Studie zu Missbildungen bei Nachkommen

Bei Kinderwunsch – besser Insulin statt Metformin?

Stuttgart - 29.03.2022, 07:00 Uhr

In einer Registerstudie wurde für die Einnahme von Metformin während der Spermienentwicklung ein erhöhtes Risiko für Missbildungen beobachtet, insbesondere für Genitalfehler bei Jungen. (x / Foto: SciePro / AdobeStock)

In einer Registerstudie wurde für die Einnahme von Metformin während der Spermienentwicklung ein erhöhtes Risiko für Missbildungen beobachtet, insbesondere für Genitalfehler bei Jungen. (x / Foto: SciePro / AdobeStock)


Dass Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas einem Kinderwunsch nicht zuträglich sind, dürfte allgemein bekannt sein. Ein gut eingestellter Blutzuckerspiegel gilt deshalb in der Kinderwunschphase als besonders wichtig. Doch macht es einen Unterschied, mit welchem Arzneimittel man den Blutzucker senkt? Eine dänische Studie deutet an, dass eine Metformin-Einnahme während der Spermatogenese des Mannes bei den Nachkommen zu Fehlbildungen führen könnte. Expert:innen nehmen die Studie ernst, sehen aber noch viele offene Fragen.

Das „Science Media Center“ Deutschland berichtet aktuell über eine Studie, die in den „Annals of Internal Medicine“ erschienen ist, und hat diverse Expert:innen um deren Einordnung gebeten. Denn die Botschaft der Studie ist für die Pharmazie durchaus brisant: Die väterliche Einnahme von Metformin soll mit einem erhöhten Risiko für Missbildungen bei den Nachkommen assoziiert sein. 

„Preconception Antidiabetic Drugs in Men and Birth Defects in Offspring – A Nationwide Cohort Study“, lautet der Titel der Studie. Darin haben dänische und britische Forscher:innen im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie in Dänemark landesweite Register aller Geburten in den Jahren von 1997 bis 2016 ausgewertet. Entsprechend dem Titel der Studie wurde nicht nur die Einnahme von Metformin, sondern auch die von Insulin oder Sulfonylharnstoff bei Vätern vor der Zeugung eines Kindes erfasst. Wie das SMC erklärt, galten die Babys „als einem Diabetesmedikament ausgesetzt, wenn ihrem Vater in den drei Monaten, in denen sich die Spermien entwickelten, mindestens ein Rezept für eines der drei Diabetesmedikamente ausgestellt wurde“.

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Es wurde überprüft, ob bei den Babys Geburtsfehler auftraten, und ob diese Beobachtung mit den Diabetesmedikamenten, den verschiedenen Zeitpunkten der Medikamenteneinnahme und mit nicht exponierten Geschwistern der Babys korrelierte. Eine gute Nachricht der Auswertung war sodann: „Die Einnahme von Insulin war nicht mit einem erhöhten Risiko für einen Geburtsfehler assoziiert.“ Zu den Sulfonylharnstoffen lasse sich jedoch keine Aussage machen, weil die Fallzahl zu gering war. Und für die Einnahme von Metformin während der Spermienentwicklung wurde ein erhöhtes Risiko für Missbildungen beobachtet, insbesondere für Genitalfehler bei Jungen, erklärt das SMC.

Reine Assoziationsstudie und fehlende Daten

Für einen tatsächlichen Zusammenhang spricht, dass die Einnahme von Metformin vor oder nach der Spermienentwicklung das Risiko für Geburtsfehler nicht erhöhte, auch bei nicht exponierten Geschwistern sei kein erhöhtes Risiko zu beobachten. Da es sich jedoch um eine reine Assoziationsstudie handelt, erklärt das SMC, bleibe zu klären, wie Metformin mechanistisch die Spermienentwicklung beeinflusst. Ob wirklich ein kausaler Zusammenhang besteht, ist also nicht klar.

Doch der Verdacht ist nun in der Welt. Wie sollte man besorgte Patient:innen also künftig beraten? Das SMC hat Expert:innen um deren Einschätzung gebeten: Professor Wolfgang Rathmann (Leiter der Arbeitsgruppe Epidemiologie, Deutsches Diabetes-Zentrum – Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) meint, dass die Studie einen wesentlichen Schwachpunkt hat: Es fehlen Daten zur Qualität der Blutglucose-Einstellung sowie des Body-Mass-Index der Studienpopulation. So sei auch für Sulfonylharnstoffe ein erhöhtes Risiko für Missbildungen beobachtet worden, das jedoch statistisch nicht signifikant war: „Dieses Ergebnis legt jedoch nahe, dass die Blutglucosekonzentrationen eine Rolle spielen.“ Eltern mit Metforminbehandlung seien vergleichsweise alt gewesen und hätten einen niedrigeren sozioökonomischen Status aufgewiesen. Zudem sollen Väter mit einer Metforminverordnung deutlich häufiger Lipidsenker und kardiovaskuläre Therapeutika erhalten haben.

Es könnten also nicht Metformin, sondern ein ungünstiges kardiometabolisches Risikofaktorprofil und eine Adipositas die eigentlichen Gründe für die beobachteten Fehlbildungen sein. Unklar bleibe zudem, ob bei den Schwangeren ein unentdeckter Gestationsdiabetes vorlag, „der das Risiko für Geburtsdefekte deutlich erhöht“.

Praktische Konsequenzen?

Insgesamt seien Geburtsfehler bei 3,3 Prozent (36.585 Kindern) dokumentiert worden. Nur bei 7.069 davon lag eine Verordnung von Glucosesenkern bei Vater oder Mutter vor, so Rathmann: „Die häufigste Verordnung bei den Eltern, die im Durchschnitt 30 bis 33 Jahre alt waren, war Insulin (5.298) gefolgt von Metformin (1.451) und Sulfonylharnstoffen (647). Eine väterliche Metformintherapie war mit einer erhöhten Chance für schwere Geburtsdefekte assoziiert (Odds Ratio: 1,4; 95 Prozent Konfidenzintervall: 1,08 bis 1,82).“

Bestünde tatsächlich ein Zusammenhang, wäre das Ergebnis durchaus relevant, auch weil in Deutschland 0,04 Prozent der Männer im Alter von 30 bis 34 Jahre eine Verordnung von Glucosesenkern erhalten sollen. Auf die Frage nach praktischen Konsequenzen für die Therapie erklärt Rathmann: „Es ist eindeutig zu früh, anhand einer einzigen Studie eine Änderung der Therapieempfehlungen auszusprechen. Sollten sich die Ergebnisse in mehreren Studien bestätigen, wäre eine Insulinbehandlung eine Alternative. Insulinverordnungen waren nicht mit einem erhöhten Risiko für Missbildungen assoziiert.“ 

Die vom SMC befragten Expert:innen geben insgesamt zu bedenken, dass bei vielen Patienten die Blutzuckerkontrolle vielleicht grundsätzlich besser hätte sein müssen, womit die Fehlbildungen unabhängig vom Arzneimittel, aber abhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung, aufgetreten sein könnten. Auch in der DAZ 39/2019 war nachzulesen, dass endokrine Erkrankungen eine Ursache für eine gestörte Spermatogenese sein können. Dazu zählen:

  • Anomalien der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (z. B. durch Hypophysentumor, Arzneimitteleinfluss)
  • Nebennierenerkrankungen
  • Hyperprolaktinämie (z. B. durch Prolaktinom, ­Arzneimitteleinfluss)
  • primärer oder sekundärer Hypogonadismus
  • Hypothyreose
  • Diabetes mellitus

Antidiabetika und Sexualfunktion in der DAZ 19/2020

„Der Einfluss der Antidiabetika auf die sexuelle Funktion muss differenziert betrachtet werden. Grundsätzlich hat jede Therapieform, die die Blutzuckereinstellung optimiert, einen positiven Effekt. Für Metformin sind zusätzlich posi­tive Effekte auf die Reproduktionsfunktionen beschrieben. Eine Studie beschreibt allerdings auch abnehmende Libido durch gesenkte Testosteron-Spiegel [48, 49]. Neuere Antidiabetika (SGLT-2-Hemmer, DPP-4-Hemmer, GLP1-Analoga) und Metformin haben positive Effekte auf die Sexualfunk­tion, wohingegen Insuline und Sulfonylharnstoffe aufgrund ihres ungünstigen Einflusses auf das Körpergewicht eher negative Auswirkungen auf die Gonadal- und Sexualfunk­tion haben [49, 50].“ 

Quelle: Lusträuber Arzneistoffe, DAZ 19/2020 / Isabel Waltering, Apothekerin, PharmD


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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