Abhilfe bei Lieferengpässen

Nicht lieferbar – und jetzt? Diese OTC-Alternativen kommen in Frage

Schöllkrippen - 04.11.2022, 07:00 Uhr

Alles rot. Dieses Bild sehen Apotheken derzeit oft. (Foto Schelbert) 

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Lieferengpässe betreffen bekanntermaßen nicht nur Rx-Arzneimittel – im Gegenteil. Es fehlen aktuell auch wichtige OTC-Präparate. Wohl dem, der auf der Suche nach Alternativen auf langjährige Berufserfahrung und einen viele, viele Produkte umfassenden Wissensschatz zurückgreifen kann. Für alle anderen, haben wir für einige Defekte Alternativen zusammengestellt.

Die Defektlisten in deutschen Apotheken werden seit Wochen immer länger und gerade in der jetzt beginnenden Erkältungssaison fehlen in der Sichtwahl viel alte Bekannte. Das stellt zwar nicht nur PhiPs und Kollegen mit wenig Berufserfahrung vor zusätzliche Herausforderungen, aber die ganz besonders. Oftmals ist den Patient:innen nur der Produktname bekannt – die Wirkstoffe allerdings weniger. Wer frisch von der Uni kommt, bei dem ist es gerade umgekehrt. Die Suche nach Alternativen wird zur Herausforderung. Um hier Abhilfe zu schaffen und den Kollegen den Switch auf andere Präparate zu ermöglichen, gibt es hier für ein paar der aktuell nicht oder nur eingeschränkt verfügbaren Produkte therapeutische Alternativen geordnet nach Indikationen.

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Schmerzen- und Fieber

Aus der Praxis bereits seit Wochen bekannt: die Nichtverfügbarkeit von Säften mit den Wirkstoffen Ibuprofen (u. a. Nurofen® Junior Fieber- und Schmerzsaft 40 mg/ml / 20 mg/ml, Ibuflam® Kindersaft 20 mg/ml bzw. Ibuflam® 40mg/ml, Ibu-ratiopharm® 2% und 4% Fiebersaft für Kinder) oder Paracetamol (u. a. ben-u-ron® Saft, Paracetamol-ratiopharm® Lösung). Hier stehen Rezeptur-Monografien zur Eigenherstellung wirkstoffhaltiger Suspensionen aus den jeweiligen Rezeptursubstanzen oder aufgrund der aktuellen Praxiserfahrung realistischer aus Tabletten zur Verfügung (Ibuprofen, Paracetamol). Alternativ kann auf Suppositorien ausgewichen werden, sofern sie für die meist keinen Patienten akzeptabel sind. Für Ibuprofen stehen aktuell Zäpfchen mit 60 mg oder 75 mg zur Verfügung.  Die Dosierungen betragen nach Alter und Gewicht:

 

Nurofen Junior 60 mg ZäpfchenEinzeldosisTagesdosis
6-8 kg KG (3-9 Monate)1 x 60 mgmax. 3 x 60 mg
8-12,5 kg KG (9 -24 Monate)1 x 60 mgmax. 4 x 60 mg
Ibuprofen Pädia 75 mg Zäpfchen  
7,5 – 9 kg KG (8-12 Monate)1 x 75 mgmax. 3 x 75 mg
10-12 kg KG (1-2 Jahre)1 x 75 mgmax. 4 x 75 mg

Eine weitere – allenfalls wohl theoretische – Möglichkeit ist hier auch die rezepturmäßige Herstellung von Suppositorien aus den jeweiligen Tabletten Laut Rezepturexpertin Dr. Annina Bergner wird eine Herstellung von Zäpfchen aus FAM-Tabletten jedoch grundsätzlich nicht empfohlen, da die weiteren Hilfsstoffe die Herstellung stören können. Häufig sind Tabletten zudem überzogen und lassen sich somit nicht fein genug pulverisieren. Die Verwendung von Tabletten sei auch nicht notwendig, da andere Verfahren zur Verfügung stehen wie z. B. die Herstellung aus Suppositorien für Erwachsene

Paracetamol (Gaben innerhalb von 24 Stunden): 

 EinzeldosisTagesdosis
3-4 kg KG (< 3 Monate)1 x 75 mgmax. 2 x 75 mg
4-5 kg KG (< 3 Monate)1 x 75 mgmax. 3 x 75 mg
4 kg KG (> 3 Monate)    1 x 75 mgmax. 3 x 75 mg
5-6 kg KG (> 3 Monate)1 x 75 mgmax. 4 x 75 mg
7-8 kg KG (6-9 Monate)1 x 125 mgmax. 3 x 125 mg
9-12 kg KG (9 – 24 Monate1 x 125 mgmax. 4 x 125 mg 
13-16 kg KG (2-4 Jahren)1 x 250 mgmax. 3 x 250 mg
17 – 25 kg KG (4-8 Jahre)1 x 250 mgmax. 4 x 250 mg
26 – 32 kg KG (8-11 Jahre)1 x 500 mgmax. 3 x 500 mg
33-43 kg KG (11-12 Jahre)1 x 500 mgmax. 4 x 500 mg
Ab 43 kg KG (ab 12 Jahren)1-2 x 500 mgmax. 8 x 500 mg

Für Kinder ab 6 Jahren ist auch die Gabe von Ibuprofen-haltigen Tabletten mit 200 mg Wirkstoff oder die Gabe paracetamol-haltiger Tabletten mit alters- und gewichtsadaptierter Dosierung (z. B. eine halbe Tablette mit 500 mg Paracetamol) möglich.

Elektrolytsubstitution

Auch wer aktuell an Magen-Darm-Krankungen mit Erbrechen und/oder Durchfall leidet, ist von den aktuellen Lieferengpässen betroffen. So müssen wir noch auf nicht absehbare Zeit auf alte Bekannte wie Oralpädon® 240 mit diversen Geschmackrichtungen oder Elotrans® verzichten. Auch die meisten anderen als Alternative denkbaren Elektrolytpräparate, wie z. B. Sanotact® Elektrolyte plus oder Saltadol® Elektrolyt Pulver sind aktuell nicht auf dem deutschen Markt erhältlich. Es gibt leider auch nur wenige Alternativen. Eine davon kann Infectodiarrstop® LGG® der Firma Infectopharm sein. Neben Salzen und Kohlehydraten enthält dieses Produkt auch den Stamm eines Milchsäurebakteriums und ist zugelassen zur Behandlung von Durchfallerkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Dosierung erfolgt nach Körpergewicht, Schwere des Durchfalls sowie Zeitpunkt der Erkrankung:

Bei leichtem Durchfall gilt:

Säuglinge und Kleinkinder bis 23 Monate: 1 bis 2 Doppelkammerbeutel pro Tag und bei Kindern ab 2 Jahren 2 bis 3 Doppelkammerbeutel pro Tag. Handelt es sich um schwerere Durchfallerkrankungen gilt die innerhalb der ersten 4 bis 6 Stunden der Erkrankung die Gabe von 50 bis 100 ml Trinklösung pro kg KG :

4 kg KG200 – 400 ml
8 kg KG400 – 800 ml
12 kg KG600 – 1200 ml
Ab 16 kg KG800 – 1600 ml

Danach werden pro wässrigem Durchfall 10 ml Zubereitung pro kg kG verabreicht sowie das Dosierungsschema bei leichtem Durchfall. Eine andere, etwas aufwändigere, aber für Jugendliche und Erwachsene geeignete Option, wäre die rezepturmäßige Herstellung der einer der drei Varianten der oralen Glucose-Elektrolyt-Mischungen, die im NRF unter der Vorschrift 6.5 zu finden sind (ORS 40/60/New-ORS-WHO). Ihre Zusammensetzung und Herstellung kann man hier  finden.

Mittel gegen Krämpfe im Magen-Darm-/ Unterleibsbereich

Seit einiger Zeit auch nicht mehr verfügbar sind die Filmtabletten Buscopan® bzw. Buscopan plus mit den Wirkstoffen Butylscopolamin bzw. in der Kombination mit Paracetamol. Handelt es sich bei den Beschwerden, um Krämpfe, deren Ursache eher im Magen-Darm-Bereich verortet werden (z. B. beim Reizdarm-Syndrom, Gallenkolliken) kann z. B. auf Präparate mit Pfefferminzöl zurückgegriffen werden. Pfefferminzöl wirkt magenberuhigend und entspannt die Bauchmuskulatur. Auch andere – meist pflanzliche Arzneimittel, z. B. mit Myrrhe, Kümmel, Kamille oder Kaffeekohle – können bei Diarrhoe, Meteorismus oder Krämpfen mit gutem Erfolg angewandt werden. So finden wir hier Alternativen in z. B. Carmenthin®, Myrrhinil-Intest® oder Buscomint®. Die Dosierungen sind wie folgt:

  • Buscomint® (ab 12 Jahren und >40 kg KG): 3 x 1 Weichkapsel täglich.
  • Carmenthin® (ab 12 Jahren): max. 2 x 1 Weichkapsel täglich.
  • Myrrhinil-Intest® (ab 12 Jahren): bis zu 3 x 4 Tabletten täglich.

Bei belastender Schmerzbeteiligung muss das Schmerzmittel nicht gewechselt werden: Paracetamol in Tablettenform ist noch verfügbar. 

Patientinnen mit Regelschmerzen müssen derzeit mit Schmerzmitteln und ggf. Wärme alleine auskommen. 

Hustenlöser
 

Seit kurzem kommt es auch zu Schwierigkeiten, sich mit acetylcysteinhaltigen Arzneimitteln, z. B. ACC® Kindersaft oder Fluimucil® Kindersaft oder den entsprechenden Brausetabletten zu bevorraten. Hier besteht die Möglichkeit auf andere Wirkstoffe, wie beispielsweise Ambroxolhydrochlorid auszuweichen. Als Fertigpräparat stehen hier unter anderem Mucosolvan® Kinder Hustensaft oder die Produkte der Generikahersteller meist noch zur Verfügung. Kann auf feste orale Darreichungsformen ausgewichen werden, so gibt es mit dem gleichen Wirkstoff Lutschtabletten oder Retardformulierungen mit den altersadaptierten Dosierungen.

Sicherlich ist diese Liste nicht abschließend, bildet aber einige der aktuell am häufigsten verlangten, jedoch defekten Arzneimittel ab. Sollte sich in nächster Zeit nichts an der suboptimalen Lieferfähigkeit von Arzneimitteln im deutschen Gesundheitsmarkt ändern, so steht eine weitere Verschlimmerung der Versorgungslage zu befürchten, auch auf die Gefahr hin, nicht immer passende und therapieadäquate Lösungen zu finden.


Apotheker Dr. Christian Redmann
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Ursachenforschung und Lehren daraus ?

von Dr. Ralf Schabik am 07.11.2022 um 8:14 Uhr

Dass die Situation in den Apotheken derzeit unerträglich ist, wird zunehmend beklagt.
Mir fehlt aber eine saubere Ursachenforschung und vor allem, dass aus den Ursachen Lehren gezogen werden:
1) WARUM fehlen so viele Präparate und wie kann man das ändern ?
2) WARUM ist eine Substitution so schwierig und wie können wir Abhilfe schaffen ?
Nur zwei Punkte exemplarisch:

1) Die Abhängigkeit von obskuren Lieferketten ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist vom Menschen verantwortet. Was lernen wir daraus ? NIX ! Maskenproduzenten in Deutschland werden ihre hochwertigen Produkte nicht los, Äpfel fliegen wir vom anderen Ende der Welt ein und die Leute sind stolz darauf, ein "E" auf dem Nummernschild zu haben - obwohl wir in Deutschland keine nennenswerten Lithium-Vorräte kennen. Gelernt aus der Krise ? Nö.

2) In Mangel-Situationen pragmatisch zu handeln, hat schon unser Stammvater Galen postuliert. Aber Pharmazeuten heute können nicht mehr "pragmatisch". Solange minimalste Formfehler, von Krankenkassen perfide konstruiert, zu Vollabsetzungen führen, handeln nur noch Revoluzzer im HV mit gesundem Menschenverstand. Hinzu kommen Gängelungen wie dramatisch erschwerte "kollegiale Aushilfe" zwischen Apotheken. Oder das Verbot von "Ausfüllen" und "Stückeln". Und der Super-GAU ist das, was als neue Approbationsordnung auf dem Tisch liegt - die VERKÜRZUNG der Praxiszeiten während des Studiums. Dafür eine "wissenschaftliche Arbeit". Oder die Forderung nach Akademisierung der PTA-Ausbildung.

Wie laut muss der Schuss sein, bis die Leute endlich aufwachen ???

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Ursachenforschung

von Holger am 07.11.2022 um 13:09 Uhr

Darüber, dass die Ursache NICHT auf der Ebene der Apotheken zu suchen ist, sind wir uns sicher rasch einig. Und auch der Großhandel enthält uns keine Ware vor. Also wird das Problem wohl auf der Ebene der Pharmazeutischen Unternehmer zu suchen sein müssen - und das sind Protagonisten, die sich nicht gerne in die Karten schauen lassen, ja die sogar der Politik "Druck machen", wenn die über eine Verschärfung der Spielregeln auch nur leise nachdenkt.

- Unternehmen dürfen, ja MÜSSEN gewinnorientiert denken und arbeiten, das ist völlig okay. Nur unanständig sollten diese Gewinne nicht werden, aber das ist vielleicht ein anderes Thema
- Gewinn entsteht, wenn die Einnahmen höher sind als die Ausgaben (sehr vereinfacht zusammengefasst)
- die Ausgaben sinken, wenn ich Produktionsstätten zentralisiere
- Transportkosten spielen keine große Rolle, die sind billig, hindern also nicht an der Zentralisierung
- Produktionskosten sind in Fernost dramatisch geringer als in good old europe oder den USA
- Lager bindet Kapital und ist daher mindestens kritisch wenn nicht aus betriebswirtschaftlicher Sicht unnötig
- ....

All das sind Punkte, bei denen man leicht Verbesserungen herstellen könnte:
- dual sourcing auf allen Ebenen als Minimalstandard
- Transportkosten auf das "wahre" Niveau inklusive der Umweltschäden anheben
- Mindestlagerverpflichtung des Pharm Unternehmers wie für Apotheken und Großhändler auch, wenn das nicht reicht gerne mit so drastischen Geldbußen bei Verstößen, dass auch der mutigste BWLer in der Vorstandsetage es nicht drauf ankommen lässt.

Jetzt sind viele der angeführten Präparatebeispiele OTC-Produkte. Aber auch bei Rx-Produkten gibt es das Problem ja massiv. Und zwar nicht nur wenn die Herstellung in China und die Konfektionierung in Malaysia gemacht wird. rTPA wird "im Ländle" produziert und ist trotzdem derzeit nur massiv beschränkt verfügbar - zum Leidwesen aller, die systemische oder regionale Lysetherapien benötigen, also Patienten mit Lungenembolien, Schlaganfällen oder regionalen Gefäßverschlüssen. Die Lieferengpässe sind also KEIN Corona-Problem!!!

Aber vor allem durch die Marktmacht der Krankenkassen ist Deutschland in den letzten Jahren hinsichtlich der Arzneimittelversorgung zum Drittweltland mutiert. Und ich kann die Vorstandsstrategen in den Unternehmen sogar verstehen! Wenn ich noch 10kg eines knappen Wirkstoffs zu verteilen hätte, würde ich auch nicht den Großteil davon in ein Land geben, in dem ich viel weniger daran verdienen kann, als in dessen Nachbarschaft. Und gerade Länder mit riesigen Bevölkerungen, wie China oder Indien, erfahren deutliches Wachstum und damit auch ihres Wohlstands. Selbst wenn der dann so ungleich verteilt ist, dass nur 5% der Bevölkerung davon profitieren, sind das halt bei einer Milliarde Einwohner eben mal 50 Millionen Menschen. Da hält scheinbar die Steigerung der Angebotsseite nicht mit der Steigerung der Nachfrageseite mit. Und in einem Markt steigt dann der Preis ... auch wenn das unsere Krankenkassen in Deutschland nicht hören wollen.

Und noch ein Lieblingsthema von mir:
Wer selber Reimporte als Sparmaßnahme goutiert, darf sich nicht wundern, wenn andere Länder den eigenen Markt leerkaufen :)

Lieferengpässe

von Alexandra am 05.11.2022 um 19:38 Uhr

Ich arbeite in der Apotheke und Mucosolvan Säfte gibt es im Moment nicht. Bei den Lutschtabletten nur noch 40 Stück Packungen. Es ist mühsam.... Der Winter hat ja noch nicht mal angefangen. Bei uns haben wir im Moment 300 Artikel, die wir nicht bekommen. Es ist sehr zeitintensiv, ständig die Großhandlungen abzufragen, ob nicht irgendwo was gerade reingekommen ist. 5 min können darüber entscheiden, ob was lieferbar oder ausgegangen ist. Ein Ende ist irgendwie nicht in Sicht. Kaum kommt ein bereits vorbestellter Artikel wieder, sind 5 Neue vom Großhandel nicht erhältlich. Die Pharmamall ist beim hersteller Z....a leider auch keine Hilfe. Angeblich lieferbar, kommt der Artikel nicht, aber nochmal eine Meldung oder Absage. Telefonate mit 10 min Warteschleife ergeben dann, daß der Artikel doch nicht mehr verfügbar war...

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AW: Lieferengpässe: PharmaMall

von Dr. Ralf Schabik am 07.11.2022 um 7:54 Uhr

PharmaMall ist bei nahezu allen Herstellern KEINE Hilfe. Das Portal gaukelt grundsätzlich Lieferfähigkeit vor, die meist nicht gegeben ist. Ein schauriges Beispiel dafür, dass auch die tollste Datenverarbeitung nur so gut ist wie das, was der Mensch an Daten liefert. Während die Verfügbarkeitsanfrage beim PhaGro in den allermeisten Fällen korrekte Ergebnisse auswirft, bleibt PharmaMall systematisch unausgereift, solange die Hersteller nicht verpflichtet sind, sekundenaktuelle, präzise Daten zu liefern.

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