin-haltigen Arzneimitteln auf EU-Ebene verstärkt in den Fokus rücken:  

„Die möglichen Nebenwirkungen von Pseudoephedrin sind:

  • Kardiale Wirkungen (z. B. Tachykardie, Arrhythmie, Palpitationen, Hypertension, Hitzewallungen).
  • Stimulierung des zentralen Nervensystems (z. B. Schlaflosigkeit, selten Halluzinationen) sowie Harnverhalt, insbesondere bei Patienten mit Prostatahyperplasie.
  • Schwere Hautreaktionen, einschließlich akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP).
  • Ischämische Colitis.
  • Ischämische Optikusneuropathie.“

Quelle: ABDA-Datenbank (Stand 13.02.2023)

Anhand der letzten beiden genannten Nebenwirkungen wird deutlich, dass Pseudoephedrin nicht nur in der Nase die Blutgefäße verengt – und das ist offenbar problematischer als bislang deutlich wurde. Denn diese Art der Nebenwirkung nimmt nun der Pharmakovigilanz-Ausschuss der europäischen Arzneimittelbehörde EMA genauer unter die Lupe, wie die EMA vergangenen Freitag bekannt gegeben hat. 

Kopfschmerzen, Übelkeit und Krampfanfälle durch Ischämie im Gehirn

Dabei geht es um die Verengung von Blutgefäßen im Gehirn, die zum posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom (PRES) und dem reversiblen zerebralen Vasokonstriktionssyndrom (RCVS) führen könnten. Bei beiden Syndromen können Kopfschmerzen, Übelkeit und Krampfanfälle auftreten. Die dabei verminderte Blutzufuhr (Ischämie) zum Gehirn könne zu schweren und lebensbedrohlichen Komplikationen führen, heißt es, worauf einzelne Fallberichte derzeit hindeuten sollen.

Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall bereits bekannt?

Laut EMA ist bereits bekannt, dass Pseudoephedrin-haltige Arzneimittel ein Risiko für kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre ischämische Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall mit sich bringen. Entsprechende Warnhinweise seien in den Produktinformationen enthalten. Bei „Reactine duo“ wird beispielsweise der hämorrhagische Schlaganfall in der Anamnese oder das erhöhte Risiko diesen zu entwickeln als Gegenanzeige für das Arzneimittel aufgeführt. Unter „unerwünschte Wirkungen ohne Angabe der Häufigkeit“ heißt es allerdings in der ABDA-Datenbank bei „Reactine duo“ auch:


„apoplektischer Insult, Myokardinfarkt (Solche Fälle wurden nur sehr selten in Studien nach Zulassungserteilung berichtet. Eine Sicherheitsstudie durchgeführt nach Erteilung der Zulassung (PASS) hat keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Herzinfarktes oder eines apoplektischen Insults im Zusammenhang mit der Einnahme von Vasokonstriktoren zur Abschwellung der Nasenschleimhaut einschließlich Pseudoephedrin ergeben)“

„Reactine duo“ in der ABDA-Datenbank, Stand 13.02.2023


Angestoßen wurde die aktuelle Sicherheitsüberprüfung durch die französische Arzneimittelbehörde „ANSM“. Diese warnt bereits seit 2020 vor entsprechenden Risiken in Frankreich. Es bleibt nun abzuwarten, wie der PRAC die Sicherheit von Pseudoephedrin in Erkältungs- und Allergiepräparaten ohne Rezept bewerten wird. Rein theoretisch könnte die Zulassung sogar EU-weit entzogen werden. Doch auch wenn es so weit nicht kommt, pseudoephedrin-haltige Arzneimittel standen in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. 

Erst 2018 mussten Pseudoephedrin-haltige Arzneimittel um den Warnhinweis ergänzt werden, dass es während der Einnahme zu schweren Hautreaktionen wie einer akuten generalisierten exanthematischen Pustulose kommen kann. Außerdem können sie zur Crystal-Meth-Synthese missbraucht werden. Durch eine Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung wurden zum 1. Mai 2011 Arzneimittel mit mehr als 720 mg Pseudoephedrin pro Packung zwar verschreibungspflichtig. Die Hersteller verkleinerten daraufhin allerdings die angebotenen Packungsgrößen. Die (aktuelle) Diskussion, wie sinnvoll und sicher Pseudoephedrin-haltige Arzneimittel im Bereich der Selbstmedikation sind, erscheint also nicht unberechtigt. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

sehr gut

von Dr. House am 14.02.2023 um 12:11 Uhr

Weiterer Vorschlag: Es müsste ganz dringend behördlich geprüft werden, ob denn das Leben selbst sicher ist. Man munkelt nämltich es endet stets mit dem Tod. Deswegen sollte jedes Neugeborene eine Einverständniserklärung unterschreiben, dass es sich den Risiken bewusst ist. Bei Nichtunterschreiben, wird es durch geschulte Behördenmitarbeiter in die Mutter bzw die gebährende Person zurückgesteckt.

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Hysterie schadet der Sicherheit

von ratatosk am 14.02.2023 um 9:11 Uhr

Leider führt der Wahn der EU Bürokraten, komplette Sicherheit zu erreichen zum genauen Gegenteil. Anstatt wirkliche Risiken zu erkennen, wird alles mögliche mit unzähligen Hinweisen zugepflastert, bis niemand so was mehr ernst nimmt. Wenn es mal wirklich wichtig ist, beachtet es keiner mehr .
Überspitzt kann man auch sagen, daß die eine Schwangere lieber an einer eitrigen Lungenentzündung sterben lassen, da eigentlich nichts mehr wirklich erlaubt wäre. Nur damit die Bürokraten auf der sicheren Seite sind.
Ist wie bei der Bundeswehr, alles geheim, bis zum normalen Wetterbericht, wenns wirklich wichtig ist und geheim wo draufsteht, nimmt das ja auch keiner mehr wirklich ! ernst. Leider sind heutzutage Behörden für wirkliche Risikoabschätzungen, an denen man nicht wirklich vorbeikommt, meist zu inkompetent und ja auch - zu feige. Einfach alles verbieten bis alles zum Stillstand kommt, aber das Amt hat keine Probleme mehr, das geht vor.

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Verarmung

von norbert brand am 14.02.2023 um 8:12 Uhr

... laßt uns doch den Wirkstoff- und damit Arzneischatz weiter zusammenstreichen. Immer wenn der Pharmakovigilanz-Ausschuss der europäischen Arzneimittelbehörde EMA wieder einmal segensreich aktiv wird, ist Vorsicht geboten. Letztes Beispiel Titandioxid! Wir können nicht jedes denkbare und zudem meist dosisabhängige Risiko durch Wirkstoff-Verbote ausschließen. Wo bleibt die Eigenverantwortung, welchen Sinn machen dann noch Hinweise im Beipackzettel? Das Sicherheitsbestreben auf EU-Ebene ist nicht nur nahezu pathologisch, nein, es erstickt auch jegliche Kreativität in Richtung Neues.

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