Arzneimittel und Therapie

Pseudoephedrin bald verschreibungspflichtig?

Das Sympathomimetikum Pseudoephedrin ist bislang nicht verschreibungspflichtig. Da es zunehmend missbräuchlich zur Herstellung des Betäubungsmittels Metamphetamin eingesetzt wird, wurde vom Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beim BfArM am 6. Juni 2010 empfohlen, Packungen, deren Gesamtgehalt 720 mg Pseudoephedrin überschreitet, der Verschreibungspflicht zu unterstellen.

Schon im April 2009 hatte die Gemeinsame Grundstoffüberwachungsstelle ZKA/BKA (GÜS) beim Bundeskriminalamt (BKA) darauf hingewiesen, dass die missbräuchliche Verwendung Ephedrin- und Pseudoephedrin-haltiger Arzneimittel zur illegalen Herstellung von Metamphetamin auch in Deutschland zunehmend ein Problem darstellt. Nachdem in der Tschechischen Republik seit dem 1. Januar 2009 der Erwerb Pseudoephedrin-haltiger Arzneimittel auf 24 Tabletten pro Person und Woche begrenzt worden war, verzeichnete man eine ungewöhnlich hohe Nachfrage aus Tschechien nach Reactine® Duo und Rhinopront® Kombi in deutschen Apotheken, hauptsächlich in Bayern und Sachsen.

Diese Präparate wären auch von der Unterstellung unter die Verschreibungspflicht betroffen, wenn der Gesetzgeber der Empfehlung des Sachverständigen-ausschusses für Verschreibungspflicht folgt. In den derzeitigen Packungsgrößen überschreiten sie die vorgesehene Höchstmenge von 720 mg Pseudoephedrin: Rhinopront® Kombi enthält 20 Tabletten mit je 60 mg Pseudoephedrin, Reactine® Duo 14 und 28 Tabletten mit je 120 mg Pseudoephedrin. Aspirin® Complex mit nur 30 mg Pseudoephedrin pro Beutel wäre danach auch in Packungsgrößen von 20 Stück weiter rezeptfrei erhältlich.

Die Empfehlung muss vom Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen einer Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung umgesetzt werden. Die Änderungsverordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Mit einem Inkrafttreten ist frühestens zum 1. Januar 2011 zu rechnen. du



Dr. Bernd Eberwein

Nachgefragt


"Begrenzung auf 720 mg Pseudoephedrin ist ausreichend!"

Mit der Begrenzung des rezeptfreien Bezugs von 720 mg Pseudoephedrin pro Packung soll ein möglicher Missbrauch verhindert werden. Wir sprachen mit Dr. Bernd Eberwein, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und Mitglied des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, darüber, wie groß das Problem in Deutschland tatsächlich ist und ob es durch die Einschränkung der Rezeptfreiheit zu lösen ist.


DAZ: Herr Dr. Eberwein, wie hat der Sachverständigenausschuss die Situation um die missbräuchliche Verwendung von Pseudoephedrin eingestuft, warum wurde keine vollständige Unterstellung unter die Verschreibungspflicht empfohlen?

Eberwein: Der Sachverständigenausschuss hat Berichte über die mögliche missbräuchliche Verwendung von Pseudoephedrin-haltigen Arzneimitteln ernst genommen. Und er ist der Meinung, dass mit der Begrenzung auf maximal 720 mg pro Packung eine ausreichende Sicherheitsmaßnahme getroffen wird.

DAZ: Aber sie lässt sich durch Kauf mehrerer Packungen umgehen

Eberwein: Es handelt sich bei dem Phänomen ja nicht um eine "normale" missbräuchliche Verwendung, sondern darum, dass Pseudoephedrin aus den Produkten extrahiert wird und anschließend in einem für Laien durchaus anspruchsvollen chemischen Prozess umgewandelt wird. Die Berichte über vermehrte Ankäufe bzw. Ankaufsversuche größerer Mengen betrafen praktisch ausschließlich Produkte, die deutlich mehr als 720 mg Pseudoephedrin pro Packung enthielten. Es ist deshalb sicherlich nachvollziehbar, dass die gesetzliche Basis zur Einführung der Verschreibungspflicht für die niedrigdosierten Präparate nicht gegeben ist. Die Festlegung auf 720 mg folgt dem Vorbild anderer Länder, so dem aus Großbritannien.

DAZ: In Tschechien hat man bereits vor gut einem Jahr den rezeptfreien Verkauf eingeschränkt und die Abgabe mithilfe eines Web-basierten Kontrollsystems auf 24 Tabletten pro Woche und Person begrenzt. Sind solche Kontrollen auch in Deutschland geplant?

Eberwein: Ob es rechtlich in Deutschland überhaupt möglich ist, eine Begrenzung der Abgabe der Anzahl der Packungen vorzunehmen, weiß ich nicht. Aber das brauchen wir sicherlich nicht. Ich bin überzeugt, kein deutscher Apotheker wird an eine Privatperson 100 Packungen abgeben. Dazu sind die deutschen Apotheker zu verantwortungsbewusst. Zudem werden die deutschen Apotheker sicherlich nicht wie in Tschechien ihre Kunden elektronisch erfassen wollen. Ich glaube das wollen wir alle nicht, und ich halte es auch für unnötig.

DAZ: Ist die missbräuchliche Herstellung von Metamphetamin aus Pseudoephedrin-haltigen Arzneimitteln in Deutschland wirklich ein Problem?

Eberwein: Recherchen haben ergeben, dass es möglich ist, Pseudoephedrin als Reinstoff aus ausländischen Quellen über das Internet zu beziehen. Der Kilogramm-Preis liegt zwischen 100 und 500 US-Dollar. Die missbräuchliche Verwendung kommt sicherlich vor. Ich glaube aber nicht, dass tatsächlich erhebliche Mengen Pseudoephedrin als Arzneimittel für diesen Zweck gekauft werden. Man stelle sich vor, da kauft einer 100 Packungen eines Pseudoephedrin-haltigen Erkältungsmittels mit 600 mg Pseudoephedrin pro Packung, um nach aufwendiger Extraktion mit 60% Ausbeute dann 36 g Pseudoephedrin zu erhalten, ob sich das rechnet? Die Leute wollen das "Endprodukt" ja dann in der "Szene" verkaufen.

DAZ: Herr Dr. Eberwein, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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